Donnerstag, 19. April 2007

Korruption und Schattenwirtschaft


In Uyo ist nicht viel vom Ölreichtum zu merken, der im gut eine Auto stunde entfernten Nigerdelta aus dem Boden gepumpt wird. Nigeria fördert mehr als zwei Milliarden Barrel Rohöl im Jahr und ist Afrikas größte Ölfördernation. Doch an den Tankstellen der Landeshauptstadt von Akwa Ibom ist wieder einmal der Sprit ausgegangen. Diesel wird in große Kanister abgefüllt, die vor den Zapfsäulen aufgereiht auf Verkäufer warten. „Der ist für die Generatoren, weil hier praktisch ständig der Strom ausfällt“, erklärt der 17-jährige Yakubu, während er einen Kanister nach dem anderen unter die Benzinpistole schiebt. „Die Energiekrise in Nigeria ist schlimmer als je zuvor“, weiß der Umweltschützer Edifi Effjong, der nicht weit von Port Harcourt entfernt im Öldelta groß geworden ist. Manche Felder sind schwarz vom Öl, das seit Jahren aus undichten Pipelines leckt. „Es wird nie richtig dunkel, weil das abgefackelte Gas die Nacht zum Tag macht.“

Öldiebstahl ist der einzige Weg, wie die vernachlässigte Bevölkerung im Delta zumindest einen Teil der Petro-Milliarden für sich abzweigt. Pipelines werden angebohrt und Öl in Kanister und Tanker abgezapft. Immer wieder kommen ganze Familien ums Leben, wenn sich die austretenden Gase plötzlich entzünden. Doch das Risiko gehen die Menschen ein: Abgezweigtes Öl ist ein lohnendes Geschäft. Bis hinauf in den hohen Norden Nigerias, aber auch in den Nachbarländern Benin und Kamerun wird nigerianisches Öl und Benzin, abgefüllt in Colaflaschen, am Straßenrand ver kauft.

Verschwundene Millionenbeträge

Die wahren Gewinne fließen in die Taschen der Politiker im Land. Dass sich das nach den Wahlen an diesem Samstag ändert, glaubt kaum jemand in Nigeria – auch wenn erstmals in dem immer wie der von Militärputschen erschütterte Land eine zivile Regierung von der nächsten abgelöst werden soll. Laut Transparency International ist kaum ein Land so korrupt wie Nigeria. Wer an der Macht ist, bedient sich – schon ist von einer „Kleptokratie“ die Rede. „Die Mächtigen schieben phantastische Beträge hin und her, während Nigeria nach und nach verfällt“, staunt Shina Loremikon vom nigerianischen Zero Corruption Network. Nichts ölt das korrupte Getriebe so sehr wie die Milliarden, die von den internationalen Ölkonsortien zuverlässig auf die Regierungskonten überwiesen werden. 95 Prozent der Deviseneinnahmen Nigerias stammen aus dem Ölgeschäft.

Zwischen 1999 und 2004 zahlten die im Land aktiven Ölkonzerne auf zwei Konten bei der New Yorker Bank JP Morgan ein. Von dort sollte das Geld auf verschiedene staatliche Unterkonten zurück fließen. Doch 232 Millionen US-Dollar, so stellten britische Rechnungsprüfer der Hart-Gruppe im Auftrag von Nigerias Re gierung fest, verließen in dieser Zeit zwar die New Yorker Konten, kamen aber nie im Staatshaushalt an. Wohin sie verschwunden sind, ist bis heute unklar.

Richtige Zeit, richtiger Ort

In den Korruptionsaffären in der politischen Chefetage, die Nigeria seit Beginn des Wahlkampfs erschüttern, geht es stets um die Gewinne aus dem Nigerdelta. Etwa bei Vizepräsident Atiku Abubakar, der der staatlichen Korruptionsbehörde EFCC zufolge mehr als 120 Millionen Euro aus einem staatlichen Öl-Entwicklungsfonds ungeniert auf sein Konto überweisen ließ.

Multimillionär Abubakar, der sein Vermögen „durch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“, gemacht haben will, weist den Vorwurf als politisch motiviert zurück. Seit Abubakar eine Verfassungsänderung verhindert hat, die Präsident Olusegun Obasanjo eine dritte Amtszeit ermöglicht hätte, sind die beiden Politiker Intimfeinde.

Doch auch Obasanjo selber steht am Pranger. Ein Parlamentskomitee stellte fest, dass Obasanjo mehr als 20 Millionen Euro aus dem gleichen Fonds illegal für Projekte der Regierung missbraucht hat. Zudem soll er sich vom Präsidentensessel aus lukrative Ölfelder und andere Staatswerte für einen von ihm und seinen Verbündeten kontrollierten Konzern gesichert haben. Der Präsidentenpalast in der Hauptstadt Abuja erschien Obasanjo der richtige Ort, um im Juli 2005 die Gründung der Transnational Corporation of Nigeria, kurz Transcorp, zu feiern. Seitdem hat Transcorp die Kontrolle der einst staatlichen Telekom, den staatlichen Mobilfunk betreiber MTel und das Hilton-Hotel Abuja übernommen. Neben den Ölfeldern hat Transcorp auch den Auftrag erhalten, eine neue Raffinerie und ein Riesenkraftwerk zu errichten – alles heiß umkämpfte Aufträge. Transcorp, so heißt es an der nigerianischen Börse in Lagos, genieße „bevorzugte Behandlung von ganz oben“. So habe das Unternehmen 75 Prozent Anteile an der Telefongesellschaft für einen Spottpreis erworben, ob wohl nur 51 ausgeschrieben waren. „In anderen Fällen haben Angebote von Transcorp schon vorgelegen, bevor es überhaupt Ausschreibungen gab“, weiß ein Händler. Genannt werden will er nicht: Der Vorstandsvorsitzende von Transcorp, Ndi Okereke-Onyiuke, ist zugleich der Börsenchef.

Knapp zwei Jahre nach seiner Gründung ist das mehr als eine Milliarde Euro schwere Konglomerat der achtgrößte Konzern Afrikas, wenn man südafrikanische Unternehmen außer Acht lässt. Der Wert der Transcorp-Aktie hat sich seit der Ausgabe verachtfacht. Der Präsident verdient daran kräftig mit. Denn Obasanjo selbst hält ein Aktienpaket, das zwischen 200 und 600 Millionen Stück schwer sein soll. Unklar ist allerdings, woher Obasanjo das Geld für seinen Aktienkauf hatte. Korruptionsbekämpfer Loremikon, der Transcorp einen „bemerkenswerten Mechanismus zum Absaugen von Staatsgeld“ nennt, sieht Beweise dafür, dass die privaten Aktien mit Staatsgeldern bezahlt wurden.

Paten übernehmen die Kontrolle

Transcorp gilt als eine der Machtbasen, die sich Obasanjo für die Zeit nach der Präsidentschaft gesichert hat. Eine weitere sind die von ihm handverlesenen Kandidaten für seine Nachfolge, die als unkritische Obasanjo-Jünger gelten. Weder Umaru Musa Yar’Adua noch sein Mitstreiter Jonathan Goodluck sind politisch profiliert. Sie sind nicht reich und sie haben selbst innerhalb der eigenen Partei keinen Rückhalt – sind also ohne Obasanjos Unterstützung verloren. Hinter den Kulissen kann Obasanjo so weiter die Fäden ziehen, auch wenn er abgetreten ist.

Ohne Geld keine Macht, ohne Macht kein Geld – diese Gleichung gilt überall in Nigerias verzweigter Politik. Politische Amtsinhaber mit Zugriff auf Staatsressourcen machen inzwischen den traditionellen Strippenziehern Konkurrenz, reichen Geschäftsleuten, die als politische „Paten“ die Kontrolle über Politiker von ihren Gnaden übernehmen. Wer nach der Wahl versucht, den Einfluss der Paten zu begrenzen, kann sein Amt schnell verlieren: So ging es Rashidi Ladoja, der 2003 zum Gouverneur in der Provinz Ojo gewählt wurde. Als Ladoja im Anschluss an den Urnengang nicht zuließ, dass sein Gönner 13 der 15 Ministerposten bestimmte, enthob das Parlament den Gouverneur des Amtes. Der „Pate“, ein Businessman namens Lamidi Adedibu, hatte die richtigen Strippen gezogen und vor allem die richtigen Summen gezahlt.

Wo so viel Geld verschoben wird, bleibt für den Staat oder die 60 Millionen Wähler kaum etwas übrig. Ein paar hundert Naira, umgerechnet wenige Euro, können immerhin die Banden machen, die von Politikern als Schlägertrupps angeheuert werden. Die meist arbeits- und perspektivlosen Jugendlichen sollen Wahlkampfauftritte des Gegners aufmischen und Ähnliches beim eigenen Kandidaten verhindern. Dutzende Menschen sind seit November im Zusammenhang mit den Wahlen ums Leben gekommen, mehr als 20 allein am Wochenende vor der Wahl. „Angst vor Konsequenzen muss keiner von uns haben“, sagt einer der Gelegenheitsschläger in Calabar, zwei Stunden von Uyo entfernt. „Das ist ein Job wie jeder andere, und wir werden ordentlich ausgerüstet und bezahlt.“ Im ganzen Öldelta hat die Gewalt während des Wahlkampfs drastisch zugenommen. Lokale Politiker sollen direkt an den Entführungen von 50 ausländischen Ölarbeitern allein seit Jahresbeginn beteiligt sein. „Die Lösegelder sind direkt in politische Kampagnen geflossen“, berichtet ein Menschenrechtler aus der Region. Ob im volatilen Delta überhaupt freie und faire Wahlen stattfinden werden, ist unterdessen ungewiss: Die EU hat bereits angekündigt, dass sie wegen der unsicheren Lage keine Wahlbeobachter dorthin entsenden will.

(Copyright Rheinischer Merkur, 19.4.2007)