Mittwoch, 21. Februar 2007

Nachts hagelt es Granaten und Raketen


An das Donnern von Geschützen und an die pfeifenden Granateneinschläge im nächtlichen Mogadischu hatte sich Hassan Abdi eigentlich gewöhnt. Seit Wochen schon liefern sich somalische Regierungssoldaten und äthiopische Armee auf der einen und schwer bewaffnete Milizen auf der anderen Seite täglich Kämpfe. "Aber so schlimm wie in der Nacht zum Dienstag war es noch nie", gesteht der Familienvater. In der wohl blutigsten Nacht seit der Vertreibung der Islamisten aus Somalias Hauptstadt Ende Dezember sind mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. In den Hospitälern wissen die Ärzte nicht mehr, was sie mit der nicht enden wollenden Flut von Verletzten anstellen sollen. Viele von ihnen, so ein Mediziner, verbluten, während sie auf einen Arzt warten.

Kurz nach Sonnenuntergang am Montag hatten die Milizen zwei Stützpunkte der äthiopischen Armee mit Raketen beschossen. Die regierungstreuen Soldaten schossen zurück, mitten in das dicht besiedelte Wohnviertel rund um den Bakara-Waffenmarkt. Später in der Nacht bombardierten die Milizen den Präsidentenpalast, einen somalischen Armeestützpunkt und den Hafen. "Mein vierjähriger Sohn ist von einer Granate getroffen worden, er ist tot, genauso wie drei meiner Nachbarn", berichtet Mohammed Abdi Farh, der im Süden von Mogadischu lebt. Um kein solches Schicksal zu erleiden, machten sich nach Sonnenaufgang hunderte Familien zu Fuß auf die Flucht ins Umland.

Somalias Übergangsregierung, die Ende Dezember durch eine äthiopische Militärintervention an die Macht in Mogadischu gebracht wurde, weist jede Verantwortung für die zunehmende Gewalt von sich. Sie schiebt die Schuld auf die geschlagenen Islamisten, von denen sie 3.500 in Mogadischu vermutet. Doch im Kampf gegen ihre Gegner kennt die Regierung keine Hemmungen mehr. Vor allem Flüchtlinge, die keinen Rückhalt in den lokalen Clans haben, fühlen sich verlassen. "Wenn die Armee in einem Lager feindliche Kräfte vermutet, feuert sie willkürlich in die Menge", sagt ein Flüchtling aus dem Süden des Landes, der seinen Namen nicht nennen will. Die Feinde der Regierung sind nicht weniger brutal, weiß eine Frau. "Die Milizen behaupten, sie seien auf unserer Seite, aber in Wahrheit erschießen sie jeden, den sie auf Seite der Regierung vermuten."

Die Ungewissheit, um wen genau es sich bei den immer stärker werdenden Angreifern handelt, zehrt offenbar besonders an den Nerven der Regierung. Seit Wochen wartet sie vergeblich auf die versprochene Friedenstruppe der Afrikanischen Union - lediglich Uganda scheint wirklich entschlossen zu sein, die zugesagten Soldaten auch tatsächlich loszuschicken. Vor einer Woche "bekannten" sich bei einer öffentlichen Demonstration im Norden Mogadischus erstmals zehn maskierte Männer zu Anschlägen auf äthiopische Truppen. "Wir sind die Widerstandsbewegung des somalischen Volkes", brüllte der Anführer, der sich Abdirizak nannte. Während die Männer US-amerikanische, kenianische, äthiopische und ugandische Flaggen anzündeten, kündigte Abdirizak an, die Angriffe würden erst enden, wenn alle ausländischen Truppen aus Somalia abgezogen seien. Dass eine zehnköpfige Kapuzentruppe allein für die nächtlichen Angriffe verantwortlich ist, mag niemand in Mogadischu glauben. Außer extremistischen Überbleibseln der "Union islamischer Gerichtshöfe", die Mogadischu von Juni bis Dezember regierte und der Hauptstadt leidlich Frieden brachte, kämpfen zahlreiche Opportunisten um ein Stück Macht. Selbst tagsüber terrorisieren sie die Bewohner, etwa an den zahlreichen Straßensperren, die unter den Islamisten abgebaut waren.

Statt um ihre Bewohner ist die Übergangsregierung vor allem um ihren Ruf besorgt. Somalischen Medien untersagte sie gestern jegliche Berichterstattung über Gefechte, Flüchtlinge oder sonstige Details zur Lage im Land. "In Somalia gilt der Ausnahmezustand, so etwas wie Pressefreiheit gibt es also nicht", erklärte der Vizechef des Sicherheitsdienstes, Mohammed Nuur. Er kündigte an, neue Chefs für die Medienunternehmen zu ernennen, die für die Einhaltung der Verbote sorgen würden.

(Copyright die tageszeitung, 21.2.07)

Letztes Gefecht eines ewigen Präsidenten


Die Ausgangssperre am Tag ist aufgehoben, doch noch immer trauen sich nur wenige auf die Straßen von Guineas Hauptstadt Conakry. Mehr als eine Woche ist es her, dass Präsident Lansana Conté den Ausnahmezustand erklärt und Soldaten in die Städte geschickt hat. Seitdem sorgt das Militär unter den Bewohnern für Angst und Schrecken. “Ich kam gerade aus dem Haus, als ein Soldat mich in eine Ecke gedrückt und verprügelt hat”, berichtet der 21-jährige Alseny Bah. Der Soldat nahm Bahs Bargeld, sein Handy und zog ihm sogar seine Nike-Turnschuhe aus. Immerhin, Bah überlebte.

Mindestens 22 Menschen hat das guineische Militär seit Ausrufung des Ausnahmezustands hingegen bereits auf dem Gewissen, meldet die Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch”. Offiziell gilt: Erschossen wird, wer provoziert. Doch Bewohner berichten von willkürlichen Tötungen, Massenvergewaltigungen und wahren Prügelorgien. “Angeblich sollen die Soldaten Recht und Ordnung herstellen, aber in Wirklichkeit hausen sie wie Kriminelle, die diejenigen terrorisieren, die sie beschützen sollen”, regt sich der Afrika-Chef von Human Rights Watch, Peter Takirambudde, auf.

Mit Folgen müssen die Soldaten vorläufig nicht rechnen, denn das Militär gehört zu den letzten Unterstützern des 72-jährigen, schwer kranken Conté, der mit allen Mitteln um seinen Machterhalt kämpft. Im Januar musste Conté seine vorläufig schwerste Niederlage einstecken: Die Opposition schaffte es, 18 Tage am Stück einen Generalstreik in dem westafrikanischen Staat durchzuhalten. Als auch die Bauxit-Minen, der größte Devisenbringer des Landes, stillstanden, sah sich der seit einem Putsch 1984 regierende Conté gezwungen, zu verhandeln.

Unter dem Jubel der Bevölkerung sagte er zu, einen unabhängigen Premierminister zu ernennen. “Es muss ein Zivilist sein, kompetent und ehrlich, ein Patriot, der Guinea liebt und seinem Land dienen möchte”, erklärte Ibrahima Fofana, der Vorsitzende der “Gewerkschaft guineischer Arbeiter” nach der Einigung. Doch stattdessen benannte Conté einen seiner engsten Vertrauten. Eugene Camara macht seitdem “ausländische Elemente” aus den instabilen Nachbarländern Liberia und Sierra Leone für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. Die Armee soll unterdessen Proteste wie im Januar im Keim ersticken.

Die “International Crisis Group” befürchtet bereits, dass Guinea im Bürgerkrieg versinken könnte. “Wir befürchten eine Spirale der Gewalt, wenn Conté weiter auf militärischen Druck setzt: Die Bevölkerung wird im ganzen Land rebellieren, das Chaos wächst, und das Militär wird mit noch mehr Gewalt zurückschlagen”, so ein aktueller Bericht. Nicht nur die Analysten, auch die Afrikanische Union und Frankreich fordern Verhandlungen, um die Krise zu beenden. Doch während die Opposition Conté für regierungunfähig hält, will der um keinen Preis aufgeben. Ein kaum lösbares Dilemma.

Dabei hatte Guinea, eines der ärmsten Länder der Welt, gerade allen Grund, auf einen wirtschaftlichen Aufschwung zuhoffen. Seit die Bürgerkriege in der Region vorbei sind, investieren internationale Konsortien Milliarden, um die größtenteils unerschlossenen Vorkommen an Gold, Diamanten und Eisenerz zu erschließen. Doch viele der ausländischen Unternehmer, die erst vor Monaten nach Guinea gekommen sind, fliehen jetzt vor der Gewalt.

(Copyright epd, 20.2.07)

Donnerstag, 15. Februar 2007

Giftmüll-Exporteur kauft sich frei


Bei der Zeremonie im ivorischen Präsidentenpalast gab man sich fröhlich. "Das ist ein guter Vertrag", lobte Präsident Laurent Gbagbo das Abkommen mit dem niederländischen Multi Trafigura, der ein halbes Jahr zuvor 528 Tonnen giftige Ölschlämme in der Millionenstadt Abidjan abgeladen hatte. Dafür lässt Trafigura einiges springen: 159 Millionen Euro zahlt der Konzern an die Regierung der Elfenbeinküste, die sich dafür verpflichtet, von Klagen und weiteren Forderungen abzusehen. Drei Trafigura-Angestellte, die im Zusammenhang mit dem Skandal seit September in Abidjan eingesperrt sind, sollen freigelassen werden.

Im Schutz der Nacht hatte der Frachter "Probo Koala" am 19. August 2006 in Abidjan angelegt. Binnen Stunden war die toxische Fracht auf Tankwagen des ivorischen Entsorgers Tommy verladen. Die verteilten den Giftmüll daraufhin auf Hausmüllplätze und andere wilde Kippen, viele in der Nähe von Wohnvierteln. Mindestens zehn Bewohner starben, mehr als 70.000 ließen sich mit Kopfschmerzen, Erbrechen und Übelkeit in Krankenhäusern untersuchen. Dennoch beharrt Trafigura bis heute darauf, die Ladung sei ungiftig gewesen. Der außergerichtliche Vergleich, so ein Firmensprecher, sei kein Eingeständnis irgendeiner Schuld.

Unklar ist bislang, wie viel von den Millionen bei den Erkrankten und den Familien der Hinterbliebenen ankommen wird. Der Vertrag legt nur grob fest, wie das Geld ausgegeben werden soll: 35 Millionen für die Entsorgung des Giftmülls durch eine Spezialfirma, etwa 8 Millionen für den Bau einer Müllverbrennungsanlage. Der Löwenanteil, 116 Millionen, sind "Reparationen für dem ivorischen Staat entstandene Schäden, inklusive Entschädigungen für die Opfer". In einer Fernsehansprache warnte Gbagbo die Abidjaner vorsorglich vor überzogenen Erwartungen.

Eine Londoner Anwaltskanzlei, die eine Sammelklage gegen Trafigura eingereicht hat, sieht daher keinen Grund für einen Rückzieher. Eine ausreichende Entschädigung für die Opfer sei derzeit nicht in Sicht. Das glaubt auch der Chemieexperte Andreas Bernstorff, der für Greenpeace die Basler Konvention gegen Giftmüll mitverhandelt hat. "Letztlich hat Trafigura der ivorischen Regierung Lösegeld für seine Angestellten bezahlt."

Der vom Bürgerkrieg gebeutelten ivorischen Regierung dürfte außer dem Geldsegen gelegen kommen, dass es kein Gerichtsverfahren gibt. Immer wieder gibt es Berichte, dass Tommy eine Briefkastenfirma war, bei der hochrangige Politiker und sogar die Präsidentengattin Simone Gbagbo die Finger im Spiel hatten. Die rapide Genehmigung für die Gründung des Unternehmens nur wenige Wochen vor der Landung der "Probo Koala" erscheint anders kaum denkbar.

Auch beim UN-Umweltprogramm (Unep) herrscht keine ungeteilte Freude. "Es ist eine Lösung, wenn auch keine perfekte", so Unep-Sprecher Nick Nuttall. Immerhin könne der aus Geldnot im Hafen von Abidjan lagernde Giftmüll nun fachgerecht entsorgt werden. Um ähnliche Vorfälle zu verhindern, will Unep Schlupflöcher im internationalen Recht schließen. Einen ersten Schritt hat die EU-Kommission unternommen. In einem neuen Gesetzentwurf sieht sie bis zu fünf Jahre Haft für Umweltdelikte "wie in Abidjan" vor.

(Copyright die tageszeitung, 15.2.2007)

Mittwoch, 14. Februar 2007

Ende eines Handelszentrums


Zum Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation (WTO) vor einem Jahr hatte sich Hongkong in Schale geworfen. Die chinesische Millionenstadt, gemessen am Bruttosozialprodukt die neuntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, versteht sich als Zentrum der wirtschaftlichen Globalisierung. Auf Bannern wurde die Freihandelsorganisation WTO folglich mit dem Spruch “Willkommen zu Hause” begrüßt. Doch der Klimawandel könnte dem brummenden Handelszentrum am Perlflussdelta bald den Saft abdrehen. Überschwemmungen, die in der Region seit Jahren an Intensität zunehmen, sind die größte Gefahr für das hochindustrialisierte Delta, dessen Küstenlinie oft nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel liegen.

Und der steigt kontinuierlich. In weniger als 25 Jahren, so sagt die Hongkonger Klimaforscherin Alexandra Tracey voraus, wird der Meeresspiegel mindestens 30 Zentimeter höher liegen als heute. “Das bedeutet noch mehr Überschwemmungen und in der Folge die Beschädigung von Straßen, Kraftwerken, Stromleitungen oder Wasserwerken.” Auch stärkere Taifune erwartet die Klimaforscherin, so wie in anderen Teilen Asiens bereits zu sehen. Im Hinterland von Hongkong sind bei den Überschwemmungen der vergangenen drei Sommer hunderte ums Leben gekommen, zehntausende mussten aus ihren Dörfern umgesiedelt werden, hunderttausende Hektar Farmland, die Brotkammer Hongkongs, wurden verwüstet. Hongkong selbst kam noch vergleichsweise glimpflich davon.

“Aber wenn erstmal Hongkong und die Industriegebiete am Perlfluss selbst unter Wasser stehen, sind die wirtschaftlichen Folgen ungleich größer”, warnt Christine Loh. Die Geschäftsführerin der Organisation “Civic Exchange” sieht die größte Gefahr darin, dass Hongkong sich – anders als andere Weltmetropolen – nicht auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet. “Dabei lebt die Industrie hier vom Just-in-time-Prinzip – selbst kurzzeitige Stromausfälle könnten die Exportwirtschaft beschädigen, von einer wetterbedingten Schließung der Häfen oder Flughäfen ganz zu schweigen.” Die Auswirkungen, so Loh, blieben dabei nicht auf Hongkong beschränkt. So vernetzt sei die Hongkonger Wirtschaft, dass die ganze Welt die Folgen zu spüren bekäme.

Die miesen Umweltbedingungen in Hongkong verschlechtern den Ruf des Hongkongs schon jetzt. Rating-Agenturen wie Merrill Lynch haben den Standort herabgestuft, weil kaum ein Manager willens ist, in einer Stadt zu arbeiten, wo fast jeden dritten Tag Smog-Alarm herrscht. Durch den Klimawandel wird die Lebensqualität weiter sinken: So ist selbst die Trinkwasserversorgung in Hongkong bis hin zum weiter flussaufwärts gelegenen Wirtschaftszentrum Kanton gefährdet. Der steigende Meeresspiegel sorgt für die Versalzung des Flusses, aus dem das Gros des Trinkwassers gewonnen wird.

Loh glaubt, dass die Wirtschaft nicht lange fackeln wird. “Wenn die Industrie erst einmal das Gefühl hat, dass Hongkong nicht mehr wie bisher zuverlässig wie ein Uhrwerk funktioniert, werden sie ihre Produktion irgendwo außerhalb der Region ansiedeln.” Für den riesigen Dienstleistungssektor in Hongkong wäre das eine Katastrophe. Selbst Hongkongs gleichgeschaltete Regierung hat das Problem erkannt und ärgert sich über die Untätigkeit der Unternehmen, die mit ihren veralteten Anlagen selbst massiv zum Klimawandel beitragen. “Den Wirtschaftsführern mangelt es an sozialer Verantwortung”, beschwert sich ein enger Mitarbeiter von Hongkongs Regierungschef Donald Tsang. Eine Selbstverpflichtung, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren, unterzeichneten gerade einmal 100 von zehntausenden Firmen in Hongkong. Besonders peinlich: Unter den Firmenbossen, die nichts vom Klimaschutz wissen wollen, sitzen viele in Tsangs Kabinett.

(Copyright Frankfurter Rundschau 14.2.07)