Sonntag, 29. Juni 2008

Baustelle Südafrika


Wenn am Sonntag in Wien die Euro 2008 zu Ende geht, sind es nicht einmal mehr zwei Jahre, bis am 11. Juni 2010 in Johannesburg der Anpfiff zur ersten Fußball-WM auf afrikanischem Boden gegeben wird. Mehr als 400.000 Besucher aus aller Welt werden zu dem einmonatigen Spektakel erwartet. "Die WM in Südafrika wird eine Feier afrikanischer Menschlichkeit ", verspricht Chef-Organisator Danny Jordaan. Doch ob Afrikas "Regenbogennation" dieses Versprechen halten kann, bezweifeln selbst im eigenen Land immer mehr.

Der 24-jährige Maurice aus Simbabwe etwa, der bis vor einigen Wochen am Stadtrand von Johannesburg gelebt hat, will nach den Pogromen gegen Ausländer im Mai so bald nicht wieder nach Südafrika zurück. "Sie haben mich verprügelt, sie haben mein Haus geplündert und alles zerstört, was ich besaß." Mehr als fünfzig Immigranten kamen in den Unruhen im Mai ums Leben, zehntausende wurden wie Maurice bis heute vertrieben. Dass Polizei und Politik wochenlang nicht in der Lage waren, den Ausschreitungen ein Ende zu machen, bedrückt WM-Organisator Jordaan besonders. "Unser Land ist aus vollkommen falschen Gründen in die Schlagzeilen geraten."

Tatsächlich glaubt niemand, dass WM-Besucher in Südafrika Angst vor ausländerfeindlichen Übergriffen haben müssen. Doch hinter den Ausschreitungen steckt die riesige Schere zwischen arm und reich in Afrikas wohlhabendster Nation: Gut ein Drittel der Südafrikaner sind arbeitslos. Die Masse der ungelernten Arbeiter, die für vielleicht 250 Franken im Monat arbeitet, kann die steigenden Preise für Lebensmittel und Unterkunft kaum noch bezahlen. Auf dem Land kommt dazu, dass die versprochene Umverteilung von Land an schwarze Farmer bislang nicht stattgefunden hat. Kein Wunder, dass Kriminalität in Südafrika boomt. Mehr als 50 Morde pro Tag registrierte Südafrikas Polizei im vergangenen Jahr. "Die hohe Kriminalitätsrate droht Besucher davon abhalten, zur WM zu kommen", warnte kürzlich Tourismusminister Marthinus van Schalkwyk.

Anfang Juni gingen in Pretoria zehntausend Demonstranten gegen die wachsende Kriminalität auf die Straße. "Die neunjährige Tochter eines Freundes wurde vergewaltigt und dann ermordet, da musste ich etwas unternehmen", erklärt der Organisator Desmond Dube. Auch der Vorsitzende des südafrikanischen Fußballbundes, Raymond Hack, wurde vor einem Jahr Opfer eines Raubüberfalls. Doch Südafrikas Polizei glaubt, gewappnet zu sein: "Die meisten Morde geschehen in den Townships, Touristen sind sicher", so ein Sprecher. 30.000 neu eingestellte Polizisten sollen WM-Besucher schützen.

Kriminalität ist nur eines der Probleme, die Südafrikas Regierung bis 2010 bewältigen muss. Da sind die zehn Stadien, fünf davon Neubauten. "Alle Stadien werden bis Januar 2009 fertig sein", verspricht zwar der zuständige Vize-Finanzminister Jabu Moleketi. Doch Streiks auf den Baustellen und juristische Streitereien haben zu Verzögerungen geführt. "Mit den Stadien in Port Elizabeth und Kapstadt haben wir Probleme, das Zieldatum einzuhalten", gesteht Jordaan ein. Das vorgesehene Budget von umgerechnet knapp 1,3 Milliarden Franken sei zudem schon überschritten.

Noch schwerer vorherzusagen ist der Ausbau der für die WM nötigen Infrastruktur: In Bloemfontein etwa sind erst 6.500 der geplanten 20.000 Hotelzimmer verfügbar. Der Ausbau von Straßen und Flughäfen ist zwar im Gang, doch es fehlt immer noch an Bussen und Flugzeugen, um die Fußballfans durch das riesige Land zu transportieren. Ein Schnellzug, der die staugeplagten Straßen in Johannesburg entlasten soll, wird nach Plan erst 11 Tage vor WM-Beginn fertig - das ist mehr als knapp. Südafrikas Stromversorger hat unterdessen wegen fehlender Kraftwerke für die kommenden fünf Jahre großflächige Stromausfälle vorhergesagt. Im Januar hingen Touristen in der Seilbahn zu Kapstadts Tafelberg stundenlang in der Luft, weil der Strom weg war. Goldminen mussten ihren Betrieb einstellen.

Doch wenigstens Südafrikas größtes Potential ist intakt: Mit Herz und Begeisterung sind die Südafrikaner dabei, 85 Prozent glauben einer jüngsten Umfrage zufolge fest daran, dass ihre WM zu einem Riesenerfolg wird. "Für uns geht es um mehr als nur ein Sportevent, wir wollen ein neues Nationalbewusstsein schaffen", verspricht Jordaan einen Enthusiasmus, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.

(Copyright Der Sonntag, 29.6.08)

Donnerstag, 26. Juni 2008

König der Bettler


Nach seiner Niederlage im März war Robert Mugabe schon abgemeldet, jetzt ist er zurück. Und wenn man seinen Anhängern glauben will, wird er bleiben: bis zum bitteren Ende. Porträt eines Mannes, der die Macht in Simbabwe seit 28 Jahren nicht abgeben will.

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Im Schlupfwinkel von Löwenohr


Die Jacht, die am Sonntag im Golf von Aden gekapert worden ist, dümpelt auch drei Tage später noch im seichten Wasser nahe der Küstenstadt Las Korey. Der Tank ist leer, weiß der Verwaltungschef der Region, Jama Dabeed, zu berichten. Seine Truppen, die zur Armee der halbautonomen Region Puntland im Norden Somalias gehören, haben das Schiff zwar gefunden, können es aber ohne Treibstoff nicht bergen. Deshalb bleibt die Jacht dort, wo die Entführer der Besatzung den Anker geworfen haben. Am Heck weht noch immer die deutsche Flagge.

Diesseits des Ozeans erstreckt sich eine staubige, bergige Halbwüste. Die nomadische Bevölkerung der Gegend lebt von Kamelzucht und Fischerei, sonst gibt es wenig, auch keine wirksame Staatsgewalt. Doch man kennt sich hier, am östlichsten Punkt Afrikas, und deshalb weiß man auch, wer die Entführer sind. "Löwenohr" wird der Chef der Truppe genannt, und sein Großvater hat eine Farm in den Bergen, nicht weit von Las Korey entfernt. "Dort befinden sich die Entführten, ich habe sie gesehen und es geht ihnen gut", zitiert ein Radiosender in Puntlands Hauptstadt Garowe einen Ältesten aus der Region. Auch ein Sprecher der Entführer hat sich inzwischen gemeldet: "Die Ausländer sind in unsere Gewässer eingedrungen, wir wollen Steuern und Lösegeld." Ein Arzt soll unterwegs sein zu der Farm von Löwenohrs Opa, um die Gefangenen zu untersuchen. An Details zu den Entführern herrscht kein Mangel.

Umso überraschender ist es, dass am Mittwoch immer noch unklar ist, wer genau auf dem Boot war. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte zwar, dass es sich um zwei Deutsche handelt. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass ein deutsches Kind an Bord der Jacht gewesen sei, sagte ein Sprecher. Er ließ offen, ob es Kontakt zu den Entführern gibt. Möglicherweise ist es tatsächlich das Ehepaar mittleren Alters aus Süddeutschland, von dem der lokale Verwaltungschef Dabeed spricht und das angeblich von Ägypten nach Thailand fahren wollte. Andere Offizielle aus der Region berichten, die Jacht sei aus dem gegenüberliegenden Jemen gekommen.

Wer auch immer sich am Sonntag an Bord der Jacht befand, war offenbar zur falschen Zeit am falschen Ort. Fischer sollen das Schiff nahe der Küste entdeckt haben, womöglich, nachdem es wegen Treibstoffmangels manövrierunfähig geworden war. Sie alarmierten Löwenohr, der mit ein paar Kumpanen und Kalaschnikows das Boot einnahm. Es handelte sich wohl nicht um organisierte Piraterie, wie sie vor Somalias Ostküste fast täglich vorkommt. "Da hat jemand eine Gelegenheit ausgenutzt", meint ein Kenner der örtlichen Zustände.

Kompliziert ist die Lage auch deshalb, weil rund um Las Korey immer wieder gekämpft wird. Die ölreiche Maakhir-Region hat im vergangenen Jahr ihre Unabhängigkeit erklärt, was den Präsidenten von Puntland auf den Plan rief. Adde, wie Mohammed Musa Hersi genannt wird, hatte nämlich bereits lukrative Förderlizenzen an einen australischen Konzern verkauft. Unterstützt werden die Separatisten in Maakhir von Truppen aus dem weiter westlich gelegenen Somaliland, das sich 1991 einseitig von Somalia lossagte und seitdem - für somalische Verhältnisse - als eine Art Musterländle galt.

Weil die Zuständigkeiten dermaßen unklar sind, stehen jetzt zwei Trupps am Fuß der Bergkette, um die Geiseln zur Not mit Gewalt zu befreien, berichten Dorfälteste. Anfang des Jahres war es der somaliländischen Armee gelungen, auf diese Weise den deutschen Entwicklungshelfer Daniel Bronkel zu befreien, der nicht einmal 50 Kilometer von Las Korey entfernt von Entführern aus seinem Auto gezerrt worden war. 24 Stunden später war er wieder frei.

Warum die Jacht überhaupt in den Küstengewässern vor Somalia unterwegs war, dürfte sich erst klären, wenn die Geiseln wieder frei sind. Die Vereinten Nationen nennen den Golf von Aden, der vom Indischen Ozean ins Rote Meer führt, die gefährlichste Wasserstraße der Welt. Der empfohlene Mindestabstand zur Küste beträgt 200 Kilometer - überall sonst sind es nur 50. Der Grund: Es gibt keine Regierung, keine Küstenwache, keine Polizei in Somalia, niemanden, der Piraten ihr Geschäft vermiesen könnte. Erst am Mittwoch ließen Entführer ein holländisches Schiff frei, dass sie vor einem Monat entführt hatten - für fast eine Million Euro Lösegeld.

"Katastrophal ist das", verurteilte Puntlands machtloser Sicherheitsminister Jama Hersi Farah die Entscheidung des Reeders zu zahlen. "Puntland wird niemals irgendjemandem Lösegeld zahlen." Auch ein deutsches Schiff, die Lehmann Timber, ist seit einem Monat in der Hand von Entführern. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, beklagt sich die ukrainische Regierung, die sich um die Freilassung der osteuropäischen Crew bemüht. Angeblich sind einige Matrosen erkrankt, Eile ist geboten.

(Copyright Berliner Zeitung, 26.6.2008)

Mittwoch, 25. Juni 2008

Schmierstoff aus München


Jugendmilizionäre, die in Simbabwe im Auftrag von Präsident Robert Mugabe Angst und Schrecken verbreiten, gehören zu den wenigen, die in dem bankrotten Land noch bezahlt werden. Für Massenvertreibungen und Einsatz in Folterlagern bekommen sie Geld, das aus Deutschland stammt: Das Münchner Unternehmen Giesecke und Devrient liefert unablässig frisches Spezialpapier für Banknoten nach Simbabwe.

"Noch vor zwei Wochen ist ein Flugzeug in Harare gelandet, das mehr als 400.000 Bögen Spezialpapier von Giesecke und Devrient für Banknoten an Bord hatte", weiß ein simbabwischer Journalist. Dass Mugabes Geld aus Deutschland kommt, ist in Simbabwe hinter vorgehaltener Hand weithin bekannt. Zwei Angestellte der Zentralbank bestätigen, dass die Lieferungen einmal wöchentlich aus Johannesburg kommen. Das können sie mit Eingangsquittungen belegen.

Die Lieferungen, so bezeugen die Angestellten der Zentralbank, kommen über Johannesburg. Mit South African Airways, einer international renommierten Fluglinie für Werttransporte, braucht das auf Frachtlisten nur als "VAL" (Valuable für Wertgegenstand) ausgewiesene Spezialpapier nicht mehr als 13 Stunden, bis es von München über die südafrikanische Metropole in Harare landet. Die mit Wasserzeichen und Sicherheitsstreifen ausgestatteten Papierbögen werden vom Flugfeld im Polizeikonvoi zur Staatsdruckerei am Rand der simbabwischen Hauptstadt gebracht. Dort wird aus dem Papier per Aufdruck von immer mehr Nullen Geld gemacht - oder das, was man in Simbabwe Geld nennt.

Denn Simbabwe ist ein Land mit einer wertlosen Währung. Die Inflation wird auf zwei Millionen Prozent geschätzt, die Zentralbank hat gerade den 75-Milliarden-Schein eingeführt. Noch vor drei Monaten waren 10-Millionen-Scheine im Umlauf. 75 Milliarden Simbabwe-Dollar sind auf dem Schwarzmarkt etwa vier Euro wert.

Für Gorden Moyo von der oppositionsnahen Organisation "Bulawayo Agenda" ist das Geld aus Deutschland Mugabes wichtigste Waffe. "Ohne die ständigen Lieferungen aus München wäre die Terrorkampagne längst zusammengebrochen," sagt er. Denn das frisch gedruckte Geld ist Schmiergeld für die Regimetreuen und Kapital für das Regime. Angestellte der Zentralbank tragen die frisch gedruckten Scheine auf den Schwarzmarkt, um damit Dollar und Euro zu kaufen. "Damit schmiert die Regierung weitere Anhänger und kauft Waffen oder Munition."

Der stete Geldfluss ermöglicht es den Mächtigen zudem, ansonsten unerschwingliche Luxusgüter auf Kosten der Staatskasse zu kaufen. Denn Simbabwe hat drei verschiedene Wechselkurse. Auf dem Schwarzmarkt ist ein US-Dollar 12 Milliarden Zim-Dollar wert und ein Euro 18 Milliarden. Den Schwarzmarkt nutzen Normalbürger, beispielsweise um Studiengebühren für ihre Kinder im Ausland oder nur im Ausland erhältliche Medikamente bezahlen zu können, oder für Visagebühren zur Ausreise in die USA, nach Großbritannien oder Südafrika. Simbabwische Unternehmen, die Devisen für Auslandsgeschäfte brauchen, können einen etwas günstigeren Interbankkurs benutzen, aber hier werden die Devisen von der Zentralbank zugeteilt, so dass viele Geschäftsleute doch auf den Schwarzmarkt angewiesen sind. Und schließlich gibt es einen komplett surrealen staatlich festgesetzten Wechselkurs, demzufolge ein US-Dollar 30.000 Zim-Dollar wert ist und ein Euro etwa 50.000 Zim-Dollar.

Dieser "offizielle" Kurs ist es, der Simbabwes Elite ein flottes Leben ermöglicht. Wer als Einreisender nach Simbabwe zu diesem Kurs die einheimische Währung erwirbt, müsste für den Gegenwert eines Brotes (derzeit 3,5 Milliarden Zim-Dollar) 70.000 Euro hinblättern. Umgekehrt ist der 75-Milliarden-Schein - auf dem Schwarzmarkt knapp vier Euro - nach diesem Wechselkurs 1,5 Millionen Euro wert.

So konnte vor wenigen Monaten ein hoher Politiker, der zu den wenigen gehört, die Zim-Dollar zum "offiziellen" Kurs tauschen dürfen, eine 100.000 Euro teure Luxuskarosse für weniger als ein Zehntel Euro-Cent erwerben, weil er in Zim-Dollar zum "offiziellen" Kurs zahlte.

Selbstredend stehen solche Geschäfte nur denjenigen offen, die als unverzichtbare Stützen des Regimes gelten. Regierungsangehörige und die Präsidentenfamilie nutzen diesen Wechselkurs auf Auslandsreisen. Die Differenz zwischen den Wechselkursen übernimmt die Zentralbank.

Dass durch solche Machenschaften die Inflation weiter angeheizt wird, stört die Herrschenden nicht. Ist das Geld nichts mehr wert, wird das Papier aus München einfach mit noch mehr Ziffern bedruckt. Die Ersparnisse der meisten Simbabwer sind derweil schon lange wertlos geworden. Kein Wunder, dass Giesecke und Devrient (Jahresumsatz 2007: 1,5 Milliarden Euro) sich von Mugabe in Devisen bezahlen lässt. 500.000 Euro sollen pro Lieferung fließen.

Giesecke und Devrient will die Lieferungen weder bestätigen noch dementieren. "Mit der Produktion von Banknoten nehmen wir eine hoheitliche Aufgabe wahr und dürfen zu einzelnen Kundenbeziehungen keine Stellung nehmen", erklärt Unternehmenssprecher Heiko Witzke. "Customer Intimacy" nennt das die PR-Abteilung.

Anrüchig mag der Mugabe-Deal sein, illegal ist er nicht. "Es gibt keine europäischen Handelssanktionen gegen Simbabwe", erklärt der zuständige EU-Sprecher François Head. Einzig Waffen dürfen europäische Unternehmen nicht nach Simbabwe liefern.

Doch eigentlich müsste die Führung von Giesecke und Devrient die Geschäfte mit Mugabe von sich aus einstellen, jedenfalls dann, wenn sie den hauseigenen "Verhaltenskodex" (laut Vorwort der "ethische Handlungsrahmen" des Unternehmens) ernst nimmt. Darin heißt es gleich zu Beginn unter der Überschrift "Menschenrechte": "Wir achten die persönliche Würde ... und die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen." Dass die Geldlieferungen für Mugabe dem entgegenstehen, scheint offensichtlich. Doch Unternehmenssprecher Witzke sieht das anders: "Wir halten uns an die Bewertung der Völkergemeinschaft und alle Vorgaben und Regeln, die es von nationaler und internationaler Seite gibt." Soll heißen: Ohne Handelssanktionen wird weiter deutsches Geld für Mugabe fließen.

(Copyright die tageszeitung, 25.6.08)

Donnerstag, 19. Juni 2008

Afrikas letzter Söldner


Als Simon Mann am 7. März 2004 auf dem Flughafen von Harare verhaftet wurde, befand er sich gerade auf dem Weg, um mit 70 erfahrenen Exsoldaten einen afrikanischen Zwergstaat zu übernehmen. Doch daraus wurde nichts. Heute muss sich der 55-jährige Südafrikaner, der in Großbritannien geboren wurde, vor dem höchsten Gericht von Äquatorialguinea verantworten, jenem Land, das er hatte stürmen wollen. Der Vorwurf lautet auf Staatsverrat, Mann drohen 32 Jahre Haft.

Bevor er zum Söldnerchef wurde, durchlief der Sohn eines berühmten Cricketkapitäns und Erbe eines Brauereiimperiums praktisch alle Stationen der britischen Upperclass. Er besuchte Eton, College der Prinzen und Adligen, und die prestigeträchtige Militärakademie von Sandhurst. Mann kämpfte in der britischen Spezialeinheit SAS, zuletzt im Golfkrieg Anfang der 90er-Jahre. Da hatte er bereits sein erstes Unternehmen gegründet: "Executives Outcomes" kassierte für Söldnerbrigaden zum Schutz der Ölanlagen im Bürgerkriegsland Angola Millionen. Eine zweite Firma, "Sandline", versorgte Sierra Leones Armee im Bürgerkrieg Mitte der 90er-Jahre trotz Embargo mit Waffen und machte Schlagzeilen, als die gewaltsame Niederschlagung einer Rebellion in Papua-Neuguinea mit Festnahmen endete. Die Regierung wollte sich nicht mehr erinnern, Mann den Auftrag gegeben zu haben.

In der globalen Schattenwelt käuflicher Armeen avancierte Mann zum Star, zu einem Söldner alter Schule, der im neuen Jahrtausend auszusterben droht. Seinen Auftraggebern erschien er deshalb wohl als der richtige Mann, um einen Putsch gegen den seit 29 Jahren in Äquatorialguinea regierenden Despoten Teodoro Obiang zu organisieren. Der Plan flog kurz vorher auf, als Manns Boeing 727 mit den Söldnern und tonnenweise Waffen an Bord am Flughafen von Harare gestürmt wurde. Mann, der die Tat inzwischen gestanden hat, bezeichnet sich selbst als Manager der Operation, die Architekten seien andere gewesen. Am ersten Prozesstag war das Gericht von Malabo von Soldaten umstellt, weil die Regierung fürchtet, die mutmaßlichen Hintermänner könnten Mann ermorden lassen.

Neben der angeblichen Verwicklung von Spaniens Exministerpräsident José María Aznar und Südafrikas Geheimdienst ist die millionenteure Finanzierung der Operation am skandalumwittertsten. Prominentester Zuschussgeber ist Sir Mark Thatcher, Sohn der "eisernen Lady", der Mann einen Kampfhubschrauber finanzierte. Wenn Mann alle Hintermänner nennt, so ließ Obiang bereits durchblicken, könnte er mit einer Begnadigung rechnen.

(Copyright die tageszeitung, 19.6.08)

Samstag, 14. Juni 2008

Goldener Start für Kenias Volksaktie


Monatelang hat James Orengo am Essen gespart, Kneipenbesuche und Fahrten zu seiner Familie auf dem Land wurden gestrichen. Die Eltern gaben einen kleinen Zuschuss, der Arbeitgeber einen Kredit, dann hatte der Gärtner die 10.000 Kenianischen Schillinge, umgerechnet 100 Euro, zusammen, die er bei seiner Bank als Einlage für das Minimum von 2.000 Safaricom-Aktien einzahlte: "Das sind für mich fast zwei Monatseinkommen." Wie er, so machten es auch 840.000 andere: So hoch ist die Zahl der Kleinaktionäre, die jetzt ein Stückchen vom profitabelsten Unternehmen Ostafrikas besitzen. Der Mobilfunkriese hat im vergangenen Jahr mehr als 250 Millionen Euro Gewinn eingefahren. Kein Wunder, dass in Kenia eine Art Massenhysterie ausbrach, als die Regierung vor einigen Monaten ankündigte, ein Viertel des Unternehmens an die Börse zu bringen. Zum Schluss war die Aktie um mehr als 500 Prozent überzeichnet, einen solchen Ansturm hatte Kenias Aktienmarkt noch nie erlebt.

Kenias Präsident Mwai Kibaki ließ es sich am Montag nicht nehmen, höchstpersönlich den Handel an Nairobis Börse zu eröffnen. Ihren Einstand feierte die neue Aktie mit satten Kursgewinnen: Am Mittag war jede Aktie schon 60 Prozent mehr wert als bei der Ausgabe. Nicht nur Orengo, der die Kursentwicklung über einen eigenes eingerichteten SMS-Service beobachtete, war erfreut: "Mir fällt ein Stein vom Herzen, zum Schluss war ich doch nicht mehr sicher, ob das klug angelegtes Geld war." Zeitungen hatten seit Wochen gewarnt, Spekulanten könnten mit Massenverkäufen den Wert der Aktie in den ersten Stunden in den Keller treiben. Das hätte Orengo hart getroffen, auch wenn er wegen der Überzeichnung - wie alle Kleinstanleger - statt der versprochenen 2.000 nur 420 Aktien abbekommen hat. Ab heute, so versprechen die Banken, wird Anlegern wie Orengo das zu viel gezahlte Kapital zurückgezahlt. Wegen der hohen Rückzahlungen, so warnte am Morgen Kenias Zentralbank, könnte in den kommenden Wochen Bargeld im Land knapp werden.

Der Staat ist eindeutig der große Gewinner dieses Börsengangs: Mit dem Verkauf seiner Aktienanteile macht Kenias Finanzminister mehr als 520 Millionen Euro Gewinn. An der Attraktivität der Aktie für die Anleger gibt es keinen Zweifel. Safaricom hat mehr als zehn Millionen Abonnenten, deutlich mehr als der einzige Rivale Celtel. Das Wachstumspotential ist dennoch groß, weil erst ein Drittel der 37 Millionen Kenianer ein Mobiltelefon besitzt.

Doch darüber können sich diejenigen nicht freuen, die im Zuge des Börsenansturms einen der Bankkredite in Anspruch nahmen, die überall offeriert wurden. Sie zahlen bereits seit zwei Monaten Zinsen für eine Summe, die sie größtenteils nicht in Aktien umsetzen konnten. Über die Rücküberweisung von vier Fünfteln der Einlage können sie sich nicht freuen, weil sie sich ohne die erhofften Kursgewinne die Rückzahlung des Kredits niemals leisten können werden. "Viele, die auf eine höhere Zuteilung spekuliert haben, werden pleite gehen", vermutet ein leitender Broker der Kenya Commercial Bank (KCB). Dazu kommt die seit Jahresanfang galoppierende Inflation, die jeden Gewinn zunichte zu machen droht: Im Mai lag die Rate bei 31,5 Prozent. "Die Regierung wird alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die Inflationsrate wieder zu senken", versprach Kibaki am Montag. Doch welche Maßnahmen das sein könnten, ließ er offen.

Überschattet wird der Börsengang schließlich von einem Korruptionsskandal über die wahre Inhaberstruktur von Safaricom. Neben dem Staat und dem britischen Mobilfunkunternehmen Vodacom sollen zwischen fünf und zehn Prozent der Aktien einer mysteriösen Firma namens "Mobitelea" mit Sitz auf Guernsey gehören, hinter der Oppositionspolitiker Funktionäre der alten Regierung von Präsident Kibaki vermuten. Jeder Versuch von Kenias Anti-Korruptionsbehörden, die Hintermänner von Mobitelea aufzudecken, ist bislang gescheitert. Aktivisten erklären, es gebe Widerstand "von ganz oben".

(Copyright Wirtschaft regional Liechtenstein,

Mittwoch, 11. Juni 2008

Land des verlorenen Glaubens


Die Stille im Kloster von Kipkelion ist absolut. Auf dem Berggipfel über den Teeplantagen, die weite Teile des kenianischen Rift Valleys bedecken, schluckt der dichte Wald jeden Ton von der nur wenige Meter entfernten Hauptstraße. Das vor mehr als fünfzig Jahren aus massivem Granit erbaute Refugium des Zisterzienserordens ragt wie ein Mahnmal in den von schwarzen Wolken durchzogenen Himmel. Wenn dieses Kloster ein Ort des Friedens ist, dann ist es ein trügerischer Frieden. So wie im Rest des Rift Valleys, das nach den Wahlen im Dezember die schlimmsten Massaker erlebt hat, ist auch in Kipkelion nie wieder Normalität eingekehrt.

Pater Stefano Rwegarulira, der das Kloster "Unsere Mutter Gottes von Victoria" leitet, liest jeden Tag die Zeitungen aus dem 200 Kilometer entfernten Nairobi. Auf einem Tisch liegen die meiste einen Tag alten Ausgaben vor dem kargen Speisesaal, in dem die zwölf verbliebenen Mönche schweigend ihre Mahlzeiten einnehmen. "Ich lese von der großen Koalitionsregierung und den Aufrufen der Politiker zum Ende des Hasses, aber hier hat sich nichts geändert." Seit drei Monaten regieren in Kenia fast 100 Minister beider politischer Lager gemeinsam. An diesem Mittwoch wird nicht weit vom Kloster entfernt wieder gewählt, es ist die Nachwahl für einen Abgeordneten, der während der Unruhen erschossen wurde. Opposition und Regierung, die jetzt in einem Boot sitzen, beschwören in diesem Wahlkampf unisono die Rückkehr der Einheit des Landes. Doch das, glaubt der Tansanier Rwegarulira, wird nicht klappen. "Die Wurzeln des Hasses zwischen den Ethnien hier gehen viel tiefer als der politische Konflikt, da spielt vor allem der Kampf um das knappe Land eine Rolle." Die Mehrheitsethnie der Kalenjin erhebt Anspruch auf die fruchtbaren Felder, auf denen nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 Kikuyu aus dem Hochland, Luhya aus dem Westen oder Luo vom Viktoriasee angesiedelt wurden. Manche haben das Land von weißen Siedlern gekauft, andere bekamen es von Kenias erster Regierung zugewiesen. Im Januar eskalierte die schon seit Jahren angespannte Lage in Pogromen. Tausende Nichtkalenjin wurden von im Wahlkampf aufgehetzten ethnischen Milizen vertrieben.

Sie flohen in die wenigen Orte, die ihnen sicher erschienen; Orte wie das Kloster von Kipkelion. "Es war am helllichten Tag, die Leute kamen aus allen Richtungen angerannt und sind auf unseren Hof geströmt", erinnert sich der Zisterzienser Rwegarulira. "Sie sind aus ihren Häusern getrieben worden, von jugendlichen Kalenjin, die mit Macheten bewaffnet waren. Dann wurden die Häuser angezündet, die meisten konnten nichts retten außer ihrem Leben." Am Ende des Tages waren es 700 Vertriebene, die die Mönche notdürftig im Stall, im Lagerraum und in der Abtei unterbrachten. Kipkelion liegt auf mehr als 2.000 Meter Höhe, nachts ist es trotz der Nähe zum Äquator empfindlich kalt. Flackernde Lichtkegel in der wolkenverhangenen Nacht zeigten den Mönchen an, wo die Milizen ihre Lagerfeuer angezündet hatten: Das Klostergelände war umstellt. "Wir haben die Polizei angerufen, und Hilfsorganisationen, damit wir die Flüchtlinge irgendwie versorgen konnten." Das Kloster von Kipkelion ist gebaut wie eine Festung, die anrückenden Polizisten konnten das Gebäude deshalb leicht verteidigen. Doch aus demselben Grund brauchten die Hilfsorganisationen mehrere Tage, bis sie sich durch den Belagerungsring bis ins Kloster durchschlagen konnten, um Decken und Lebensmittel zu bringen. Und die Versorgung war nicht das einzige Problem. "Eine Woche, nachdem die Vertriebenen hier angekommen waren, erhielten wir Nachricht von einem befreundeten Kalenjin." Rwegaruliras Stimme zittert, wenn er von der darauffolgenden Nacht erzählt. "Wie in der Nachricht vorhergesagt, zündeten die Milizen ein Haus in unserer Nachbarschaft an, die Flammen schlugen hell in den Himmel." Der Brandanschlag sollte ein Ablenkungsmanöver sein. Nur weil sie gewarnt worden waren, blieben die Polizisten im Kloster und schlugen mit ihren Maschinengewehren Hunderte zurück, die aus drei Richtungen auf die Abtei zustürmten. "Hätten wir nichts gewusst, wir wären am nächsten Morgen alle tot gewesen."

Die steinerne Abtei, in der die Luft noch ein paar Grad kälter ist als draußen, steht inzwischen wieder leer. Die Sonne scheint durch die mit Marienbildern verzierten Fenster aus Buntglas auf den steinernen Boden, auf dem sich bis Mitte Mai jeden Abend hunderte Körper zusammenrollten. "Vor zwei Wochen hat die Polizei die letzten Flüchtlinge abgeholt, seitdem können wir hier auch nachts wieder beten." Die Vigil, das erste Stundengebet des strikten Ordens, findet um drei Uhr früh statt. Um den Flüchtlingen ein wenig Ruhe zu lassen, fiel es seit Januar aus. "Wir haben irgendwann Zelte bekommen, aber das wäre noch ungemütlicher gewesen für die Familien", erklärt Rwegarulira. Die Zisterzienser sind ein nach innen gekehrter Orden, die Mönche brechen ihr Schweigegelübde in der Regel nur einmal in der Woche, sonst herrscht Stille. Anders als andere Mönche missionieren sie nicht und pflegen auch sonst kaum Kontakt zur Außenwelt. Dass sie für die Vertriebenen von Kipkelion ihren Gebetskalender umgestellt haben, kommt in den dicken Mauern der Abtei einer kleinen Revolution gleich.

Wer vor zwei Wochen noch in der Abtei lag, lebt jetzt in den Zelten, die das Rote Kreuz ins Kloster brachte. Der Weg ins Lager von Murao führt über steinige Feldwege, eine halbe Stunde entlang brachliegender Maisfelder, auf denen noch die Überreste der letzten Ernte zu sehen sind. Wer will, kann in den Feldern lesen: Wo Tee und Mais in den vom derzeitigen Starkregen genährten Feldern stolz in die Höhe ragen, leben Kalenjin. Wo in diesem Jahr die Ernte ausfällt, lebt der Rest. "Meine Farm ist dort drüben, ein Hektar Land und ein einfaches Farmhaus, aber es ist alles niedergebrannt und ich traue mich nicht zurück", klagt Jackson Ogero, ein sechzigjähriger Vater von acht Kindern. Mit seiner Frau, zwei Kindern und drei Enkeln teilt er sich stattdessen eine Art Doppelzelthälfte aus durchscheinendem weißen Plastik, in dem sich der Wind fängt. In der anderen Hälfte, die eine Plastikplane abtrennt, leben seine erwachsenen Kinder samt Familie. Insgesamt sind 200 Menschen hier, diejenigen, die keinen anderen Ausweg hatten, sagt Ogero: "Meine Kinder sind hier geboren und meine Enkel auch, ich habe keine andere Heimat, in die ich zurückkehren könnte." Die anderen 500 aus dem Kloster von Kipkelion sind in "das Land ihrer Ahnen" zurückgekehrt, wie es verbrämt heißt: In die Regionen, wo ihre Ethnie die Mehrheit stellt.

Ogero ist niedergeschlagen. "Wir sitzen von morgens bis abends hier rum und können nichts tun. Rund um uns herum sind Felder, die wir bestellen könnten, aber wir haben keine Geräte und kein Saatgut und wissen nicht, ob wir überhaupt bleiben können." Von der Regierung, sagt Ogero, hat sich im vergangenen halben Jahr noch niemand gezeigt, nur der örtliche Landrat habe einmal vorbeigeschaut und sei dann schnell wieder gegangen. "Dabei haben die uns doch Hilfe beim Wiederaufbau versprochen, aber wir haben nichts bekommen."

Wiederaufbau ist ein Wort aus dem fernen Nairobi, ebenso wie Versöhnung. In Molo, Mau Summit und all den anderen Dörfern entlang des ostafrikanischen Highways, der Kenias Küste und Uganda verbindet, liegen die meisten Hotels und Geschäfte immer noch in Schutt und Asche. Die Inhaber, die meisten von ihnen Kikuyu, trauen sich nicht zurück. Niemand weiß, ob sie jemals wiederkommen werden. So lange ragen Betongerippe auf beiden Seiten der Straße auf. Wenn es nach Joel Korir geht, sollen die Vertriebenen bleiben, wo sie sind. "Ein Schweizer kann in Europa doch auch nicht einfach nach England ziehen und dort Land beanspruchen, und so ist es hier auch." Mit abschätzigem Blick sieht der Kalenjinfarmer auf das Zeltlager von Murao, das nicht weit von seinen Feldern entfernt aufgebaut ist. "Man kann nicht mit denen zusammenleben, die dir dein Eigentum nehmen. Es ist gut, wenn sie gehen."

An Versöhnung glaubt auch Pater Stefano Rwegarulira nicht. "Die Kalenjin sehen uns immer noch als ihre Feinde, viele wollen das Land haben, auf dem unser Kloster steht", sagt er ruhig, während er in Leder gebundene Bibeln in eine Metallkiste packt. Die Bibliothek des Ordens ist schon halb leer geräumt, in wenigen Tagen kommen die Lastwagen. Nach fünfzig Jahren in Kipkelion zieht der Orden nach Uganda, "erst kommen wir als Flüchtlinge bei der katholischen Kirche unter, dann suchen wir einen Standort für ein neues Kloster." Rwegarulira fürchtet, dass die Menschen in Kipkelion bei einem neuen Pogrom keinen Zufluchtsort mehr hätten. Doch sein Urteil steht fest. "Eine Chance auf Frieden gibt es hier nicht - und man kann nicht in Ruhe beten, wenn man ständig darauf achten muss, dass man nicht von hinten erstochen wird."

(Copyright die tageszeitung, 11.6.2008)

Montag, 9. Juni 2008

Armee des Propheten im Vormarsch


In Gulu, der größten Stadt im Norden Ugandas, haben sie sich gerade erst an den Frieden gewöhnt, der seit knapp zwei Jahren Einzug gehalten hat. Die Geschäfte sind frisch gestrichen, vollbeladene Lastwagen queren die Stadt auf dem Weg von Ugandas Hauptstadt Kampala in Richtung Südsudan. In den Sammellagern, wo sich bis September 2006 in ganz Norduganda mehr als zwei Millionen Bewohner vor den brutalen Angriffen der "Widerstandsarmee des Herrn" (LRA) versteckt haben, stehen die meisten Rundhütten leer. Doch mit der Normalität könnte es schon bald wieder vorbei sein. Denn die LRA unter der Führung des selbsternannten Propheten Joseph Kony führt wieder Krieg, warnt der südsudanesi- sche Informationsminister Gabriel Changson Cheng.

Südsudan als neues Opfer

"Die LRA hat den neuen Krieg begonnen, und diesmal sind wir die ersten Opfer", so Cheng. Bei Angriffen auf die zwei südsudanesischen Garnisonsdörfer Nabanga und Yamba, die in einer entlegenen Region nahe der Grenze zum Kongo liegen, sollen am Donnerstag mindestens 23 Menschen ums Leben gekommen sein. Die LRA, so Cheng, habe Nahrungsmittel und Waffen gestohlen und bereite sich auf neue Attacken vor. Die Bemühungen um einen Frieden seien damit vorbei. "Es wäre sinnlos für uns, weiterhin als Vermittler zwischen LRA und ugandischer Regierung tätig zu bleiben."

Südsudans Armee, die derzeit in der Grenzregion zum Nordsudan um Abyei in Kämpfe verwickelt ist, behalte es sich vor, gegen die LRA zurückzuschlagen. "Der Südsudan wird nicht zum Kriegsschauplatz für die LRA werden." Hilfsorganisationen berichten zudem, dass einzelne LRA-Kommandos vor Jahren angelegte unterirdische Waffenlager geplündert haben. Konys Truppen scheinen gerüstet wie seit Jahren nicht mehr.

Für Nordugandas Bevölkerung stirbt damit die Hoffnung, dass einer der längsten Bürgerkriege Afrikas vorbei sein könnte. Mehr als 20 Jahre schon massakriert Konys Lumpenarmee auf brutalste Weise ganze Dörfer. Besonders gefürchtet ist die LRA, weil sie in dieser Zeit zehntausende Kinder entführt hat, die zu Kindersoldaten oder Sexsklaven gemacht wurden.

Aus dem regierungslosen Niemandsland zwischen dem Ostkongo, der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan werden seit Monaten Angriffe nach gleichem Schema gemeldet. Während der auf 600 Kämpfer geschätzte Kern der LRA gut tausend neue Soldaten zwangsverpflichtete, verschob Kony unter fadenscheinigen Ausreden immer wieder die geplante Unterzeichnung eines seit 2006 verhandelten Friedensvertrags. Kony, der ebenso wie zwei seiner engsten Vertrauten vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird, zeigte sich praktisch nie in der Öffentlichkeit.

"Kony hat die Verhandlungszeit genutzt, um aufzurüsten und neue Soldaten zu entführen", erklärt Ugandas Armeesprecher Paddy Ankunda wütend. Jetzt will Ugandas Armee gegen den LRA-Stützpunkt im Norden des Virunga-Nationalparks im Ostkongo vorgehen, gemeinsam mit kongolesischen und UN-Truppen. "Auch die US-Armee unterstützt den Vorstoß." Doch ähnliche Versuche, den Konflikt militärisch zu lösen, blieben in der Vergangenheit erfolglos. Zu unkontrolliert ist der Osten Kongos, in dem auch zahlreiche andere Rebellengruppen operieren.

Schon ruft der katholische Erzbischof in Gulu, John Odama, LRA und Regierung auf, das Friedensabkommen zu unterzeichnen. "Wenn wir jetzt in den Krieg ziehen, ist alles bisher Erreichte verloren." Doch damit widerspricht er dem ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni, der in der Vorwoche in einer Staatsansprache den Friedensprozess für beendet erklärte. Auch die südsudanesischen Vermittler haben schon aufgegeben. Am Wochenende ließ Sprecher Cheng verlauten, nicht nur die LRA, auch Ugandas Regierung habe nie wirklich Interesse an den Verhandlungen gezeigt.

(Copyright Der Standard, 9.6.2008)

Dienstag, 3. Juni 2008

Apokalypse in Abyei


Die Vertriebenen von Abyei, die es nach Tagen im unwegsamen Busch bis in die Region südlich des Flusses Kiir geschafft haben, sind froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. "Die Kämpfe haben so plötzlich begonnen, dass die Bewohner Hals über Kopf geflohen sind", sagt der Österreicher Andreas Papp. Der Mediziner ist für die Organisation Ärzte ohne Grenzen in der unwegsamen Region unterwegs, wo Zehntausende Vertriebene notdürftig untergekommen sind. Sie haben alles verloren.

Nach drei Jahren brüchigen Friedens zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem afrikanischen Süden Sudans wird in der ölreichen Grenzregion nördlich des Kiir wieder gekämpft. Seit Mitte Mai liefern sich die 31. Brigade der sudanesischen Armee, unterstützt von arabischen Reitermilizen und Einheiten der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA/M) heftige Gefechte. Weite Teile der Stadt Abyei sind zerstört, der US-Sondergesandte für den Sudan, Richard Williamson, spricht von Weltuntergangsstimmung. "Es sieht aus wie die Apokalypse, ich habe nirgendwo Menschen gesehen." Fast alle Hütten in der einst lebendigen Marktstadt seien niedergebrannt, überall lägen Kleidungsstücke und andere Gegenstände verteilt. "Es gibt dort nichts als Zerstörung, ganze Wohnviertel sind verschwunden."

Der UN-Sicherheitsrat, seit Sonntag unter US-Vorsitz, reist in dieser Woche durch Afrika und will die Kämpfe von Abyei zum Thema machen. Viele befürchten, dass in Abyei bereits eine mit Darfur vergleichbare Krise begonnen hat. Die Zahl der Vertriebenen wird schon jetzt auf mindestens 60 000 geschätzt. Allein 24 000 drängen sich in Agok, einer kleinen Siedlung, wo es nur zwei feste Gebäude gibt und sonst 2 000 Menschen leben.

Mit Geländewagen fahren Ärzte wie Andreas Papp von Agok aus in die umliegenden Dörfer. Wenn sich herumgesprochen hat, dass die Mediziner da sind, wagen sich auch die Ängstlichen nach und nach aus dem Busch. "Wir haben in den vergangenen Tagen gut 140 Verwundete mit Gefechtsverletzungen behandelt", sagt Papp. Am häufigsten aber diagnostiziert er Unterernährung sowie Augen- und Atemwegserkrankungen, die sich im feuchten Unterholz schnell ausbreiten. Papp hat schon in Darfur gearbeitet, dort sei es in gewisser Weise besser gewesen. "In Darfur gibt es Lager, die gut organisiert sind, hier ist alles noch in der Schwebe: Die Hilfe läuft erst an, uns fehlt der Überblick und oft auch das Material."

Wenn SPLA/M-Generalsekretär Pagan Amum es ernst meint, dann ist das Friedensabkommen mit dem Norden bereits obsolet. "Sudan steht am Rande eines neuen Bürgerkriegs, die Soldaten aus dem Norden haben gezielt Angehörige der Dinka-Ngok-Ethnie vertrieben, das sind ethnische Säuberungen." Ähnlich wie in Darfur rüstet Khartum auch in der Grenzregion von Abyei schon seit langem arabische Milizen aus, um gegen die afrikanische Bevölkerung vorzugehen. Die Missiriya-Milizen, die sich mit den Dschandschawid in Darfur vergleichen lassen, waren gleich zur Stelle, um die ausgebrannten Überreste der Stadt zu plündern, sagt der US-Sondergesandte Williamson. "Es ist eine Schande."

In Abyei und Umgebung, wo sich fast alle Ölvorkommen des Sudan befinden, steht für Sudans Präsident Omar Hassan el Baschir weit mehr auf dem Spiel als in Darfur. Per Referendum könnte sich die Bevölkerung einfach von Khartum lossagen: Die Ölquellen - derzeit von chinesischen Firmen ausgebeutet - wären verloren.

Beide Seiten stehen zudem unter extremem Druck nicht nachzugeben. Baschir muss nach dem Überraschungsangriff von Darfur-Rebellen auf Khartum Anfang Mai Härte zeigen, auch um Kritiker aus den eigenen Reihen zu besänftigen. Den Ex-Rebellen der SPLA/M kommt der Konflikt gelegen, weil sie im Süden wegen Korruption und Misswirtschaft immer mehr an Rückhalt verlieren. Drei Jahre nach dem formellen Ende des Krieges und trotz vieler Millionen Euro Hilfsgelder hat etwa die 200 000-Einwohnerstadt Rumbek noch immer keine asphaltierte Straße. Wasser gibt es nur an den weit verstreuten Handpumpen, Latrinen sind rar, an eine zentrale Stromversorgung ist nicht zu denken. Bombenkrater, die Angriffe sudanesischer Kampfjets überall hinterlassen haben, verwandeln die Wege bei jedem Regenguss in eine Seenlandschaft. Die Stadt im Herzland der Dinka, Südsudans größter Bevölkerungsgruppe, hat sich kaum entwickelt; auf dem Land sieht es noch viel schlimmer aus.

Ausländische Helfer machen für diese Lage die SPLA/M verantwortlich. "Wenn wir über Probleme diskutieren, ist von den zuständigen Behörden nie jemand dabei", sagt ein Arzt, der seit drei Jahren für eine Hilfsorganisation in Rumbek arbeitet. "Da gibt es dieses Missverständnis, wir wären dazu da, das Land aufzubauen, und die Regierung der Ex-Rebellen schaut einfach zu." Wenn die Behörden nicht zuschauen, greifen sie zu, und zwar kräftig. Mehrmals wöchentlich werden Autos der Hilfsorganisationen an Straßensperren durch die SPLA/M konfisziert. Manchmal werden sie wenig später irgendwo stehen gelassen, doch seit Beginn der Kämpfe in Abyei sind schon mehrere dieser Lastwagen, voll besetzt mit Soldaten, in Richtung Norden aufgebrochen. "Der Gouverneur hat die Hilfsorganisationen zwar mit einem Schreiben ausgestattet, das die Beschlagnahme von Autos verbietet", so der Arzt, "aber das hilft wenig, weil die meisten Soldaten an den Straßenblockaden nicht lesen können."

Nach zwanzig Jahren im Busch fehlt den meisten auch sonst jede Fähigkeit, im zivilen Alltag zu bestehen. Weil die Rebellen-Regierung den Soldaten seit Jahresanfang keinen Sold ausgezahlt hat, müssen die Besitzer der wenigen Cafés und Marktstände die Soldaten täglich umsonst verköstigen. Dass sich zudem die Zahl der Überfälle von Uniformierten auf Bewohner Rumbeks ständig erhöht, kontert der zuständige Offizier lässig: "Da haben sicher ein paar Leute Uniformen gestohlen, unsere Soldaten machen so was nicht."

Niemand will die Armee beleidigen und einen Putsch riskieren. Denn der könnte fatale Folgen haben, weil die SPLA/M intern heillos zerstritten ist. Hinter den Kulissen eines gerade beendeten Parteitags, der in einer eigens errichteten Versammlungshalle für mehr als tausend Delegierte stattfand, wurde vor allem über die Frage der möglichen Unabhängigkeit heftig diskutiert. Während die Mehrheit der Bevölkerung einen selbstständigen Südsudan will, gibt es in der Partei viele, die sich nicht vom Norden lossagen wollen. Denn bis heute leben zwei Millionen geflüchtete Südsudanesen rund um Khartum; sie würden im Falle der Unabhängigkeit des Südens über Nacht zu Ausländern.

Doch den Ausschlag zugunsten eines selbstständigen Südsudan, so glaubt ein SPLA/M-Delegierter aus Rumbek, werden letztlich die USA geben. "Dass private Firmen im Auftrag der US-Armee die ehemaligen Rebellen aufrüsten, weiß hier in Rumbek jeder." Auf einem umzäunten Gelände sitzt die zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende PAE Group. Auch die DynCorp untersteht der US-Armee. Vor zwei Jahren gab der DynCorp-Vizepräsident öffentlich bekannt, man werde aus den Guerillakämpfern eine professionelle Armee machen. Die Kämpfe in Abyei, so glaubt denn auch ein UN-Mann in Rumbek, seien erst der Anfang. "Egal wie schwach die SPLA/M sein mag: Die USA werden nicht zulassen, dass Khartum einen neuen Krieg für sich entscheidet."

Für die Vertriebenen von Abyei ist das eine schlechte Nachricht. Denn eine Holding mit Sitz in New York wartet schon auf die Unabhängigkeit, sagt der SPLA/M-Delegierte. "Der Armeechef selbst unterstützt die Firma dabei, nach der Unabhängigkeit nicht weit von Abyei nach Öl zu bohren." Im Kampf um Sudans Ölquellen könnten die derzeitigen Gefechte in Abyei erst der Auftakt sein.

(Copyright Berliner Zeitung, 3.6.2008)

Ein Mann mit Zukunft


Arthur Mutambaras Anhänger glauben, dass nur er Simbabwe in eine bessere Zukunft führen kann. Von Zukunft versteht der ehemalige Professor für Robotik, der auch schon für die US-Weltraumbehörde Nasa gearbeitet hat, immerhin so einiges. Doch jetzt muss der 42-Jährige sich erst mal um seine ganz private Zukunft kümmern. Denn Mutambara sitzt seit Sonntag in Haft, weil er Simbabwes Alleinherrscher Robert Mugabe beleidigt haben soll. Das Auswärtige Amt in Berlin sprach gestern von einem Einschüchterungsversuch und forderte die Freilassung Mutambaras. Ihm wurde ein Artikel zum Verhängnis, in dem er Mugabes Regierung als "illegitim" verurteilt hatte.

Die vergleichsweise sanfte Kritik passt zu Mutambaras Image. Mehr taktisch als konfrontativ nennen ihn seine Freunde, einen hundertprozentigen Pragmatiker seine Gegner. Vor drei Jahren hat sich Mutambara mit Morgan Tsvangirai, dem Chef der oppositionellen "Bewegung für demokratischen Wandel" überworfen und kurze Zeit später die Führung einer Abspaltung der Bewegung übernommen. Viele schlossen sich ihm deshalb an, weil sie einen Kompromiss zwischen den beiden lautstarken Autokraten an der Spitze von Regierung und Opposition suchten. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki, selbst ein Pragmatiker, soll Mutambara seine Unterstützung auf dem Weg nach oben zugesagt haben.

Im Wahlkampf wollte Mutambara, zuletzt Direktor des Afrikanischen Instituts für Wirtschaft und Technologie, es allen recht machen: Wir wollen Menschenrechte und ein Ende der Wirtschaftskrise sofort, griff er den seit der Unabhängigkeit regierenden Mugabe an. Doch zugleich warf er dem Westen vor, für die Wirtschaftskrise mit verantwortlich zu sein. Zudem dürfe Landpolitik nicht im Interesse weißer Farmer, sondern aller Simbabwer gemacht werden. Auch deshalb wurde Mutambara nie den Ruf los, ein Mann von Mugabes Gnaden zu sein.

Auch deshalb glauben manche, dass die Festnahme Mutambaras gerade noch rechtzeitig kam, um politisch relevant zu bleiben. Der ehemalige Studentenführer will vom erhofften Sieg Tsvangirais bei der Stichwahl Ende Juni profitieren. Einen Schritt ist Mutambara seinem ehemaligen Widersacher schon entgegen gekommen: Die zehn Abgeordneten seiner Partei, so kündigte Mutambara unlängst an, würden mit Tsvangirais Fraktion zusammenarbeiten. Der braucht die Stimmen, um im Parlament seine Mehrheit gegen Mugabe zu behaupten.

Doch selbst wenn Mugabe, wie viele erwarten, die Wahl zu seinen Gunsten fälschen sollte - ohne Fälschung ist ein Sieg Mugabes unmöglich - wüsste Mutambara die Chance wohl zu nutzen. Gemeinsam mit seinem Mitstreiter Simba Makoni, der für Mutambaras Partei als Präsidentschaftskandidat antrat, könnte er eine "konstruktive" Opposition für sich in Anspruch nehmen - anders als Tsvangirai, der für Mugabe und seine Anhänger ein rotes Tuch ist.

Zwar will die Mehrheit der Wähler den Wandel, weshalb Pragmatiker in der schlimmsten politischen und wirtschaftlichen Krise in Simbabwes Geschichte nicht hoch im Kurs stehen. Doch auf lange Sicht könnte Mutambaras Strategie des Sowohl-als-auch sich auszahlen. Kein Wunder - mit Zukunft kennt der Mann sich schließlich aus.

(Copyright Berliner Zeitung, 3.6.2008)

Ubare, Kamau und der Maispreis


Aska Karubo Ubare steht zwischen den vollgestopften Regalen, die um sie herum aufragen. Aus den Lautsprechern tönt blechern Musik, die ab und zu von knisternden Durchsagen unterbrochen wird. Ubares Blick wandert unsicher von rechts nach links und wieder zurück, schließlich greift sie ein Paket Maismehl und packt es in den leeren Einkaufswagen. Sie zögert und greift erneut zu, bis sie vier Pakete hat. "Ich war noch nie in einem Supermarkt", erklärt die 42-jährige Kenianerin ihre Überwältigung. "Hier gibt es so viel, und alles in riesigen Mengen."

Dass Ubare heute bei Nakumatt Mega, einem der größten Shoppingzentren Kenias, einkaufen kann, hat sie der Hilfsorganisation Care zu verdanken. Nach den Unruhen Anfang dieses Jahres, bei denen mehr als tausend Kenianer ums Leben kamen, hat Care sechstausend Einkaufsgutscheine zu je 1.000 Schilling - etwa 10 Euro - für die bedürftigsten Bewohner von Kibera, dem größten Slum in der Hauptstadt Nairobi, gestiftet. Zu ihnen gehört Ubare zweifellos: Außer um ihre drei eigenen Kinder kümmert sich die HIV-positive Frau auch um zwei Waisen von Verwandten, die an Aids gestorben sind. Ihr Mann hat sich schon seit Jahren nicht mehr blicken lassen. Ubares Schneiderei wurde im Januar von Unbekannten angezündet und brannte aus, jetzt hält sich die ehemalige Kleinunternehmerin mit Gelegenheitsjobs über Wasser. An diesem Tag kauft sie außer Maismehl noch 3 Liter Sonnenblumenöl, 2 Kilo Zucker, ein Stück Seife und 25 Teebeutel. Dann ist der Scheck verbraucht, bis auf 40 Schillinge, die braucht sie für den Bus zurück in den Slum.

Aska Karubo Ubare gibt jenem Phänomen ein Gesicht, das derzeit als "Neue Hungerkrise" Schlagzeilen macht. Zwar gibt es genug Lebensmittel, doch vor allem in den Städten, wo mittlerweile jeder zweite Afrikaner lebt, können sich immer weniger Leute sie noch leisten.

"Maismehl und Öl nehmen mir die größten Sorgen für die kommenden Wochen", seufzt sie, nachdem sie die Einkäufe in ihrem Haus verstaut hat. Lange hat das nicht gedauert, denn der Bretterverschlag, über dem ein Dach aus Wellblech den schlimmsten Regen abhält, ist nur 12 Quadratmeter groß. 1.200 Schillinge Miete zahlt sie jeden Monat, das ist zu viel, um sich auch noch ausgewogenes Essen zu leisten. Zweimal am Tag bereitet sie deshalb für die Kinder aus Wasser und Maismehl einen dünnen Brei zu, am Abend kocht sie dazu ein wenig bitteren Blattspinat, den die Kenianer Sukuma nennen. Fleisch hat es schon lange nicht mehr gegeben. "Die Lebensmittel werden immer teurer, ich bin froh, wenn ich das Nötigste bezahlen kann." Ihr Maismehl, das Hauptnahrungsmittel für alle Kenianer, kauft sie sonst immer auf dem örtlichen Markt. Für die 15 oder 20 Schillinge, die sie dann hat, bekommt sie nicht mehr als 200 Gramm. Bei Nakumatt würde sie zwar für 2 Kilo nur 76 Schillinge (umgerechnet 80 Eurocent) bezahlen, aber 76 Schillinge hat Ubare fast nie. Das wissen die lokalen Händler, sie fahren mit dem portionsweisen Verkauf an die Ärmsten ordentlich Gewinn ein.

"Vor einem Jahr habe ich für die gleiche Menge Maismehl noch die Hälfte bezahlt, die Preise gehen ständig rauf", klagt Ubare. In ihrer Nachbarschaft sind kürzlich zwei Familien zusammengezogen, um Geld zu sparen, jetzt teilen sie sich ihre zwölf Quadratmeter zu zehnt. "Vielleicht müssen wir das auch irgendwann machen, damit wir weiterhin essen können."

Wenn es zutrifft, dass des einen Leid des anderen Freude ist, müsste Charles Nganga Kamau von morgens bis abends feiern. Sein Mais streckt sich zweieinhalb Monate nach der Saat schon stolz in die Höhe. "Diese Regenzeit ist gut, es ist nicht so trocken wie im vergangenen Jahr", strahlt der 60-Jährige, der bis 1994 im Postministerium gearbeitet hat. Danach hat er sich auf das Land seine Vorväter zurückgezogen und mit der Landwirtschaft begonnen. Zehn Sack Mais, jeweils zu 90 Kilo, erhofft sich Kamau von der Ernte, vorausgesetzt, der Regen fällt weiter. Einen halben Hektar misst sein Hof, auf der Hälfte baut er Mais an. Zehn Sack, das wäre für Kamau eine Rekordernte. Doch von plötzlichem Reichtum angesichts der steigenden Maismehlpreise in der Stadt kann er nicht berichten. "Auf dem Markt von Wangige, wo ich meinen Mais verkaufe, bekomme ich für zwei Kilo 50 Schillinge, genauso viel wie vor einem Jahr." Wer große Mengen verkauft, bekommt für zwei Kilo kaum mehr als 40 Schillinge - das ist der Abnahmepreis, den die staatliche Regulierungsbehörde empfiehlt. Auf dem Land, weit entfernt von den Märkten, ist sie oft der einzige Aufkäufer.

Auch die Zwischenhändler, die in nicht ganz so entlegenen Gebieten von Hof zu Hof fahren und die Ernte aufkaufen, zahlen schlecht. Aber sie nehmen große Mengen ab, die sie nach Nairobi fahren, wo sie sie weiterverkaufen - zum Beispiel an Nakumatt. Die hohen Benzinpreise legen sie auf den Verkaufspreis um. Samt saftiger Gewinnspanne, die sie sich als Quasimonopolisten leisten können, sorgen manche Zwischenhändler dafür, dass ein Sack Kartoffeln, der in der Provinz 800 Schillinge kostet, in Nairobi für 2.000 verkauft wird. "Die Zwischenhändler", sagt Kamau, "profitieren mehr von der Knappheit als wir Bauern."

Viele Landwirte horten derzeit ihre letzte Ernte, weil sie auf einen höheren Preis spekulieren. Das ist riskant, in den einfachen Lagerstätten zerstören immer wieder Pilzbefall oder Ratten die Ernte. "Spätestens nach der nächsten Ernte im Herbst werden wir bessere Preise verlangen können", hofft auch Kamau - als unweigerliche Anpassung an das höhere Preisniveau. Weil der Dieselpreis im vergangenen Jahr so stark gestiegen ist, zahlt Kamau fürs Mahlen seiner Ernte mehr als das Doppelte. Und die Preise der wenigen Verbrauchsgüter, die er nicht selbst anbaut, steigen fast jede Woche. "Zucker, Sonnenblumenöl und Gas machen mich fast zu einem armen Mann", sagt er.

Dabei hat Kamau es noch gut. Seine Kosten sind viel geringer als die der meisten. Vor zehn Jahren hat er auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Als Dünger nutzt er ausschließlich Kompost vom eigenen Hof, auch Insektenmittel gewinnt er aus einheimischen Pflanzen selber. Wenn er in vier Monaten erntet, werden seine Hauptkosten die 500 Schillinge gewesen sein, die er für das vom Staat zertifizierte Saatgut gezahlt hat. "Bekannte von mir, die konventionelle Landwirtschaft betreiben, jammern über die hohen Kunstdüngerpreise", weiß Kamau. "Der Sack kostet die Hälfte mehr als noch vor einem Jahr." Kunstdünger und auch Pestizide müssen in Kenia importiert werden.

Die steigenden Weltmarktpreise schlagen direkt in die kenianische Provinz durch. "Viele Freunde sagen mir, dass sie heute mit ihrer Ernte weniger verdienen als noch vor einem Jahr." Die meisten Farmer in Kenia sind wie Kamau Kleinbauern: Auf zweieinhalb Millionen schätzt Kenias Landwirtschaftsministerium die Zahl derer, die Mais anbauen. Das Getreide ist mehr als das nationale Grundnahrungsmittel - es ist eine nationale Passion.

Wann also werden die Landwirte endlich von den gestiegenen Lebensmittelpreisen profitieren? Bald, glaubt Romano Kiome, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. "Eine Krise ist immer auch eine Chance", sagt er, "wenn die Farmer jetzt ihre Produktivität erhöhen, können sie bei der nächsten Ernte mehr Geld machen als je zuvor." Kiome und seine Beamten schlagen sich mit dem Problem herum, dass während der Gewaltausbrüche nach der Wahl mehr als dreieinhalb Millionen Sack Mais vernichtet und so viele Felder verwüstet wurden, dass der Ernteertrag selbst bei idealen Bedingungen um mindestens ein Sechstel fallen wird. "Der Rest muss entweder importiert werden - was bei den hohen Weltmarktpreisen heftig zu Buche schlägt -, oder aber wir schaffen es, den Output zu erhöhen."

Ein von Geberländern finanziertes Kleinkreditprogramm über 30 Millionen Euro soll Farmern helfen, Saatgut und Dünger zu bezahlen und so zu den Gewinnern der Versorgungskrise zu gehören, die Kenia voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte treffen wird. So hoch prognostiziert Kiome die Marktpreise bis dahin, dass die Rückzahlung des Kredits plus 10 Prozent Zinsen kaum ein Problem darstellen wird.

Doch in Kibera, Heim von einer Million Slumbewohnern, treiben Kiomes Prognosen einigen neue Schweißperlen auf die Stirn. Samuel Oninga arbeitet für eine Selbsthilfegruppe namens "Haki", Suaheli für "Gerechtigkeit". "Ich gehe von Haus zu Haus, und überall höre ich die gleichen Geschichten: Kaum einer kann sich noch sein Essen leisten." Wenn im Herbst der Maispreis steigt, wird die Situation in Kibera noch schlimmer werden, glaubt er.

Mittelfristig hofft Kiome die steigenden Ladenpreise mit marktwirtschaftlichen Mitteln bewältigen zu können. Mit Kleinkrediten und Kurzlehrgängen versucht die Haki-Gruppe, die Zahl der Zwischenhändler zu erhöhen. "Die wachsende Konkurrenz soll die Verkaufspreise senken, und die Gewinne sollen in mehr Taschen landen als heute." Doch kurzfristig wird das nicht helfen. Viele hoffen, dass die Regierung im Herbst den Verkaufspreis für Maismehl künstlich niedrig hält, sei es über Subventionen oder die Beeinflussung des Marktes durch die staatliche Maisreserve. Deren Erhöhung hat die Regierung gerade verkündet. Sonst, so befürchtet Oninga, wird sich in Kibera bald niemand mehr sein tägliches Maismehl leisten können. Doch Subventionen selbst für die Ärmsten lehnt Kenias Regierung bislang entschieden ab.

(Copyright die tageszeitung, 3.6.08)