Mittwoch, 12. Mai 2010

Massenflucht aus einem Land ohne Staat


Heftige Kämpfe zwischen Rebellen und der Armee haben im Norden der Zentralafrikanischen Republik eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind alleine in den vergangenen Tagen mehr als 1.000 Zentralafrikaner jenseits der Grenze im Süden Tschads registriert worden. Das Parlament in der Hauptstadt Bangui hat wegen der Unruhen gerade die für Sonntag geplanten Wahlen abgesagt.


Die Kämpfe zwischen der Armee und Rebellen der ‚Demokratischen Front des Zentralafrikanischen Volkes’ (FDPC) nehmen seit Wochen an Intensität zu. „Die lokale Bevölkerung wird von allen Konfliktparteien vertrieben, von Rebellen, von Regierungssoldaten oder schlicht von Banditen“, weiß Annette Rehrl, UNHCR-Sprecherin im Süden Tschads. Ihren Zahlen zufolge leben 70.000 zentralafrikanische Flüchtlinge in Lagern im Tschad, dazu kommen geschätzte 330.000 Vertriebene im eigenen Land. Eine Lösung des seit Jahren immer wieder aufflammenden Dauerkonflikts ist nicht in Sicht, glaubt Edward Dalby von der International Crisis Group. „Die jüngste Gewaltwelle geht auf das Konto einer zersplitterten Rebellengruppe, in der es keinerlei Disziplin mehr gibt“, erklärt er. „Die Rebellen haben aus Frust über den verschleppten Friedensprozess damit begonnen, willkürlich Menschen zu entführen und zu foltern.“ Dass die wenigen unterbezahlten und zudem schlecht ausgerüsteten Regierungssoldaten den Rebellen tatsächlich Einhalt gebieten können, ist unwahrscheinlich. Schließlich scheinen selbst die Truppen der UN-Mission MINURCAT hilflos: Ende November etwa wurden zwei französische Helfer von Rebellen entführt, obwohl sie Geleitschutz von MINURCAT-Soldaten hatten.

Die Dauerkrise in der Zentralafrikanischen Republik, wo auf einer Fläche Frankreichs und Belgiens gerade einmal vier Millionen Menschen leben, ist eine humanitäre Tragödie auf Raten. Vor anderthalb Jahren, als fünf Rebellengruppen und die Regierung des Putschisten François Bozizé sich auf einen ‚nationalen Dialog’ einigten, schwiegen die Waffen für ein paar Monate. Dann wurde wieder gekämpft. Inzwischen ist das Land so unsicher, dass das Parlament am Montag die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschob. Bis das Land sicher genug ist, soll Präsident François Bozizé an der Macht bleiben, der sich dort 2003 hingeputscht hat. 2005 ließ er sich wiederwählen, seine Amtszeit wäre - ohne die vom Parlament beschlossene Verlängerung - Anfang Juni ausgelaufen. Doch das Land, das einst von Kaiser Bokassa regiert wurde, hat ohnehin noch nie einen demokratischen Machtwechsel erlebt.

Wer in der Hauptstadt Bangui mit Regierungsvertretern spricht, die streng auf ihre Anonymität achten, gewinnt zudem das Gefühl, dass man das Land jenseits der Stadtgrenze längst aufgegeben hat. „Das Hinterland wird beherrscht von Rebellengruppen und Straßenräubern“, erklärt auch Peter Weinstabel, der in Bangui die deutsche Botschaft vertritt. Deshalb sei die Zentralafrikanische Republik, in der es neben Gold und Diamanten hunderte andere wertvolle Mineralien gibt, eines der ärmsten Länder der Welt. „Die Instabilität hält jeden Investor ab.“ Verfall und Stagnation sind an jeder Straßenecke zu beobachten. Überall bröckelt der Putz, die wenigen Straßen sind voller Schlaglöcher, an jedem zweiten Haus das Dach eingestürzt. Vor zehn Jahren hatte die Republik noch gut 500 Unternehmen, sagt Weinstabel, heute seien es noch fünfzig. „Und von denen funktionieren vielleicht zehn.“ Eine kleine Elite lebe von den Ressourcen, die vor zwanzig, dreißig Jahren erwirtschaftet worden seien. Erneuert werde nichts.

Wo der Staat das Land als ungeschützte Hülle zurücklässt, machen sich Invasoren wie die Lumpensoldaten der ugandischen ‚Widerstandsarmee des Herrn’ (LRA) breit. Ihre Übergriffe, weiß Muriel Cornelis, Direktorin der Abteilung für humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission in Bangui, nehmen zu. „Die LRA ist verzweifelt, ihre Rebellenkämpfer brauchen alles: Nahrung, Kleidung, Unterkunft.“ Augenzeugen berichten von niedergebrannten Dörfern, vergewaltigten Kindern und Opfern, denen die Lippen oder Ohren abgeschnitten worden sind. In den Dörfern, wo die LRA zuschlägt, gibt es keine Polizei. Selbst die Flucht ist schwierig, weil es im ganzen Land nur 700 Kilometer asphaltierte Straßen gibt. Manchmal müssen die Flüchtigen wochenlang im Wald aushalten und von dem leben, was sie dort finden. „Das hier ist keine Krise im normalen Sinn“, gibt die Belgierin Cornelis zu. „Die Vertreibungen sind schlimm, aber immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau.“ Dennoch seien die Gesundheitsversorgung, der Zugang zu Trinkwasser und Nahrung oder gar zu Bildung so katastrophal wie in Ländern, wo ein heftiger Bürgerkrieg tobe oder sich eine Naturkatastrophe ereignet habe. „Das liegt daran, dass es im Land seit 20, 30 Jahren keine Regierung, keine Ordnung mehr gibt.“

Humanitäre Hilfe ist dementsprechend schwierig. Im Norden, wo die Lage so kritisch ist, haben sich ebenso wie im Nordosten die Hilfsorganisationen längst zurückgezogen. Im Geheimen befürchten manche, was passiert, wenn die Regierungsarmee ihren Kampf gegen die Rebellen gewinnt. Denn in manchen Landesteilen sorgen nur noch sie für relative Stabilität.

Sonntag, 11. April 2010

Die Jungen haben die Schnauze voll


Die Opposition hatte gerade ihren Boykott angekündigt, da marschierten die Jugendlichen von Girifna bereits mit Transparenten vor der Zentrale der Wahlkommission in der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf. "Wir wollen freie Wahlen", stand auf ihren Transparenten", oder auch nur: "Girifna", sudanesisch-arabischer Dialekt für "Wir haben die Schnauze voll". Wenn die Wahlen, die am Sonntag im Sudan beginnen werden, etwas Gutes haben, dann, dass sich erstmals eine zivilgesellschaftliche Opposition gegen den vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher gesuchten Präsidenten Omar al-Bashir regt.

Klare Worte, glaubt Siraj Omar, sind der Schlüssel, um möglichst viele Sudanesen davon zu überzeugen, dass al-Bashir nicht gewinnen darf. "Wir versuchen, die Leute in einer Sprache zu erreichen, die sie verstehen", sagt der Mitgründer von Girifna, einer Organisation, die sich für die Ablösung Bashirs engagiert. Vor einigen Monaten von einer Handvoll Studenten gegründet, hat sie stetig neue, mehrheitlich junge Anhänger gewonnen. Die Spitzenkandidaten der Opposition, zumeist Politgrößen vergangener Jahrzehnte und jenseits der siebzig, hätten verlernt, wie man die Massen erreicht, meint Omar.

Die meisten oppositionellen Parteien und Bewerber haben sich überdies in den letzten Tagen zurückgezogen und den Boykott erklärt. Dass Bashir die Wahl gewinnt, steht außer Frage. Dennoch gibt der 21-jährige Omar nicht auf. "Wir wollen politischen und sozialen Wandel, bei den Wahlen müssen wir anfangen."

Noch haben die Aktionen von Girifna etwas partisanenhaftes, so etwa die Verteilung von Flugblättern, wenn Omar mit schnellem Schritt an allen Sitzreihen eines Busses entlangstürmt und an der nächsten Station herausspringt, bevor jemand die Verfolgung aufnehmen kann. "Ich habe keine Angst um mich selbst", sagt Omar trotzig. "Ich habe allenfalls Angst davor, dass sie mir meine Flugblätter wegnehmen könnten." Auf den Flyern in grellem Orange ist eine Hand zu sehen, die das Victory-Zeichen macht, und wiederum der Girifna-Wahlspruch: "Wir haben die Schnauze voll!"

Omar vertraut auf neue die neuen Medien. In ihrem Blog verbreitet die Bewegung aktuelle Betrugsvorwürfe und Aufrufe zu Versammlungen, zu denen auch per SMS eingeladen wird. Auf einer Facebook-Seite können Unterstützer zu "Fans" werden, kurze Updates werden per Twitter verschickt. Auf YouTube hat die Gruppe ein Rap-Video eingestellt, das für faire Wahlen wirbt. "Zwei Drittel aller Wähler sind Jugendliche. Wenn wir die erreichen können, ändert sich etwas."

Dass die Botschaft wirkt, zeigt die Reaktion des Regimes. Omars Freund Abdallah Mahdi Badawi, ein 18-jähriger Student, wurde Mitte März Opfer eines Überfalls von Geheimagenten. "Ein neues Girifna-Mitglied, Hassan, wollte sich mit mir treffen, er hatte noch einen Freund dabei." Auf dem Weg zu einem nahen Teehaus zerrten die beiden Mahdi in eine enge Gasse, bedrohten ihn mit einer Pistole und brachten ihn in ein Büro, an dessen Wand ein Porträt des gefürchteten ehemaligen Geheimdienstchefs Salah Gosh hing. "Dreizehn Männer haben mich geschlagen, mit Knüppeln, Peitschen und Elektrokabeln. Sie schrien mich an: Was sind eure Pläne, wer sind eure Mitglieder, wo kommt euer Geld her?!" Einmal hielten sie Mahdi eine Pistole an die Schläfe und drohten, abzudrücken. Ein anderes Mal drückten sie Mahdi ein Glas an die Lippen, das angeblich ein tödliches Virus beinhaltete. "Sie haben mir gedroht, sie seien die Leute, die Mohammed Musa umgebracht haben, den Studenten aus Darfur, der im Februar in Omdurman ermordet wurde."

Doch Mahdi überlebte. Bevor die Männer ihn gehen ließen, musste er eine Reihe von Dokumenten unterzeichnen, unter anderem einen Schuldschein über 31.000 Euro. Wegen dieses Schuldscheins kennt Mahdi sogar den Namen seines Peinigers: Armeeleutnant Mohammed Nur Aldaiem.

Es sind nicht zuletzt Vorfälle wie dieser, die die junge Zivilgesellschaft und die Opposition in dem Aufruf an die Weltgemeinschaft vereinen, die Wahlen im Sudan nicht anzuerkennen. Manche wie die Sudan Democracy First Group fordern internationale Wahlbeobachter auf, abzuziehen, um den Wahlen nicht künstlich Legitimität zu verleihen. Ein erster Erfolg: Die Leiterin der EU-Wahlbeobachtungsmission, Véronique De Keyser, kündigte am Mittwoch den Abzug ihrer Beobachter aus Darfur an. "Nicht einmal humanitäre Helfer können dorthin", so De Keyser, "also können wir es auch nicht."

Copyright die tageszeitung, 10.4.10

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