Montag, 30. April 2007

Weltbank-Geld bedroht Victoriasee


Im tosenden Wasserfall des Victoria-Nils, so glaubt die Bevölkerung in diesem Teil Ugandas, lebt der Bujagali, ein mächtiger Geist. In der Vergangenheit soll er sich in mehr als 30 Anführern manifestiert haben, die zum Beweis ihrer Kräfte auf einem heiligen Stück Baumrinde durch den Wasserfall schwimmen mussten. Für die Zukunft sind die Aussichten dafür düster: Am Freitag hat die Weltbank 360 Millionen US-Dollar in Krediten und Garantien zugesagt. Damit steht fest: Spätestens 2011 wird der Bujagali-Wasserfall wohl von einem Stausee überspült sein, der ein riesiges Wasserkraftwerk speisen soll.

"Das Bujagali-Kraftwerk ist wichtig für die verlässliche Stromversorgung, die Uganda für wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung braucht", rechtfertigt der Infrastruktur-Direktor der Weltbank, Rashad Kaldany, die Entscheidung. Tatsächlich fällt in ganz Uganda fast täglich der Strom aus. Seit 13 Jahren wird deshalb über das 250-Megawatt-Kraftwerk diskutiert, das insgesamt fast 800 Millionen Dollar kosten soll. Der Stromgigant AES investierte bis 2002 Millionen in das Projekt; dann zog die Weltbank wegen Korruption und Zweifeln am Sinn des Projekts ihre Unterstützung vorerst zurück. Inzwischen hat ein amerikanisch-kenianisches Konsortium den Bau übernommen. Nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Weltbank wieder eingestiegen, obwohl Umweltschützer das Projekt unverändert kritisieren. Sie befürchten vor allem, dass der Damm die Austrocknung des Victoriasees, des zweitgrößten Binnenmeers der Welt, beschleunigen wird.

Seit 1959 steht der Nalubaale-Damm in Jinja, wo der Nil aus dem Victoriasee abfließt. Kaum einen Kilometer stromabwärts nutzt der Kiira-Damm das gleiche Wasser. Der Bujagali-Damm - weitere acht Kilometer flussabwärts - soll die gleiche Wassermenge zum dritten Mal nutzen. Das ist wichtig, weil Uganda Ägypten vertraglich zugesichert hat, nur wenig Seewasser zu entnehmen - so soll der Nil weiterhin ungehindert fließen.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, wie eine Studie des Internationalen Flüsse-Netzwerks IRN belegt. Tatsächlich nutzen die Dämme viel mehr Seewasser als erlaubt und tragen damit dazu bei, dass der Pegel des Victoriasees seit Jahren sinkt. Mit Folgen auch für Ugandas Wasserkraftwerke: Wegen des geringeren Wasserdrucks produzieren sie weniger als ein Drittel der technisch möglichen 380 Megawatt - Tendenz fallend.

"Die Investition in Bujagali rentiert sich nur, wenn man nochmal mehr Wasser aus dem See entnimmt", rechnet Ambrose Mugisha von "Nature Uganda" vor. Effektiver seien Investionen in die veralteten Netze. Dass der durchschnittliche Ugander von Bujagali profitiert, glaubt Mugisha nicht. "Das Stromnetz erreicht derzeit nur 3 Prozent der Bevölkerung, und selbst dort, wo es Strom gibt, ist er zu teuer." Dezentrale erneuerbare Energien würden deutlich mehr helfen, so Mugisha. "Mit 800 Millionen US-Dollar könnte man sehr, sehr viele Leute mit Solar- oder Windkraft versorgen."

(Copyright die tageszeitung, 30.4.2007; Photo IRN)

Donnerstag, 26. April 2007

Zweite Front zwischen Äthiopien und Somalia


Die Sonne stand noch nicht am Himmel, als die gut 200 Kämpfer der "Ogaden-Befreiungsfront" am Dienstag unerwartet zuschlugen. Eine Stunde dauerte der Kampf nahe dem Dorf Abole im Nordosten Äthiopiens, wo eine chinesische Staatsfirma nach Öl bohrt. Als die Rebellen abzogen, waren 65 Äthiopier und neun chinesische Ölarbeiter tot. Sieben weitere wurden entführt, die äthiopische Armee entsandte gestern Suchtrupps. "Die Verantwortlichen werden für diesen Überfall bezahlen", sagte Premierminister Meles Zenawi. Ein Separatistensprecher erklärte, der Angriff sei die natürliche Reaktion auf die Unterdrückung der somalischen Bevölkerung im Ogaden, um den Somalia und Äthiopien schon zweimal Krieg geführt haben. "Wir haben die Chinesen und die Äthiopier gewarnt. Sie haben kein Recht, im Ogaden nach Bodenschätzen zu suchen."

Der erste Anschlag auf äthiopischem Boden seit dem Einmarsch äthiopischer Truppen in Somalia Ende Dezember gibt Ängsten Auftrieb, die somalische Krise könne die ganze Region mit in kriegerische Auseinandersetzungen reißen. Zenawi machte gestern für den Anschlag im Ogaden den Erzfeind Eritrea verantwortlich, wo führende Mitglieder der aus Mogadischu vertriebenen Islamisten Unterschlupf gefunden haben. "Eritreas Regierung führt den Terror in der Region an und die internationale Gemeinschaft sieht untätig zu." Analysten schlossen nicht aus, dass Zenawi die Armee auf einen neuen Krieg mit dem nördlichen Nachbarn einstimmen will.

Der Anschlag im Ogaden trifft Äthiopien besonders, weil unter den Opfern Chinesen sind. China investiert seit Jahren in die Infrastruktur des bitterarmen Landes. Vor allem aus politischen Gründen, denn Ölvorkommen vom Ausmaß etwa des Sudans werden in der Gegend nicht vermutet. Die Angst in Addis Abeba ist groß, dass Peking das Massaker zum Anlass nehmen könnte, sich zurückzuziehen. Aus Peking hieß es gestern, Addis Abeba solle sich besser um die Sicherheit der Chinesen im Land kümmern. Einen Anschlag wie im Ogaden hat China, das sein Handelsvolumen mit Afrika seit 1999 um das 25-fache gesteigert hat, bislang nicht erlebt. Die Toten passen nicht ins Bild des "afrikanischen Traums", den Peking willigen Unternehmern verkauft.

Zunehmenden Druck erhält Zenawi auch aus dem Westen, der das brutale militärische Vorgehen der äthiopischen Armee in Mogadischu offen kritisiert. Nach den USA hat Deutschlands Botschafter Walter Lindner in Nairobi für die EU ein sofortiges Ende der wahllosen Bombardierung von Wohnvierteln mit schwerer Artillerie gefordert. "Die Versuche internationaler Hilfsorganisationen, den Vertriebenen zu helfen, werden zudem durch Plünderungen und bürokratische Auflagen der somalischen Übergangsregierung behindert", heißt es in einem Schreiben an Somalias Übergangspräsident Abdullahi Jusuf.

Während Jusuf zu den Vorwürfen schweigt, warf Zenawi, der die militärische Machtbasis der Übergangsregierung stellt, Hilfsorganisationen und den UN vor, die Opferzahlen aus politischem Kalkül zu übertreiben. Zudem werde der Krieg nicht mehr lange dauern. "Noch ein bis zwei Wochen, dann haben wir Mogadischu von den Terroristen gesäubert."

Aus der somalischen Hauptstadt berichteten gestern Augenzeugen, die äthiopische Armee habe ihre Angriffe intensiviert. Panzer und schwere Geschütze waren in zahlreichen Vierteln der somalischen Hauptstadt zu hören. Mehr als eine Woche nach Beginn der letzten Kämpfe schätzen Hilfsorganisationen die Zahl der Toten auf mehr als 250. Bis zu einer halben Million Somalis, die Hälfte der Stadtbevölkerung, soll inzwischen aus Mogadischu ins Umland geflohen sein.

(Copyright die tageszeitung, 26.4.2007)

Dienstag, 24. April 2007

Ende einer Chaoswahl


Maurice Iwu hat die Eigenschaften einer Teflonpfanne. Am Chef der Unabhängigen Wahlkommission Nigerias, die nach Ansicht der Opposition alles andere als unabhängig ist, perlt jede Kritik spurlos ab. Schon am Sonntag hatte er die von Chaos, Mord und Totschlag begleiteten Wahlen als «historisch» gefeiert, «eine Wahl, von dem noch unsere Kindeskinder schwärmen werden». Gestern Montag trat Iwu ungerührt vor die Presse in der Hauptstadt Abuja und verkündete, Nigeria habe einen neuen Präsidenten.

Umaru Yar’Adua, der farblose Wunschkandidat des scheidenden Präsidenten Olusegun Obasanjo, hat demzufolge 24 638 063 Stimmen erhalten. Insgesamt waren mehr als 60 der 140 Millionen Nigerianer zur Wahl aufgerufen. Der ehemalige Militärherrscher Muhammadu Buhari landete mit deutlichem Abstand und 6,6 Millionen Stimmen auf Platz zwei; Vizepräsident Atiku Abubakar, der ebenfalls für die Opposition antritt, erhielt 2,6 Millionen Stimmen.

Die massive Kritik aus dem In- und Ausland ficht Iwu ebenso wenig an wie Präsident Obasanjo. Der wandte sich gestern in einer Fernsehansprache an das Volk und rief es auf, das verkündete Ergebnis zu akzeptieren. «Unsere Wahlen waren nicht perfekt», räumte er ein und nannte logistische Probleme, Gewalt, Überfälle und Wahlbetrug als Beispiele. «Aber nichts soll unser Volk vom Glauben an die Demokratie abbringen.»

Kritik von EU-Wahlbeobachtern

Doch den haben die vielen Wahlbeobachter, die den Samstag an den Urnen verbracht haben, längst verloren. Sie verdammen die Abstimmung als Farce. «In weiten Teilen des Landes haben Wahllokale Stunden verspätet oder gar nicht geöffnet», so Innocent Chukwuma von der «Transition Monitoring Group», die 50 000 Beobachter an die Wahlstationen entsandt hatte. «Die Ergebnisse müssen annulliert, die Wahlen wiederholt werden.»

Auch die Wahlbeobachter der Europäischen Union gaben sich gestern wenig diplomatisch. «Die Wahlen waren nicht glaubwürdig und entsprachen nicht internationalen Standards», kritisierte der Chef der EU-Mission, Max van den Berg.

Am Wahltag waren zehn Polizisten erschossen worden, während sie den Transport von Wahlzetteln beaufsichtigten. Im Norden Nigerias feuerten Sicherheitskräfte in eine protestierende Menge › drei Jugendliche starben. Von überall im Land berichten Augenzeugen, dass Wahlurnen gestohlen wurden. Wahlzettel sollen massenhaft gefälscht worden sein. «Allein ich habe fünfzig Wahlzettel gefälscht», sagte ein Jugendlicher zu Reportern im ölreichen Niger-Delta. «Bezahlt dafür hat die Regierung.»

Unbekannte hatten ausserdem einen Tanklastzug mit Zündern versehen und ihn auf die Zentrale der Wahlkommission in Abuja zurollen lassen. Der Wagen fuhr gegen einen Telegrafenmast, niemand wurde verletzt. Zuvor hatten Maskierte das Büro des Regierungskandidaten für das Vizepräsidentenamt, Jonathan Goodluck, im ölreichen Niger-Delta gestürmt. Doch Goodluck war nicht da, das versuchte Attentat schlug fehl.

Lieber eine Marionette als das Militär

In Abuja waren gestern Polizeieinheiten aufmarschiert, um Unruhen zu verhindern. Oppositionskandidat Buhari hatte seine Anhänger aufgerufen, gegen einen angeblichen Sieg Yar’Aduas zu protestieren. Auch Vizepräsident Abubakar will das Ergebnis anfechten. Nigerias oberster Gerichtshof hatte in letzter Minute entschieden, dass Abubakar zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen worden war. 60 Millionen Wahlzettel mussten daraufhin neu gedruckt und verteilt werden, was erheblich zum Chaos am Wahltag beigetragen hatte.

Doch ob tatsächlich genug Wähler gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen auf die Strasse gehen, ist ungewiss. Viele Nigerianer wollen vor allem, dass der gewalttätige Wahlkampf jetzt endlich ein Ende hat. «Ich habe lieber eine Marionette Obasanjos als Präsident als das Militär», bringt eine Wählerin in Nigerias Wirtschaftszentrum Lagos ihre Angst zum Ausdruck. Die Wahl soll zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias 1960 einen Übergang von einer zur nächsten gewählten Regierung ermöglichen. Wenn die Ausschreitungen überhand- nehmen, so befürchten viele, könnte das Militär dies als Ausrede nehmen, nach nur acht Jahren ziviler Herrschaft wieder zu putschen.

(Copyright Aargauer Zeitung/ Mittelland Zeitung, 24.4.2007)

Montag, 23. April 2007

Helfer als Zielscheiben


"Daryeel Bulsho Guud" (DBG) ist Somalisch für "Hilfe für alle". In Mogadischu bedeutet das: Keiner der verfeindeten Clans wird bevorzugt. Nur so überlebte bislang die lokale Partnerorganisation der deutschen evangelischen Hilfswerke Diakonie und Brot für die Welt. Als eine der letzten Hilfsgruppen, die im seit Wochen tobenden Krieg um Mogadischu noch aktiv sind, hatte DBG zuletzt Medikamente in Hospitälern verteilt.

Doch jetzt liegt das Büro der Helfer in Schutt und Asche. Mehrere Angestellte, unter ihnen vier Verletzte, harrten gestern nach mehr als 24 Stunden Dauerbeschuss mit Granaten noch in dem mehrstöckigen Gebäude aus, berichtete ein Mitarbeiter somalischen Journalisten. "Unsere Büros sind zerstört, unsere Generatoren sind zerstört, der Schaden ist riesig." Die im Gebäude gefangenen Kollegen können sich wegen der Bombardements nicht in Sicherheit bringen.

Die heftigen Kämpfe in den Straßen Mogadischus zwischen Äthiopiens Armee und islamistischen Untergrundkämpfern brachen am Mittwoch neu aus und dauerten gestern an. Am Samstag beschossen äthiopische Truppen unter anderem den größten Markt der Stadt im Baraka-Viertel mit Granaten. Augenzeugen berichten von verwesenden Leichen in den Straßen. Das Personal im Medina-Krankenhaus in Süden Mogadischus hat seit Mittwoch etwa 200 Tote gezählt.

In der Stadt befinden sich inzwischen nur noch Kämpfer, Helfer oder Männer, die ihr Haus und ihren Besitz bewachen wollen. Die anderen sind auf der Flucht. "Die Äthiopier wollen mich umbringen, weil ich Somali bin, und die Milizen wollen mich töten, weil ich nicht mit ihnen kämpfe", sagte ein Bewohner am Wochenende hoffnungslos.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR schätzt die Zahl der Vertriebenen aus Mogadischu auf 321.000, manche Hilfswerke sprechen bereits von einer halben Million. Täglich kommen mehr hinzu. Diplomaten in Kenias Hauptstadt Nairobi berichten, das Umland Mogadischus sei so voller Menschen, dass selbst Schatten unter den wenigen Bäumen nur gegen Geld oder Lebensmittel zu haben sei. Auf eine Massenflucht dieses Ausmaßes war niemand vorbereitet. In Wajid im Süden Somalias etwa sind 1.000 Vertriebene notdürftig in einer Schule untergekommen, 500 andere kampieren in den Resten eines früheren Flüchtlingslagers. "Die meisten haben praktisch nichts mitnehmen können und brauchen außer Wasser und Nahrung auch Matratzen, Decken, Moskitonetze und Wasserkanister", sagt Günter Grzybek vom Hilfswerk World Vision.

Cholera ist unter den Vertriebenen bereits virulent. "Wenn nicht schnell mehr geschieht, wird sich die humanitäre Krise zu einer Katastrophe ausweiten", warnt Eric Laroche, der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Somalia. Er wirft der somalischen Übergangsregierung und den mit ihr verbündeten äthiopischen Trupen vor, Hilfslieferungen systematisch zu behindern, mit bürokratischen Auflagen und Straßensperren. "Wir haben versucht, deswegen mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, aber die ignorieren uns einfach."

Dabei drängt die Zeit. Der größte Fluss der Region, die Shabelle, wird nach Regenfällen flussaufwärts in Äthiopien bald Hochwasser führen. Dann sind die Straßen zu den Flüchtlingen überschwemmt. Die Flugplätze werden derzeit nicht von den UN angeflogen, weil ihre Maschinen regelmäßig beschossen werden. Somalias Unicef-Chef Christian Balslev-Olsen verzweifelt, weil die Hilfsgüter nicht weit entfernt von den Flüchtlingen in Lagerhäusern in Mogadischu liegen. "Aber wegen der Kämpfe kommen wir da nicht ran."

Somalias Übergangspremier Ali Mohammed Ghedi will von all diesen Problemen nichts wissen. "Die Kämpfe werden weitergehen, bis alle Terroristen tot sind", sagte er am Samstag in einem Radiointerview. Auf Zivilisten könne dabei keine Rücksicht genommen werden: "Diejenigen, die sich noch in den Hochburgen der Islamisten befinden, fordere ich auf, die Stadt zu verlassen."

(Copyright die tageszeitung, 23.4.2007)

Samstag, 21. April 2007

Frieden ist ein schweres Los


Seit September sind keine Kindersoldaten mehr aus dem Busch gekommen. Die Auffangstation, wo das Kinderhilfswerk World Vision normalerweise hunderte geflohene oder von der Armee gefangene Exrebellen der Lord's Resistance Army (LRA) an ein Leben nach dem Buschkrieg gewöhnt, liegt still und verlassen da. Irgendwo, sagt Stationschef Sam Kilara mit suchendem Blick, muss noch ein Waisenjunge sein, der hier versorgt wird, bis entfernte Verwandte gefunden sind. "Aber es werden sicher wieder neue Kinder kommen, wenn der Friedensprozess weiter so stockt." Ein halbes Jahr Ruhe und Frieden haben die Gespräche zwischen Regierung und LRA den Nordugandern geschenkt - zum ersten Mal seit zwanzig Jahren. Doch an einen dauerhaften Frieden glauben die wenigsten, auch wenn am kommenden Donnerstag weiter verhandelt werden soll.

Wie viele Kinder der selbsternannte Prophet Gottes und LRA-Chef Joseph Kony derzeit noch unter Waffen hält, ist nicht bekannt. Seit Beginn seiner Fehde vor zwanzig Jahren haben Kony und seine Soldaten zehntausende Kinder entführt. Achtjährige Jungen werden als Soldaten, Mädchen als Sexsklavinnen und Küchenhilfen abgestellt. Die neuen Rekruten werden einer rigorosen Gehirnwäsche unterzogen, viele von ihnen müssen nahe Verwandte umbringen, um sich selbst den Rückweg in die Gesellschaft abzuschneiden. Wer nicht spurt, wird gefoltert und hingerichtet - von anderen Kindern, vor den Augen der ganzen Kompanie.

Auch als die Familien, von denen die meisten wie Kony der Ethnie der Acholi angehören, in große Lager flüchteten, gingen die Überfälle und Entführungen weiter. Kony brauchte ständig Nachschub, um gefallene oder vor Hunger und Erschöpfung gestorbene Kinder zu ersetzen.

Deogratius Okema ist einer von denen, der Konys Albtraumwelt entkommen sind. Der heute 20-Jährige hat acht Jahre an der Seite des LRA-Führers verbracht. "Wenn Kony nachts beten ging, habe ich ihm seinen Betstuhl hinterhergetragen." Die LRA nahm damals ihn und zwölf andere Kinder mit, die sich in einem Busbahnhof hinter einem Militärlager versteckt hielten. Keiner half ihnen, von den Soldaten der Regierungsarmee war nichts zu sehen. "Wir sind sieben Tage zu Fuß bei praller Sonne in die LRA-Lager im Südsudan marschiert", erzählt Deogratius. "Es gab kein Wasser und nichts zu essen - zwei machten schlapp, die wurden erschlagen und mit der Machete in Stücke gehauen." Seine Stimme zittert, aber sein Blick ist fest auf die Wand gerichtet, während er weitererzählt. "Im Camp war ein Commander, der mich umbringen wollte. Aber Joseph Kony hat mich gerettet."

Okemas Stimme wird fester, wenn er von Kony erzählt. "Kony hat mich mit nach Khartum genommen, mich an der Waffe ausbilden lassen und schließlich zum Captain befördert." Wegen seiner Treue habe Kony ihn schließlich als Leibwächter eingesetzt. "Da konnte mir niemand mehr etwas anhaben." Schließlich, sagt Okema, habe Kony selbst ihm gesagt: "Geh nach Hause." Da sei er aus dem Busch geflohen.

Nur Gutes über den Schlächter

Auf Kony lässt Okema nichts kommen: "Kony will die Armut in Norduganda beenden, er betet Tag und Nacht für die Menschen hier und will niemandem etwas Böses." Für die Gewalt, die Überfälle und all das Schlimme, das er selbst erlebt hat, macht Okema "die anderen" verantwortlich, die Konys Befehle missachteten und das Acholi-Volk plünderten. "Kony kann nichts dafür, er weint oft, weil seine Männer so ungehorsam sind."

Der 20-jährige Okema hat nie eine Schule besucht, er hat keine Frau, keine Kinder und keinen festen Job. "Eigentlich sollte man erwarten, dass die Rückkehrer Kony hassen", meint Lucy Apiyo, die für World Vision im Flüchtlingslager Onyama am Rand von Gulu, der größten Stadt Nordugandas, arbeitet. "Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Opfer halten sich mühsam ein Bild des strahlenden Führers aufrecht, damit ihnen ihr Leben nicht sinnlos erscheint." Apiyo weiß, wovon sie spricht. Die Selbstmordrate in den Flüchtlingscamps, in denen über Norduganda verstreut mehr als eine Million Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, steigt seit Jahren. Alle paar Wochen erhängt, erschießt oder ersticht sich jemand in Onyama. Meistens sind es Kinder oder Jugendliche.

Dabei waren nur die wenigsten Selbstmörder früher Kindersoldaten. Denn während die sich trotz aller erlebten Grausamkeiten an etwas - und sei es an Kony - festhalten können, hat Nordugandas Lagergeneration nichts dergleichen. Die Hälfte der ugandischen Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, so wie James Opio, der im Onyama-Lager lebt, solange er sich erinnern kann. "Als ich acht war, ist mein Vater gestorben, ein paar Jahre später meine Mutter - auf einmal war ich allein mit meinen fünf jüngeren Geschwistern."

Im Dorf wäre das ein klassischer Fall für die Großfamilie - im Lager war Opio auf sich allein gestellt. "Ich habe versucht, Geld zu verdienen, aber es gab keine Jobs. Ich habe versucht, Lebensmittel oder andere Hilfe von den Organisationen zu bekommen, aber da waren so viele andere, dass ich kaum was abbekommen habe." Irgendwann wusste er nicht mehr weiter. §Ich habe mich nutzlos und wertlos gefühlt und gedacht: Da kann ich mich auch gleich umbringen, dann ist der Druck wenigstens weg."

Dass er noch lebt, hat James wahrscheinlich Lucy Apiyo zu verdanken, die seit einigen Monaten Gruppentherapien mit den besonders schweren Fällen ausprobiert. "Depressionen sind ein riesiges Problem in den Flüchtlingslagern. Aber bisher hat sich niemand darum gekümmert, selbst Hilfsorganisationen empfinden so etwas als Luxusproblem." Erst seit die Selbstmorde so stark zunehmen, ändert sich das. Derzeit werden 56 Kinder von Psychotherapeuten wie Apiyo behandelt. Die etwa gleich vielen Mädchen und Jungen sprechen, malen, spielen gemeinsam. Und sie weinen, immer wieder. All das hilft ihnen, mit der Hoffnungslosigkeit im Lager fertig zu werden. "Wir waren sehr skeptisch, ob das klappt", sagt Lucy Apiyo, "schließlich bieten wir nur die Therapie an, kein Geld, kein Essen, nichts sonst." Doch der Andrang ist riesig.

Die 16-jährige Jacqueline Akumo ist stolz, dass sie seit ihrer Therapie wieder arbeiten geht. Samstags klopft sie Steine im nahen Steinbruch, für umgerechnet einen Euro am Tag, "aber es gibt mir Kraft". Und die gleichaltrige Jennifer Adoteh hat den Mut gefunden, ihren zehn Monate alten Sohn Sunday allein großzuziehen. "Das konnte ich mir vorher nicht vorstellen." Kinderschwangerschaften sind normal im Flüchtlingslager, wo es kaum Zerstreuung gibt.

Nur Alkohol gibt es in Massen: Wer kann, braut abenteuerliche Mixturen, denen nur gemeinsam ist, dass sie hochprozentig sind. Schon am Morgen hängen vor allem Männer mit glasigen Augen in den engen Gassen zwischen den Hütten aus Lehm. Traditionell sollten sie die Felder bestellen, doch die gibt es nicht in Lagern wie Onyama. Die ersten Männer sind in sogenannte Satellitenlager gezogen, wo die Regierung Parzellen bereitstellt. Doch viele haben seit zwanzig Jahren keine Schaufel mehr in der Hand gehalten, und sie sind ohnehin skeptisch, ob sie die Ernte auf diesem Land tatsächlich noch einbringen werden oder ob nicht die Rebellen, die Regierungsarmee oder beide ihnen nicht einfach alles wieder stehlen.

Aus diesem Grund hat Sophia Ayena versucht, auf den Hof zurückzukehren, von dem sie vor zehn Jahren geflohen ist. Seitdem hat sie in einem Flüchtlingscamp in Lira gelebt, sechzig Kilometer von ihrer Heimat entfernt. "Aber als ich nach mehreren Tagen Reise zu Hause angekommen bin, waren da schon Leute auf meinem alten Hof", berichtet die fünffache Mutter mit belegter Stimme. "Als ich gesagt habe, ich will mein Land zurück, haben sie mich nur ausgelacht und fortgeschickt."

Wieder zurück ins Lager

Jetzt sitzt Sophia Ayena wieder in Lira und weiß nicht, was sie tun soll. Die Polizei hat ihr erklärt, dass sie nicht helfen kann. "Von denen habe ich auch keine Hilfe erwartet, die Regierung selbst verscherbelt ja gerade unser Land." Während die Armee Flüchtlinge mit Straßensperren und Einschüchterungen von der Rückkehr abhält, sollen die Filetstücke des fruchtbaren Acholi-Lands angeblich schon an die meistbietenden Großfarmer verkauft worden sein.

"Immer mehr finden sich deshalb damit ab, dass sie für immer hier bleiben werden", weiß Mike Odur, der für eine Partnerorganisation der Kindernothilfe in Lira arbeitet. Weil die LRA-Rebellen Hütten und Höfe niedergebrannt haben, ist der Neustart in der alten Heimat beschwerlich. Hinzu kommt eine neue Gefahr: Seit die LRA nicht mehr angreift, haben die Karamajong, Viehdiebe aus dem Nordosten Ugandas, ihre Attacken bis ins Umland von Lira ausgeweitet. Diejenigen, die noch Vieh hatten, haben es verkauft, um nicht Opfer der neuen Angreifer zu werden. Dass sie damit ihre letzte Hoffnung auf einen Neuanfang als Farmer aufgegeben haben, stört sie nicht. Hoffnung steht in Norduganda derzeit eben nicht sonderlich hoch im Kurs.

(Copyright die tageszeitung, 21.4.2007)

Donnerstag, 19. April 2007

Schüsse, Schläger, Ausgangssperre


Hassan Jamiu hatte gerade die Hütte seines Großvaters in einem der vielen Slums von Lagos verlassen, als die Schüsse fielen. Ein Querschläger traf den 21-jährigen in den Rücken, an einem Marktstand brach er zusammen. Eine halbe Stunde später war er tot. “Ein Politiker aus dem Viertel hatte ein paar Schlägern Geld gegeben, und sie konnten sich nicht auf die Aufteilung einigen” erklärt Obsthändler Ibrahim den Hintergrund der Ausschreitungen, die zwei Tage dauerten. Gewalt gibt es immer in Lagos, der größten Stadt Afrikas, aber vor diesen Wahlen ist es so schlimm wie lange nicht.

Ein paar hundert Naira, umgerechnet ein paar Euro, bekommen die arbeitslosen Jugendlichen, die von Politikern jeder Couleur gruppenweise angeheuert werden. Die Schlägertrupps sollen oppositionelle Wahlkampfauftritte aufmischen und Angst und Schrecken bei Anhängern der Opposition verbreiten. Bei den Regionalwahlen am vergangenen Samstag schossen sie von Motorrädern auf Wahlbüros oder stahlen Urnen. “Angst vor Konsequenzen muss keiner von uns haben”, sagt einer der Gelegenheitsschläger. “Das ist ein Job wie jeder andere, und wir werden ordentlich ausgerüstet und bezahlt.”

Während sich die politische Elite Nigerias darüber streitet, ob Parlament und Präsident an diesem Samstag tatsächlich gewählt werden können, leidet die Bevölkerung in Nigeria unter dem Chaos. “Vor die Tür geht in diesen Tagen nur, wer wirklich muss”, sagt ein Deutscher, der in einem der besseren Viertel von Lagos lebt. Die Straßen und Märkte werden von Schlägertrupps unterscheidlicher Fraktionen kontrolliert. Wer einkaufen geht, kann unversehens in einen Schusswechsel geraten. Mehrere hundert Menschen sind seit Beginn des Wahlkampfs ums Leben gekommen.

Vor allem im mehrheitlich von Muslimen bewohnten Norden Nigerias nutzen Politiker zudem die vorhandenen religiösen Spannungen. In Kaduna, wo eine große christliche Minderheit lebt, gab es in den letzten Jahren immer wieder blutige Massaker. “Politiker benutzen religiöse Vorwände, um ihre Anhänger zu manipulieren und auf die Gegner zu hetzen”, kritisiert Pastor Bitrus Dangiwa, der in einem christlich-muslimischen Netzwerk gegen Gewalt aktiv ist.

“Die Hintergründe für die Ausschreitungen sind in der Regel nicht religiös, sondern politisch”, pflichtet ihm Imam Abdullahi Mohammed bei. Die Jugendmilizen, in Kaduna entlang religiöser Linien organisiert, seien dafür ein gute Beispiel. “Die Jugendlichen sind arbeits- und hoffnungslos, sie verkaufen sich für jeden Inhalt, sei es Politik oder Religion – Hauptsache, es lohnt sich.” Dangiwa und Mohammed hoffen, dass ihnen am Wahltag in Kaduna schwere Ausschreitungen erspart bleiben. Doch die Unruhen im gerade mal zwei Autostunden entfernten Kano machen nicht gerade Mut.

Hier, in der größten Stadt im Norden Nigerias, hatte sich Scheich Dschafar Adam am vergangenen Freitag gerade zum Mittagsgebet begeben, als maskierte Schützen ihn in der Zentralmoschee von Kano erschossen. Der genaue Hintergrund der Tat ist unklar, denn der konservative Prediger Adam war gleich mehrfach unbeliebt: Bei der Regierung des Bundesstaats, die er im Protest über die aus seiner Sicht zu lasche Umsetzung des Scharia-Gesetzes verlassen hatte. Und bei moderaten muslimischen Gruppen, an denen Adam ebenfalls kein gutes Haar ließ.

Ermittlungsergebnisse oder gar Verdächtige gibt es bis heute nicht. Aktiv wurde die Polizei erst, als eine radikale Sekte namens “Taliban” 13 ihrer Leute umbrachte, um den Tod Adams zu rächen. In einer minutiös geplanten Militäroperation wurden 26 “Taliban” erschossen. Zu einer Beruhigung der angespannten Lage hat das nicht beigetragen, im Gegenteil. Viele in Kano glauben seit Adams Tod erst Recht, dass der christliche Süden dem voraussichtlich muslimischen Präsidenten die Macht schnell wieder nehmen will, auf die man hier so lange gewartet hat.

(Copyright epd, 19.4.2007)

Korruption und Schattenwirtschaft


In Uyo ist nicht viel vom Ölreichtum zu merken, der im gut eine Auto stunde entfernten Nigerdelta aus dem Boden gepumpt wird. Nigeria fördert mehr als zwei Milliarden Barrel Rohöl im Jahr und ist Afrikas größte Ölfördernation. Doch an den Tankstellen der Landeshauptstadt von Akwa Ibom ist wieder einmal der Sprit ausgegangen. Diesel wird in große Kanister abgefüllt, die vor den Zapfsäulen aufgereiht auf Verkäufer warten. „Der ist für die Generatoren, weil hier praktisch ständig der Strom ausfällt“, erklärt der 17-jährige Yakubu, während er einen Kanister nach dem anderen unter die Benzinpistole schiebt. „Die Energiekrise in Nigeria ist schlimmer als je zuvor“, weiß der Umweltschützer Edifi Effjong, der nicht weit von Port Harcourt entfernt im Öldelta groß geworden ist. Manche Felder sind schwarz vom Öl, das seit Jahren aus undichten Pipelines leckt. „Es wird nie richtig dunkel, weil das abgefackelte Gas die Nacht zum Tag macht.“

Öldiebstahl ist der einzige Weg, wie die vernachlässigte Bevölkerung im Delta zumindest einen Teil der Petro-Milliarden für sich abzweigt. Pipelines werden angebohrt und Öl in Kanister und Tanker abgezapft. Immer wieder kommen ganze Familien ums Leben, wenn sich die austretenden Gase plötzlich entzünden. Doch das Risiko gehen die Menschen ein: Abgezweigtes Öl ist ein lohnendes Geschäft. Bis hinauf in den hohen Norden Nigerias, aber auch in den Nachbarländern Benin und Kamerun wird nigerianisches Öl und Benzin, abgefüllt in Colaflaschen, am Straßenrand ver kauft.

Verschwundene Millionenbeträge

Die wahren Gewinne fließen in die Taschen der Politiker im Land. Dass sich das nach den Wahlen an diesem Samstag ändert, glaubt kaum jemand in Nigeria – auch wenn erstmals in dem immer wie der von Militärputschen erschütterte Land eine zivile Regierung von der nächsten abgelöst werden soll. Laut Transparency International ist kaum ein Land so korrupt wie Nigeria. Wer an der Macht ist, bedient sich – schon ist von einer „Kleptokratie“ die Rede. „Die Mächtigen schieben phantastische Beträge hin und her, während Nigeria nach und nach verfällt“, staunt Shina Loremikon vom nigerianischen Zero Corruption Network. Nichts ölt das korrupte Getriebe so sehr wie die Milliarden, die von den internationalen Ölkonsortien zuverlässig auf die Regierungskonten überwiesen werden. 95 Prozent der Deviseneinnahmen Nigerias stammen aus dem Ölgeschäft.

Zwischen 1999 und 2004 zahlten die im Land aktiven Ölkonzerne auf zwei Konten bei der New Yorker Bank JP Morgan ein. Von dort sollte das Geld auf verschiedene staatliche Unterkonten zurück fließen. Doch 232 Millionen US-Dollar, so stellten britische Rechnungsprüfer der Hart-Gruppe im Auftrag von Nigerias Re gierung fest, verließen in dieser Zeit zwar die New Yorker Konten, kamen aber nie im Staatshaushalt an. Wohin sie verschwunden sind, ist bis heute unklar.

Richtige Zeit, richtiger Ort

In den Korruptionsaffären in der politischen Chefetage, die Nigeria seit Beginn des Wahlkampfs erschüttern, geht es stets um die Gewinne aus dem Nigerdelta. Etwa bei Vizepräsident Atiku Abubakar, der der staatlichen Korruptionsbehörde EFCC zufolge mehr als 120 Millionen Euro aus einem staatlichen Öl-Entwicklungsfonds ungeniert auf sein Konto überweisen ließ.

Multimillionär Abubakar, der sein Vermögen „durch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, gemacht haben will, weist den Vorwurf als politisch motiviert zurück. Seit Abubakar eine Verfassungsänderung verhindert hat, die Präsident Olusegun Obasanjo eine dritte Amtszeit ermöglicht hätte, sind die beiden Politiker Intimfeinde.

Doch auch Obasanjo selber steht am Pranger. Ein Parlamentskomitee stellte fest, dass Obasanjo mehr als 20 Millionen Euro aus dem gleichen Fonds illegal für Projekte der Regierung missbraucht hat. Zudem soll er sich vom Präsidentensessel aus lukrative Ölfelder und andere Staatswerte für einen von ihm und seinen Verbündeten kontrollierten Konzern gesichert haben. Der Präsidentenpalast in der Hauptstadt Abuja erschien Obasanjo der richtige Ort, um im Juli 2005 die Gründung der Transnational Corporation of Nigeria, kurz Transcorp, zu feiern. Seitdem hat Transcorp die Kontrolle der einst staatlichen Telekom, den staatlichen Mobilfunk betreiber MTel und das Hilton-Hotel Abuja übernommen. Neben den Ölfeldern hat Transcorp auch den Auftrag erhalten, eine neue Raffinerie und ein Riesenkraftwerk zu errichten – alles heiß umkämpfte Aufträge. Transcorp, so heißt es an der nigerianischen Börse in Lagos, genieße „bevorzugte Behandlung von ganz oben“. So habe das Unternehmen 75 Prozent Anteile an der Telefongesellschaft für einen Spottpreis erworben, ob wohl nur 51 ausgeschrieben waren. „In anderen Fällen haben Angebote von Transcorp schon vorgelegen, bevor es überhaupt Ausschreibungen gab“, weiß ein Händler. Genannt werden will er nicht: Der Vorstandsvorsitzende von Transcorp, Ndi Okereke-Onyiuke, ist zugleich der Börsenchef.

Knapp zwei Jahre nach seiner Gründung ist das mehr als eine Milliarde Euro schwere Konglomerat der achtgrößte Konzern Afrikas, wenn man südafrikanische Unternehmen außer Acht lässt. Der Wert der Transcorp-Aktie hat sich seit der Ausgabe verachtfacht. Der Präsident verdient daran kräftig mit. Denn Obasanjo selbst hält ein Aktienpaket, das zwischen 200 und 600 Millionen Stück schwer sein soll. Unklar ist allerdings, woher Obasanjo das Geld für seinen Aktienkauf hatte. Korruptionsbekämpfer Loremikon, der Transcorp einen „bemerkenswerten Mechanismus zum Absaugen von Staatsgeld“ nennt, sieht Beweise dafür, dass die privaten Aktien mit Staatsgeldern bezahlt wurden.

Paten übernehmen die Kontrolle

Transcorp gilt als eine der Machtbasen, die sich Obasanjo für die Zeit nach der Präsidentschaft gesichert hat. Eine weitere sind die von ihm handverlesenen Kandidaten für seine Nachfolge, die als unkritische Obasanjo-Jünger gelten. Weder Umaru Musa Yar’Adua noch sein Mitstreiter Jonathan Goodluck sind politisch profiliert. Sie sind nicht reich und sie haben selbst innerhalb der eigenen Partei keinen Rückhalt – sind also ohne Obasanjos Unterstützung verloren. Hinter den Kulissen kann Obasanjo so weiter die Fäden ziehen, auch wenn er abgetreten ist.

Ohne Geld keine Macht, ohne Macht kein Geld – diese Gleichung gilt überall in Nigerias verzweigter Politik. Politische Amtsinhaber mit Zugriff auf Staatsressourcen machen inzwischen den traditionellen Strippenziehern Konkurrenz, reichen Geschäftsleuten, die als politische „Paten“ die Kontrolle über Politiker von ihren Gnaden übernehmen. Wer nach der Wahl versucht, den Einfluss der Paten zu begrenzen, kann sein Amt schnell verlieren: So ging es Rashidi Ladoja, der 2003 zum Gouverneur in der Provinz Ojo gewählt wurde. Als Ladoja im Anschluss an den Urnengang nicht zuließ, dass sein Gönner 13 der 15 Ministerposten bestimmte, enthob das Parlament den Gouverneur des Amtes. Der „Pate“, ein Businessman namens Lamidi Adedibu, hatte die richtigen Strippen gezogen und vor allem die richtigen Summen gezahlt.

Wo so viel Geld verschoben wird, bleibt für den Staat oder die 60 Millionen Wähler kaum etwas übrig. Ein paar hundert Naira, umgerechnet wenige Euro, können immerhin die Banden machen, die von Politikern als Schlägertrupps angeheuert werden. Die meist arbeits- und perspektivlosen Jugendlichen sollen Wahlkampfauftritte des Gegners aufmischen und Ähnliches beim eigenen Kandidaten verhindern. Dutzende Menschen sind seit November im Zusammenhang mit den Wahlen ums Leben gekommen, mehr als 20 allein am Wochenende vor der Wahl. „Angst vor Konsequenzen muss keiner von uns haben“, sagt einer der Gelegenheitsschläger in Calabar, zwei Stunden von Uyo entfernt. „Das ist ein Job wie jeder andere, und wir werden ordentlich ausgerüstet und bezahlt.“ Im ganzen Öldelta hat die Gewalt während des Wahlkampfs drastisch zugenommen. Lokale Politiker sollen direkt an den Entführungen von 50 ausländischen Ölarbeitern allein seit Jahresbeginn beteiligt sein. „Die Lösegelder sind direkt in politische Kampagnen geflossen“, berichtet ein Menschenrechtler aus der Region. Ob im volatilen Delta überhaupt freie und faire Wahlen stattfinden werden, ist unterdessen ungewiss: Die EU hat bereits angekündigt, dass sie wegen der unsicheren Lage keine Wahlbeobachter dorthin entsenden will.

(Copyright Rheinischer Merkur, 19.4.2007)

Mittwoch, 18. April 2007

"Khartum hat schon oft heute ja und morgen nein gesagt"


Gerade einmal vier Soldaten unter dem Mandat der Afrikanischen Union (AU) bewachen die 55.000 Flüchtlinge im Lager Otash im Süden Darfurs. Harry Donsbach von Worldvision ist gerade aus dem vier Jahre alten Camp zurückgekommen. Es gibt Engpässe bei der Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln. "Praktisch stündlich kommen neue Flüchtlinge an." Und wer das Lager auf der falschen Seite verlässt, dort, wo es noch ein bisschen Brennholz gibt, riskiert, überfallen, vergewaltigt oder ermordet zu werden. Die AU-Soldaten, die alleine mit zwei Jeeps die Sicherheit von Tausenden gewährleisten sollen, können selbst in Sichtweite des Lagers keine Sicherheit garantieren.

Dass die gut 7000 Soldaten unter AU-Mandat zu wenige sind, zu schlecht ausgerüstet und chronisch unterfinanziert, bestreitet nicht einmal die Afrikanische Union selber. Seit Monaten gehört sie zu den stärksten Fürsprechern für eine gemischte Truppe, der auch UN-Blauhelme angehören sollen. Doch erst in der Nacht zum Dienstag gab Khartums Regierung dem massiven internationalen Druck nach und stimmte der zweiten Phase eines Planes zu, den Sudans Präsident Omar Hassan el Baschir schon im November vereinbart hatte - im Prinzip.

Doch Sudan, dessen Armee mit den Janjaweed-Milizen Jagd auf Rebellen und die panische Zivilbevölkerung macht, hatte sich später nicht mehr daran erinnern wollen. Dass sie jetzt 3000 UN-Militärbeobachter und Polizisten mit Panzerfahrzeugen und sechs Militärhubschraubern ins Land lassen will, nennt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein "positives Signal".

Doch Desiré Assogbavi, der die Entwicklungsorganisation Oxfam bei der AU vertritt, ist skeptisch. "Ich möchte wirklich glauben, dass Sudans Regierung es diesmal ernst meint." Doch dafür habe er den seit vier Jahren währenden Konflikt, bei dem mindestens 200.000 ums Leben gekommen sind und fast zweieinhalb Millionen vertrieben, zu lange verfolgt. "Khartum hat schon oft heute Ja und morgen Nein gesagt."

Dass 3000 Soldaten mehr der Gewalt in Darfur ein Ende machen, glaubt Assogbavi ohnehin nicht. "Darfur braucht einen robusten Militäreinsatz mit mindestens 20.000 Soldaten, so wie es der Sicherheitsrat beschlossen hat." Zudem befürchtet Assogbavi, dass die sudanesischen Behörden den Einsatz der UN in Darfur so lange wie möglich verzögern werden. Schon für die AU-Truppen standen Jeeps monatelang im Hafen, weil angeblich Zollpapiere fehlten. Vier Monate, so Assogbavis Schätzung, werden die UN alleine brauchen, um die nötigen Truppen und Gelder zusammenzukriegen.

(Copyright Der Standard, 18.4.2007)

Montag, 16. April 2007

Die Wahlen laufen wie geschmiert


Es war Samstagmorgen, als Hassan Jamiu den Holzverschlag seines Großvaters in einem der vielen Slums von Lagos verließ, um ein paar Lebensmittel zu kaufen. An den Wochenenden kümmerte sich der 21-Jährige immer um seinen letzten Verwandten. Doch als Jamiu an diesem Tag an die Marktstände trat, fielen plötzlich Schüsse. Ein Querschläger traf ihn in den Rücken, eine halbe Stunde später war er tot.

Zwei Tage dauerten die Ausschreitungen im Slum. "Ein Politiker aus dem Viertel hatte einer Gruppe von Schlägern Geld gegeben, und sie konnten sich nicht auf die Aufteilung einigen", berichtet Obsthändler Ibrahim, dessen Stand geplündert wurde. Ein paar hundert Naira, umgerechnet ein paar Euro, bekommen die meist arbeitslosen Jugendlichen, die von Politikern angeheuert werden. Die Schlägertrupps sollen oppositionelle Wahlkampfauftritte aufmischen und bis zum Wahltag Angst und Schrecken bei jenen verbreiten, die ihr Häkchen beim Gegenkandidaten machen wollen.

Offiziell sind seit November mehr als 70 Menschen im Zusammenhang mit den Wahlen ums Leben gekommen, in Wirklichkeit sind es wohl Hunderte. Auch während der Regionalwahlen, die am Samstag über die Bühne gingen, gab es Szenen der Gewalt. "Angst vor Konsequenzen muss keiner von uns haben", sagt einer der Schläger. "Das ist ein Job wie jeder andere, wir werden ordentlich bezahlt."

Ohne Geld keine Macht

Vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen am 21. April bestätigt sich erneut eine Gleichung, die Nigerias Politik seit der Unabhängigkeit 1960 bestimmt: ohne Geld keine Macht, ohne Macht kein Geld. Acht Jahre nach Ende der letzten Militärdiktatur im bevölkerungsreichsten Land Afrikas soll erstmals ein Regierungschef die Macht an einen gewählten Nachfolger abgeben. Das hat es im einst putschgeplagten Nigeria noch nie gegeben. Doch hinter den Kulissen haben die alten Machthaber alles dafür vorbereitet, dass ihr Einfluss auf die Politik nicht schwindet.

"Ich bin ein Mann des Volkes", beschreibt sich Lamidi Adedibu, während er vor seinem Haus Bargeld an die Wähler seines Kandidaten verteilt. "Ich habe vielen unserer Führer gedient, und ich erwarte, dass sie auch mir dienen." Die Inhaber politischer Ämter sorgen auch selbst für ihren Machterhalt. "Die Mächtigen schieben fantastische Beträge hin- und her, während Nigeria nach und nach verfällt", bilanziert Shina Loremikon vom nigerianischen "Zero Corruption Network". So stellte ein Parlamentskomitee fest, dass Präsident Olusegun Obasanjo mehr als 20 Millionen Euro aus einem staatlichen Öl-Entwicklungsfonds illegal für Projekte der Regierung missbraucht hat. Zudem soll er sich vom Präsidentensessel aus eine finanziell solide Machtbasis gezimmert haben.

Sein persönliches Aktienpaket bei der "Transnational Corporation of Nigeria", kurz Transcorp, wird auf 200 bis 600 Millionen Stück geschätzt. Seit 2005 übernahm Transcorp die einst staatliche Telekom, den Mobilfunkbetreiber MTel, das Hilton-Hotel Abuja und sicherte sich staatlich vergebene Ölfelder und öffentliche Aufträge zum Bau einer neuen Raffinerie und eines Riesenkraftwerks. Transcorp, so heißt es an der nigerianischen Börse in Lagos, genieße "bevorzugte Behandlung von ganz oben".

Doch als wichtigste Investition für seinen Einfluss gelten Obasanjos handverlesene Nachfolger. Weder Umaru Musa Yar'adua noch sein Mitstreiter Jonathan Goodluck haben politisches Profil und werden zeit ihrer Karriere auf Obasanjos Unterstützung angewiesen sein. Als aussichtsreicher Kandidat von der Opposition gilt derzeit nur Muhammadu Buhari.

Kritiker verfolgt Obasanjo mit der "Kommission für Wirtschafts- und Finanzvergehen" (EFCC). 2006 wurden fünf der 36 Provinzgouverneure nach Korruptionsvorwürfen der EFCC unter fragwürdigen Umständen aus dem Amt gehoben. 37 vorwiegend prominente Oppositionelle - unter ihnen Vizepräsident Atiku Abubakar - durften nun gar nicht zur Wahl antreten. Sie klagten - doch als der oberste Gerichtshof am vergangenen Donnerstag ein Urteil fällen wollte, erklärte der Präsident Donnerstag und Freitag kurzerhand zum Feiertag. Die Gerichte blieben geschlossen.

(Copyright Der Standard, 16.4.2007)

Kredite sollen globale Slumkrise lösen helfen


Anna Tibaijuka ist eine Kämpferin. Als eine von wenigen afrikanischen Frauen hat es die Tansanierin bis ganz nach oben geschafft - an die Spitze des Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen, UN-Habitat. Dass ihr Kampf sich wie der gegen eine Hydra ausnimmt, stachelt sie an: "Wir haben einen Balanceakt vor uns: Wir müssen die Bevölkerung in den Städten versorgen und gleichzeitig verhindern, dass die städtische Umwelt kollabiert." Ab heute treffen sich Delegierte aus gut 150 Ländern in Kenias Hauptstadt Nairobi zum Regierungsrat, der alle zwei Jahre tagenden Hauptversammlung von UN-Habitat. Und Tibaijuka wird dort weiter kämpfen - für mehr Geld, aber auch für das Überleben des Programms.

Täglich fliehen weltweit Zehntausende vom Land in die Städte, mehr als eine Milliarde Menschen leben heute unter erbärmlichen Bedingungen in Slums. In zwanzig Jahren werden es trotz aller Anstrengungen wohl doppelt so viele sein.

"Städte brauchen günstige Darlehen, mit denen sie einfache Unterkünfte für ihre Bevölkerung finanzieren können. Hilfsgelder alleine reichen nicht, um die Slumkrise zu bewältigen", sagt Tibaijuka. Ihr Ziel ist, dass die schon 1972 geschaffene Habitat-Stiftung mit ausreichend Kapital für solche Kredite ausgestattet wird. "In den Slums hat der Markt versagt. Wo die private Wirtschaft auftaucht, beutet sie die Ärmsten systematisch aus."

Tatsächlich leben in den Slums von Kibera mehr als eine Million Menschen auf einem Raum, der dem der sechs Golfplätze Nairobis entspricht. Mehr als vier von fünf Slumbewohnern zahlen für ihre Bretterbuden ohne Wasser, Abwasser oder Strom Miete. "Die ist so hoch, dass ein Vermieter im Slum nach neun Monaten seine Kosten gedeckt hat und Reingewinn macht." In anderen Vierteln der kenianischen Hauptstadt dauert das gut 15 Jahre. Auch prominente Politiker gehören deshalb - nicht nur in Kenia - zu den Großgrundbesitzern in den Slums.

Dass normale Mieterrechte in informell errichteten Siedlungen nicht gelten, macht das Geschäft noch lohnender. Wenn Slums aufgewertet werden, werden die Mieter durch zahlungskräftigere ersetzt. Wo Slums noch lohnenderen Bauprojekten im Weg stehen, reißen Bulldozer die Wohnstätten ohne Vorwarnung ein - wie zuletzt in Sambia und Simbabwe.

"Manche Regierungen wünschen sich Wolkenkratzer und glitzernde Business-Distrikte, aber wer seine Städte entwickeln will, muss seiner Bevölkerung erst mal ein Dach über dem Kopf verschaffen", sagt Tibaijuka. Mit solchen Thesen macht sich die UN-Ökonomin auch bei ihrer Hausmacht, den Entwicklungsländern, unbeliebt. Noch kritischer sind die Vertreter der Industrieländer. "Parteilichkeit zu Gunsten der Entwicklungsländer" machen europäische Delegierte bei UN-Habitat aus.

Seit Jahren fordern Länder wie Deutschland eine Fokussierung der kleinen Organisation. Dass Tibaijuka stattdessen eine Ausweitung auf Finanzgeschäfte propagiert, kommt ebenso schlecht an wie ihre Marktkritik. Beim Regierungsrat, der bis Freitag ein Strategiepapier für die nächsten Jahre verabschieden soll, zeichnet sich deshalb ein handfester Streit ab. Unklar ist, ob die Entwicklungsländer einer Strategie zustimmen, die ohne die Stiftung auskommt.

Ohne Zusammenhalt im eigenen Laden dürfte UN-Habitat es aber besonders schwer haben, eine existentielle Hürde zu nehmen: die UN-Reform, die die Zusammenlegung und Auflösung von UN-Organisationen vorsieht. In dieser Woche will Generalsekretär Ban Ki Moon einen neuen Entwurf vorlegen. Darin, so heißt es, kommen die Worte "Slums" und "Habitat" nicht mehr vor.

Samstag, 14. April 2007

In Mogadischu regiert die Angst





Der Waffenstillstand in Mogadischu war auf einmal vorbei: Im Norden der Hauptstadt Somalias krachten wieder die Kalaschnikows - nicht weit entfernt vom Stadion, wo seit 1991 kein Fußball mehr gespielt worden ist. Als die Kämpfe am nächsten Tag aufhörten, lagen Leichen in den Straßen. "Zwei hatten noch MGs in der Hand, als wollten sie gerade abdrücken", berichtet ein Augenzeuge. Doch von einem Aufflammen neuer Gefechte wie in den blutigen Tagen zwischen dem 29. März und dem 1. April will niemand etwas wissen. "Unsere Leute haben sich gegen Regierungstruppen verteidigt, den Waffenstillstand mit den Äthiopiern berührt das nicht", sagt Hussein Sijad, ein Ältester des Hawiye-Clans.

(Den ganzen Artikel lesen Sie mit einem Klick auf die Überschrift)

(Copyright Spiegel online, 14.4.2007)

Mittwoch, 11. April 2007

Hilfsprogramme ignorieren Klimawandel


Wenn im Amboseli-Nationalpark die Zebras vor dem schneebedeckten Kilimandscharo grasen, strahlt der Tourist - und mit ihm Kenias Reiseindustrie. Umgerechnet fast 525 Millionen Euro hat das ostafrikanische Land im vergangenen Jahr im Geschäft mit Urlaubern umgesetzt, so viel wie mit keinem anderen Wirtschaftszweig. Doch der Klimawandel droht das Geschäft schon bald zunichte zu machen. "Bis 2020 wird der Kilimandscharo eisfrei sein, und Zebras werden in vielen Gegenden Afrikas nicht mehr leben können", warnt Anthony Nyong vom Internationalen Forschungszentrum für Entwicklung in Nairobi, der das Afrika-Kapitel im Bericht des UN-Klimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) koordiniert hat.

Bis 2085 werden Nyong zufolge mehr als 40 Prozent der rund 5.000 bekannten Pflanzenarten aussterben, bei den Tieren soll die Hälfte des Bestandes verloren gehen: In Südafrikas Krüger- Nationalpark werden zwei Drittel aller Tiere verschwinden, glaubt Nyong, in Malawi würden Zebras und Antilopen zu Attraktionen der Vergangenheit.

Das ist auch für die in vielen Ländern noch junge Tourismusindustrie eine Katastrophe, die ein Lieblingskind der Entwicklungshilfe ist. "Der Klimawandel und seine Auswirkungen spielen in zu vielen Entwicklungsprojekten keine Rolle", kritisiert der Chef des UN-Umweltprogramms (Unep), Achim Steiner.

Der IPCC-Bericht zeichnet ein düsteres Bild vom Afrika der Zukunft: Seuchen breiten sich in bislang sichere Regionen aus, Dürren und Überflutungen führen zu Mangelernährung. Weil Brunnen und Flüsse austrocknen, könnten bis Ende des Jahrhunderts 1,8 Milliarden Afrikaner unter Wasserknappheit leiden, drei Viertel der prognostizierten Bevölkerung.

Vorsorgemaßnahmen würden das Schlimmste verhindern - die Kosten dafür schätzt Nyong auf bis zu 15 Prozent der Bruttosozialprodukte. "Aber bislang fehlt in den meisten afrikanischen Staaten das Bewusstsein, wie wichtig diese Investitionen wären." Wenn der Klimawandel jedoch die ohnehin fragile wirtschaftliche Basis erschüttert, wird auch noch das Geld fehlen. Das gilt auch in der Landwirtschaft, einem weiteren Top-Devisenbringer. Kokos- und Palmöl-Plantagen an den Küsten Benins und der Elfenbeinküste würden vom vorhergesagten Meeresspiegelanstieg ebenso weggeschwemmt wie Reisfelder in Guinea. Mindestens vier Prozent des Bruttosozialprodukts sollen allein in Westafrika durch Krisen im Agrarbereich verloren gehen. "Afrika ist weder vorbereitet noch in der Lage, die massiven Folgen des Klimawandels zu schultern", bilanziert Steiner. Doch dass der Westen die Kosten für die Vorsorge übernimmt, hält Nyong für unwahrscheinlich. "Solange keine sterbenden afrikanischen Kinder zu sehen sind, fließt auch kein Geld." So habe Mosambik ein Jahr vor den Fluten im Jahr 2000 erfolglos um zehn Millionen Dollar für den Bau von Dämmen geworben. "Erst als Hunderte in den Fluten gestorben waren, floss Geld - hunderte Millionen."

Deshalb setzen Afrikas Klimaschützer zunehmend auf Strategien jenseits der Regierungen. "Lokale Farmer haben traditionelle Wege, ihre Ernten vor Wetterextremen zu schützen, die wir wiederentdecken müssen", sagt Nyong.

(Copyright die tageszeitung, 11.4.2007)

Dienstag, 3. April 2007

Wieder Krieg in Mogadischu


In den 16 regierungslosen Jahren seit der Vertreibung des Diktators Siad Barre haben die Bewohner Mogadischus einiges überstanden. Verfeindete Clans und ihren Untergruppen, die die Grundstruktur der somalischen Gesellschaft bilden, zerlegten Altstadt und Regierungsviertel schon Anfang der 90-er Jahre in Schutt und Asche. Die Stadt versank in Anarchie. Warlords, Geschäftsleute mit Privatarmee, lieferten sich immer neue Kämpfe und terrorisierten die Bevölkerung. Doch so schlimm wie jetzt, so das Internationale Rote Kreuz, war es in Somalias Hauptstadt noch nie.

Hunderte sind seit vergangenem Donnerstag ums Leben gekommen, darunter viele Zivilisten. Leichen verwesten in den Straßen. Die Verletzten, die sich in die Krankenhäuser retten konnte, wurden allenfalls notdürftig behandelt. Die meisten verschanzten sich selbst mit schweren Wunden noch in ihren Häusern. Gut 100.000 sind in den vergangenen Monaten aus Mogadischu geflohen, schätzen die UN: Die Hälfte davon in den vergangenen 10 Tagen, seit die mit der somalischen Übergangsregierung verbündete äthiopische Armee schweres Geschütz aufgefahren und mit ihrer “Offensive gegen Islamisten” begonnen hat.

Dabei stehen den regierungstreuen Truppen längst nicht mehr nur die Sympathisanten der Ende Dezember vertriebenen “Union islamischer Gerichtshöfe” gegenüber. Spätestens als Panzer und Hubschrauber am Donnerstag Märkte und Wohnviertel bombardierten, in denen der Hawiye-Clan seine Hochburgen hat, kämpfen Clan-Milizen Seite an Seite mit den Islamisten, deren genaue Zahl und Organisationsstruktur ohnehin ungewiss ist. “Was in Mogadischu derzeit stattfindet, ist ein gegen die Zivilbevölkerung gerichtetes Blutbad”, erklärte Hawiye-Sprecher Achmed Direi Ali am Wochenende.

Hawiye und Äthiopier sehen sich spätestens seit dem Krieg im ostäthiopischen Ogaden (1976- 1978), der von ethnischen Somalis bevölkert ist und den sich Diktator Barre einverleiben wollte, als Todfeinde. Die Hawiye waren außerdem die Architekten hinter dem Erfolg der islamischen Gerichtshöfe, die als erste Kraft seit Barres Diktatur eine Art Stabilität in Mogadischu garantierten – bis der aus dem Norden stammende Präsident Abdullahi Jusuf und die Äthiopier ihrer Herrschaft ein Ende machten.

Die Äthiopier genießen ihrerseits massiven Rückhalt aus den USA, die in Somalia einen neuen Schauplatz ihres globalen “Anti-Terror-Kriegs” sehen. Der für Somalia zuständige US-Botschafter in Kenia, Michael Ranneberger, verteidigt die Gefechte damit, dass die bekämpften Islamisten Verbündete des al-Kaida Netzwerks seien. “Somalia hat trotz der Kämpfe die beste Chance seit fast zwei Jahrzehnten auf dauerhaften Frieden.”

Die USA sind nicht nur mit ihrer Luftwaffe, die Anfang des Jahres Ziele im Süden Somalias bombardierte, direkt am Krieg beteiligt. Die Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” hat mindestens 85 Fälle ausgemacht, in denen Flüchtlinge aus Somalia verschleppt, von US-Geheimdiensten verhört und in äthiopischen Gefangenenlagern verschwunden sind. “Niemand weiß, wo die Deportierten heute stecken”, sagt die Menschenrechtlerin Georgette Gagnon.

Trotz eines eilig zusammengezimmerten Waffenstillstands, dem zweiten in ebenso vielen Wochen, scheinen die Äthiopier entschlossen, die Hawiye militärisch zu besiegen. Nachschubtruppen, schweres Gerät und frische Munition warten seit Sonntag in Mogadischu auf ihren Einsatz. Die Hoffnung, dass die Friedensmission unter Mandat der Afrikanischen Union die Gewalt stoppen könnte, hat niemand mehr. Die gut 1.500 ugandischen Soldaten, die auf eine ungewisse Verstärkung warten, haben bislang nicht in die Kämpfe eingegriffen.

(Copyright epd, 3.4.2007)