Mittwoch, 6. Februar 2008

Menschenjagd im Westen Kenias


Margaret Njeri sitzt auf einem zusammengerollten Teppich, den sie zusammen mit ein paar Möbelstücken in einem zerbeulten Matatu-Bus untergebracht hat. Ihr Blick irrt ziellos durchs Leere, die notdürftig zusammen gezimmerten Unterkünfte aus Holz und Plane nimmt sie kaum noch wahr. Seit sechs Tagen hat die mehrfache Großmutter im Schatten der St. John’s Cathedral im Zentrum von Eldoret, der größten Stadt im nördlichen Rift Valley, unter freiem Himmel kampiert. Jetzt will sie ihre restlichen Besitztümer irgendwo vor Plünderern und dem drohenden Regen in Schutz bringen. Doch wo das sein kann, weiß sie noch nicht.

"Ich habe auf einem kleinen Hof, etwa dreißig Kilometer von Eldoret entfernt, gelebt", erzählt sie. "Vor einer Woche zog plötzlich eine aufgebrachte Menge durch unseren Ort. 'Kikuyus, verschwindet!', haben sie gerufen." Sie hatte noch Glück im Unglück. Freunde warnten sie per Handy vor dem Mob, so konnte sie noch ein paar Sachen in Sicherheit bringen. Alles andere, so vermutet sie, ist zusammen mit ihrem Haus und den Feldern in Flammen aufgegangen. Ihre Hand streicht über einen Sack Mais. "Das ist der letzte, den ich noch für meine Kinder habe. Ich kann ihn doch nicht draußen im Regen stehen lassen, dann hätten wir nicht mal mehr zu essen." Ihr ältester Sohn ist unterwegs, er sucht in einem Vorort von Eldoret nach einem Haus für die Familie. Ob es da sicher ist? "Das weiß ich nicht", sagt Margaret Njeri, "aber irgendwo müssen wir doch hin."

Vertriebene wie sie gibt es dieser Tage Tausende in Eldoret. Und wie sie sind die meisten Kikuyu, die Volksgruppe, der auch der umstrittene neue Präsident Mwai Kibaki angehört. Während aufgebrachte Horden von Kalenjin, der Mehrheitsethnie in dieser Region Kenias, unaufhaltsam durch die Felder und Gehöfte der ländlichen Region marodierten und regelrechte Jagd auf Kikuyu machten, suchten ihre Opfer Schutz in Polizeistationen, Schulen und Kirchen. Doch vor den Massenprotesten, zu denen die Opposition ab diesem Mittwoch aufgerufen hat, scheinen auch diese Orte nicht mehr sicher genug. Wer irgend kann, flüchtet in die Zentralprovinz, dort sind die Kikuyu in der Mehrheit.

Am Busbahnhof von Eldoret herrscht Chaos. Reifen quietschen, Matatus schieben sich durch die Menge, die Menschen versuchen sich zu den Türen der großen Busse durchzukämpfen, dort werden die Tickets verkauft. Von hinten hupen schon neue Busse. Männer mit nacktem Oberkörper binden auf den Dächern der Fahrzeuge jede Menge Säcke und Koffer fest. "Wir wollen es vor den Demonstrationen nach Nairobi schaffen, wer weiß, was passiert", keucht James, gemeinsam mit seiner Schwester hat er zwei Plätze im "Eldoret Express" in die Hauptstadt ergattert.

In seinen Armen hält er eine Tasche mit dem Aufdruck der kenianischen Wahlkommission, jener Behörde, die viele hier für die explosive Lage im Land verantwortlich machen. Deren Vorsitzender, Samuel Kivuitu, war es, der Kibaki zum Präsidenten gekürt hat - trotz unzähliger Anhaltspunkte dafür, dass die Wahl gefälscht wurde. Die Tasche weist James als Wahlbeobachter aus - für welche Partei? Er grinst, zuckt mit den Schultern. Wie die meisten Kikuyu hat auch er zu Präsident Kibaki gehalten. Und jetzt muss er fliehen.

"Die Kikuyu verlassen Eldoret in Massen", bestätigt Thomas Ngoy. Eigentlich ist er für die Ordnung hier am Busbahnhof verantwortlich, doch dieses Vorhaben musste er wohl oder übel aufgeben. Wie viele Busse derzeit Richtung Nakuru oder Nairobi fahren? "Ich habe den Überblick verloren, vielleicht dreißig, vielleicht auch fünfzig", sagt er.

Auch die Luo, Angehörige der Volksgruppe von Raila Odinga, dem Oppositionsführer, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, fliehen. Sie wollen nicht zwischen die Fronten geraten. Seit dem Morgen sind 2.500 Soldaten und Polizisten einer kenianischen Spezialeinheit in Eldoret. Jeder fürchtet, dass an diesem Mittwoch nach ein paar Tagen gespannter Ruhe die Gewalt erneut ausbrechen wird. Bis dahin sollen die Busse wieder sicher im Depot stehen.

Noch sind die Straßen frei, doch viele befürchten, dass militante Oppositionsanhänger erneut Straßensperren errichten könnten. Busfahrer erzählen sich die Geschichte von Paul Karuri, einem Kikuyu, der am Samstag einen Bus mit 49 Flüchtlingen an Bord durch 15 solcher Straßensperren manövriert hat. Für die anderen Fahrer, deren Job derzeit lebensgefährlich ist, ist Karuri ein Held: An der ersten Straßensperre, wo mit Macheten bewaffnete Milizen verlangten, er solle die Tür öffnen und alle Kikuyu ausliefern, legte er den ersten Gang ein und fuhr den Verfolgern mit Karacho davon. Das Gleiche brachte er an 13 weiteren Sperren fertig. An der letzten, wo Milizen Strommasten über die Straße geworfen hatten, blieb er stehen - und wie ein Wunder tauchten Polizisten auf, die die Passagiere des Busses retteten. Ohne eine einzige Scheibe, die Karosserie von Steinen komplett zerbeult, kam der Bus schließlich in Nairobi an - niemand war verletzt. "Toll", lacht Henry, der Fahrer im "Eldoret Express". Doch selbst zum Helden werden möchte er lieber nicht, er macht, dass er loskommt.

Wer sich die Bustickets nicht leisten kann oder wer nicht weiß, wohin er fliehen soll, verschanzt sich auf dem Messegelände der Stadt. Es gilt als relativ sicher. Wo sonst einmal im Jahr Landwirte stolz ihre Rinder und Kohlköpfe präsentieren, hat das kenianische Rote Kreuz eine Zeltstadt errichtet. "Wir sind fast 5.000 hier, und wir erwarten noch mehr, bevor es wieder losgeht", erklärt John Deretu. Die Lagerinsassen haben ihn zu ihrem Sprecher gewählt. Deretu ist selbst aus Burnt Forest geflohen, die Bewohner des Dorfs in den Teeplantagen hatten besonders unter den Gewaltexzessen zu leiden. "Es gibt Leute, die bei ihren Verwandten untergekommen sind", erklärt er, "aber jetzt, vor den Demonstrationen, kommen viele noch hierher, um sicher zu sein." Das Messegelände hat nur zwei Eingänge. Mehrere Hundertschaften stehen bereit, um die Vertriebenen zu schützen.

Alle hier erzählen ähnliche Geschichten: Die Angreifer kamen zu Hunderten, bewaffnet mit Schlagstöcken, mit Macheten oder Fackeln, sie suchten nach Kikuyu. "Ich bin gerannt, gerannt, gerannt, bis ich zur Polizeistation kam", sagt die zehnjährige Jen Njeri. Als sie Lastwagen vom Gelände fahren sah, sprang sie kurz entschlossen auf. "Ich wusste nicht, wohin sie fahren, aber ich bin auf die Ladefläche gesprungen, um bloß wegzukommen." Nun ist sie hier im Auffanglager von Eldoret. Wie es ihren Eltern und Geschwistern ergangen ist, weiß sie nicht, das Rote Kreuz sucht nach ihnen.

Dass es sich bei den Gewaltausbrüchen um spontane Handlungen handelt, glaubt keiner der Flüchtlinge. Die Spannungen im Rift Valley reichen weit zurück. Seit Kenias Gründungspräsident Jomo Kenyatta, selbst ein Kikuyu, in den 60er-Jahren Farmer aus dem Hochland hier ansiedelte, gab es immer wieder politisch aufgeheizte Verfolgungen. Doch so schlimm wie dieses Mal war es noch nie, sagt Sarah Wanjiru. Sie wurde vor mehr als 40 Jahren im Rift Valley geboren. "Das hat jemand geplant", ist sie überzeugt. "Überall sind die Ausschreitungen zur gleichen Zeit losgegangen, und alle erzählen die gleichen Geschichten - kein Zufall."

Die vertriebenen Kikuyu sind sich einig darüber, wer hinter den Unruhen steckt: William Ruto, Spitzenpolitiker von Odingas Orange Democratic Movement, der im Rift Valley einen sensationellen Sieg für die Opposition geholt hat. "Ich erinnere mich, wie Ruto bei uns im Dorf war und gehetzt hat: Ihr müsst putzen bei euch im Dorf, schmeißt die gewissen Leute raus", erzählt einer, "und nach der Wahl ist genau das passiert." Dass die Kalenjin die Kikuyu, von denen viele Geschäfte besitzen und große Farmen bewirtschaften, stets als Bürger zweiter Klasse behandelt hätten, erzählen andere. Doch die Opposition weist alle Vorwürfe von Kibakis Anhängern zurück, sie habe einen Genozid oder "ethnische Säuberungen" organisiert. Belege für einen organisierten Völkermord gibt es tatsächlich nicht. Doch dass in diesem Wahlkampf gehetzt und gezündelt wurde wie nie zuvor in der Geschichte Kenias, weiß jeder.

In Eldorets Vorstädten, wo viele arbeitslose Kalenjin-Jugendliche leben, ist der aus Neid und Frust gespeiste Hass auf die Kikuyu so groß, dass es wohl keiner Hetze bedarf. Wer einen Bewohner anspricht, wird sofort von zehn, zwanzig anderen umringt, alle wollen Dampf ablassen. "Kibaki muss verstehen, dass wir die Kikuyu nicht aus Spaß verfolgen, sondern weil er die Wahl gestohlen hat", sagt Amos, der mit seinen kurz geschorenen Haaren und dem Muscle Shirt wie eine Kampfmaschine aussieht. "Wir bestrafen die Kikuyu, damit Kibaki aufwacht", tönt er. "Und wenn er das nicht tut, dann sollte ihm klar sein: Das, was bisher passiert ist, ist nur der Anfang."

Samuel, ein anderer Wortführer, zieht einen Vergleich: "Das ist wie in Ostdeutschland, wo damals die Russen einmarschiert sind - hier sind die Kikuyu einmarschiert. Die sollen nach Hause ins Hochland zurück, das hier ist unser Land." Für den Mittwoch haben sich die Kalenjin einiges vorgenommen. "Wenn die Polizei auf uns schießt, setzen wir das ganze Land in Brand", ruft Amos. Die Menge auf der staubigen Hauptstraße jubelt ihm zu.

(Copyright die tageszeitung, 16.1.08)

Rebellion wird zum Regionalkonflikt


Was vergangene Woche als Putschversuch tschadischer Rebellen gegen den autoritären Präsidenten Idriss Déby begonnen hat, weitet sich immer mehr zu einer regionalen Krise aus. Die Rebellenorganisation JEM aus dem sudanesischen Darfur erklärte gestern, ihre Truppen seien in den Osten Tschads eingerückt. "Dort haben wir sudanesische Truppen zurückgeschlagen, die die Grenzstadt Adré angegriffen hatten", sagte ihr Kommandeur Abdelaziz el Nur.

Tschadische Rebellen warfen der von Débys Regierung unterstützten JEM vor, dem Präsidenten im Kampf gegen die Aufständischen beistehen zu wollen. Die Zahl der loyalen Soldaten, die Déby unterstützen, wird auf wenige tausend geschätzt. Tschads Außenminister hatte schon am Montag den Sudan für die Rebellion im Tschad verantwortlich gemacht und mit einer Invasion im Nachbarland gedroht.

Die Aussichten waren jedoch unklar. Die Armee hat die Hauptstadt N'Djamena unter Kontrolle, dennoch ist die Lage nach den Kämpfen der vergangenen Tage angespannt. Eine Sprecherin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sagte, die Straßen seien voller fliehender Bewohner. Nach Angaben des Roten Kreuzes sind bei den jüngsten Kämpfen mehrere hundert Zivilisten getötet worden. Die Zahl der Verletzten wurde auf 1 000 geschätzt.

Débys Präsidialgarde macht unterdessen Jagd auf Regimekritiker. Journalisten im Tschad berichteten von mindestens drei Bürgerrechtlern, die aus ihren Häusern an unbekannte Orte verschleppt worden seien. Eine Menschenrechtsanwältin sei knapp entkommen.

In der kamerunischen Grenzstadt Kousseri harren 20 000 Flüchtlinge aus, viele von ihnen unter freien Himmel. Insgesamt sollen 30 000 Menschen auf der Flucht sein. Das UN-Flüchtlingshilfswerk vor der Stadt ein Auffanglager vor.

(Copyright Berliner Zeitung, 6.2.08)

Dienstag, 5. Februar 2008

Hilfe für die Hoffnungslosen


Die 20 Jugendlichen sitzen im Kreis unter einem großen Baum, der mitten in Onyama steht, einem der vielen Lager am Stadtrand von Gulu im Norden Ugandas. Sie reden, manchmal lachen alle gemeinsam, doch meistens herrscht aufmerksame Stille.

Die Mädchen und Jungen erzählen von der Vergangenheit, die sie alle so gezeichnet hat. Die einen leben seit ihrer Geburt in Lagern wie Onyama, auf der Flucht vor den Kinderräubern der "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA), die mehr als 20 Jahre lang geschätzte 40 000 Mädchen und Jungen meist im Schutz der Nacht entführte. Achtjährige Jungen wurden als Soldaten, Mädchen als Sexsklavinnen und Küchenhilfen missbraucht.

Die anderen sind seit Anfang vergangenen Jahres, als der LRA-Anführer und selbsternannte Prophet Joseph Kony Friedensgespräche mit Ugandas Regierung aufnahm, nach und nach aus dem Busch zurückgekehrt. Sie sind ehemalige Kindersoldaten, diejenigen, vor denen die neuen Nachbarn in Onyama einst geflohen sind.

"Wenn Kony nachts beten ging, habe ich ihm seinen Betstuhl hinterhergetragen", berichtet der heute 21-jährige Deogratius Okema. Er ist nach acht Jahren an der Seite Konys der Albtraumwelt entkommen, in der alle einer rigorosen Gehirnwäsche unterzogen wurden. Viele Kinder mussten nahe Verwandte umbringen, um sich selbst den Rückweg in die Gesellschaft abzuschneiden. Bei Deogratius war das nicht anders: Ein Kommando der Kinderarmee nahm damals ihn und zwölf andere Kinder mit, die sich hinter einem Militärlager versteckt hielten. Von den Soldaten der Regierungsarmee war nichts zu sehen.

"Wir sind sieben Tage zu Fuß bei praller Sonne in die LRA-Lager im Südsudan marschiert", erinnert er sich. "Es gab kein Wasser und nichts zu essen - zwei machten schlapp, die wurden erschlagen und mit der Machete in Stücke gehauen." Nur wenn er über Kony spricht, wird die Stimme des starr geradeaus blickenden Jungen etwas weicher.

"Kony will die Armut in Norduganda beenden, er betet Tag und Nacht für die Menschen hier und will niemandem etwas Böses." Für die Gewalt, die Überfälle und all das Schlimme, das er selbst erlebt hat, macht Deogratius "die anderen" verantwortlich, die Konys Befehle missachteten. "Kony kann nichts dafür, er weint oft, weil seine Männer so ungehorsam sind." Der Führer selbst, so behauptet Deogratius, hat ihn vor anderthalb Jahren nach Hause geschickt. Da sei er gegangen, wieder zu Fuß, von den Lagern im Südsudan bis nach Onyama. Deogratius schweigt. Die anderen Jugendlichen schweigen mit ihm.

Seit Anfang 2007 herrscht eine Ruhe in Nord-Uganda, die viele der Jugendlichen noch nie erlebt haben. Konys Rebellenarmee hat sich irgendwo im Osten Kongos verschanzt - wie viele Jugendliche dort noch unter Waffen stehen, ist ungewiss. Die Verhandlungen mit der Regierung laufen schleppend, aber die Überfälle in Nord-Uganda haben aufgehört. Doch bewältigt ist die Vergangenheit noch lange nicht.

"Man sollte erwarten, dass die Rückkehrer Kony hassen", sagt Lucy Apiyo, die für das Hilfswerk "World Vision" Therapiesitzungen wie die unter dem Baum leitet. Apiyo kennt die Täter, die sich nach den traumatischen Erlebnissen an irgend etwas festhalten müssen - und sei es wie bei Deogratius am ehemaligen Peiniger. "Die Ex-Kindersoldaten halten mühsam ein Bild des strahlenden Führers aufrecht, damit ihnen ihr Leben nicht sinnlos erscheint."
Bei manchen reißt diese selbstgebaute Fassade irgendwann ein, und das kann tödlich enden. Die Selbstmordrate in den Flüchtlingscamps, in denen über Norduganda verstreut mehr als eine Million Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, steigt seit Jahren. Alle paar Wochen erhängt, erschießt oder ersticht sich jemand in Onyama. Meistens sind es Kinder oder Jugendliche. Depressionen, sagt Apiyo, sind ein riesiges Problem in all den Flüchtlingslagern. Bisher hätten Hilfsorganisationen dies als Luxusproblem empfunden.
Erst jetzt ändert sich das langsam. Die Mädchen und Jungen sprechen, malen, spielen und weinen zusammen, immer wieder. "Wir waren sehr skeptisch, ob das klappt", sagt Lucy Apiyo, "schließlich bieten wir nur die Therapie an, kein Geld, kein Essen, nichts sonst." Doch der große Andrang gibt ihr Recht.

Noch mehr als die Täter brauchen die Opfer Apiyos Hilfe. Nordugandas Lagergeneration kennt keine Perspektiven. James Opio, der in Onyama lebt, solange er denken kann, ist gerade einmal 16. "Als ich acht war, ist mein Vater gestorben, ein paar Jahre später meine Mutter - auf einmal war ich allein mit meinen fünf jüngeren Geschwistern." Im Dorf hätte sich wohl die Großfamilie um ihn gekümmert - im Lager war Opio auf sich allein gestellt. "Ich habe versucht, Geld zu verdienen, aber es gab keine Jobs. Ich habe versucht, Lebensmittel oder andere Hilfe von den Organisationen zu bekommen, aber da waren so viele andere, dass ich kaum was abbekommen habe." Irgendwann wusste er nicht mehr weiter. "Ich habe mich nutzlos und wertlos gefühlt und gedacht: Da kann ich mich auch gleich umbringen, dann ist der Druck weg."

Dass er noch lebt, glaubt James, hat er einzig der Hilfe von Lucy Apiyo zu verdanken.

(Copyright Berliner Zeitung, 5.2.08)

Der Unverwüstliche


Knapp mit der Macht und dem Leben davonzukommen, das ist für Tschads Präsident Idriss Déby längst etwas Selbstverständliches. Tausende Rebellen aus dem Osten des Landes standen am Sonntag wenige hundert Meter von seinem Büro entfernt in der Hauptstadt N'Djamena, der Westen hatte ihn schon abgeschrieben. Doch dann vertrieb Débys treu ergebene Restarmee die Rebellen wieder, so wie zwei Jahre zuvor, als die Rebellen noch Mühe gehabt hatten, nach ihrem Einmarsch in N'Djamena den Präsidentenpalast zu finden. Auch einen Anschlag auf die Präsidentenmaschine, in der er saß, überstand Déby. Es scheint, als sei der Mann, den seine Studienkollegen an der renommierten Pariser "École de guerre" - der Kriegsschule - "Wüstencowboy" nannten, unverwüstlich.

Déby, Sohn eines Hirten, 1952 in Fada nahe der sudanesischen Grenze geboren, hat den afrikanischen Ölstaat seit 18 Jahren fest im Griff. Ohne das Militär wäre seine Karriere nie möglich gewesen: Sein Eintritt in die Armee ermöglichte Déby den Besuch der Militärschule in N'Djamena und die Ausbildung zum Kampfpiloten in Paris. Als er in den Tschad zurückkehrte, half Déby Rebellenführer Hissène Habré bei seinem Putsch - und führte für den Herrscher, der als Petrodollar-Pinochet berüchtigt wurde, sieben Jahre lang die Armee. Er schlug libysche Streitkräfte zurück und wurde so mächtig, dass Habré ihn verstieß. Vom Sudan aus organisierte Déby eine Rebellenarmee und marschierte am 2. Dezember 1990 unbehelligt in N'Djamena ein. Déby kennt also Aufstände - aus vielen Perspektiven.

Die jetzigen Angreifer gehören nicht nur Débys Ethnie an, den Zaghawa, die gerade mal eineinhalb Prozent der zehn Millionen Bewohner des Tschad ausmachen. Selbst ein Neffe Débys ist unter den Rebellen, ebenso wie viele desertierte Offiziere und Soldaten. Viele halten Débys Bevorzugung des Zaghawa-Clans, dessen Mitglieder alle wichtigen Stellen in Politik und Verwaltung inne haben, für seinen größten politischen Fehler. Dennoch werfen viele Zaghawa ihm vor, nicht genug für sie und vor allem die Zaghawa-Rebellen im benachbarten Darfur zu tun, die dort gegen Sudans Regierung kämpfen. Auf den Unmut im Osten reagierte Déby wie gehabt: Mit einer Aufrüstung seiner Armee, für die er zuletzt auch Öl-Gelder verwendete, die nach einer Vereinbarung mit der Weltbank für humanitäre Hilfe im armen Land reserviert waren.

Nach solchen Wirrnissen scheint unklar, ob Déby, der 2003 die Verfassung änderte, um lebenslang an der Macht bleiben zu können, wie oft in der Vergangenheit mit französischer Militärhilfe rechnen kann. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte ihm im November erklärt, er könne stets auf seine Wertschätzung zählen. Da hatte Déby gerade sechs Mitarbeiter einer Hilfsorganisation nach Frankreich überstellt, die mehr als hundert Kinder außer Landes hatten bringen wollen. Jetzt bot Paris an, Déby auf Wunsch ins Exil auszufliegen. Für mehr reicht die französische Wertschätzung offenbar nicht mehr aus.

(Copyright Berliner Zeitung, 5.2.08)

Montag, 4. Februar 2008

Neue Morde in Kenia


Alle Beteiligten strahlten, als sie am Freitagabend unerwartet vor die Kameras traten und einen "Vier-Punkte-Plan" für das krisengebeutelte Kenia verkündeten. Immerhin zehn Stunden hatten die Teams von Regierung und Opposition unter Vermittlung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan zusammengesessen, für kurze Zeit hatte auch Annans Nachfolger Ban Ki Moon vorbeigeschaut. "Die ersten drei Punkte sollen binnen 7 bis 14 Tagen gelöst sein", verkündete Annan.

Die ersten drei Punkte, das sind: ein Ende der Gewalt, Maßnahmen zur humanitären Hilfe für die über 300.000 Vertriebenen und die Lösung der Führungsfrage nach der gefälschten Präsidentenwahl am 27. Dezember. Danach soll, innerhalb eines Jahres, die ungerechte Ressourcenverteilung in Kenia und die Landfrage geklärt werden. So weit der Plan. Wie er umgesetzt werden soll, war am Freitag genauso unklar wie zuvor. Diplomaten reagierten schulterzuckend auf den "Friedensplan", auch wenn niemand die Hoffnung ganz aufgeben wollte. Einen Erfolg machen sie vor allem davon abhängig, wie lange Kofi Annan bleibt. Von dem von Annan ins Spiel gebrachten Nachfolger als Verhandlungsführer, Cyril Ramaphosa aus Südafrika, war bislang in Nairobi nichts zu sehen. Kaum jemand glaubt, dass ein anderer als Annan die Verhandlungen zum unwahrscheinlichen Erfolg führen kann.

Immerhin riefen die Unterhändler der zerstrittenen Seiten ihre jeweiligen Führer auf, bei öffentlichen Kundgebungen für ein Ende der Gewalt zu werben. Geht es nach ihnen, sollen das Versammlungsverbot und die Nachrichtensperre im Land umgehend aufgehoben werden. Die Polizei wurde aufgerufen, nicht mehr scharf auf Zivilisten zu schießen.

Doch die erhoffte Entspannung fand nicht statt. Wenige Stunden nach der Verkündung des Plans brach im Westen Kenias neue Gewalt aus. In Kericho, Kenias Teehauptstadt, brannten die Häuser von Kikuyu, zu denen auch Kenias umstrittener Präsident Mwai Kibaki zählt. In Eldoret steckten Banden erneut eine Kirche in Brand und verfolgten Angehörige von Minderheitsethnien. Auf dem Land weiter westlich, im Distrikt von Borabu, wurde ebenfalls gekämpft.

Die Zahl der Toten seit Freitag wurde am Sonntag auf über 70 geschätzt. Insgesamt sind seit Ende Dezember wohl weit mehr als 1.000 Menschen in Kenias Unruhen ums Leben gekommen.

Die beiden Männer, um die es geht, bleiben stur. Kibaki erklärte am Samstag beim Gipfeltreffen der Afrikanischen Union, er sei der rechtmäßig gewählte Präsident.

(Copyright die tageszeitung, 4.2.08)

Freitag, 1. Februar 2008

Auf der vergeblichen Suche nach Frieden




Kenias umstrittener Präsident Mwai Kibaki hatte gerade Platz genommen, da prasselte zum Auftakt des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union (AU) deutliche Kritik auf ihn nieder. "Hört auf, hört auf, hört auf", appellierte AU-Kommissionspräsident Alpha Oumar Konaré an die Konfliktparteien in Kenia. "Der Flächenbrand muss gelöscht werden, sonst bleibt nichts mehr übrig."

Diplomatischer in der Wortwahl, aber ebenso deutlich gab sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon: "Die Gewalt droht das Ausmaß einer Katastrophe anzunehmen." Sowohl Kibaki als auch Kenias Oppositionsführer Raila Odinga, der den Sieg bei der Präsidentenwahl vom 27. Dezember für sich in Anspruch nimmt, hätten eine besondere Verantwortung, die Krise friedlich zu lösen.

Doch Angst vor wirklichen Konsequenzen muss Kibaki nicht haben. Das Thema Kenia soll bis zum AU-Gipfelschluss am Samstag nicht wieder auftauchen, versprach sein Außenminister Moses Wetangula vorsorglich vorab. Für Kibaki ist es Anerkennung genug, dass er in Addis Abeba als Ebenbürtiger empfangen wird. Seine Wahlfälschung wird vermutlich alleine deshalb kein Thema sein, weil viele der mehr als 40 angereisten Staatschefs mit fragwürdigen Mitteln an die Macht gelangt sind oder sich dort halten.

In Kenia spitzte sich die Lage unterdessen weiter zu. Am Mittag wurde der Oppositionsabgeordnete David Kimutai Too in der Stadt Eldoret auf offener Straße erschossen. Ein Mann in der Uniform eines Verkehrspolizisten raste auf einem Motorrad an den Wagen heran und jagte Kimutai Too sieben Schüsse in Kopf und Genick. Eine Polizeibeamtin im Wagen starb später an ihren Verletzungen. Minuten später nahm die Polizei den Schützen fest - und tischte eine Geschichte auf, die Oppositionsanhänger umgehend als Lügenmärchen verdammten. Um ein Beziehungsdrama handele es sich, erklärte Polizeichef Hussein Ali. Der Schütze sei der Freund der toten Beamtin gewesen und habe ihr und dem Abgeordneten ein Verhältnis angelastet.

Doch während in Eldoret, einer der am schlimmsten von den Unruhen erschütterten Städte, Jugendliche protestierend durch die Straßen marschierten und Händler aus Angst vor Plünderungen eilig ihre Geschäfte abschlossen, nahm Oppositionsführer Odinga kein Blatt vor den Mund. "Ich verurteile die Hinrichtung eines zweiten unserer Parlamentarier. Das Ziel dieses Mordes ist es, die Mehrheit der Opposition im Parlament zu verringern." Erst in der Nacht zum Dienstag war ein weiterer Oppositionsabgeordneter in der Hauptstadt Nairobi ermordet worden. Odingas Generalsekretär Anyang Nyongo sprach am Donnerstag offen von einem Auftragsmord der Kibaki-Regierung.

Die für den Nachmittag geplanten Friedensgespräche unter Vermittlung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte die Opposition ab. Sie will am heutigen Freitag weiter verhandeln, wenn Annans Nachfolger Ban Ki Moon erwartet wird.

(Copyright die tageszeitung, 1.2.08)

AU-Gipfel: Kein Grund zum Feiern


Es hätte eine Art Jubiläum werden können, doch stattdessen stand das 10. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union im Zeichen einer neuen Krise - wieder einmal. Und wie bei den Krisen in Darfur, Somalia, Simbabwe oder der Elfenbeinküste ist es praktisch ausgeschlossen, dass das Bündnis aus allen afrikanischen Staaten außer Marokko zur Lösung der Krise in Kenia beiträgt. Im Gegenteil: Der Gipfel in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ist ein Forum für diejenigen, die Menschenrechte und Demokratie mit Füßen treten. Daran ändert auch die Tatsache, dass der neue AU-Präsident Jakaya Kikwete ein integrer Präsident ist, wenig. Das war auch sein Vorgänger John Kufuor, der in Kenia erfolglos zu vermitteln versuchte.

Seit Jahren erlebt Afrika eine Art Rolle rückwärts in Sachen Demokratie: Acht afrikanische Präsidenten haben die Verfassung geändert, um auf Wunsch ewig im Amt bleiben zu dürfen. Simbabwes einst verdienstvoller Staatsgründer Robert Mugabe darf das eigene Volk verhungern lassen, ohne dass die AU das Wort erhebt. Der Gastgeber des Gipfels, Äthiopiens Präsident Meles Zenawi, ließ die Oppositionellen auf Lastwagen in die Wüste deportieren, nachdem sie die Wahl gewonnen hatten. Die AU schwieg. Selbstkritik findet in der AU nicht statt. Immer mehr nähert sie sich ihrem unnützen Vorgänger, der Organisation Afrikanischer Einheit, an. Es ist zumindest ehrlich, dass man zum Zehnten nicht feiert.

(Copyright Die Südostschweiz, 1.2.08)