Samstag, 29. Dezember 2007

"Wahlleiter sind mit Wahlzetteln spurlos verschwunden"


Zwei Tage ließen sich die Menschen in Kenia hinhalten. Als das Ergebnis der Präsidentschaftswahl auch heute auf sich warten ließ, brachen Unruhen aus. Denn viele sehen nur einen Grund für die Verzögerung: Wahlbetrug. Da half es nicht, dass sich beide - Opposition und Regierung zum Sieger erklärten. Die zuständige Behörde unterbrach unterdessen die Stimmauszählung, weitere Ergebnisse würden erst morgen bekannt gegeben.

Nach zwei Tagen gespannter Ruhe brach in Kisumu, der größten Stadt im Westen Kenias, Chaos aus: Militante Oppositionsanhänger steckten Barrikaden in Brand, plünderten Geschäfte und zogen mit ihrer Beute gröhlend durch die Stadt. Die Polizei versuchte, die Plünderer mit Tränengas und Schüssen in die Luft zu verjagen - ohne Erfolg. Ähnliche Szenen spielten sich in den Slums von Nairobi und weiteren Städten im Westen Kenias ab, der Hochburg des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga.

Grund für den Aufruhr: Auch 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale lag noch kein Endergebnis vor. Ein Demonstrant macht seinem Ärger Luft: "Wir sind entsetzt darüber, wie die Auszählung verzögert wird. Es gibt viele Wahllokale, die ihre Ergebnisse für die Parlamentswahl und die Kommunalwahl veröffentlicht haben, aber nicht die der Präsidentenwahl. Warum verzögern sie die Bekanntgabe so lange?"

Nicht nur dieser Demonstrant war der Meinung, dass es auf die Frage nur eine Antwort gibt: Wahlfälschung. In den vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission liegt Odinga zwar vor Amtsinhaber Mwai Kibaki. Doch die Befürchtungen sind groß, dass die Regierung mit gezielten Manipulationen in letzter Minute das Ruder noch zu ihren Gunsten herumreißen will. Selbst der Chef von Kenias Wahlkommission, Samuel Kivuitu, gab sich ratlos: Viele seiner Kreiswahlleiter seien schlicht mit den Wahlzetteln verschwunden. Ihre Telefone seien abgestellt, niemand wisse, wo sie seien.

Der sonst so besonnene und als integer geltende Wahlleiter verlor vor laufenden Kameras schließlich die Fassung: "Wollen Sie, dass ich Ergebnisse vorlese, die wir nicht haben? Die wir nicht bekommen haben? Sie kriegen Ihre Ergebnisse, aber wohl nicht heute. Vielleicht morgen, oder übermorgen. Das kommt drauf an, wann sie kommen."

Während die Ergebnisse aus fernsten Regionen schon lange vorliegen, sind es vor allem die Wahllokale in und um Nairobi, die ihre Ergebnisse bisher noch nicht gemeldet haben. Das verschärft die Lage in der Hauptstadt, wo sich die Stimmung immer weiter aufheizt und selbst bei der Pressekonferenz der Wahlkommission Tumulte ausbrachen.

Die Wahlbeobachter, die den Verlauf am Wahltag noch gelobt hatten, waren entsetzt. Alexander Graf Lambsdorff, der Chef der EU-Wahlbeobachtungsmission, verzichtete auf die vorgesehene Abschlussbilanz und nutzte stattdessen die Chance, zur Ruhe aufzurufen.
"Die Situation in Kenia ist jetzt sehr angespannt. Die Auszählung der Präsidentenwahl verzögert sich entscheidend. Es werden immer mehr Fragen aufgeworfen und in einigen Städten sind in der Tat Unruhen ausgebrochen. Wir betrachten das mit Sorge und haben alle Beteiligten entschieden zur Ruhe aufgerufen." Doch von Ruhe war bis zum Abend wenig zu spüren.

Der Streit hat auch eine ethnische Komponente: Odinga ist Luo, Kibaki Kikuyu – die beiden größten Ethnien des Landes sind sich auch ohne Wahlstreit nicht grün. Zur weiteren Aufheizung der Lage trug die Vielzahl inoffizieller Ergebnisse bei. Die Oppositionspartei Orange Democratic Movement rief Odinga auf Grundlage eigener Zahlen zum Sieger aus.
Musalia Mudavadi, der unter Odinga Vizepräsident werden möchte, sagte: "Vor fünf Jahren haben die Kenianer mit einer überwältigenden Mehrheit Daniel arap Moi abgewählt. Auch dieses Mal haben die Kenianer eine Wahl getroffen. Ihr Wille ist jetzt bekannt. Sie haben die Regierung Kibaki abgewählt und mindestens 18 ihrer Minister nach Hause geschickt, unter ihnen den Vize-Präsidenten. Raila Odinga ist nach unseren Ergebnissen der Gewinner und der vierte Präsident Kenias."

Nur kurze Zeit später legten die Unterstützer von Amtsinhaber Kibaki nach und erklärten ebenfalls den Sieg. Ohne ein baldiges offizielles Ergebnis, so befürchten viele, wird das Chaos weiter zunehmen.

(Copyright tagesschau.de/ ARD Hörfunk, 29.12.07)

Orangene Party


In Kenias Küstenmetropole Mombasa begann in der Nacht zum Freitag eine lautstarke Party auf den Straßen. In orangefarbene Gewänder gehüllte Anhänger des oppositionellen "Orange Democratic Movement" schoben singend und im Freudentaumel ihren Kandidaten Najib Balala vor sich her. Dieser hatte zuvor die Wahl um einen der 210 Parlamentssitze für sich entschieden.

Eigentlich war in Mombasa ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet worden, doch die Opposition setzte sich hier wie auch anderswo überraschend deutlich durch. Ähnliche Bilder boten sich am Tag nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl vom Donnerstag überall in Kenia. Wo es nur ging, feierte die orangene Opposition um ihren Anführer und Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga.

Die Regierungspartei von Präsident Mwai Kibaki hingegen musste schwere Niederlagen hinnehmen. Mindestens zwölf ihrer Minister wurden nicht wiedergewählt; darunter sind viele Politiker, die die Geschicke des Landes lange Zeit bestimmt haben. Kenias bisheriger Umweltminister David Mwararia etwa musste sich unter Polizeischutz seinen Weg von der Wahlzentrale durch eine Horde johlender Jugendlicher bahnen, die den 69-jährigen auslachte. Seit 15 Jahren hat Mwararia seinen Wahlkreis im Osten Kenias als Abgeordneter vertreten - jetzt ist Schluss.

Kenias 14 Millionen registrierte Wähler stimmten für einen Generationswechsel, der diejenigen aus dem Parlament fegt, die wie Kibaki seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1963 an ihren Mandaten festhalten. Zu denen, die nicht mehr im Parlament vertreten sein werden, gehört auch Vizepräsident Moody Awori und dessen Vertrauter Nicholas Biwott. "Endlich sind wir diese Schmarotzer los", sagt eine junge Frau in Mombasa, die allerdings Kibaki gerne weiter im Amt sehen würde. Ein wenig Angst vor der Veränderung schwingt da mit. Dass jetzt junge Abgeordnete ins Parlament einziehen, viele von ihnen zum ersten Mal, erfüllt sie jedoch mit Hoffnung auf eine bessere Politik in den nächsten Jahren.

Das gerade abgetretene Parlament hatte sich vor allem mit seiner Raffgier einen Namen gemacht. Nicht nur setzten die Abgeordneten als erste Amtshandlung ihre Bezüge soweit herauf, dass ein kenianischer Abgeordneter heute mehr verdient als ein deutscher Parlamentarier. Viele von ihnen galten zudem als durch und durch korrupt. Dass jemand wie Mwararia überhaupt noch einmal angetreten war, obwohl Tonbandaufnahmen ihn als Schlüsselfigur im größten Korruptionsskandal der Kibaki-Regierung auswiesen, hatten viele schon für einen Skandal gehalten. Seine Abwahl stieß deshalb am Freitag auch außerhalb seines Wahlkreises auf freudige Zustimmung.

Ob Präsident Kibaki selbst es schafft, im Amt zu bleiben, wurde am Freitag immer fraglicher. Ergebnisse aller großen Fernsehsender sahen nach der Auszählung von fast einem Drittel der abgegebenen Stimmen Oppositionsführer Raila Odinga deutlich in Führung.

Den Umfragen des größten Fernsehsender NTV zufolge kam Odinga auf 56 Prozent der Stimmen, Kibaki dagegen nur auf 37. Die offizielle Auszählung indes ging so langsam vor sich, dass der Unmut selbst innerhalb der Wahlkommission im Laufe des Tages zunahm.

Fast 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale lagen erst die Ergebnisse aus zwölf von 210 Wahlkreisen vor. "Wir wollen die Resultate jetzt, das Land wird unruhig", rief Wahlkommissar Jack Tumwa zu mehr Eile auf. Kenias oberster Polizeichef mahnte vorsorglich zur Ruhe. "Es ist jetzt an der Zeit, mit der Versöhnung zu beginnen", erklärte General Hussein Ali und lobte zugleich, dass die Wahlen überwiegend friedlich geblieben seien.

Doch vor allem in den Hochburgen der Opposition mehrten sich da schon die Vorwürfe, die Regierung versuche, die Ergebnisse zu fälschen und spiele deshalb auf Zeit. "Ist das die Strategie, um und eine ungeliebte Regierung aufs Auge zu drücken?", fragte etwa der Generalsekretär von Raila Odingas Oppositionsbündnis "Orange Democratic Movement", Joseph Nyagah, scharf.

Nyagah forderte, die Ergebnisse müssten unbedingt noch am Freitag komplett veröffentlicht werden. Doch danach sah es am Nachmittag nicht aus. In der Hauptstadt Nairobi etwa waren da erst fünf Prozent aller Stimmen ausgezählt.

Alexander Graf Lambsdorff, der Chef der EU-Wahlbeobachter, lobte zwar die Gewissenhaftigkeit der Wahlbeamten. "Aber irgendwann ist die Zeit nicht mehr Dein Freund und die Leute wollen Ergebnisse sehen." Viele in Kenia befürchten jetzt, dass Gerüchte vor allem in den Slums der Hauptstadt Nairobi und im Westen des Landes eine Kettenreaktion in Gang setzen könnten. In beiden Regionen waren schon am Wahltag bei einer Schießerei und mehreren Schlägereien fünf Menschen ums Leben gekommen.

(Copyright Berliner Zeitung, 29.12.07)

Freitag, 28. Dezember 2007

Wahlauftakt von Vorwürfen überschattet


Ein solches Chaos hat Alexander Graf Lambsdorff, Chefwahlbeobachter der EU, dann doch nicht erwartet. Mit entsetztem Blick bahnt er sich einen Weg durch die Massen vor der alten Grundschule in Nairobis größtem Slum Kibera, wo mehr als zehntausend Wähler darauf warten, ihre Stimme abgeben zu können. Im eigentlichen Wahlraum findet er den Wahlleiter umstellt von aufgebrachten Wählern, verschanzt auf einem Tisch in der Ecke, umringt von seinen verängstigten Mitarbeitern. „Wir haben keine Wählerlisten, solange kann niemand wählen“, gesteht der Mann ein. Als Lambsdorff den Ort um halb zwölf verlässt, fahren Sondereinheiten der Polizei auf den Hof, um für Ordnung zu sorgen. „Hier ist eindeutig kein ordnungsgemäßer Wahlablauf gewährleistet“, urteilt Lambsdorff.

Das ist fatal, denn Kibera ist der Wahlkreis von Oppositionsführer Raila Odinga, der in den Umfragen knapp vor Präsident Mwai Kibaki liegt. Odinga wirft der Regierung schon seit Wochen vor, die Ergebnisse hier fälschen zu wollen. Bestätigt sieht er sich darin, als sein Name wie der von tausenden anderen in den wenigen vorhandenen Wählerlisten nicht zu finden ist. Ein Sprecher der Wahlkommission kündigt später an: „Die Verzögerungen bedauern wir, und wir werden die Wahllokale so lange offen halten, bis alle Kenianer die Chance gehabt haben, zu wählen.“ Das kann dauern. Vor einem anderen Wahllokal in Kibera standen die Wähler am Nachmittag noch in einer mehr als einen Kilometer langen Schlange. Erste Ergebnisse werden frühestens heute erwartet.

Der Sieg in seinem Wahlkreis ist für Odinga auch deshalb so wichtig, weil er Voraussetzung für das Präsidentenamt ist: Laut Verfassung dürfen nur gewählte Abgeordnete Präsident werden. Viele befürchten für diesen Fall schwere Ausschreitungen in den Hochburgen der Opposition. Die größte Tageszeitung Daily Nation titelte am Donnerstag nicht umsonst: „Dies ist nur eine Wahl, kein Krieg.“ Erst am Mittwoch waren drei Polizisten im Westen Kenias von Oppositionsanhängern erschlagen worden, weil sie von einer aufgebrachten Menge der Wahlfälschung verdächtigt worden waren.

(Copyright Märkische Allgemeine Zeitung, 28.12.07)

Donnerstag, 27. Dezember 2007

Allein gegen das Establishment


Pollyne Owoko hat anstrengende Tage hinter sich. Als ihr Wahlplakat endlich gestaltet war, die Datei auf eine CD gebrannt werden sollte, fiel der Strom aus. Am nächsten Morgen gab es wieder welchen, und sie rannte mit der Datei zum Drucker. Dann machte sie sich auf den Weg zum Besitzer der Plakatwände, fast hätte der die Flächen an ihren Gegner verkauft. Zudem wusste die 30-Jährige lange nicht, wie sie die Flächen überhaupt bezahlen sollte - aber irgendwann findet sich irgendwie eine Lösung. So ging sie an das Unmögliche heran. Ihr Projekt: Sie will heute, wenn Kenia ein neues Parlament wählt, Abgeordnete werden.

Schwierige Situationen hatte Owoko reihenweise zu bewältigen. Meist suchte sie nach Geld, um ihren Wahlkampf zu finanzieren. In der restlichen Zeit war sie in ihrem Wahlkreis Buru Buru unterwegs. Ihr Zuhause in dem Slumgebiet im Osten Nairobis sah sie nur nachts. Ihre Adoptivtochter, 21, passt auf Owokos achtjährige Tochter auf. Einen Mann, der sich um sie kümmern würde, hat sie nicht. Der Job als Versicherungsagentin ruht.

Pollyne Owoko gehört zu den 2 248 Kandidaten, die heute einen von 210 Parlamentssitzen ergattern wollen. Die meisten Kandidaten sind alt und etabliert, viele haben das Berufsleben hinter sich. "Als ich bei der Wahlbehörde meine Unterlagen abgab, rief der Leiter: Überprüft ihren Pass, ob sie wirklich schon 21 ist und kandidieren darf." Auch bei ihren Wahlkampfauftritten hätten Zuhörer immer wieder gefragt, wann denn die Kandidatin komme. "Viele sagen mir, ich soll doch erst mal als Kommunalpolitikerin anfangen, aber dazu habe ich keine Lust."

Owoko ist getrieben von dem Wunsch zu verändern: Aufgewachsen ist sie unter der mehr als zwanzigjährigen autoritären Herrschaft von Präsident Daniel arap Moi. "Ich habe mir jahrelang nichts so sehr gewünscht, wie den Abgang von Moi." Das passierte 2002, und der Führer des oppositionellen Regenbogenbündnisses, Mwai Kibaki, errang einen grandiosen Sieg. "Alle haben gefeiert, wir haben uns gefühlt wie nach einer Revolution - und nach einem halben Jahr gemerkt, dass sich kaum etwas ändert." Damals entschied sich Owoko, selbst in die Politik zu gehen. "Bei uns regiert immer noch die Generation der Staatsgründer. Kibaki hat genau wie Moi und Kenyatta noch den Vertrag über die Unabhängigkeit von Großbritannien ausgehandelt." In Kenia habe das Wort der Älteren schon immer besonderes Gewicht gehabt. Auch hätten die alteingesessenen Politiker über Jahrzehnte ein Netzwerk aus Macht und Geld geknüpft. Wenn Leute Owoko vorwerfen, mit 30 zu jung für ein Mandat zu sein, antwortet sie: "Kibaki war 27, als er seine politische Karriere begann; Moi 25."

Auch in Owokos Wahlkreis Buru Buru sind unter den 25 Kandidaten viele Vertreter der alten Garde. "Der Amtsinhaber ist Ruben Dollo, ein früherer Box-Champion", sagt Owoko und rümpft die Nase. Dollo ist einer von vielen Ex-Sportlern, die um ein Mandat kämpfen. "In meinem Wahlkreis wissen viele nicht einmal, was ein Abgeordneter tut; da wählt man den, dessen Gesicht man schon mal gesehen hat."

Paten statt Politiker habe Kenia, kritisiert Owoko, wer gewählt wird, versorgt seine Anhänger mit dem neu erworbenen Reichtum. In keinem Entwicklungsland werden Abgeordnete besser bezahlt, mit Zulagen verdienen die Parlamentarier eines der ärmsten Länder der Welt mehr als ein Bundestagsabgeordneter. Viele tun deshalb alles dafür, um ein Mandat zu bekommen.

Dollo etwa hat für diese Wahl die Parteien gewechselt, vor fünf Jahren kandidierte er noch für die Regenbogenkoalition von Präsident Kibaki. Jetzt versucht er sein Glück auf dem Ticket des oppositionellen Orange Democratic Movement (ODM), so genannt, weil die Wahlkommission der Bewegung eine Orange als Symbol verpasste. Solche Symbole sind wichtig auf dem Wahlzettel, viele Wähler können weder lesen noch schreiben.

Opportunisten wie Dollo gibt es viele, denn die Stimmung steht auf Veränderung, weil vor allem die Jungen und die Slumbewohner vom Wirtschaftsaufschwung nicht profitiert haben. "Aber keiner von denen wird irgendetwas Grundsätzliches verändern", sagt Owoko verärgert. Wer für eine dieser drei Parteien antritt, kann mit Geld für den Wahlkampf rechnen, das Pollyne Owoko fehlt. Ihre Partei, die Vereinten Demokraten, ist wie die meisten der 300 bei dieser Wahl registrierten kenianischen Parteien mittellos. Dass ihr das nötige Geld fehlt, spürt Owoko jeden Tag. "Wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin und mit Wählern rede, dann sollte ich sie theoretisch mit meinen Ideen begeistern können - aber viele wollen vor allem eins wissen: Wie viel Geld gibst du mir?" Gerade in den Slums von Buru Buru ist es normal, dass ein Kandidat seinen potenziellen Wählern nach einer Rede ein paar Scheine zusteckt.

Owoko versucht, im persönlichen Gespräch Wähler für sich zu gewinnen. Großveranstaltungen, für die sie eine Bühne oder einen Verstärker mieten müsste, macht sie nicht. "Stattdessen hole ich die Bewohner von fünf, sechs Häusern zusammen und erzähle ihnen, was ich erreichen will." Sie wirbt für einen konsultativen Führungsstil, weil sie findet, die Abgeordneten sollten sich mit ihrem Wahlkreis laufend rückkoppeln; für die Auflage eines Jugendfonds, die Förderung junger Sporttalente, bessere Gesundheitsvorsorge für Frauen. "Das mag viel Theorie sein für Leute, die morgens nicht wissen, ob sie abends etwas zu essen haben werden", gesteht Owoko ein.

Die selbstbewusste Idealistin ist im Lauf der Monate immer pragmatischer geworden. In einem Wahlkampf, der wie kaum einer zuvor durch ethnische Abgrenzung geprägt ist, setzt auch sie auf ihre Herkunft. "Ich bin Luo, wir stellen im Wahlkreis die zweitgrößte Gruppe nach den Kikuyu." Außer ihr kandidiert nur ein anderer Luo: Amtsinhaber Dollo. "Und den halten viele Luo für so korrupt, dass sie lieber einem Neuen eine Chance geben wollen." Bis heute wisse keiner, was Dollo mit den umgerechnet 1,5 Millionen Euro gemacht habe, die er wie jeder Abgeordnete für Investitionen im Wahlkreis bekam. "Viele sagen: Lassen wir eine Frau ran, die sind ehrlicher und können mit Geld umgehen."

Viele glauben, dass Präsident Kibaki abgewählt werden könnte, weil die Mehrheit die Vorherrschaft der Kikuyu brechen will. Die von den Briten in der Kolonialzeit geförderte größte Ethnie kontrolliert seit der Staatsgründung Verwaltung und Wirtschaft. Der erste Präsident, Kenyatta, war Kikuyu; der Beraterzirkel des jetzigen Präsidenten Kibaki, alle Kikuyu, hat in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen, früher kaum vorhandene ethnische Spannungen zu schüren. Die Reden von Oppositionskandidat Raila, selbst Luo, taten ein übriges.

Laut Umfragen stehen Owokos Chancen für den Einzug ins Parlament nicht schlecht. Das setzt sich aus in den Wahlkreisen gewählten Direktkandidaten zusammen. Owoko liegt in ihrem Wahlkreis auf Platz 3. Ihre Wahlbeobachter, 300 Mann, stehen heute von morgens bis abends an den Urnen, um Fälschungen zu verhindern. Mehr als 7 000 Euro braucht Owoko, um sie zu bezahlen. Noch ist das Geld nicht da, aber das ficht sie nicht an. Wenn es klappt, sagt Owoko, wird sie für zwei Wahlperioden im Parlament bleiben. "Danach will ich zu Hause sein, Gemüse anpflanzen und kochen." Und falls es nichts wird mit dem Mandat, hat sie einen Plan: "Dann beginnt im März meine Kampagne für die Wahl 2012."

(Copyright Berliner Zeitung, 27.12.07)

Samstag, 15. Dezember 2007

Heiße Nächte auf Bali


Die Klimaexperten des Bundesumweltministeriums rühren am Freitagabend auf Bali in ihren Kaffeetassen und warten auf ihren Minister. Manchmal steht einer auf, um einen neuen Kaffee zu holen. Viel mehr kann man nicht tun. Sigmar Gabriel sitzt seit Stunden in einem Raum mit dem schönen Namen Bougainvillea und redet. Wie lange noch, ist in diesen Stunden bis zuletzt weiter ungewiss. Die UN-Klimakonferenz auf Bali ringt um ein Abschlussdokument. Und der Bundesumweltminister gibt zwischendurch eine optimistische Einschätzung. Er rechne mit einer Einigung, sagt Gabriel und fügt diplomatisch hinzu: "Ob das am Ende zu einem ambitionierten Ergebnis führt oder nicht, wird abzuwarten sein."

Hinter den verschlossenen Türen im Verhandlungsraum in Nusa Dua, vor denen ein muskelbepackter Polizist Wache schiebt, versucht Bundesumweltminister Sigmar Gabriel seit Stunden einen politischen Kraftakt: Er will die USA und ihre Verbündeten Russland, Kanada und Japan davon überzeugen, in der Abschlussdeklaration einem möglichst verbindlichem Zielkorridor für den Abbau von Treibhausgasen nach 2012 zuzustimmen. Zugleich sollen die Entwicklungs- und Schwellenländer zusagen, dass dann auch sie verbindliche Ziele etwa zur Deckelung des Kohlendioxid- Anstiegs eingehen würden. An beidem hängt der Abschluss der Verhandlungen. Auch Gastgeber Indonesien unterstützt am Freitag Kompromissvorschläge.

Ursprünglich hatten die Diplomaten das Tagungsende auf Freitag, 12 Uhr (Ortszeit) festgelegt. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Denn auch nachdem die Sonne auf der indonesischen Ferieninsel längst untergegangen war, zeichnet sich keine Einigung ab. Man sei "am Rande einer Einigung", sagt der Chef des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, am späten Freitagabend. Der Chef der UN-Klimarahmenkonvention wirkt übernächtigt. Er versucht dennoch, den Krisengesprächen in letzter Minute etwas Positives abzugewinnen: "Besser, man reist hier mit einem mühsam erreichten, aber eindeutigen Mandat ab, als wenn man im kommenden Jahr zunächst versucht herauszufinden, worauf man sich auf Bali eigentlich geeinigt hat."

De Boer verweist darauf, dass in den meisten Bereichen bereits Einigungen erzielt worden sind: Etwa bei den Fragen des Transfers klimafreundlicher Technologien oder der teuren Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Doch die Entwicklungsländern sind am Abend vor allem eines: sauer.

Der Verhandlungsführer der in den G77 zusammengeschlossenen sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer, Munir Akram aus Pakistan, nennt die zweiwöchigen Verhandlungen einen mühsamen Kampf um jeden einzelnen Zentimeter. "Wir haben es von Anfang an schwer gehabt, unsere legitimen Positionen zu behaupten." Industrieländer hätten die mehr als 130 Staaten umfassende Gruppe, unter deren Dach auch die aufstrebenden Industrie-Nationen China und Indien verhandeln, erheblich unter Druck gesetzt. "Schließlich hat man uns sogar mit Handelssanktionen gedroht."

Akram nennt die USA die Hauptverantwortlichen für die verwässerten Ergebnisse von Bali. "Ein mögliches Abschlussdokument wird die Erkenntnisse von Klimawissenschaftlern kaum widerspiegeln." Im Gegenteil hätten die USA noch am Freitagmorgen versucht, ein neues globales Abkommen mit gleichen Reduktionszielen für alle Länder zu propagieren – ohne einen Unterschied zwischen Entwicklungs- und Industriestaaten zu machen. "Ein solches Abkommen würde den Kyoto- Prozess komplett untergraben."

Zudem verweisen die Entwicklungs- und Schwellenländer auf die Blockadehaltung Amerikas. Die USA haben als einziger Industriestaat nicht das 1997 beschlossene Kyoto-Abkommen unterzeichnet, das verbindliche Ziele zum Abbau von Treibhausgasen in den Industriestaaten vorsieht. Weil sie jedoch Mitglied der UN-Klimarahmenkonvention sind, sitzen sie auf Bali mit am Tisch. Geschickt verzögern sie die Verhandlungen mit neuen Vorstößen, zuletzt hatte Umweltminister Sigmar Gabriel gar angedroht, die EU werde einem Klimatreffen von US-Präsident George W. Bush im kommenden Jahr auf Hawaii fernbleiben.

Viele Diplomaten hoffen, dass die Vereinigten Staaten 2008 mit einem neuen Präsidenten an der Spitze bereit sein werden, über einen Beitritt zum Abkommen nach 2012 nachzudenken. Denn dann beginnt die nächste Phase des Kyoto-Protokolls. Deshalb wollen alle den USA eine Tür zum neuen Vertragswerk offen halten.

Doch vor allem Deutschland und die EU haben stets auf klare Eckpunkte für das Verhandlungsmandat bestanden, das hier in Bali beschlossen werden soll. Als Zwischenziel bis 2020 bestehen die Europäer auf den Abbau von 25 bis 40 Prozent der Treibhausgase in den Industriestaaten – so steht es im Bericht des Weltklimarats (IPCC). Zustimmung bekommen sie am Freitag von Michael Bloomberg, dem Bürgermeister von New York.

Bloomberg ist nach Bali gereist, um seine eigene Stadt auf ein Klimagas- Reduktionsziel von 80 Prozent bis 2050 zu verpflichten. "Wir brauchen in diesen Verhandlungen konkrete und messbare Verpflichtungen, und wir Städte müssen voran gehen", so Bloomberg. Die Vereinbarung, die vierzig Weltstädte, darunter auch Berlin, unterzeichnen sollen, richtet sich ebenfalls an den Zahlen des Weltklimarats aus. Bloomberg rief die Vereinten Nationen zudem auf, Städte zum Teil des offiziellen Verhandlungsprozesses für mehr Klimaschutz zu machen. "Wenn man wirklich vorwärts kommen will, führt an uns Bürgermeistern, der wirklich pragmatischen Kraft auf der Weltbühne, kein Weg vorbei." Denn achtzig Prozent aller Treibhausgase weltweit würden schon heute in den Städten erzeugt.

(Copyright Berliner Zeitung, 15.12.07)

Donnerstag, 13. Dezember 2007

Die stillen Mehrheitsbeschaffer


Während die Unterhändler der Industrieländer in den Sälen und Fluren des Kongresszentrums von Bali fieberhaft über eine Reduktion von Treibhausgasen verhandeln, haben viele Afrikaner schon ihre Koffer gepackt. "Wir sind frustriert", sagt ein Delegierter aus Uganda. Viel wichtiger als der Abbau von Treibhausgasen ist den Afrikanern die Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die die meist armen Staaten nicht alleine bewältigen können. Doch dazu wird die Abschlusserklärung der Weltklimakonferenz, die am Freitag endet, nur wenig Konkretes enthalten.

Dabei hatten alle Seiten beteuert, dass Entwicklung und globaler Klimaschutz Hand in Hand gehen müssen. Doch bei den wenigen Diskussionen, die es gab, setzten sich die reichen Länder durch. So wird der Anpassungsfonds gegen den ausdrücklichen Willen Afrikas beim Globalen Umweltfonds der Weltbank (GEF) angesiedelt, die darin eingestellten Mittel aus dem Mechanismus für saubere Entwicklung gelten als lächerlich gering. Neue Einnahmequellen sollen erst in den kommenden Jahren diskutiert werden.

Die gleiche umstrittene Institution soll ein strategisches Programm für den Transfer von Technologien leiten, in dessen Rahmen zunächst einmal eine Bedarfsanalyse gemacht wird. Ein Plan des Klimagipfels 2006 in Nairobi, Kapazitätsaufbau in den ärmsten Ländern zu betreiben, wurde gar nicht erst behandelt. Auch wenn auf Bali nur ein Verhandlungsfahrplan entschieden wird: Viele Entwicklungsländer hatten sich deutlichere Signale erhofft.

"Afrika hat praktisch keinen Einfluss auf das Gipfelergebnis", zieht Alfred Omenya vom Climate Network Africa Bilanz. Das Prinzip der Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd habe auf Bali keine Rolle gespielt. Dafür, kritisiert Omenya weiter, müsse man auch die afrikanischen Delegierten verantwortlich machen.

Zwar sprechen Gipfelveteranen davon, dass Afrika auf Bali erstmals überhaupt bei einem Klimagipfel die Stimme erhoben hat. In ihrer Rede zur Eröffnung der Ministerrunde sparte Nigerias Umweltministerin Halima Tayo Alao, die die afrikanische Gruppe leitet, nicht an Kritik. "Aber die Afrikaner mischen sich etwa in die Debatte zu den Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer gar nicht ein, weil sie der Meinung sind, es geht sie nichts an", so der nigerianische Umweltschützer Adewale Agbojo. Dabei hänge davon ab, wie schlimm der Klimawandel Afrika in Zukunft treffen werde.

Das Schweigen der afrikanischen Delegierten ist umso erstaunlicher, weil die 53 afrikanischen Staaten leicht jede Abstimmung dominieren könnten: Kein anderer Kontinent hat so viele Stimmen. Doch zumindest für die nahe Zukunft hat Eric Kisiangan von "Practical Action Kenia" keine Hoffnung auf eine solche Bündelung der Interessen. Die einzelnen Staaten seien dafür schlicht zu egoistisch. "Viele haben Angst ihre Meinung zu sagen, weil sie fürchten, Fördergelder aus den USA und der EU zu verlieren - andere haben schlicht keine Ahnung."

In einer gemeinsamen Erklärung fordern afrikanische Umweltschützer die Einrichtung eines ständigen Botschafters bei der Afrikanischen Union zum Thema Klimaschutz. Doch der Aufruf "Afrikas Stimme gegen den Klimawandel" unter der Schirmherrschaft der kenianischen Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai kann nur ein erster Schritt sein, sagt Adewale. "Afrikas Zivilgesellschaft braucht einen Plan, sonst werden unsere Regierungen nach Hause zurückkehren, weiter schweigen und bis ans Ende ihrer Tage auf den Geldsegen aus dem Norden warten."

(Copyright epd, 13.12.07)

Auftritt des Klimaretters


Selbst die Polizisten, die in bester Dirty-Harry-Manier die durch die einzig offene Tür strömenden Besucher anschnauzen und jeden mit einer Kamera im Rucksack rauswerfen, tun der Freude keinen Abbruch. "Da kommt endlich jemand, der wie wir das Klima retten will", jauchzt eine junge Inderin. Nicht nur Umweltschützer fiebern der Rede von Al Gore entgegen, die er vor 1.000 Teilnehmern am Rande des Weltklimagipfels hält. Auch manchem Delegierten tut der Auftritt nach zwei Wochen diplomatischer Winkelzüge sichtbar gut. Wie bei einem Rockkonzert erfüllt das Raunen von tausend Stimmen den Raum, bis der Star die Bühne betritt und der Applaus losbricht.

"Ich sehe so viele bekannte Gesichter hier, manche von Euch habe ich doch schon in Rio gesehen", ruft Gore gleich zu Anfang in die Menge. Im aufbrandenden Applaus klatschen viele auch für sich selbst. Viele der Klimaschützer, die seit Jahren um ihre Anerkennung gestritten haben, sehen im frischgebackenen Friedensnobelpreisträger Gore sich selbst und zugleich eine Lichtgestalt, die im Kleinklein der Paragraphen die große Richtung vorgibt. Im Windschatten der Berichte des Weltklimarats, dem Stern-Report und dem Nobelpreis für Gore hatten sie auf einen programmatischen Bali-Gipfel gehofft, auf den großen Durchbruch im zähen Verhandlungsgeschäft. Doch der blieb aus.

"Ich sage Euch eine unbequeme Wahrheit: Es ist mein eigenes Land, das für das Stocken der Gespräche hier verantwortlich ist", ruft Gore und stellt die Delegierten, die direkt vor ihm in der ersten reihe sitzen, vor die Wahl. "Entweder Ihr ärgert Euch darüber, oder aber Ihr geht voran und trefft hier die wirklich wichtigen Vereinbarungen." Bis zum endgültigen Beschluss über die Zukunft des Kyoto-Protokolls werde sich die Ausgangslage noch grundlegend ändern: "Bis dahin werden die USA mitmachen", versichert Gore, und der Saal tobt.

Gore erinnert an die Zeiten, als Klimawissenschaftler vor zehn Jahren vor dem Abschmelzen der Nordpolkappe bis Ende des 21. Jahrhunderts warnten. "Heute sagen sie, es kann auch schon in fünf bis sieben Jahren so weit sein." Er schaut über den engen Horizont hinaus: Die Erde sei im Durchschnitt 15 Grad, die Venus 455 Grad warm. "Es liegt am CO2: Bei uns liegt es noch im Boden, auf der Venus ist schon alles in der Atmosphäre." Nicht zuletzt rührt Gore daran, warum viele im Saal begannen, für den Klimaschutz zu kämpfen: "Wir sind ein Planet, eine Menschheit, eine Zukunft - wir müssen es gemeinsam schaffen, und das können wir auch."

In die Augen mancher Zuhörer kehrt da der Glanz zurück, den 12 harte Verhandlungstage und -nächte längst weggewischt haben. Hier sitzt der Experte für die Details der Artikel 9-Revision, dort der Spezialist zur Bestimmung des Kohlenstoffgehalts von Wäldern - Gore schafft es, sie für den Bruchteil eines Tages zusammenzubringen. Einem UN-Prozess, wo technische Details, kaum durchschaubare Politsemantik und ein Wust von Abkürzungen immer wieder den Blick für das große Ziel verstellt haben, stiftet Gore auf einmal wieder Sinn.

"Wir sind die Generation, die eine historische Wende für die ganze Menschheit herbeiführen kann", endet Gore seine Rede. "Wir haben alles, was wir dafür brauchen, außer vielleicht dem politischen Willen - aber der ist eine erneuerbare Ressource." Dann ist es vorbei, Gore tritt ab, die Türen öffnen sich. Die Besucher strömen zurück in die Arbeitsräume, wo weiter über die Abschlusserklärungen verhandelt wird. Es soll, so heißt es, eine lange Nacht werden.

(Copyright epd, 13.12.07)

Montag, 10. Dezember 2007

Letztes Aufgebot der Leugner des Klimawandels


Sie nennen sich das "Klimawandel-Netzwerk", die "Internationale Koalition für Klimawissenschaft" oder die "Zivilgesellschaftliche Koalition zum Klimawandel" und sie haben nur eine Mission: Die Welt davon zu überzeugen, dass es den Klimawandel gar nicht gibt. "Genauso gut könnte ein Gipfel über die Gefahr eines Angriffs von Marsbewohnern diskutieren", behauptet etwa Alan Caruba vom "National Anxiety Centre" in den USA, zu deutsch etwa "Nationales Ängste-Zentrum". Caruba und seine Anhänger halten den menschengemachten Klimawandel für unbewiesen - ungeachtet der selbst von der besonders klimaskeptischen Bush-Regierung akzeptierten Berichte des Weltklimarats (IPCC), der heute gemeinsam mit Al Gore den Friedensnobelpreis bekommt.

Mehr als 30 Pressemitteilungen, alle im gleichen Tenor, haben die verschiedenen Gruppen in den vergangenen Tagen verschickt in der Hoffnung, im Klimageschäft unerfahrene Journalisten mögen sie ernst nehmen. "Manche Namen kennen wir schon seit Jahren, für jeden Gipfel gründen diese Leute neue fingierte Umweltgruppen", sagt Matthias Duwe vom Dachverband Climate Action Network Europe. Der britische Oberhausabgeordnete Christopher Monckton etwa wirft dem Weltklimarat vor, er sei entweder unfähig oder betrügerisch. "Meine Berechnungen zeigen, wie die Wissenschaftler ihre Zahlen nach oben korrigieren: Den Anstieg des Meeresspiegels um das zehnfache, den Effekt von Klimagasen in der Atmosphäre um das zwanzigfache." Um dies zu belegen, führt Monckton Kalkulationen vor, die das in Bali präsentierte Gemeinschaftswerk von 600 Autoren aus 40 Ländern als Werk Propaganda entlarven sollen. Allerdings muss Monckton zugeben, dass er keine naturwissenschaftliche Ausbildung hat.

Der Klimatologe Richard Betts, der am britischen Headley-Center arbeitet und ein Kapitel im IPCC-Bericht als Hauptautor geschrieben hat, ist entsetzt. "Es gibt einen mehrstufigen Bearbeitungsprozess, in dem wir zehntausende Kommentare aus aller Welt eingearbeitet haben - die zudem noch alle auf unserer Webseite einsehbar sind." Die Wissenschaftler im Weltklimarat, sagt Betts, würden weder von Regierungen beeinflusst noch hätten sie eine politische Agenda.

Der so selbstbewusste Monckton wird wortkarg, wenn man ihn nach den Finanziers seiner Arbeit fragt - etwa für eine Serie von ganzseitigen Anzeigen gegen Al Gore in allen großen US-Zeitungen. Die Kosten werden auf einen Millionenbetrag geschätzt. "Die wurden von einer anonymen Einzelperson bezahlt - mit der Industrie hat der Spender nichts zu tun." Cindy Baxter, die für Greenpeace arbeitet, bezweifelt das. "Die gleichen Anzeigen stehen auf der Homepage des Heartland-Instituts, eine der aktivsten Gruppe von Leugnern des Klimawandels." Seit Jahren beleuchtet Baxter die Geldgeber hinter diesen Gruppen - allen voran den weltgrößten Mineralölkonzern Exxon. "Exxon hat Heartland im vergangenen Jahr mit mehr als 100000 Euro bezuschusst. Insgesamt hat Exxon fast zwei Millionen Euro an 41 Organisationen gezahlt, die dem Spektrum der Klimaleugner zuzurechnen sind." Auch General Motors gehöre zu den Unterstützern der Klimaleugner, sagt Baxter. Viele der Gruppen, kritisiert sie, hätten zudem enge Verbindungen zur US-Regierung, was ihnen Einfluss deren Haltung in den Klimaverhandlungen sichere.

(Copyright Berliner Zeitung, 10.12.07)

Samstag, 8. Dezember 2007

Bunt und balinesisch


Hätten die Diplomaten, die auf Bali seit Montag über die Zukunft des Kyoto-Protokolls verhandeln, den Aufzug in den Straßen der Inselhauptstadt Denpasar verfolgt - sie hätten vermutlich nicht schlecht gestaunt. "Hare Krishna, hare Rama", tönt es aus den Lautsprechern, dahinter tanzen hinduistische Priester. Bauern, Fischer, Marktfrauen: Aus allen Ecken der indonesischen Ferieninsel sind sie gekommen, mit bunten Kostümen und selbst gemalten Transparenten, um ihre Ängste und Forderungen an die Politik loszuwerden. Doch eine Autostunde vom Konferenzzentrum entfernt verhallen sie weitgehend ungehört.

Längst ist Klimawandel auch in Indonesien mehr als ein Expertenthema. "Wir fürchten uns sehr", gesteht der Fischer Daha in gebrochenem Englisch. Mit seinen Kollegen aus dem fernen Westen der Insel ist er schon im Morgengrauen in den Bus gestiegen, um es rechtzeitig bis zur Demo zu schaffen. Dahas Ängste haben ernste Gründe: "In den vergangenen Jahren hatten wir mehr Überschwemmungen als sonst, viele von uns haben ihre Häuser und Boote verloren." Von der Regierung fühlt sich der Fischer, der vor allem für den eigenen Bedarf auf See fährt, im Stich gelassen. "Wenn wir nicht selbst handeln, gehen wir unter."

Der Demonstrant Farid ist aus Bogor im Westen Javas nach Bali gekommen. Seine Sorge gilt dem Wald, der nicht nur rund um seine Stadt längst abgeholzt ist. "Indonesiens Wälder sind zum großen Teil zerstört, stattdessen gibt es überall Plantagen mit Ölpalmen und anderen Nutzpflanzen." Indonesien gilt mittlerweile als drittgrößter Emittent von Klimagasen weltweit, rechnet man das durch Abholzung und Brandrodung freigesetzte Kohlendioxid in die Bilanz mit ein. "Viele Indonesier haben mit den Wäldern die Grundlage ihrer Kultur verloren", beschwert sich Farid.

Vom Gipfeltreffen im abgeriegelten Ferienkomplex von Nusa Dua fordert er entschiedene Schritte, um den Erhalt der letzten Wälder in Indonesien lohnender zu machen. "Die Bevölkerung in den Wäldern wird nicht gefragt, die Regierung vergibt das Land einfach an ausländische Investoren." Das energiereiche Palmöl ist seit einigen Jahren gefragt wie nie zuvor, unter anderem für die Biodiesel-Produktion.

"Stoppt die Rückzahlung illegaler Schulden" steht auf dem Transparent von Lidy Napil. Der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und der Erlass von Auslandsschulden hängen für sie eng zusammen. "Unsere Regierungen sollten das Geld als Entschädigung behalten, um die Folgen des von den Industrieländern geschaffenen Klimawandels abzufedern." Derzeit, kritisiert die Philippinerin, seien die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel von der Willkür der Regierungen im reichen Norden abhängig. "Dabei hat doch der Norden den Klimawandel überhaupt verursacht."

Napil lehnt deshalb die von manchen Industrieländern vorgeschlagenen Darlehen zur Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen ebenso ab wie die Verrechnung mit Entwicklungshilfe. "Die Industrieländer müssen ihre Schuld begleichen und dürfen das Geld nicht einfach irgendwo abziehen."

Für Gerechtigkeit ist auch der Hindupriester Sundarananda Bas auf die Straße gegangen. Er ist einer von gut dreißig Geistlichen im orangenen Umhang, mit Glatze und Zimbeln in der Hand. Normalerweise, sagt er, demonstrieren Priester hier nicht. "Aber jetzt befürchten wir zu viel Leid unter den Armen, und da können wir nicht still bleiben." Der Hare-Krishna-Gesang hallt unter den religiösen Männern auch nach Ende des Protestzugs weiter. Ein Teil der Gruppe stimmt dazu Musik auf traditionellen Holzinstrumenten an. "Wir beten zu unseren Göttern, damit sie uns helfen, die Welt zu schützen."

(Copyright epd, 8.12.07)

Dienstag, 4. Dezember 2007

Zu viel Regen, zu wenig Wasser


Höhere Temperaturen, mehr Wetterextreme, Dürren und Fluten - der Klimawandel hat das Leben der Menschen in Afrika bereits verändert: In Mauretanien breitet sich die Sahara immer weiter aus, nomadisches Leben ist kaum noch möglich.

Im Victoriasee wird das Wasser wärmer, der Regen bleibt aus, der See schrumpft. Dadurch stirbt der Fischnachwuchs, der verbleibende Fisch ist zu teuer, die Fischer werden arbeitslos.

Im amharischen Hochland regnet es zu viel. Weil die Wälder dort weitgehend abgeholzt sind, zerstört die zunehmende Erosion auch die Äcker der Bauern.

(Feature auf DeutschlandRadio Kultur, 4.12.2007)

Der blutige Untergang von Mogadischu


Dort, wo die Wassertanker halten, stehen Kinder und Frauen mit gelben Kanistern in einer langen Reihe. Schon vor Sonnenaufgang, berichtet einer der Helfer dort, stellen sich die Flüchtlinge an. Ähnlich ist es bei den Lebensmittelausgaben. Wer es bis nach Afgooye schafft, nur gut 30 Kilometer von Somalias Hauptstadt Mogadischu entfernt, ist zwar den Kämpfen entronnen, doch von ihrem Besitz haben die wenigsten der 200.000 Flüchtlinge etwas retten können. Den meisten geht es wie Anab, einer Mutter von zehn Kindern, der vor einer Woche äthiopische Soldaten mit vorgehaltenen Gewehren befahlen, sofort ihr Haus zu räumen. Wo ihr Mann ist, weiß sie nicht - ihn hat sie auf der Flucht verloren.

Früher war Afgooye kaum mehr als der Schlagbaum an der aus dem Stadtzentrum Mogadischus führenden Straße in Richtung Flughafen. Inzwischen ist hier eine Großstadt aus Behelfshütten entstanden, bespannt mit Plastikplanen von Hilfsorganisationen. Doch auch Hütten gibt es nicht genug: Viele Familien schlafen unter Bäumen, selbst jetzt, wo die Regenzeit begonnen hat. Latrinen gibt es kaum, UN-Helfer warnen vor Cholera. "Fast alle Babys und älteren Menschen hier sind unterernährt, und jeden Tag kommen neue dazu", sagt Mohammed, der Säcke mit Mehl von der deutschen Diakonie-Katastrophenhilfe verteilt.

Mohammed ist nicht sein richtiger Name. Seit sich die Kämpfe um Mogadischu zu einem regelrechten Krieg ausgewachsen haben, traut sich kaum noch jemand in Somalia, seinen Mund aufzumachen. Die meisten Journalisten, die in Somalia schon immer gefährlich lebten, sind geflohen. Acht Reporter wurden seit Anfang des Jahres kaltblütig ermordet, teils von Untergrundkämpfern, teils von Regierungsanhängern. Von den gut zehn unabhängigen Radiostationen in Mogadischu sind die drei wichtigsten geschlossen, weil sie zu kritisch berichteten.

Knapp ein Jahr nachdem Truppen der somalischen Übergangsregierung an der Seite der äthiopischen Armee die ein halbes Jahr lang herrschenden Islamisten aus Mogadischu vertrieben haben, wird der Bürgerkrieg immer blutiger. Nach jüngsten Schätzungen des Elman-Zentrums für Frieden und Menschenrechte haben die Kämpfe 2007 bislang fast 6.000 Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Nahezu 8.000 wurden verwundet, mehr als 715.000 sind auf der Flucht.

"Wir stehen alle zwischen den Fronten", sagt Mohammed. "Die Truppen der Übergangsregierung sind Milizen der früher herrschenden Warlords: Sie plündern und töten jeden, der ihnen nicht passt - Intellektuelle, Journalisten, islamische Würdenträger." Die durchorganisierte und gut ausgerüstete äthiopische Armee, die 55.000 Soldaten in Somalia stationiert haben soll, sei keinen Deut besser. "Die äthiopischen Soldaten hier sind meist sehr jung: Wenn sie angegriffen werden, schießen sie auf jeden, der sich bewegt." Ihnen steht eine Allianz aus unzufriedenen Milizen vor allem des Hawiye-Clans und Anhängern der Islamisten gegenüber, die mit ferngezündeten Bomben und - neu für Somalia - Selbstmordattentaten Terror verbreiten.

"Das Leiden der Flüchtlinge ist die direkte Folge von schweren Kriegsverbrechen", warnt Steve Crawshaw von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Im November haben äthiopische Soldaten viele Massenexekutionen durchgeführt, und immer wieder verschwinden mutmaßliche Oppositionelle spurlos." Berichte wie diese erhöhen den Druck auf Somalias Präsident Abdullahi Yusuf, seine bisherige Hardlinerhaltung aufzugeben. Erstmals machte der vor einer Woche vom Parlament gewählte neue somalische Premier Hussein Hassan Nur, genannt Nur Adde, den Islamisten ein Gesprächsangebot.

Nur gilt vielen in Somalia als Hoffnungsträger, vor allem weil er nach der Flucht des Diktators Siad Barre 1991 im Ausland gelebt hat. Einen Namen machte sich der 70-Jährige als Direktor des somalischen Roten Halbmonds. Doch sein Gesprächsangebot ist vor allem eine symbolische Geste: Denn die in Eritrea lebenden Anführer der Islamisten haben schon mehrfach jede Verhandlung abgelehnt, solange die äthiopischen Truppen nicht abziehen.

UN-Sonderbeauftragter Ahmedou Ould Abdallah sagt: "Die Situation in Somalia ist die schlimmste in Afrika überhaupt." Fast wehmütig denkt er an die Zeit zurück, wo noch die Islamisten herrschten. "Das waren für Somalia geradezu goldene Jahre."

(Copyright die tageszeitung, 4.12.07)

Samstag, 1. Dezember 2007

Heiß, zu heiß


Als die Koffer für diese Reise durch Afrika schon gepackt sind, ist es September. Das Fernsehen zeigt die ersten Bilder von Überschwemmungen in Ghana, Uganda und anderen afrikanischen Ländern. Vom Atlantik bis zum Indischen Ozean melden sechzehn Staaten gleichzeitig "Land unter" - genau, wie der Weltklimarat es vorhergesagt hatte.

Wegen der steigenden Temperaturen, heißt es in dessen aktuellem Bericht, müssten die Bewohner Afrikas immer öfter mit extremen Wetterlagen klarkommen - mehr Überschwemmungen, mehr Dürren. Kein Kontinent, prognostizieren die Klimaforscher, werde stärker unter dem Klimawandel zu leiden haben als Afrika - und keiner sei so schlecht auf die Folgen vorbereitet.

Trotzdem wird beim Klimagipfel in Bali nur wenig über Afrika gesprochen, und wie üblich wird sich kaum ein afrikanischer Politiker in die Debatte einmischen. Wangari Maathai, Kenias berühmte Umweltpolitikerin, macht dafür vor allem Unwissen verantwortlich. "Afrika erhebt seine Stimme nicht, weil die Menschen hier nicht genug Erfahrungen gemacht haben", sagt die Friedensnobelpreisträgerin, "Sie müssen erst erleben, dass Temperatursteigerung, lange Dürreperioden und die Schneeschmelze auf dem Mount Kenya keine vorübergehenden Ereignisse sind." Ohne den Druck der Betroffenen aber, so Maathai, würden sich afrikanische Politiker nicht rühren.

Doch auch jene, die die klimapolitischen Hintergründe nicht kennen, müssten doch längst Veränderungen in ihrem täglichen Leben spüren. Diese Reise, einmal quer über den Kontinent, soll dieser Vermutung nachgehen.

Die Tour beginnt auf einem Feld im äthiopischen Hochland. Ato Mulualem Birhane und seine Frau hocken zwischen dem Tef, dem hier am häufigsten angebauten Getreide, sie rupfen Unkraut. Maschinen gibt es nicht auf den kleinen und unebenen Feldern hier, alles geht von Hand. Die Ernte könnte gut werden in diesem Jahr, sagt der 48-jährige Mulualem - wenn das Wetter mitspielt. "Früher gab es einmal im Jahr eine feste Regenzeit", erzählt er, "aber seit ein paar Jahren kommt sie mal, mal kommt sie nicht, dann regnet es zu stark oder zur falschen Zeit." Hinter den beiden Bauern, die hier in Dembecha, 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Addis Abeba, ihre Farm betreiben, türmen sich dunkle Wolken auf. In der Ferne donnert es. Ein schweres Gewitter naht.

Extreme Wetterlagen erleben die Bauern hier inzwischen immer öfter. Im Jahr zuvor sind in einer schlimmen Flut 900 Menschen umgekommen, Hunderttausende haben damals ihren gesamten Besitz verloren. "So etwas hatten wir vorher noch nie gesehen", sagt der Vorsitzende des Äthiopischen Umweltforums, Negusu Aklilu. "Und nicht nur Überschwemmungen, auch Dürren werden in Äthiopien allmählich vom Phänomen zur Normalität." Die Folgen sind katastrophal, denn in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Erde, sind die Bauern mehr als anderswo davon abhängig, eine gute Ernte einzufahren. Farmer Mulualem berichtet, dass das Wetter inzwischen selbst dann verrückt spielt, wenn der Himmel blau ist: "Früher hatten wir im Hochland moderate Temperaturen, aber inzwischen ist es hier heiß, zu heiß."

Über die steigende Temperatur klagt auch Peter Mireri von der Umweltgruppe Freunde des Viktoriasees. Nur dass hier in Uganda die Auswirkungen andere sind. Mireri steht am Anfang eines langen Steges, gut 150 Meter ragt der in den Viktoriasee hinein. "Hier, wo wir jetzt stehen" sagt er, "haben wir noch vor drei Jahren unsere Boote vertäut." Er zeigt zum Ende des Stegs: "Inzwischen mussten wir den Steg bis da hinten verlängern!"

Nach drei Jahren Dürre hat es in diesem Jahr am Viktoriasee erstmals wieder geregnet, doch der Pegel ist kaum gestiegen. Die Trockenheit macht dem größten See Afrikas schwer zu schaffen: zu siebzig Prozent speist er sich aus Regenfällen, wichtige Zuflüsse gibt es kaum, erklärt Mireri. "Und weil es jetzt auch noch wärmer geworden ist, verdunstet das Wasser wieder stärker."

Der Umweltaktivist ist sich sicher, dass das Sinken des Pegels einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass es immer weniger Fische im See gibt. Vor allem die Laichplätze litten unter der Klimaerwärmung. "Der in den Uferzonen abgelegte Laich wird so warm, dass die Fische nie schlüpfen." Deshalb bleiben die Netze der wenigen, die noch von Kisumu aus in See stechen, oft leer.

Fischer Nicholas und sein Bootsmann brauchen jeden Tag acht Stunden, um ihre am Abend zuvor ausgelegten Netze zu kontrollieren. Früher, erinnert sich Nicholas, verfingen sich in den Netzen große Tilapiafische, "und auch Viktoriabarsche". Das ist längst vorbei. Der Viktoriabarsch, in den Sechzigerjahren im See ausgesetzt, hat sich massenhaft vermehrt und dafür gesorgt, dass andere Fischarten ausstarben. Heute gibt es hier fast nur noch den Viktoriabarsch, der Fisch wird in den zahllosen Fabriken am Ufer filetiert und gleich nach Europa weiterverkauft.

Als Nicholas am Abend festmacht, kann er den wartenden Zwischenhändlern gerade mal dreißig kleine Fische anbieten. Drei Euro hat er heute verdient. Weil es zu wenig Fische gibt, verrotten im einst größten Fischereihafen von Kisumu die Boote. Verlierer sind aber auch die Bewohner Kisumus, die sich ihren eigenen Fisch immer seltener leisten können: Der Preis hat sich binnen zwei Jahren vervierfacht. Am Straßenrand werden stattdessen Fischgräten gewaschen, die bei der Filetierung des Nilbarschs übrig bleiben. Sie werden getrocknet und dann in heißem Fett ausgebacken. Was übrig bleibt, wird mit scharfer Soße gegessen oder zu Suppe verarbeitet. Mehr gibt der See für seine Anrainer nicht mehr her.

"Natürlich ist der Klimawandel nur ein Faktor von mehreren", sagt Umweltaktivist Mireri. Überfischung, Ablassen des Wassers in Kraftwerke auf der ugandischen Seite und andere Faktoren spielten auch eine Rolle. "Aber der Klimawandel kommt obendrauf, verschlechtert die ohnehin schlimme Lage und gibt dem See den letzten Rest."

Einige hundert Kilometer weiter westlich steht das staatliche Krankenhaus von Hoima. Jeden Tag stirbt hier mindestens ein Kind an Malaria. Die von Moskitos übertragene Krankheit kann in kurzer Zeit schwere Formen annehmen. "Blutarmut, Unterzuckerung, Erkrankungen der Lunge oder des Gehirns - das sind alles Komplikationen, die wir hier regelmäßig sehen", erklärt der Kinderarzt Tom Ediamu, der seit mehreren Jahren hier im Westen Ugandas arbeitet. Ediamu nennt Malaria eine "Killerkrankheit", und das ist sie, nicht nur hier. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sterben jedes Jahr 2,7 Millionen Menschen an der von Anophelesmücken übertragenen Krankheit. Drei Viertel von ihnen sind Kinder.

Monat für Monat kommen zu Ediamu und seinen Kollegen 5.000 neu infizierte Kinder. "Es gab hier schon immer Malaria, sagt der Arzt, "aber seit ein paar Jahren nimmt die Zahl der Fälle ständig zu." Vor der Kinderstation sitzen Familien unter freiem Himmel, sie warten auf ein freies Bett. Den Grund für den Ansturm kennt Ediamu: Es ist der Klimawandel. "In der langen Regenzeit zwischen September und November regnet es seit einigen Jahren viel mehr als üblich", sagt er. Wo immer dann Wasser in Pfützen steht, entwickeln sich die Larven der Anophelesmücke besonders schnell. Die Beobachtung des Arztes deckt sich mit der Analyse des Weltklimarats. Ähnliche Entwicklungen dokumentiert der Rat überall in Afrika, seit sich die Regenzeiten verschoben haben.

Weil es insgesamt wärmer ist, breitet sich die Malaria heute selbst dort aus, wo der Erreger wegen niedriger Temperaturen früher nicht überleben konnte, zum Beispiel im Hochland. "Ich komme aus dem Südwesten Ugandas und hatte nie Malaria, bis ich mit 18 nach Kampala gezogen bin", erinnert sich Achilles Byaruhanga, Direktor von der Umweltschutzorganisation Nature Uganda. An Malariafälle in seiner Heimat am Fuß der Rwenzori-Berge kann er sich nicht erinnern. "Heute wird die gleiche Gegend als endemisches Gebiet für Malaria geführt, die Zahl der Fälle nimmt ständig zu." Vor allem für arme Menschen auf dem Land ist Malaria gefährlich. Oft haben sie schon andere Krankheiten, oder sie leiden unter Fehl- oder Mangelernährung, sodass ihr Immunsystem geschwächt ist.

Letzte Etappe der Reise ist Westafrika. Im leichten Zelt der Nomaden gießt Aïcha den Tee auf. Die Tradition in Mauretanien gebietet es, dass jeder Besucher, der die Sahara durchquert hat, mindestens drei Tassen leeren muss - so soll sein Überleben gesichert werden. Doch entgegen aller Tradition sind im Süden des Wüstenstaats die Nomaden längst sesshaft geworden.
Sidi el Moctar ist aus Schaden klug geworden, seit der ersten schweren Dürre in den 70er-Jahren schützt er die letzte Oase, die hier noch Wasser führt, um den nun sesshaften Nomaden ein bisschen Land- und Viehwirtschaft zu er möglichen. 5.000 Bäume müssen el Moctar und seine Helfer jedes Jahr anpflanzen, um die Dünen aufzuhalten, die wegen der zunehmenden Hitze und der immer größeren Trockenheit schneller vorrücken als je zuvor. Das Vordringen der Wüste in den Sahelgürtel, in Mauretanien das fruchtbarste Land, können selbst die Schutzwälle kaum noch aufhalten. "Wir haben große Angst vor dem Klimawandel", sagt el Moctar. "Wir gehen unter, wenn wir nicht unermüdlich gegen den Vormarsch der Wüsten kämpfen. Zwischen hier und Atar im Norden lebt inzwischen niemand mehr, dort gibt es kein Wasser mehr."

Längst fordern Afrikas Umweltschützer, die ich auf dieser Reise getroffen habe, von der Staatengemeinschaft mehr als nur die Reduzierung der Treibhausgase. Sie wollen von den Verursachern des Klimawandels konkrete Hilfe, um die Folgen abfedern zu können. Negusu Aklilu ist enttäuscht, wie wenig Hilfe Afrika bislang bekommt. "Ein Sprichwort sagt: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit", sagt er. "Ich glaube nicht, dass Politiker überall auf der Welt den ärmsten Teil der Erde hassen, aber wir sind ihnen egal."

(Copyright die tageszeitung, 1.12.07)

Mittwoch, 28. November 2007

Wenn die Wüste Bücher verschlingt


Wenn die Sonne in einem diffusen Schimmer den Horizont grau färbt, ist das Leben in Chinguetti bereits voll im Gang. In weiße Kaftane gehüllte Männer treiben ihre Kamelherden hinaus in die Dünen, die die Karawanenstadt inmitten der Sahara umgeben. Hier, im Nordosten des Wüstenstaats Mauretanien, hat sich in den mehr als 700 Jahren seit der Gründung Chinguettis vieles kaum verändert. Natürlich gibt es inzwischen Mobiltelefone, mit denen die Kameltreiber sich irgendwo da draußen in der Wüste verabreden können. Manche haben Autos, mit denen sie durch den meist trocken liegenden Wadi preschen. Doch wer irgendwo anklopft und um Auskunft bittet, wird zunächst zu einem Glas süßen Tee mit einem Hauch Minze eingeladen. Der Tee muss mehrmals hin und her geschüttet werden, damit er ausreichend schäumt. Drei Gläser muss der Gast trinken, erst ein viertes darf er ausschlagen.

Mit solchen Traditionen soll das Überleben derjenigen gesichert werden, die den weiten Weg durch die Wüste hinter sich gebracht haben. Wer es nach Chinguetti geschafft hat, ist zweifellos weit gereist. Wie die Karawanen, die im 12. Jahrhundert aus Arabien kamen, um Gold, Elfenbein und andere afrikanische Kostbarkeiten einzukaufen. Mit ihnen kam der Islam. Chinguetti gilt als "das siebte Mekka" und ist seit jeher für seine Schriftgelehrten berühmt, die schon vor hunderten von Jahren Traktate zur Auslegung des Korans verfassten, ebenso wie wissenschaftliche Schriften. Bis heute sind Religion und Handel die Taktgeber im Leben Chinguettis.

Auf der Marktstraße im Schatten der neuen Moschee haben sich wie jeden Morgen fliegende Händlerinnen und Händler vor den wenigen Läden versammelt. Während sie ein paar Tomaten, gelbleuchtende frische Datteln oder in kostbares Wasser getauchte Minze feilbieten, erzählen sie von den Veränderungen. "Es ist heißer geworden, immer heißer", sagt Fatimah, deren Gesicht schwarz verschleiert ist. "Viele meiner Verwandten waren Nomaden und sind jetzt sesshaft geworden, weil es selbst das wenige, was wir früher in der Wüste hatten, nicht mehr gibt." Unvorhersagbar sei die Sahara geworden, pflichtet Fatimas Nachbarin bei: Wo es früher stets Wasserlöcher gegeben hätte, seien sie heute im Sand verschwunden. "Das wenige Ackerland ist von Dünen förmlich überspült worden."

Klimaforscher führen den noch schnelleren Vormarsch der Dünen, die Desertifikation, direkt auf gestiegene Temperaturen zurück. Diese begünstigen stärkere Winde, die den Sand vor sich hertreiben und seine zerstörerische Kraft verstärken. Eine halbe Stunde Fahrt in die Sahara bringt uns zu einem kleinen Dorf mit quadratischen Hütten aus Lehm. Haus und Palmenhain, gespeist aus einem nahen Brunnen, sind von Zäunen aus Palmblättern und Holz umgeben, die den Sand aufhalten sollen. "Das ist eine traditionelle Technik, denn Wüstenvormarsch hat es schon immer gegeben", erklärt Lemine, der aus dieser Gegend stammt. "Aber die Wucht des Sandes ist so stark geworden, dass die Zäune nicht mehr halten. Dieses Dorf wird langsam vom Sand eingeschlossen. Man kann nichts dagegen tun."

In Chinguetti selbst ist es ähnlich. Während das Leben in der höher gelegenen Neustadt mit ihrer Marktstraße blüht, ist in der Altstadt jenseits des Wadis kaum eine Menschenseele unterwegs. Einer der wenigen, der hier noch die Stellung hält, ist Saif Islam, 59. Er ist der Spross einer Familie, die seit Jahrhunderten die einzigartigen Bücher und Schriften der Glaubensgelehrten in einer Privatbibliothek aufbewahrt. Mehrere solche Bibliotheken in ihren historischen Gebäuden sind der Grund dafür, dass die Unesco Chinguetti zum Weltkulturerbe ernannt hat. "Das Haus ist fast so alt wie die Schriften", erklärt Islam, der mit einem Schlüssel von der Größe eines Handfegers das rappelnde Schloss öffnet und den schweren Holzriegel zurückschiebt. Er öffnet ein zweites Portal, das vom Innenhof abgeht, bückt sich durch die Tür, die kaum höher als einen Meter ist, und steht in seiner Bibliothek. "Dies ist eines der größten Bücher, die ich habe, es stammt aus dem 17. Jahrhundert: der Hadith, die Worte des Propheten", sagt Islam und zieht ein gebundenes Buch aus einem einfachen Pappschuber, mit dem er die unersetzlichen Werke gegen Staub und Termiten schützt.

Islam kennt seine Bücher, die sich seit 1698 im Besitz seiner Familie befinden. Blind greift er in die Regale und fördert Kostbarkeiten zu Tage. "Dies ist der einzige Koran in Chinguetti, der auf Gazellenhaut geschrieben ist, und hier eine Grammatik aus dem 15. Jahrhundert - der Text in Rot, die Anmerkungen in Schwarz." Der mehrfache Großvater und seine Familie leben davon, dass diese Bücherei existiert. "Dies ist eine Privatsammlung, keine öffentliche Bücherei", sagt er. Die Regierung im fernen Nouakchott hat einmal versucht, die Besitzer zu enteignen und die Schriften in eine öffentliche Bücherei zu legen. In dem leeren Gebäude verstauben heute die Regale. Heute bangt Islam aus anderen Gründen um seine Bibliothek. Er kennt den vor zwei Jahren veröffentlichten Bericht des Unesco-Komitees für das Welterbe: "Antike Stätten sind für ein bestimmtes Mikroklima gebaut worden und werden durch den Klimawandel in ihrem Bestand bedroht." Gebäude bröckeln weg, weil Hitze oder starke Regenfälle den Boden auflösen, auf dem sie stehen. In Timbuktu im Norden Malis, wie Chinguetti eine Saharastadt, seien antike Gebäude von den vormarschierenden Dünen regelrecht erdrückt worden.

Dass sich das Klima geändert hat, bestätigt Saif Islam. Er bemerkt, wie Papiere brüchiger werden, weil die Temperaturen seit Beginn der 90er-Jahre stetig steigen. Weil es generell heißer und trockener geworden ist als in der Wüste ohnehin schon, rücken zudem die Dünen viel stärker vor. "Diese Stadt ist akut bedroht", konstatiert Saif Islam. "Wenn die Wüste noch weiter in die Stadt vormarschiert, wird die Bibliothek verschüttet und muss in die Neustadt evakuiert werden."

Schon jetzt ist von Chinguettis Altstadt kaum mehr übrig als Ruinen, die mit Sand vollgelaufen sind. Auch um Saif Islams Bibliothek liegt ein Ring aus Sand. Neuerdings tragen auch seltene, aber heftige Regenfälle in Chinguetti zur Zerstörung der Fundamente bei. "Die Leute freuen sich über den Regen, jeder Niederschlag ist hier ein Grund zum Feiern", räumt Saif Islam ein. Doch im Wechselspiel der Extreme droht Chinguettis einzigartiges kulturelles Erbe unterzugehen - und damit ein ganzer Wirtschaftszweig. Gerade in Entwicklungsländern wie Mauretanien, so warnt die Unesco, gehe durch den Klimawandel nicht nur Bewusstsein für die Geschichte verloren. "Es geht um Existenzen: Die Leute leben von Touristen, die die Kulturdenkmäler sehen wollen. Bleiben sie weg, breitet sich Armut aus."

Saif Islam schließt sein schweres Portal wieder ab. "Vielleicht lässt die Verwüstung ja doch wieder nach, inschallah", seufzt er. Moderne Schutzwälle oder irgendwelche technischen Wunderwerke kann sich hier in der Sahara niemand leisten. Hoffnung hingegen kostet nichts, auch wenn sie vergebens scheint. Ein paar Straßen von Saif Islams Bücherei entfernt hat jemand eine dreieinhalb Meter hohe Messlatte aufgestellt. "Hier wurden im Juli 2003 3,5 Meter Dünensand abgetragen", heißt es daneben. Gut die Hälfte der Latte ist schon wieder vom Sand eingeschlossen.

(Copyright Berliner Zeitung, 28.11.07)

Freitag, 9. November 2007

Zum Shoppen nach Afrika


Mit beiden Ärmchen klammert sich Lea an Anna Jessen fest. Seit zwei Monaten verbringen die einjährige Kenianerin und die 21-jährige Frau aus Oldenburg fast jede Minute miteinander. Lea schläft in Annas Zimmer, Anna wickelt und füttert Lea. Sie spielt mit ihr und den anderen Kindern im "Nest", dem Kinderheim in Limuru, nahe der kenianischen Hauptstadt Nairobi.
"Lea ist so fröhlich, sie babbelt die ganze Zeit. Das ist irgendwie surreal." Anna war auch dabei, als Lea operiert wurde, weil ihr Vater sie im Alter von drei Monaten vergewaltigt hat. Leas Fall stand in den Zeitungen. Schlagzeilen machte er nicht, dafür passieren solche Dinge zu oft. "Kinder, denen etwas Schlimmes passiert ist, sind meistens viel stiller als Lea - was ein Problem ist, weil du sie in der Masse leicht übersiehst", sagt Anna. Noch zwei Monate ist sie im "Nest", dann geht es zurück nach Deutschland. Sie will Kinderärztin werden.

Irene Baumgärtner hat auch einmal in Deutschland gelebt, in Franken, aber das ist lange her. Jetzt geht sie lachend durch den Garten des "Nest", dessen Leiterin sie ist. Viele der achtzig Kinder des Heimes spielen auf Decken. Es ist kalt hier im Hochland, wo der Tee wächst. Die Lohntüten müssen vorbereitet werden; ein Nachbar bringt ein Kalb, das bis Weihnachten gemästet werden soll. Und immer wieder klingelt das Telefon. "Viele der Anrufer sind Paare, die sich hier einmal umgucken wollen", sagt Baumgärtner. Sie meint damit: Potenzielle Adoptiveltern. Dabei sind die wenigsten Kinder im "Nest" Waisen.
Wie Lea sind die meisten deshalb im Heim untergebracht, weil ihre Mütter im Gefängnis sitzen. "Aber manchmal kann ich mich dem Kinderamt nicht widersetzen, dann bekommen wir auch Waisen zugewiesen." Gerade jetzt ist wieder Hochkonjunktur. "Um Weihnachten herum wird gefeiert, viele sind betrunken, und da werden eine Menge ungewollter Kinder gemacht, die im September und Oktober ausgesetzt werden."

Zehn Kinder hat Baumgärtner in den vergangenen Wochen aufgenommen, fünf davon wurden von den Müttern in Latrinen geworfen. Einige Neugeborene liegen unter dicken Wolldecken in einer Außenstelle, weil das Heim hoffnungslos überfüllt ist. So kommt es, dass derzeit doch 25 Adoptionen laufen im "Nest", die meisten an Ausländer, die in Kenia leben.
Karsten* ist einer von ihnen. Mit seiner Frau Petra lebt er seit drei Jahren in Nairobi, beide arbeiten für eine deutsche Firma. In zwei Jahren endet ihr Vertrag, und bis dahin soll der fünfjährige Kibaya auch offiziell ein Teil ihrer Familie sein. "Wenn alles glattgeht, können wir die nächsten Weihnachten schon zusammen bei den Großeltern feiern."

Bis dahin muss allerdings noch einiges passieren. Seit Monaten prüft die kenianische Adoptionsagentur namens Little Angels bereits, ob Karsten und Petra als Adoptiveltern infrage kommen. "Die ziehen dich wirklich aus: Vermögensverhältnisse, medizinisches Gutachten, Bescheinigungen des Arbeitgebers, Bescheinigung der Bundesanwaltschaft und so weiter." Sozialarbeiter kommen außerdem zu Überraschungsbesuchen vorbei. Zum Schluss gibt es eines von drei Gutachten, das dem zuständigen Gericht zugestellt wird. Die Einschaltung einer Adoptionsagentur ist Pflicht. Als eines von wenigen afrikanischen Ländern hat Kenia internationale Abkommen ratifiziert, die dies vorsehen. Die Kosten dafür tragen die angehenden Adoptiveltern - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. "Für Ausländer kann das mit Anwaltskosten gut 2.500 Euro kosten", weiß Irene Baumgärtner. "Aber viel schlimmer ist das für Kenianer: Die wenigen, die hier ein Kind adoptieren wollen, können es sich oft nicht leisten, weil sie auch fast 1.000 Euro auf den Tisch legen müssen."

Dabei würde Irene Baumgärtner gerne sehen, dass sich in Kenia Verhältnisse entwickeln, die es ermöglichen, dass ihre Waisen von Kenianern adoptiert werden. Dass die meisten Adoptiveltern Ausländer sind, sieht sie mit Sorge. "Seit fünf, sechs Jahren ist es im Westen schick geworden, ein afrikanisches Kind zu adoptieren", meint sie. Die Bilder von Madonna und Angelina Jolie mit ihren Adoptivkindern aus Afrika in den Illustrierten haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Motivation mancher europäischer oder amerikanischer Paare, die im "Nest" vorbeischauen, beschreibt sie so: "Der Freund hat ein schwarzes Baby, das ist süß, und außerdem steht er seitdem sozial im Mittelpunkt, weil er was Gutes tut - eine solche Adoption bringt eine Menge Sozialprestige, das wollen die dann auch."

Irene Baumgärtner, die selbst vor Jahren zwei Kinder adoptiert hat, warnt vor einer solchen Blauäugigkeit: "Es ist nicht leicht. Unsere Kinder hier haben schon eine Menge erlebt, im Mutterbauch und danach." Die Psychologen, mit denen sie bisher zu tun hatte, bescheinigen immer das Gleiche: frühkindliche Traumata. Darum legt die "Nest"-Chefin darauf Wert, dass die künftigen Adoptiveltern und -kinder sich schon länger kennen und echte emotionale Bindungen entwickeln, noch ehe die Adoption vollzogen wird.

So wie bei Petra, die einmal die Woche im "Nest" vorbeikam, um auszuhelfen. Petra und Kibaya lernten sich kennen, verbrachten ein paar Wochenenden miteinander und schließlich entschied sich das Paar vor einem Jahr, Kibaya als Pflegekind mit nach Hause zu nehmen. "Ich habe vorher nie über eine Adoption nachgedacht", sagt Karsten. Und auch nicht an all die Probleme, die ihn noch erwarten - auch jenseits des offiziellen Prozesses, der in Deutschland ähnlich langwierig ist. Er solle sich davor hüten, dass seine Adoptionsabsichten sich herumsprechen, wurde Karsten von Freunden gewarnt. Denn zu häufig sind die Fälle, in denen plötzlich echte oder vermeintliche Onkels oder Tanten auftauchen und für ihre Zustimmung zur Adoption absahnen wollen. Andernfalls, so lautet die Drohung, könnte das Gericht die Adoption ablehnen. Von solchen Fällen hört jeder, der sich auf eine Adoption in Kenia einlässt.

Am Ende des Prozesses steht eine große Anhörung vor Gericht, bei der die Eltern mehrere Stunden lang ins Kreuzverhör genommen werden. Seit ein paar Monaten finden diese Anhörungen in Nairobi allerdings kaum noch statt. Zwei der drei dafür zuständigen Richter, wurden versetzt. Ersatz gibt es noch nicht.

Trotz all dieser Schwierigkeiten boomt das Geschäft mit den Adoptionen. Anders als Irene Baumgärtner haben sich viele Heimbetreiber auf das Geschäft mit Auslandsadoptionen spezialisiert. Bei einem von Briten geführten Heimbetrieb, gibt es für alle Kinder nur ein Ziel: von einer - möglichst westlichen - Familie adoptiert zu werden. Viele private kenianische Kinderheime machen es genauso. Die drei Adoptionsagenturen, die es im Land gibt, sind mit jeweils einem Kinderheim fest verbandelt.

Auch der illegale Kinderhandel blüht. Wem die Verfahren zu langwierig sind, wer als Adoptivpaar abgelehnt wird oder wer halb gutgläubig, halb Augen verschließend Angebote von kriminellen "Agenturen" akzeptiert, die das Wunschkind in kurzer Zeit ohne viel Papierkram liefern können, befördert das schmutzige Geschäft. Nur mit Drogen- und Waffenschmuggel, so warnt das Kinderhilfswerk Unicef, ist so viel Geld zu machen wie mit Menschenhandel. Und in einem Land wie Kenia ist es nicht schwer, gefälschte Papiere für Kinder zu bekommen. Computer gibt es bei den Meldebehörden nicht, in der Zentrale in Nairobi stapeln sich die handgeschriebenen gelben Zettel aus Krankenhäusern, die als Geburtsnachweis genügen.
So erklären sich so bizarre Fälle wie die des kriminellen Gilbert Deya, der sich selbst zum Bischof seiner eigenen Kirche ernannte und damit prahlte, seine Gebete würden Frauen jenseits der Menopause zu ihren Wunschkindern verhelfen. Als der Fall 2004 bekannt wurde, behauptete alleine Deyas Frau, binnen fünf Jahren 13 Kinder zur Welt gebracht zu haben. "Wunderkinder", denn sie habe niemals Sex gehabt.

Die Kliniken in den unzugänglichen Slums von Nairobi, die alle paar Monate eine neue Geburtsurkunde für die gestohlenen oder verkauften Kinder ausstellten, wurden zwar geschlossen. Doch da waren schon Jahre vergangen und viele, vermutlich hunderte Kinder, mit ihren angeblichen Müttern nach Großbritannien geflogen. Nur bei wenigen der aufgegriffenen Kinder ließen sich die Eltern ausfindig machen. 13 "Wunderkinder" leben bis heute im "Nest".
"Ich habe die Kinder zufällig gesehen, als ich wegen eines anderen Falls vor Gericht war", empört sich Irene Baumgärtner. Ein Mädchen, dass sie einem Polizisten entriss, konnte nur in letzter Minute vor dem Tod gerettet werden. Auch die anderen Kinder, die im staatlichen Waisenhaus Nairobis untergebracht waren, waren unterernährt und krank. Damals ging Baumgärtner zum Kinderamt und drohte dem Leiter: "Entweder kommen all diese Kinder zu mir oder ich schalte die internationale Presse ein." Einen Tag später waren die Kinder im "Nest". Dort müssen sie vorerst bleiben. "Wir hatten schon Anfragen, aber wir dürfen die Kinder nicht zu Pflegeeltern geben, solange das Verfahren läuft. Und das kann noch Jahre dauern."

(Copyright die tageszeitung, 9.11.07)

Freitag, 2. November 2007

Schmutzige Geschäfte mit den Kindern und der Hoffnung


Aus dem Waisenhaus der Kleinstadt Abéché im Osten des Tschad dringt fröhlicher Kinderlärm. Kleine Jungen kicken einen Ball über den Hof. Mädchen mit großen braunen Augen sitzen kichernd zusammen, wenden sich aber scheu ab, wenn Fremde mit ihnen reden. Doch die Fremden müssen reden und Fragen stellen, damit die Kinder wieder nach Hause können, zu Eltern und Geschwistern. Es ist eine Suche, die noch lange dauern kann und vielleicht erst dann ein Ende findet, wenn die Öffentlichkeit den „gestohlenen Kindern“ von Abéché keine Aufmerksamkeit mehr schenkt.

Das Waisenhaus von Abéché ist im Moment ziemlich überfüllt. Hierher sind die 82 Jungen und 21 Mädchen, die am vergangenen Donnerstag um ein Haar in einer Chartermaschine Richtung Europa geflogen wären, gebracht worden. „Wir haben mit den Kindern erste Gespräche führen können“, sagt die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) in Abéché, Annette Rehrl. Und immer häufiger gibt es da Widersprüche zu den Behauptungen der inhaftierten Mitarbeiter der französischen Organisation „Arche de Zoé“, die Kinder seien Kriegswaisen aus der nahen Krisenregion Darfur. „91 Kinder haben mit mindestens einem Elternteil zusammengelebt“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht, den das UNHCR mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef und dem Roten Kreuz erstellt hat. Die Geschichte von zwölf Kindern ist noch ungeklärt – auch deshalb, weil das jüngste gerade einmal ein Jahr alt ist.

Die Mehrheit der Kinder stammt aus dem Grenzgebiet zwischen Tschad und Darfur, die Nationalität ist schwer festzustellen. „Es wird lange dauern, bis wir die Eltern dieser Kinder gefunden haben“, seufzt Rehrl. Andere Behauptungen der sechs für „Arche de Zoé“ arbeitenden Franzosen, die wegen Kinderhandels und Betrugs angeklagt sind, haben sich ebenfalls zerschlagen: etwa die, dass die Kinder in Europa medizinisch behandelt werden sollten. Betreuer in Abéché fanden weder Krankheiten noch Verletzungen bei den Kindern. Unter angelegten Verbänden war unversehrte Haut.

Es mehren sich die Anzeichen, dass „Arche de Zoé“ möglicherweise afrikanische Kinder an betuchte Adoptiveltern in Europa verkaufen wollte. Christine Peligat, die Ehefrau eines der Verhafteten, gab in einem Interview offen zu, dass die Kinder in Familien untergebracht werden sollten. Dafür seien unterschiedlich hohe „Spenden“ an die Organisation gezahlt worden. Zugleich räumt sie ein, dass Tschads Regierung nicht involviert war: „Die Verhandlungen zum Ausfliegen der Kinder sind nur mit dem Flughafen in Abéché geführt worden.“ Den Vorwurf des Kinderhandels weist Peligat dennoch von sich.

Doch Kenner der Szene wundern sich nicht, dass im Osten Tschads Kinder womöglich verschoben werden sollten. In der Region führen Rebellen seit Jahren einen Bürgerkrieg mit der Regierung, Milizen aus dem nahen Darfur fallen immer wieder über Dörfer her. Dazu kommen Lager mit Hunderttausenden Flüchtlingen, die aus Darfur und dem Tschad stammen. Die Menschen sind arm und hoffnungslos, der Staat ist schwach, die Lage unübersichtlich – für Kinderhändler ideal. „Kinderhändler nutzen die Hoffnungen derjenigen, die unter schlimmsten Bedingungen leben, schamlos aus und müssen praktisch keine Strafverfolgung befürchten“, bilanziert Unicef-Regionaldirektor Per Engebak.
Es geht um ein Milliardengeschäft: Jährlich, so schätzt das Büro für Drogen und Kriminalität bei den Vereinten Nationen, werden bis zu sieben Milliarden Euro im Menschenhandel umgeschlagen. Nach Drogen- und Waffenhandel steht der Verkauf vor allem von Frauen und Kindern an Platz drei der illegalen Einnahmequellen, die die organisierte Kriminalität längst für sich erschlossen hat. In Afrika ist die Lage besonders schlimm: 49 der 53 afrikanischen Staaten gaben in einer 2003 veröffentlichten Studie offen zu, dass es bei ihnen Menschenhandel gebe. „Die Fälle, bei denen Kinder in den Westen geschleust werden, machen natürlich die meisten Schlagzeilen“, weiß Victor Chinyama von Unicefs Afrikabüro. „Doch das Gros des Kinderhandels findet zwischen afrikanischen Staaten statt oder sogar innerhalb eines Staates.“

Genaue Zahlen sind deshalb schwer zu erheben. 200000 bis 300000 Kinder, so eine Schätzung, sind jedes Jahr allein in West- und Zentralafrika Opfer des schmutzigen Geschäfts. Sie landen als Zwangsarbeiter auf Plantagen, in Haushalten oder auf dem Strich. Der Kinderhandel in Afrika ist zudem die Quelle, aus der sich internationale Menschenhändlerringe bedienen. Vor wenigen Tagen hat die Polizei im westafrikanischen Ghana einen Mädchenhändlerring ausgehoben, der 18 junge Nigerianerinnen als Prostituierte nach Europa schicken wollte. Andere Mädchen aus westafrikanischen Ländern wie Benin, Togo und Burkina Faso waren bereits auf diesem Wege in die Prostitution nach Europa geschickt worden.

Aus Äthiopien verschwinden jährlich mehrere Tausend Mädchen, um im Nahen Osten als Hausmädchen zu arbeiten. „Die Kinder haben oft schon eine Odyssee vom Land in die Stadt hinter sich, wo sie sich Arbeit erhofft haben“, erklärt Chinyama. Weil dieser Wunsch nur für die wenigsten in Erfüllung geht, lassen sie sich auf das nächste Geschäft mit der Hoffnung ein und verlassen ihr Land.

Die Schicksale der Hausmädchen, die oft im Haus eingesperrt sind und deren Pässe weggeworfen werden, damit sie nicht fliehen können, kennt Chinyama genau. „Die Kinder müssen rund um die Uhr arbeiten, sie werden geschlagen und sexuell missbraucht – es handelt sich um moderne Sklaverei.“ In den Westen werden Kinder hingegen oft schon im Babyalter verschleppt, wo sie an gut zahlende Adoptiveltern verkauft werden.

„Ein afrikanisches Kind zu adoptieren ist hip, seit Stars wie Madonna oder Angelina Jolie es hoffähig gemacht haben“, kritisiert Irene Baumgärtner, die in Nairobi ein Kinderheim leitet. Die Mühlen der afrikanischen Bürokratie mahlen langsam, und teuer ist ein offizieller Adoptionsprozess auch. „Der eine oder andere in der Bürokratie ist durchaus bereit, für Geld diese Wege zu umgehen“, sagt Chinyama. Auf diese Weise kommen Kinderhändler an ihre Papiere, die angeblich auch die Mitarbeiter von „Arche de Zoé“ besaßen. Klar ist: 103 Kinder im Osten des Tschad einzusammeln, der nur mit einer Sondergenehmigung bereist werden darf, wäre ohne zumindest Duldung durch Mitglieder des Staatsapparats unmöglich gewesen.

(Copyright Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2.11.07)

Donnerstag, 18. Oktober 2007

Das Bagdad Afrikas


Seit einem Jahr stehen auf der brüchigen Betonpiste, auf der am 17. Oktober 1977 die entführte Lufthansa-Maschine "Landshut" am Ende einer fünftägigen Odyssee landete, ab und zu wieder Flugzeuge. Davor waren Start- und Landebahn lange nur von Geländewagen benutzt worden, die die Abkürzung zwischen Innenstadt und Strand in Höchstgeschwindigkeit zurücklegten, um nicht von Milizen beschossen zu werden.

Inzwischen landen in Mogadischu täglich einige grün gestrichene Boeing-Maschinen, deren Kabinen ausgeweidet wurden, um viel Platz für Khat, ein in Kenia angebautes mildes Rauschkraut, zu schaffen. Kleinstairlines wie Daallo oder African Express fliegen Mogadischu ein bis zwei Mal die Woche an. Die restlichen Maschinen auf dem International Airport sind Transporter und Helikopter der ugandischen Armee, ohne deren Einsatz unter Mandat der Afrikanischen Union kein Flugverkehr möglich wäre. Denn trotz Straßensperren und schwer bewaffneter Wachen detonieren auf dem Flugplatz immer wieder Handgranaten. Im März setzte eine Rakete vermutlich islamistischer Kämpfer eine Antonow im Landeanflug in Brand.

Alle haben Waffen

30 Jahre nachdem die Befreiung von 86 Passagieren eines von palästinensischen Terroristen entführten Lufthansa-Flugs weltweit Schlagzeilen machte, ist Mogadischu eine Frontstadt in einem Land ohne Staat. Der kam Somalia mit der Flucht des Diktators Siad Barre 1991 abhanden. Derzeit kämpfen Islamisten, die Ende 2006 von der äthiopischen Armee nach nur einem halben Jahr an der Regierung vertrieben wurden, gemeinsam mit Kämpfern des größten Clans der Stadt gegen die Besatzer aus dem Nachbarland und die Übergangsregierung von Premier Ali Mohammed Ghedi, der zugleich gegen Präsident Abdullahi Yusuf und um sein politisches Überleben kämpfen muss - letzteres bisher noch ohne Waffen. "Bagdad Afrikas" nennen einige die einst blühende Handels- und Universitätsstadt am Indischen Ozean. "Mogadischu ist ein Dschungel, in dem jeder machen kann, was er will", beschreibt Mohammed Hurre, Leiter einer somalischen Menschenrechtsorganisation, die Lage. "Die Regierung hat keine Kontrolle, die Aufständischen sind im Untergrund, alle haben Waffen, die Gewalt nimmt unaufhaltsam zu zu."

Auch die wenigen, die in Mogadischu noch helfen, die Not zu lindern, geraten zwischen die Fronten. Gestern wurde der Leiter des Welternährungsprogramms (WFP) verhaftet. Regierungssoldaten stürmten das UN-Quartier und transportierten Idris Mohammed Osman ab. Er solle verhört werden, hieß es. In Somalia sind 1,2 Millionen Menschen auf die Nahrungsmittelhilfe des WFP angewiesen.

"Daryeel Bulsho Guud" (DBG) ist Somalisch für "Hilfe für alle" und der Name eines der größten somalischen Hilfswerke. Auch DBG-Leiter Abukar Scheich Ali und seine Kollegen waren im April zur Zielscheibe geworden. Mehrere Mitarbeiter mussten im Büro ausharren, das äthiopische Truppen bombardierten. Erst nach 24 Stunden konnten die Verletzten behandelt werden, einer von ihnen starb.

Die DBG-Leute erinnern sich an viele katastrophale Situationen in den 16 anarchischen Jahren nach Barre. Aber so schlimm wie dieses Jahr war es nie, sagen sie. Selbst 1993 nicht, als US-Truppen erfolglos versuchten, den damaligen Kriegsherrn Mohammed Aidid umzubringen und tote US-Soldaten durch die Straßen gezerrt wurden. Ridley Scott verfilmte das Desaster in "Black Hawk Down".

Während der Kämpfe im Frühjahr kamen hunderte, manche sagen Tausende, ums Leben. Schließlich gab es in der Stadt nur noch Helfer, Kämpfer und einige, die Haus und Besitz verteidigen wollten. Alle anderen waren auf der Flucht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte im April mehr als 400 000 aus Mogadischu Vertriebene, von denen bisher nur ein Zehntel heimgekehrt ist. "Die Leute würden gerne zurückkommen, aber die Häuser sind zerstört, es gibt keinen Strom, kein Wasser", sagt DBG-Mann Abukar.

Viele Straßenzüge ähneln immer noch denen einer Geisterstadt. Dabei ist erstaunlich, was nach 16 Jahren Regierungslosigkeit doch funktioniert. Zwischen den Ruinen blüht wieder das Geschäft. Wer es sich leisten kann, hat über diverse Handynetze günstige Telefonverbindungen in alle Welt, Emails werden in DSL-Geschwindigkeit abgerufen. Auf den Straßen sind moderne Geländewagen unterwegs, importiert aus Dubai. Dubai ist zweiter Wohnsitz der somalischen "Businessmen", Geschäftsleute, die alles arrangieren können, wenn der Preis stimmt. Weil das gesetzlose Somalia spätestens seit dem UN-Abzug Anfang der 90er-Jahre international geächtet ist, laufen finanzielle Transaktionen über die Finanzmetropole im nahen Emirat.

Waffen sind in Mogadischu gängige Handelsware. In einer Stadt ohne Polizei und Gerichte werden selbst Stromrechnungen von schwer bewaffneten Kämpfern eingetrieben. Ohne Staat gibt es auch keine staatliche Energieversorgung. Mehrere Geschäftsleute betreiben deshalb private Netze, beim Kassieren machen sie kurzen Prozess. Zwar ist nicht mehr alles so einfach wie noch vor anderthalb Jahren, weil die Regierung versucht, Gesetze einzuführen. Doch bisher bleibt es beim Versuch.

Wenn die Sonne aufgeht über den Minaretten, stehen die Bewohner im armen Stadtteil Argentina schon Schlange am Brunnen. Geduldig warten sie, bis sie mit einem der kostbarsten Güter versorgt werden: Trinkwasser. Ein Dieselmotor pumpt es an die Oberfläche. Seit Jahren bohrt DBG Brunnen in bedürftigen Stadtteilen. Denn solche Aufgaben übernehmen die Businessmen nicht: Viel Arbeit, wenig Profit. Die Regierung hat immerhin Leute eingestellt, um die stinkenden Überreste von 16 Jahren ohne Müllentsorgung zu entfernen.

Hoffnung auf Normalität

Trotz Chaos und Anarchie geben die Bewohner Mogadischus die Hoffnung nicht auf, dass der Alltag eines Tages wieder normal sein könnte. So regt sich Widerstand dagegen, dass die Regierung, unabhängige Medien unterdrückt. Radiostationen wurden geschlossen, mehrere Journalisten unter unklaren Umständen ermordet.

Die Kontrolle der Medien hat in Somalia Tradition: Als die GSG9 die "Landshut" befreit hatte, ließ Siad Barre verlauten, somalische Kommandos hätten dem Treiben der Terroristen ein Ende bereitet. Tatsächlich hatten sie nur die Maschine umstellt. Doch Spiegel-Korrespondent Wolf Dieter Steinbauer berichtete damals, wie sich in Mogadischu in kürzester Zeit eine bis dahin unbekannte Deutschenfreundlichkeit ausbreitete: "Lachende Somalis heben allenthalben die gespreizten Finger zum Siegeszeichen, sobald sie deutsche Laute hören." So etwas gibt es heute nicht mehr, aber an den glänzendsten Moment im Licht der Weltöffentlichkeit erinnern sich bis heute alle, die alt genug sind. Schließlich ist die Gegenwart mehr als deprimierend.

(Copyright Berliner Zeitung, 18.10.07)

Sonntag, 14. Oktober 2007

Klima-Countdown


Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse erscheint "Klima-Countdown", eine Sammlung von Reportagen zum Klimawandel. Zwar ist die Tatsache, dass der Klimawandel nicht erst in der Zukunft droht, sondern längst Realität ist, fast schon eine moderne Binsenweisheit. Doch er kommt langsam und auf leisen Sohlen. Oft merken wir den Wandel nicht - und selbst wenn, sind uns die vollen Konsequenzen nicht bewusst. Missernten nehmen zu, Krankheitserreger breiten sich aus, Jahrtausende alte Lebensweisen gehen verloren - von all dem und mehr berichten Markus Steigenberger und Marc Engelhardt im "Klima-Countdown", erschienen in Stuttgart (Schmetterling-Verlag), ISBN 978-3896 5756 61, 12,80 Euro.

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Sudanesische Armee schürt Bürgerkrieg in Darfur


Als die sudanesische Armee ihren Angriff auf die Stadt Haskanita beendet hatte, standen nur noch die Schule und die Moschee. Die restlichen Häuser waren niedergebrannt. Tausende Menschen waren geflohen. "Wir haben Fotos von sudanesischen Panzern in Haskanita", erklärt der Sprecher der gegen die Regierung kämpfenden "Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit" (JEM), Harun Abdul Hamid. Die Rebellen haben keine Panzer - und sie haben auch keine Kampfbomber, die drei Tage nach dem Angriff auf Haskanita am Montag das 90 Kilometer entfernte Mohajiriya unter Beschuss nahmen. "Das Dorf wurde aus der Luft bombardiert, und nur die Regierungsarmee hat Flugzeuge", bestätigt der Kommandeur der Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU), Martin Luther Agwai. Mindestens 40 Menschen starben. Dabei hofften vor wenigen Wochen, als die zersplitterte Rebellenbewegung sich unter UN-Vermittlung endlich zusammengerauft hatte, manche auf ein mögliches Ende des seit mehr als vier Jahren tobenden Konflikts im Westen Sudans.

Am 27. Oktober sollen Rebellen und Sudans Regierung in Libyen zu neuen Friedensgesprächen zusammenkommen. Doch mehrere Rebellengruppen haben bereits angekündigt, nicht zu kommen. Die in Mohajiriya überfallene Rebellengruppe SLM unter Führung von Minni Minnawi, der im Mai 2006 als einer von wenigen einen Frieden mit Khartum unterzeichnet hatte, wirft Sudans Regierung eine Politik der verbrannten Erde vor. Menschenrechtler warnten gestern bereits vor neuen Angriffen. Der britische "Aegis Trust" warnt vor Angriffen der mit der Regierung verbündeten Dschandschawid-Milizen auf Nyala, das Zentrum im Süden Darfurs, von wo Hilfsorganisationen ihre Arbeit koordinieren. Und Tawanda Hondora von Amnesty International erklärte: "Die Armee sammelt sich, um mehrere von Rebellen kontrollierte Dörfer im Norden Darfurs anzugreifen." Sie befürchtet, dass vor allem die Zivilbevölkerung Opfer der Kämpfe wird. Die Zahl von 7 000 Soldaten unter AU-Mandat, die sie schützen soll, gilt als vollkommen unzureichend. Die 26 000 Blauhelme, die unter Mandat von AU und UN stehen sollen, werden frühestens im nächsten Jahr erwartet. Insgesamt sind seit Beginn des Darfur-Konflikts 2003 UN-Schätzungen zufolge starben mindestens 200 000 Menschen.

(Copyright Berliner Zeitung, 11.10.2007)

Montag, 8. Oktober 2007

Der Prozess geht weiter


Vor der Kamera posierten Jugendliche vom Stamm der Ijaw, die im Nigerdelta Front gegen die Regierung machen - da griff Nigerias Geheimdienst zu: Die deutschen Filmemacher Florian Opitz und Andy Lehmann sowie zwei Begleiter wurden am 21. September festgenommen und zwei Wochen lang verhört. Seit Freitag müssen sie sich vor Gericht verantworten. Opitz und Lehmann befinden sich zwar in Obhut der deutschen Botschaft, aber ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Sonntag, die Situation sei unverändert.

Nigerias Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, mit ihren Dreharbeiten die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Die beiden Filmemacher weisen das zurück. Anklagen wegen Terrorismus und Spionage waren im Vorfeld fallen gelassen worden. Doch obwohl die Angeklagten auf Kaution freigelassen wurden, nachdem zwei deutsche Botschaftsangestellte für sie bürgten, geht der Prozess weiter. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 14 Jahre Haft.

Die internationale Berichterstattung über den Kampf militanter Gruppen im Nigerdelta ist der Regierung schon lange lästig. Vielen Politikern, die die Öl-Milliarden in der Hauptstadt Abuja verwalten, während im Fördergebiet absolute Armut herrscht, sind die Berichte zu kritisch. Dass in Afrikas größter Ölnation die Menschen darunter leiden, dass marode Pipelines das Farmland zerstören, während für andere Beschäftigungen Straßen und Strom fehlen, ist keine Werbung für die Regierung, die sich um den Anschein von Modernität und Gerechtigkeit bemüht.

Dennoch ist es das erste Mal, dass die Behörden ausländische Journalisten festnehmen. Viele sehen dies als Beleg für den härteren Kurs, den der neue Präsident Umaru Yar'Adua bei seiner Vereidigung Ende Mai ankündigte. Dass die Milizen immer wieder Öl-Förderanlagen blockieren und bislang hunderte ausländische Ölarbeiter als Geiseln nahmen, ist für den achtgrößten Öl-Lieferanten der Welt schlicht eine wirtschaftliche Katastrophe.

Der 33-jährige Opitz ist für seine globalisierungskritischen Dokumentationen bekannt, die unter anderem in der ARD, in 3Sat und Arte gelaufen sind. Sein letzter Film über die Folgen der Privatisierung, "Der große Ausverkauf", wurde deutschlandweit im Kino gezeigt. Im Nigerdelta wollten Opitz und Lehmann für eine neue Dokumentation recherchieren. Weil Journalisten in Nigeria fast nie eine Einreisegenehmigung erhalten, reisten die beiden offenbar als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation ein, die im Nigerdelta zwischen Milizen und Regierung vermittelt. Die renommierte Leiterin der "Academic Associate Peace Works", Judith Asuni, eine mit einem Nigerianer verheiratete US-Amerikanerin, die seit 34 Jahren in der Region lebt, stellte die Kontakte her. Sie und ihr Kollege Danjuma Saidu sind nun ebenfalls in Haft.

"Asuni ist eine Spionin, die ihre Friedensorganisation als Deckmantel benutzt", erklärt Geheimdienstsprecher Ado Muanzo. Mitarbeiter von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Nigeria halten es dagegen für wahrscheinlicher, dass der Aktivistin ihre Nähe zum früheren Präsidenten Olusegun Obasanjo zum Verhängnis wurde. Die in der Vergangenheit brüskierten Militärs, die Asunis Vermittlungskurs stets ablehnten, könnten sich jetzt rächen. Dass die Filmemacher in diesen Konflikt hineingerieten, wäre dann womöglich nur ein - wenn auch erwünschter - Nebeneffekt.

(Cpyright Berliner Zeitung, 8.10.2007)