Montag, 19. Mai 2008

Zehn Milliarden gegen den Hunger


Mit 10 US-Dollar jährlich pro Bewohner eines Industriestaats ließe sich das Hungerproblem lösen - das ist zumindest die Überzeugung des UN-Sonderberaters Jeffrey Sachs. Damit beziffert er die benötigte Summe auf jährlich rund 10 Milliarden US-Dollar. Sachs ist gleichzeitig Chef des New Yorker Earth Institute an der Universität von Columbia, das sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzt - Hunger und Armut sind die Spezialgebiete des Ökonomen.

Im Mittelpunkt von Sachs Konzept steht ein globaler Fonds, in den die 7 Milliarden Euro pro Jahr fließen sollen. Der Fonds soll dazu dienen, Saatgut, Bewässerungssysteme und Dünger für Kleinbauern zu finanzieren und so die Landwirtschaft auf dem ärmsten Kontinent in Gang zu bringen. "Das Problem in Afrika ist, dass die Leute zu arm sind, um sich auch nur die einfachsten Investitionen leisten zu können", sagt Sachs. Während sich Ernteerträge überall auf der Welt erhöht haben, stagniere der Durchschnittsertrag von Afrikas Äckern seit fünfzig Jahren auf niedrigem Niveau bei 1 Tonne pro Hektar. Im gleichen Zeitraum sei die Zahl der zu ernährenden Bewohner um das Vierfache auf 900 Millionen gestiegen, bis 2050 könnten es 2 Milliarden Afrikaner sein.

Sachs Fonds soll das Geld unbürokratisch direkt an Kleinbauern auszahlen - und damit Regierungsbehörden und ähnliche Geldfallen umgehen. Nach zwei bis drei Jahren, so schätzt Sachs, können aus Zuschüssen Darlehen werden, die die Farmer aus ihren Erlösen zurückzahlen. Das Vorbild hat Sachs 2002 selbst initiiert: den globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, der als Vorzeigemodell gilt. Geschätzte zwei Drittel der globalen Malaria- und 20 Prozent der Aids-Hilfen werden heute so finanziert. Das Problem: Sechs Jahre später hat die Bereitschaft von Gebern, in neue Instrumente einzuzahlen, stark nachgelassen.

"Das ist so ein Standardsatz: Statt neue Instrumente zu schaffen, sollten wir die bisherigen stärken. Aber die bisherigen Instrumente haben schlicht versagt", kritisiert Sachs. Vor allem am Internationalen Währungsfonds und der Weltbank lässt er kein gutes Haar. Sie hätten, ebenso wie zwanzig Jahre fehlgeleiteter Entwicklungshilfe, zu verantworten, dass Afrikas Landwirtschaft am Boden liege.

Ein politisches Vorbild hat Sachs bereits: Malawi, wo die Regierung vor wenigen Jahren gegen alle Auflagen von internationalen Kreditgebern verstieß und Farmern Kredite für Düngemittel erteilte. "Ein Sack Dünger pro Farmer und gute Wetterbedingungen haben die Ernte binnen eines Jahres verdoppelt." Woher Geberländer das Geld für den Milliardenfonds nehmen können, weiß Sachs auch: aus der Nahrungsmittelhilfe. "Die Lieferung von Nahrungsmitteln ist die am wenigsten nachhaltige Hilfe für Afrika." Geber hetzten derzeit von Notfall zu Notfall und hätten darüber die langfristigen Ziele aus dem Auge verloren. "Für akute Krisen gibt es das große Geld, während die wirklichen Probleme mit Studien abgespeist werden, die irgendwo verstauben." Für den Aufbau der afrikanischen Landwirtschaft müssten Europa, die USA und auch arabische Ölstaaten aber auch neues Geld in die Hand nehmen.

Dass Sachs mit solchen Forderungen in Afrika gut ankommt, überrascht kaum. Kenias Präsident Kibaki äußerte sich ebenso begeistert wie sein tansanischer Amtskollege Jakaya Kikwete, der derzeit der Afrikanischen Union vorsteht. Aber auch aus Brüssel kommt zaghaft Zustimmung. Entwicklungskommissar Louis Michel stehe der Idee sehr wohlwollend gegenüber, heißt es aus der EU-Vertretung in Nairobi. In Brüssel soll Sachs sein Modell bereits hinter verschlossenen Türen vorgestellt haben.

(Copyright die tageszeitung, 19.5.08; Photo Columbia University)

Tod und Terror in Simbabwe


Am Vorabend der angekündigten Rückkehr nach Simbabwe gab der Sprecher von Oppositionsführer Morgan Tsvangirai erneut einen Rückzieher bekannt. „Wir haben Informationen aus verlässlichen Quellen, nach denen ein Attentat gegen Morgan Tsvangirai geplant ist“, erklärte George Sibotshiwe in Johannesburg. Eigentlich hätte Tsvangirai, der seit den Wahlen Ende März nicht mehr in Simbabwe gewesen ist, am Samstag die Abgeordneten seiner Partei treffen sollen, die erstmals seit Simbabwes Unabhängigkeit 1980 im Parlament die Mehrheit stellen. Wann der Oppositionschef, der im vergangenen Jahr von Polizisten krankenhausreif geprügelt wurde, in seine Heimat zurückkehrt, ist unklar.

Simbabwische Zeitungen, die der Opposition nahe stehen, berichteten am Wochenende von einem geplanten Anschlag im Stile des Mordes an Pakistans Oppositionschefin Benazir Bhutto. Milizen in Zivil hätten demnach Tsvangirai nach seiner Ankunft am Flughafen von Harare vor den Augen der Öffentlichkeit erschießen sollen. Simbabwes Regierungssprecher Bright Matonga wies die Vorwürfe nicht nur zurück, er machte auch keinen Hehl aus seiner Genugtuung darüber, dass Tsvangirai trotz der näher rückenden Stichwahl gegen Präsident Robert Mugabe am 27. Juni vorerst nicht in Simbabwe Wahlkampf machen wird. „Außerhalb des Landes herumzuhängen wird seiner Sache kaum helfen“, ließ Matonga in Harare wissen.

Tatsächlich mehrt sich in der Opposition der Unmut darüber, dass Tsvangirai im sicheren Ausland weilt, während seine Anhänger Gewalt und Vertreibung ausgesetzt sind. Mindestens 40 Oppositionelle, so Schätzungen, sind seit den Wahlen umgebracht worden. Zehntausende sind auf der Flucht. Diejenigen, die es bis in die Hauptstadt Harare schaffen, berichten von minutiös geplanten Verfolgungen auf dem Land. „Die Namen von Oppositionsanhängern stehen säuberlich auf Listen eingetragen“, berichtet ein Lehrer aus dem Mudzi-Distrikt.

Das Vorgehen der Milizen, die aus Geheimdienst, Mugabes Parteijugend und Kriegsveteranen genannten Unabhängigkeitskämpfern rekrutiert seien, sei immer das gleiche: „Sie holen ganze Familien aus ihren Höfen, brennen alles nieder und töten das Vieh.“ Die Überfallenen würden dann in Camps eingepfercht, wo sie misshandelt oder vergewaltigt würden.

Die Lage könnte sich noch verschlimmern, wenn Berichte zutreffen, nach denen eine umstrittene Waffenlieferung aus China Simbabwe erreicht hat. Demnach sind einige der 1500 Raketen, 2500 Mörsergranaten, fast 100 Granatwerfer und dreieinhalb Millionen Schuss Munition von Bord des Frachters „An Yue Jiang“ bereits an Polizei und Militär verteilt worden. Das „Schiff der Schande“ war wochenlang vor Afrikas Küste gekreuzt, weil Gewerkschafter die Entladung in Südafrika, Mosambik und Namibia verhindert hatten. Angeblich wurden die Waffen jetzt im Hafen von Pointe-Noire in Kongo-Brazzaville entladen und von der in Großbritannien registrierten Fluggesellschaft Avient Aviation nach Harare geflogen.

Die Irrfahrt soll nur deshalb erfolgreich gewesen sein, weil auf persönlichen Befehl von Südafrikas Präsident Thabo Mbeki hin ein südafrikanischer Militärversorger den chinesischen Frachter mit dem nötigen Diesel versorgt haben soll. „Alles Propaganda“, ließ Mbekis Sprecher am Wochenende verlauten. Doch wie das Schiff, das Beobachter längst auf dem Heimweg nach China wähnten, es sonst so weit geschafft haben soll, ist rätselhaft.

(Copyright Der Standard, 20.5.08)

Samstag, 17. Mai 2008

Äthiopiens Staat knebelt Zivilgesellschaft


Kritik hat Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi noch nie gut vertragen: Als sich 2005 ein Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen abzeichnete, karrten Lastwagen tausende Oppositionsanhänger in Gefängnisse, ihre Parteichefs wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Proteste von Menschenrechtsgruppen ebenso wie internationaler Organisationen verhallten. Wenn es nach dem Willen von Äthiopiens Regierung geht, dann wird in Zukunft jede Art von Kritik ganz unmöglich sein. Ein Gesetzentwurf, der am 7. Juli im Parlament beschlossen werden soll, wird zivilgesellschaftliches Engagement praktisch unmöglich machen.

So sollen Polizisten oder Ministeriumsvertreter unangemeldet alle Sitzungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verfolgen dürfen. Die Regierung soll NGO-Mitarbeiter ohne Gerichtsprozess entlassen, Büros durchsuchen und Eigentum beschlagnahmen können, sobald ein Verdacht auf "ungesetzliches Handeln" vorliegt. Internationalen Organisationen wird praktisch jedes nicht rein humanitäre Engagement untersagt. Die Bereiche Demokratie, Menschenrechte, gutes Regierungshandeln und Konfliktbewältigung sollen für sie ebenso wie für fast alle äthiopischen NGOs tabu sein. Denn ein besonders perfider Paragraf definiert all jene Gruppen als "international", die nicht zu mindestens 90 Prozent aus äthiopischen Quellen finanziert werden. Außer Pseudo-NGOs, die in Wirklichkeit zur Regierungspartei gehören, kann diese Bedingung praktisch niemand erfüllen.

Während die Regierung den Gesetzentwurf mit der Angst vor islamistischer Unterwanderung begründet, ist Äthiopiens NGO-Szene in Aufruhr. "Das ist der Versuch, eine bereits verschüchterte Zivilgesellschaft vollends mundtot zu machen und zu kriminalisieren", bilanziert ein Mitarbeiter einer deutschen NGO, der seinen Namen nicht zitiert sehen möchte. "Für uns wäre das Gesetz die Todesstrafe", befürchtet Minas Hiruy, Chef von Hope, einer äthiopischen Hilfsorganisation für Waisen. "Wir flehen die Regierung an, mit uns zu sprechen, bevor das Gesetz verabschiedet wird."

Doch Äthiopiens Justizminister Assefa Kesito hat bereits Eile angemahnt: "Uns läuft die Zeit davon. Die NGOs können ihre Kommentare in den kommenden Tagen einreichen. Das muss reichen." Diplomaten in Addis Abeba hoffen, das Gesetz noch verhindern zu können. Immerhin zahlen Geberländer jährlich etwa eine Milliarde US-Dollar an rund 3.000 NGOs in Äthiopien, die mit diesem Geld in praktisch allen Bereichen Regierungsaufgaben übernehmen. "Einer Regierung, die ihr eigenes Geld überwiegend aus dem Ausland bekommt, steht es moralisch nicht an, NGOs wegen ihrer Finanzquellen zu disqualifizieren", urteilt Getner Assefa, ein äthiopischer EU-Berater.

(Copyright die tageszeitung, 17.5.08)

Donnerstag, 15. Mai 2008

Mathe mit Mugabe


Als Junge habe ich im Laden meiner Eltern gestanden und war stolz, wenn ich abends die Einnahmen zählen durfte. Das Größte war es, Münzen in ein Raster zu schieben und später zu rollen. Kaufmännisches Rechnen habe ich also kurz nach der Muttermilch aufgesogen. Das rächte sich, als ich in Simbabwes Hauptstadt Harare frühstücken ging. Ein Nescafé, ein Doughnut, die Rechnung betrug 55 Millionen simbabwische Dollar. Ich zückte sechs 10-Millionen-Scheine. Verlegen sagte die Kellnerin: "Wir haben kein Kleingeld zum Wechseln, haben Sie fünf Millionen?"

In meinem Umhängebeutel findet sich ein Umschlag, den mir ein Freund mitgegeben hat: Simbabwe-Dollar von seiner Reise im Dezember. Ich nehme einen dicken Stapel 50 000-Dollar-Scheine heraus und zähle 100 davon ab. Drei entsprachen im Dezember einem Bier. Später sah ich auf der Straße einen 50 000-Dollar-Schein liegen. Niemand bückte sich, 50 000 gibt es schon lange nichts mehr. Gerade hat die Zentralbank den 250-Millionen-Dollar-Schein präsentiert.

Irgendwann waren meine Millionen alle und ich machte einen großen Fehler. Ich betrat zum Wechseln eine Bank. "Für einen Euro bekommen Sie hier 42 576 Simbabwe-Dollar", sagte der Angestellte an der Kasse. Das kaufmännische Rechnen setzte ein: 42 576 Simbabwe-Dollar für einen Euro, das hieße mein Nescafé mit Doughnut würde mich mehr als 1 000 Euro kosten. Das erschien mir viel. Ich packte meinen 50 000 Simbabwe-Dollar-Stapel und sagte: "Dafür hätte ich gerne Euro." Er lachte, schloss den Schalter und lud mich zu Kaffee und Aufklärung ein: Natürlich könne ich zum staatlich festgesetzten Kurs keine Euro kaufen. Das gehe nur auf dem Schwarzmarkt, zum echten Wechselkurs: ein Euro 60 gegen Millionen Simbabwe-Dollar. Nur einer kann in Simbabwe zum offiziellen Kurs in Euro wechseln: der Präsident.

Fährt Mugabe in den Urlaub, laufen die Druckmaschinen in der Zentralbank von Harare besonders schnell, dann tauschen Bankangestellte die frischen Scheine auf dem Schwarzmarkt in Euro. Der Bankangestellte geht zurück zum Schalter, um die Inflation zu beobachten.

(Copyright Berliner Zeitung, 15.5.08)

Dienstag, 13. Mai 2008

Angriff auf Sudans Zentrum der Macht


Die Nachricht erreichte Omar Hassan al-Bashir am Samstag auf einer Pilgerfahrt: Sudans Präsident besuchte gerade die Grabstätte des Propheten Mohammed in Saudi-Arabien, als er dringend nach Khartum zurückgerufen wurde. Da hatten, vollkommen unerwartet, Rebellen aus Darfur Khartums Nachbarstadt Omdurman überfallen und nach eigenen Angaben eine Luftwaffenbasis eingenommen.

In den Straßen der Drei-Millionen-Metropole lieferten sich Milizen der "Bewegung für Gleichheit und Gerechtigkeit" (JEM) Kämpfe mit der Armee. Obwohl diese den Rebellen an Ausrüstung und Anzahl hoffnungslos überlegen war, dauerte es bis zum Sonntagabend, dass al-Bashir im staatlichen Fernsehen den Sieg verkünden konnte. Aufnahmen aus Omdurman zeigten unterdessen ausgebrannte Autos und Leichen in den Straßen.

Im seit 2003 währenden Darfur-Konflikt, der sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer mittlerweile fast entvölkerten Halbwüste abgespielt hat, markiert der Angriff vom Wochenende eine entscheidende Wende. Erstmals wird die Regierung in ihrer eigenen Bastion bedroht. Auch am Montag wurde noch von vereinzelten Kämpfen in Khartum berichtet, Details waren zunächst aber unklar.

Dass es die im 600 Kilometer westlich liegenden Darfur operierende JEM schaffte, so dicht an Khartum heranzurücken, feierten ihre Führer am Montag zu Recht als militärischen Erfolg. "Die Regierung steht unter Schock", attestierte Rebellensprecher Achmed Hussein al-Bashirs Kabinett. Rebellenführer Khalil Ibrahim, dem trotz einer groß angelegten Suche und einem Kopfgeld etwa 100.000 Euro die Flucht gelang, frohlockte: "Dies ist der Anfang, das Ziel ist die Auslöschung des Regimes."

Bei seinem Blitzschlag will Ibrahim Fahrzeuge, Waffen und Geld erbeutet haben. "Es kommen noch mehr Kämpfer nach Khartum." Quellen, die der JEM-Führung nahe stehen, bestätigten der taz am Montag, dass es zwei Kolonnen der Rebellen nicht bis nach Omdurman geschafft hätten. "Mehrere JEM-Kommandeure waren zu Beginn der Kämpfe am Samstag tatsächlich überzeugt, dass sie Omdurman erobern könnten."

Doch unabhängige Beobachter sind sich einig, dass es sich beim Angriff auf Sudans Hauptstadt um ein Himmelfahrtskommando handelte, das al-Bashirs Regierung schwächen sollte. "Die JEM ist schon immer entschlossener vorgegangen als die anderen Rebellengruppen in Darfur", berichtet ein Analyst. "Ihr eigentliches Ziel ist der Sturz von al-Bashirs Regierung, nicht eine isolierte Lösung für Darfur."

Unterstützung bekam die JEM vermutlich direkt aus al-Bashirs Staatsapparat, wenn auch nicht so viel, wie erhofft. Ein US-Diplomat in Khartum erklärte, es gebe Anhaltspunkte für eine Palastrevolution. "Die Fakten sprechen für eine gewisse interne Beteiligung, auch wenn das genaue Ausmaß unklar ist." Zudem ist der Angriff der JEM eine Revanche für den Vorstoß von sudanesisch unterstützten Rebellengruppen auf Tschads Hauptstadt NDjamena Anfang Februar, bei denen Präsident Idriss Déby sich nur knapp im Amt halten konnte - auch mit Unterstützung der JEM, die ihre Basen auf tschadischem Boden hat und von Déby finanziert wird. Das war auch al-Bashir klar, als er in einer TV-Ansprache den Tschad für den Angriff verantwortlich machte und die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarn abbrach. "Wir behalten uns das Recht auf Vergeltungsschläge vor", schloss al-Bashir düster.

Sudanesische Soldaten attackierten laut Berichten nur kurz darauf die tschadische Botschaft in Khartum. Zwar hat der Tschad jede Beteiligung zurückgewiesen, aber ein Alleingang der JEM scheint kaum denkbar. Die hat am Wochenende mehrere führende Köpfe verloren, unter anderem Jamali Hassan Jelaladin, der als rechte Hand von JEM-Führer Ibrahim galt. Die Polizei nahm am Montag auch den islamistischen Oppositionsführer Hassan al-Turabi und mehrere Führungsmitglieder seiner Partei fest. Turabi gilt als Verbündeter der JEM. Beobachter befürchten, dass a-Bashir in den kommenden Tagen zurückschlagen wird. Schon kleinere Anlässe haben in der Vergangenheit ausgereicht, um Sudans Luftwaffe zur Bombardierung ganzer Dörfer in Darfur zu bewegen - mit tausenden Opfern.

(Copyright die tageszeitung, 13.5.08)

Montag, 5. Mai 2008

Angst vor einem gewaltsamen Wahlkampf


Fünf Wochen nach der Präsidentenwahl und knapp 48 Stunden nach der Verkündung des Ergebnisses ließ Simbabwes Opposition am Sonntag offen, ob ihr Kandidat Morgan Tsvangirai an einer Stichwahl teilnehmen wird. "Bevor wir uns entscheiden, gibt es noch eine Menge Fragen zu klären", erklärte der Sprecher der "Bewegung für Demokratischen Wandel" (MDC), Nelson Chamisa, der Präsident Robert Mugabe und seiner ZANU-PF nach Veröffentlichung der offiziellen Ergebnisse Diebstahl vorgeworfen hatte: "Wir haben diese Wahl im ersten Wahlgang mit 50,3 Prozent klar gewonnen." Der Wahlkommission zufolge hat Tsvangirai mit 47,9 Prozent die absolute Mehrheit verfehlt und muss deshalb erneut gegen Mugabe (43,2 Prozent) antreten.

Die MDC-Führung traf am Sonntag in Johannesburg zusammen, um über ihre Strategie zu beraten. Doch die Zeichen mehren sich, dass Tsvangirai an der Stichwahl teilnehmen wird. "Ich werde zurückkehren", kündigte Tsvangirai, der sich kurz nach der Wahl ins Ausland abgesetzt hatte, an. "Mugabe tut so, als sei Simbabwe sein Privateigentum, das können wir nicht zulassen." Und MDC-Vizechefin Thokozani Khupe meint: "Wir sind überzeugt, dass eine Stichwahl unnötig ist, aber wenn es eine gibt, dann werden wir mit noch größerem Vorsprung gewinnen." Dafür spricht, dass die 8 Prozent, die für den zweiten Oppositionskandidaten Simba Makoni gestimmt haben, kaum Mugabe wählen werden.

"Wenn Mugabe gegen ein Maultier antreten würde, würde das Maultier gewählt, so sehr wollen die Leute, dass er verschwindet", beschreibt der in Ungnade gefallene Exminister Jonathan Moyo die Stimmung. Beim Internationalen Kunstfestival, das derzeit in Harare stattfindet, gibt es kein anderes Thema. "Um eine Diktatur zu erhalten, muss man die Leute ständig beschäftigen", beantwortet etwa der Schauspieler Daves Guzha in seinem neuen Stück die Frage nach dem Hintersinn des Überlebenskampfes, dem die arbeitslosen Simbabwer täglich ausgeliefert sind.

Dass die Opposition dennoch zögert, liegt daran, dass Mugabe bei der Stichwahl vermutlich auf Nummer sicher gehen wird. Diesmal würden noch mehr Namen aus den Wählerlisten gestrichen, mutmaßt anonym ein Kirchenvertreter. "Vor allem aber wird Mugabe mit Gewalt dafür sorgen, dass Wähler aus Oppositionshochburgen vertrieben oder eingeschüchtert werden, dass sie sich nicht trauen, zur Wahl zu gehen." Gerade erst hat Mugabe die Pensionen der "Kriegsveteranen", seinen militanten Unterstützern aus dem Befreiungskrieg, um mehr als das Fünffache erhöht. Mehrere Musiker und Künstler wurden brutal verprügelt, zehn Journalisten sind seit der Wahl verhaftet worden. Berichte, die vom Land durchdringen, bestätigen die schlimmsten Befürchtungen.

Im nördlichen Sambesital müssen sich Flüchtlinge, die vor Mugabes Milizen geflohen sind, nachts im hohen Gras verstecken. "Meine achtjährige Tochter ist verschwunden, ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde", berichtet Familienvater Clever Chiusaro, der nie wieder auf seine Farm zurückkehren will: "Die bringen mich um, wenn ich das tue." In der Nähe der Stadt Bulawayo sollen Milizen Kirchen stürmen. Den Terror gegen die Bevölkerung wollen Mugabes Unterstützer offenbar lange aufrecht erhalten. Sein Sprecher Bright Matonga kündigte bereits an, die Wahlkommission habe ein Jahr Zeit, den Urnengang vorzubereiten.

(Copyright die tageszeitung, 5.5.08)

US-Angriff tötet Somalias Islamistenchef


Der Tod erwischte Aden Hashi Ayro, den Kommandanten der Al-Shabaab-Miliz, im Schlaf. "Es war drei Uhr nachts, als wir eine laute Explosion hörten und auf die Straße gerannt sind", berichtet ein Bewohner über den US-Luftangriff in der Nacht zum Donnerstag auf das Dorf Dusamareb, das 300 Kilometer nördlich von Mogadischu nahe der äthiopischen Grenze liegt. "Das Haus, in dem Ayro schlief, war komplett zerstört, einige andere Häuser drumherum auch", erzählt einer der Ältesten von Dusamareb, Ahmed Mumin Jama.

Mindestens 15 Menschen sollen ums Leben gekommen sein, außer Ayro auch ein weiteres hochrangiges Shabaab-Mitglied. Augenzeugen zufolge bombardierten mehrere Kampfflugzeuge vom Typ AC-130 das Dorf, bevor sie weiter in Richtung Äthiopien flogen. Die für Präzisionseinsätze ausgerüsteten Maschinen werden ausschließlich von der US-Armee benutzt. Deren Sprecher bestätigte einen Militärschlag in Somalia. Mukhtar Robow, der nach Ayro wohl hochrangigste Führer der Shabaab, erklärte Stunden nach dem Angriff: "Unser Bruder Aden Hashi ist den Märtyrertod gestorben durch die Hände der Amerikaner." Das werde die Shabaab-Milizen jedoch nicht davon abhalten, ihren heiligen Krieg weiterzuführen. "Wir sind auf dem richtigen Weg, deshalb wurden wir angegriffen."

Trotz der markigen Worte dürfte der Tod Ayros al-Shabaab schwer treffen. Der erst Anfang 30-Jährige galt als Drahtzieher des an Irak erinnernden Guerillakrieges gegen Somalias Regierung und die sie unterstützende äthiopische Armee. Mit am Straßenrand versteckten Bomben, Blitzattacken im ganzen Land und sogar einem Selbstmordattentat - in Somalia bislang unbekannt - versetzt al-Shabaab ("Die Jugend") das Land so sehr in Unsicherheit, dass Übergangsregierung und Äthiopien unverhältnismäßig hart zurückschlagen und Millionen fliehen.

Seine Taktik lernte Ayro im Krieg: Als Schützling des mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen Hassan Dahir Aweys - beide gehören dem Habr-Gedir-Subclan an - gelangte er 2001 in ein Trainingscamp für Terroristen in Afghanistan, kurz bevor die US-Armee dort einmarschierte. Vier Jahre später war Ayro am Aufstieg der islamischen Gerichtshöfe beteiligt, die Mitte 2006 die Macht in Mogadischu übernahmen. Doch die Führung des vergleichsweise moderaten Sheikh Sharif Ahmed ging Ayro nicht weit genug. Davon, Sharif Ahmed mit Gewalt zu stürzen, hielt Ayro nur Eritreas Armee ab, die al-Shabaab bis heute mit Waffen versorgt. Als Äthiopien Ende 2006 in Mogadischu einmarschierte und die islamistische Herrschaft beendete, floh Ayro in den unwegsamen Süden Somalias, wo die US-Luftwaffe vor mehr als einem Jahr schon einmal versuchte, ihn zu töten. Doch Ayro entkam - bis jetzt.

Für die USA ist der Tod Ayros der erste sichtbare Erfolg in ihrem Anti-Terror-Kampf in Somalia seit dem Sturz der islamischen Gerichtshöfe. In dem seit 1991 regierungslosen Somalia vermuten sie mindestens fünf weitere Terroristen, die an Anschlägen auf US-Ziele beteiligt gewesen sein sollen. In einem am Mittwoch vom US-Außenministerium veröffentlichten Bericht werden al-Shabaab und al-Qaida in Ostafrika als "größte Bedrohung amerikanischer Interessen in der Region" bezeichnet.

Doch während die USA beide Gruppen gleichsetzen, sieht die Wirklichkeit anders aus. Längst nicht alle Shabaab-Kämpfer stehen al-Qaida nahe. Moderate Somalier berichten bestürzt, wie sehr die äthiopische Besatzung der militanten Bewegung Auftrieb gegeben hat. Erstmals sind junge Männer in Somalia bereit, sich über die Clangrenzen hinweg militärisch zu engagieren. Zahlreiche den Äthiopiern nachgesagte Massaker wie der Tod von 12 Zivilisten in einem willkürlichen Rachefeldzug am Mittwoch in Baidoa erhöhen den Zuspruch für al-Shabaab weiter. Ihre Milizen übernahmen in der vergangenen Woche ganze Regionen, darunter die Stadt Jowhar, während regierungstreue Soldaten kampflos die Flucht antraten.

Mit Mukhtar Robow steht ein Nachfolger für Ayro bereit, der diesem in Militanz nicht nachsteht. Als die USA al-Shabaab offiziell als Verbündete von al-Qaida einstuften, erklärte Robow: "Wir fühlen uns geehrt, auf der Terrorliste zu stehen."

(Copyright die tageszeitung, 2.5.08)

Donnerstag, 1. Mai 2008

Vom Paria zum Liebling


Freunde bezeichnen den Mann als Vollblutpolitiker: Im Kampf gegen einen allmächtigen Präsidenten und das politische Establishment, so ihre Bilanz, lässt er sich auch von Schauprozessen und brutaler Ellbogentaktik nicht aufhalten. Anders als der abgehobene "Alte" stehe der langjährige Gewerkschafter mit beiden Beinen auf den Füßen und sei ein Mann der "kleinen Leute". Nein, nicht von Morgan Tsvangirai ist die Rede, dem kämpferischen simbabwischen Oppositionsführer, sondern von Jacob Zuma, dem neuen Chef des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Doch die Ähnlichkeiten zwischen beiden Politikern sind so groß, dass Anhänger der Opposition im gebeutelten Simbabwe den Südafrikaner Zuma als neuen Hoffnungsträger entdeckt haben. Von dem 1942 geborenen Zulu erhoffen sie sich ein Ende der ergebnislosen "stillen Diplomatie", die Südafrikas Präsident Thabo Mbeki seit Jahren propagiert. Erst kürzlich verkündete Mbeki, in Simbabwe gebe es gar keine Krise. Mehr als alles andere dürften solche Äußerungen dafür gesorgt haben, dass Zuma sich in den vergangenen Tagen stärker als zuvor für einen Wandel im vom 84-jährigen Robert Mugabe zu Grunde gerichteten Nachbarland aussprach. Denn Zuma will vor allem eins: Sich innerhalb und außerhalb der Partei gegen Mbeki profilieren, um seine Präsidentschaftskandidatur für die Wahlen 2009 perfekt zu machen.

Zwar kann der Chef der unbestritten mächtigsten Partei in Südafrika den politisch perfekten Lebenslauf vorweisen: Aufgewachsen als Sohn einer Witwe und ohne formale Schulausbildung, trat Zuma mit 17 Jahren dem im Apartheidsstaat verbotenen ANC bei und wurde später in dessen militärischem Flügel aktiv. Zuma wurde verhaftet und verbrachte zehn Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island, wo auch Nelson Mandela inhaftiert war. Aus dem Exil in Mosambik und Sambia kehrte Zuma unmittelbar nach der Legalisierung des ANC zurück nach Südafrika und verhandelte mit über die Post-Apartheids-Regierung. Doch all die politischen Meilensteine werden seit 2006 überschattet von Zumas Skandalen: Ungeschützter Sex mit einer HIV-positiven Frau ("ich habe danach geduscht, um kein AIDS zu bekommen"), die Zuma Vergewaltigung vorwirft - ein Gericht sprach ihn frei. Doch im August wird der bekennende Polygamist, der mindestens 18 Kinder von fünf verschiedenen Frauen hat, erneut vor Richtern stehen, diesmal wegen Korruption und Betrugsvorwürfen. Zwar stehen seine Unterstützer, allen voran der linke Flügel des ANC, unerschütterlich zu ihm - doch in Finanz- und Wirtschaftskreisen ist Zuma ebenso unten durch wie im Ausland. Die Krise in Simbabwe kommt Zuma gerade recht, um sich als präsidiabel zu verkaufen.

"Man darf eine Nation und im Effekt die internationale Gemeinschaft nicht in solch Anspannung versetzen", kritisierte Zuma schon Anfang April die simbabwische Wahlkommission, die auch einen Monat nach der Präsidentenwahl noch kein Ergebnis verkündet hatte. Da hatte Mbeki gerade erklärt, man könne gelassen auf ein Ergebnis warten. Auf Besuch in London wählte Zuma zwei Wochen später noch einmal kämpferische Worte: "Ich glaube kaum, dass in der simbabwischen Verfassung steht: Wahlergebnisse können bekannt gegeben werden, wann immer es der Wahlkommission beliebt." Gemeinsam mit Großbritanniens Premierminister Gordon Brown veröffentlichte Zuma eine Erklärung, in der beide eine sofortige Bekanntgabe der Ergebnisse und ein Ende der Gewalt in Simbabwe fordern. Und auf einmal stand Jacob Zuma, der einstige Paria, als neuer Darling des Westens im Rampenlicht. "Ich habe Morgan Tsvangirai getroffen, er ist ein Arbeiter wie ich und ein tapferer Mann", erklärte Zuma kurz darauf.

Zumas Kritik an der Situation in Simbabwe soll ihm zudem an der Heimatfront helfen, beim südafrikanischen Gewerkschaftsbund COSATU, der ANC-Jugendbewegung und den Kommunisten, die ihn innerhalb des ANC stützen. Seit er Parteichef ist, hat Zuma seine Basis mit Beschwichtigungen irritiert. "An der südafrikanischen Wirtschaftspolitik wird sich unter meiner Führung nichts ändern", sagte Zuma etwa kürzlich. Was die Wirtschaft aufmuntern soll, verunsicherte diejenigen, die in Mbekis Südafrika ein Wirtschaftswachstum ohne neue Arbeitsplätze kritisieren. Dass Zuma seine Stimme zu Simbabwe erhebt,kommt hingegen gut an: COSATU und die Kommunisten hatten die Wahl in Simbabwe schon vor dem Urnengang als unzulässig gebrandmarkt, weil die Opposition unterdrückt werde. "Robert Mugabe hat uns missbraucht", erklärte etwa der ANC-Finanzchef und Zuma-Verbündete Mathews Phosa. Erst vergangene Woche stoppten Gewerkschaften einen Waffentransport ais China nach Simbabwe, indem ihre Mitglieder sich weigerten, einen Frachter im Hafen von Durban zu entladen. Das mit mehr als 70 Tonnen Waffen beladene Schiff musste nach China zurückkehren.

Doch die Kritik des Populisten Zuma richtet sich, anders als bei seinen Verbündeten, nicht primär gegen Mugabe, sondern vor allem gegen seinen politischen Erzfeind Mbeki. Denn in Wirklichkeit haben Zuma und Mugabe mehr als nur einige Gemeinsamkeiten. So verlangen Zumas Berater, dass ein Drittel des Farmlandes bis 2014 in Händen schwarzer Bauern sein soll - bei weißen Bauern, die bis heute den Großteil der Landwirtschaft am Kap kontrollieren, weckt das unerfreuliche Erinnerungen an Mugabes Vertreibungen weißer Farmer in den vergangenen Jahren. Beide politischen Führer sind für ihre Brandreden bekannt - die britische "Times" titelte kurz nach Zumas Wahl zum Parteichef: "Ist das der neue Mugabe?" Mugabe war der erste Staatschef, der Zuma nach seiner Wahl zum ANC-Vorsitzenden ein Telegramm schickte. "Glückwünsche vom Bruder Führer", stand darin.

Mit Kritik an Mugabe selbst hat sich Zuma denn auch zurück gehalten. "Was nutzt es, Mugabe zu beleidigen?", verteidigte Zuma Südafrikas Blockade einer Simbabwe-Diskussion im UN-Sicherheitsrat. Auch für ein Waffenembargo sei es zu früh, urteilte Zuma, und konnte nicht umhin, Mbeki doch zumindest ein wenig Respekt zu zollen: "Südafrika tut mehr als die meisten." Dem Spiegel sagte Zuma vor einem Jahr: "Mugabe ist bei den Afrikanern sehr beliebt, die Europäer ignorieren das oft." Er, Zuma, habe Mugabe nicht widersprechen können, als er dem Westen bei einem persönlichen Gespräch Doppelzüngigkeit vorgeworfen habe: Der gewählte Mugabe werde vom Westen kritisiert, während die USA und Großbritannien Militärherrscher wie Pervez Musharraf unterstützten. "Da konnte ich nichts drauf erwidern."

Doch auch wenn seine Motive opportunistischer Natur sein mögen: Südafrikas Kritik, und sei sie noch so verhalten, ist für Simbabwes Opposition so wichtig, dass sie sich schon mangels Alternative an Zuma klammern muss. Das Land am Kap gilt neben China als einziges, das einen Regimewechsel in Harare herbeizwingen könnte. Zweifellos hat Zuma dafür im ANC das nötige Backing. "Er ist ein Mann, der zuhört", sagt einer seiner Anhänger über Jacob Zuma. Wenn das wirklich stimmt, dann wird Zuma auf Dauer nicht um härtere Kritik an Robert Mugabe herumkommen.

(Copyright Rheinischer Merkur, 1.5.2008)