Mittwoch, 19. November 2008

Fette Piratenbeute


Der 330 Meter lange Riesentanker "Sirius Star" ist eines der größten und modernsten Schiffe der Welt. Erst vor wenigen Monaten lief er vom Stapel und galt als absolut piratensicher. Selbst wenn der Tanker wie auf seiner jüngsten Fahrt mit voller Ladung tief im Wasser liegt, befindet sich die Reling immer noch so weit über dem Meeresspiegel wie ein mittleres Hochhaus. Noch nie ist ein Schiff dieser Größe Opfer von Piraten geworden. Doch mehr als 1.000 Kilometer von Somalias Küste entfernt, in Gewässern, wo zum ersten Mal somalische Piraten gesichtet wurden, griff eine Bande nun zu und machte den Fang ihres Lebens: An Bord der "Sirius Star" befinden sich zwei Millionen Barrel Öl, geschätzter Wert: mehr als 70 Millionen Euro. "Die haben den Jackpot geknackt", sagt Andrew Mwangura von Kenias Seafarer Association, der die Piratenüberfälle aufmerksam beobachtet.

Selbst der ranghöchste US-Militär in der Region, Marineadmiral Mike Mullen, ist beeindruckt: "Die sind wirklich gut. Gut bewaffnet und taktisch geschickt." Vermutlich von einem ebenfalls gekaperten nigerianischen Frachter aus gelang es den Piraten, an Bord des Tankers zu kommen. "Und wenn die erst mal drauf sind, kann man eh nichts mehr tun - dann haben sie ja die Geiseln in ihrer Gewalt", sagt Mullen. Die 25 Besatzungsmitglieder stammen nach Angaben der saudischen Eigner aus Großbritannien, Kroatien, Polen, den Philippinen und Saudi-Arabien.

Das US-Militär verfolgte zwar den Weg der "Sirius Star" an die nordsomalische Küste am Dienstag, ein militärisches Eingreifen wurde aber nicht in Erwägung gezogen, sagte ein Armeesprecher in Dschibuti, wo die US-Marine ihren Stützpunkt hat. Doch es scheint kaum vorstellbar, dass die USA die neue Dimension der Piraterie einfach hinnehmen werden. Nicht nur, weil das Öl an Bord der "Sirius Star" für die USA bestimmt war. Die anhaltenden Überfälle auf einer der bedeutendsten Schifffahrtsrouten der Welt, auf der jährlich 20.000 Schiffe zwischen Asien, Europa und den USA unterwegs sind, gefährden das Rückgrat der kriselnden Weltwirtschaft.

Derzeit befinden sich ein Dutzend Schiffe und 250 Besatzungsmitglieder in der Hand von somalischen Piraten. Nach dem Überfall auf die "Sirius Star" gilt es als noch wahrscheinlicher, dass große Reedereien den Golf von Aden meiden und im großen Bogen die Alternativroute um das Kap der Guten Hoffnung einschlagen. Das würde jedoch drei Wochen mehr Reisezeit und damit eine Verteuerung so gut wie aller auf der Strecke bewegten Importgüter bedeuten.

Doch auch das bisher deutlichste Zeichen eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Piraten, drei Kriegsschiffe unter Nato-Befehl, denen im Dezember eine EU-Mission folgen soll, haben bisher das Geschäft mit der Piraterie nicht stoppen können. Zu groß ist die Anziehungskraft der Boombranche im ansonsten in Schutt und Asche liegenden Somalia, das seit 1991 keine Regierung, keine Polizei und auch keine Küstenwache mehr hat. Wo noch vor zwei Jahren allenfalls armselige Fischerhütten standen, bauen die neureichen Piraten heute Villen. Vor den Baustellen parken Geländewagen der Luxusklasse. Kein anderes Geschäft ist derzeit so lukrativ, und die Gefahr schreckt im bürgerkriegsgeschüttelten Somalia niemanden. Im semiautonomen Puntland ist die Piraterie so zum mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. Fünfzig Millionen Dollar Lösegeld, so die Prognose allein für dieses Jahr, sind doppelt so viel wie der Etat der puntländischen Regierung.

In Piratennestern wie Eyl, das Piraten schon seit Jahren als Unterschlupf dient, hat sich eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt: Sobald die eigentlichen Piraten - selten mehr als zehn Mann - ein neues Schiff gekapert haben, läuft eine wohl geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist, der nur Mohammed genannt werden möchte. "Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die ankommende Besatzung zu warten." Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern. Im Dorf warten Köche darauf, das lukrative Catering für die Geiseln zu übernehmen. "Wer schießen kann, übernimmt Wache: gut 50 auf dem Schiff, noch mal 50 davor." Jeder Helfer wird entlohnt, sobald das Lösegeld fließt.

Doch auch die Piraterie hat, wie alles in Somalia, einen politischen Hintergrund. Jedes Lager verdient mit am Millionengeschäft: Harardere, wo die "Sirius Star" am Dienstag angeblich festmachte, ist das Territorium des berüchtigten Warlords Mohammed Abdi Hassan Afweyne, der sich in Interviews gerne mit seinen erfolgreichen Schiffsentführungen brüstet. Im Hauptberuf rüstet Afweyne befreundete Warlords wie Hussein Farah Aydid mit Waffen aus Eritrea auf, die gegen die Übergangsregierung und ihre äthiopischen Verbündeten eingesetzt werden. Aufseiten der Übergangsregierung von Präsident Abdullahi Yusuf, der aus Puntland stammt, koordiniert der Geschäftsmann Mohammed Jama Furuh das Geschäft mit der Piraterie. Von den Islamisten verjagt, die mittlerweile weite Teile Somalias zurückerobert haben, baute Yusuf den Geschäftsmann Furuh wieder auf.

Die Millionen aus den Lösegeldern haben zudem eine neue, dritte Kraft aufgebaut, deren politische Zugehörigkeit vorerst noch unklar ist. Doch fest steht: Mit ihrem Geld und den vermutlich modernsten Waffen am Horn von Afrika ist ihr Einfluss groß. Und mit jeder Entführung wächst er weiter.

(Copyright die tageszeitung, 19.11.2008)

Samstag, 1. November 2008

Wir werden Präsident


"Neue Häuser brauchen wir", sagt einer der Bauern, die in Kogelo jeden Abend an der Bar stehen, einer aus Brettern zusammengenagelten Bude. "Im Heimatdorf des US-Präsidenten können wir doch nicht in Grashütten leben." In dem kleinen Dorf im Westen Kenias, wo die traditionell gebauten Hütten den staubigen Feldweg säumen und auf dem Marktplatz Ziegen meckern, fühlt man sich bereits als kollektiver Sieger. "Wir werden US-Präsident" heißt es dort, wo Barack Obamas Vater geboren wurde und begraben liegt und Obamas Großmutter bis heute ihren Mais anbaut.

Dass Obama seine "Heimat" erst kennenlernte, nachdem sein Vater gestorben war, und auch dann nur kurz, tut seiner Popularität hier keinen Abbruch. Im Gegenteil, sagt der Direktor der Dorfschule, Manas Njuyo: "Wenn wir nur ein Bild von ihm sehen, sind wir begeistert und freuen uns." Njuyos Schule heißt längst Obama-Schule, was ihre Beliebtheit deutlich vergrößerte. Seitdem sitzen nicht mehr 40, sondern 60 Kinder in einer Klasse. Auf den meisten Marktständen in Kogelo prangt Obamas Name, ungezählte Lieblings-Kühe, -Ziegen und -Hühner sind nach dem "verlorenen Sohn", wie ihn Kenias größte Tageszeitung Nation taufte, benannt.

Die 86-jährige Oma Sarah Obama hat schon früh wissen lassen: Wenn ihr Enkel es schafft, dann will sie bei der Amtseinführung im Weißen Haus dabei sein. "Ich kann doch auf keinen Fall verpassen, wenn mein Enkel Präsident der Vereinigten Staaten wird."

So viel Vorfreude steckt an. Weil die Welt inzwischen weiß, dass Obama eine Oma in Afrika hat, will die Welt auch live dabei sein, wenn sie am Mittwoch einen Freudentanz aufführt - oder ein langes Gesicht macht. Das glauben jedenfalls die Planer in den Redaktionen der großen Zeitungen, der Radio- und Fernsehanstalten aus aller Welt, die ihre Korrespondenten in die westkenianische Einöde beordert haben. "Das Imperial ist vollkommen ausgebucht", bescheidet der Portier im edelsten Hotel der nächstgelegenen größeren Stadt Kisumu jedem Anrufer. Grashütten zu filmen ist gut, übernachten will man lieber woanders.

"Da kommen mehrere hundert", prophezeit ein Techniker des britischen Rundfunksenders BBC, der das gesamte Dorf bereits vermessen hat. Ü-Wagen, mobile Schnittstudios oder fahrbare Satellitenschüsseln müssen nur noch ihren auf dem Plan eingezeichneten Parkplatz finden. "Dann norden die sich ein, und fertig ist die Laube", sagt der BBC-Mann.

Das Staunen über die blitzende Technik ist den Dorfbewohnern, von denen die meisten nicht mal ein Radio besitzen - geschweige denn Strom - längst vergangen. Die Journalisten aus dem Ausland sind "big business", darüber sind sich am Kneipentresen alle einig. Oder zumindest das einzige Business weit und breit, wo man "kidogo" - ein klein wenig - verdienen kann.

Wer wissen will, wo wie und wann Obama bei einem seiner Besuche gestanden, gesessen oder gelegen hat, der findet mit Sicherheit einen ortskundigen Führer, der mit Feuer und Flamme bei der Sache ist. Denn obwohl in Kogelo in den vergangenen Monaten immer mal wieder so viele Kamerateams herumstanden wie auf einem mittleren Hollywood-Set, ist den Bewohnern die gute Laune nicht vergangen.

"Die Welt soll sehen, wie wir uns freuen", ruft Henry, ein junger "Businessman" mit Fahrrad, dem kenianischen Privatsender KISS FM ins Mikro, der schon seit Tagen im Dorf präsent ist. Klar, irgendwie fand er es schon komisch, als kürzlich aus dem Nichts ein Scheinwerfer aufflammte und die Szenerie unter einem großen Mangobaum am Rande Kogelos erhellte, wo er gerade mit seiner Freundin knutschte. "Überall sind Kameras, alles wird gefilmt, und dann gibt es noch die Journalisten, die mit ihren Notizblöcken durch die Gegend streifen und nach irgendetwas suchen, was noch niemand aufgeschrieben hat", sagt Henry. Ein Dorf unter Belagerung sei Kogelo irgendwie, aber: "Cool ist es trotzdem." Wenn Obama gewinnt, will Henry feiern, "drei Tage und drei Nächte lang".

Die engere Familie hat sich unterdessen hinter den Zaun mit Pfeilern aus Beton zurückgezogen, der Oma Sarah Obamas Haus seit Neuestem umgibt. Neben dem schweren Tor stehen zwei Zelte für die sieben kenianischen Polizisten, die das Haus seit dem versuchten Einbruch bei Oma Sarah Anfang September rund um die Uhr bewachen. Auch Barack Obama ist da, als lebensgroße Pappfigur.

Das mediale Herz von Kogelo ist Familiensache: Wer Obamas Oma interviewen möchte, muss einen Übersetzer aus dem engeren Familienkreis akzeptieren. Bezahlen muss man dafür nicht. Gestritten wird in der Familie derzeit noch darüber, wo die 85-Jährige nach der Wahl auftreten soll: vor ihrem Haus, oder doch lieber drinnen. Bis das Ergebnis vorliegt, herrscht ohnehin Funkstille, gab Familiensprecher Said Obama, ein Onkel des Präsidentschaftskandidaten, gerade bekannt: "Wir wollen nicht, dass die Medien mit Aussagen der Familie den Ausgang der Wahl beeinflussen." Ein bisschen genervt sieht der hochgewachsene, hagere Mann dabei aus. Kein Wunder, schließlich ist nicht jeder Korrespondent so freundlich wie die kanadische Reporterin, die Oma Obama erstmal eine Handcreme aus dem westafrikanischen Mali überreichte.

Als im Vorwahlkampf - es war am Super-Tuesday - zwischen gut zehn Korrespondenten fast eine Prügelei darüber ausbrach, wer die fragile Oma zuerst interviewen dürfe - sie selbst war freilich nie gefragt worden -, riss Obamas Onkel Said erstmals der Geduldsfaden: "Wir bitten Sie, uns Ihren Besuch zumindest anzukündigen", sagte er damals.

Auch in Kenias Hauptstadt Nairobi ist Obama ein Star. Das dort gebraute "Senator"-Bier ist zum Lieblingsgetränk in den Slums avanciert. "Bitte ein Obama", so bestellt man die warmen Flaschen jetzt korrekt. "Vielleicht wird die Marke ja bald umbenannt und heißt dann President", spekuliert John, ein Souvenirverkäufer in der Innenstadt. Im Dauerstau auf Nairobis Straßen bietet er den Autofahrern längst nicht mehr den üblichen Krimskrams an, sondern T-Shirts mit der Aufschrift: "I love Obama". "Ein Bombengeschäft", sagt John. Aufkleber hingegen verkaufen sich nicht so gut, was daran liegen mag, dass fast jeder Autofahrer schon mindestens einen auf seinem Wagen kleben hat.

Der neueste Hit in Nairobi sind Karten für das Musical "Obama", das am Samstag Premiere in Kenias Staatstheater feiert und für das sich der Komponist George Orido von Obamas Lebensgeschichte inspirieren ließ. Die wenigen Vorstellungen über "Das Leben eines kenianischen Amerikaners in Tanz, Musik, Worten und Gesang" sind bis zum Wahltag schon ausverkauft.

Kein Wunder, dass auch Kenias generell eher ungeliebte Politiker sich im Erfolg von Obama sonnen wollen. Premierminister Raila Odinga, der nicht weit von Kogelo entfernt geboren ist, ließ kürzlich lancieren, er und Obama seien verwandt. Vor zwei Wochen dann schwebte er unangekündigt per Helikopter bei Oma Obama ein, die Medien hatte er gleich mitgebracht. Kein Pardon kennt die Regierung mit Obamas Kritikern: Als der Amerikaner Jerome Corsi sein Buch "Obama-Nation: Linke Politik und Personenkult" in Nairobi vorstellen wollte, wurde er noch am Flughafen abgeführt. Stundenlang saß er fest. "Wir wissen auch nicht, was wir mit ihm tun sollen", sagte ein Immigrationsbeamter. Irgendwo, angeblich ganz oben, fiel dann die Entscheidung: Corsi wurde ausgewiesen. Obamas Feinde sind in diesen Tagen auch Kenias Feinde.

In Kogelo ist man unterdessen schon dabei, für die Zeit nach der Wahl zu planen. Viele dort hoffen, dass der durch die Wahlberichterstattung noch einmal steigende Bekanntheitsgrad Kogelos das Dorf zu einem Ziel für Touristen machen wird. Für eine "etwas andere Safari" in die "Heimat" Barack Obamas, so sagen Reisebüro-Mitarbeiter in Nairobi jedenfalls, habe es schon so einige Anfragen gegeben.

(Copyright Berliner Zeitung, 4.11.2008)