Donnerstag, 26. Juni 2008

Im Schlupfwinkel von Löwenohr


Die Jacht, die am Sonntag im Golf von Aden gekapert worden ist, dümpelt auch drei Tage später noch im seichten Wasser nahe der Küstenstadt Las Korey. Der Tank ist leer, weiß der Verwaltungschef der Region, Jama Dabeed, zu berichten. Seine Truppen, die zur Armee der halbautonomen Region Puntland im Norden Somalias gehören, haben das Schiff zwar gefunden, können es aber ohne Treibstoff nicht bergen. Deshalb bleibt die Jacht dort, wo die Entführer der Besatzung den Anker geworfen haben. Am Heck weht noch immer die deutsche Flagge.

Diesseits des Ozeans erstreckt sich eine staubige, bergige Halbwüste. Die nomadische Bevölkerung der Gegend lebt von Kamelzucht und Fischerei, sonst gibt es wenig, auch keine wirksame Staatsgewalt. Doch man kennt sich hier, am östlichsten Punkt Afrikas, und deshalb weiß man auch, wer die Entführer sind. "Löwenohr" wird der Chef der Truppe genannt, und sein Großvater hat eine Farm in den Bergen, nicht weit von Las Korey entfernt. "Dort befinden sich die Entführten, ich habe sie gesehen und es geht ihnen gut", zitiert ein Radiosender in Puntlands Hauptstadt Garowe einen Ältesten aus der Region. Auch ein Sprecher der Entführer hat sich inzwischen gemeldet: "Die Ausländer sind in unsere Gewässer eingedrungen, wir wollen Steuern und Lösegeld." Ein Arzt soll unterwegs sein zu der Farm von Löwenohrs Opa, um die Gefangenen zu untersuchen. An Details zu den Entführern herrscht kein Mangel.

Umso überraschender ist es, dass am Mittwoch immer noch unklar ist, wer genau auf dem Boot war. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte zwar, dass es sich um zwei Deutsche handelt. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass ein deutsches Kind an Bord der Jacht gewesen sei, sagte ein Sprecher. Er ließ offen, ob es Kontakt zu den Entführern gibt. Möglicherweise ist es tatsächlich das Ehepaar mittleren Alters aus Süddeutschland, von dem der lokale Verwaltungschef Dabeed spricht und das angeblich von Ägypten nach Thailand fahren wollte. Andere Offizielle aus der Region berichten, die Jacht sei aus dem gegenüberliegenden Jemen gekommen.

Wer auch immer sich am Sonntag an Bord der Jacht befand, war offenbar zur falschen Zeit am falschen Ort. Fischer sollen das Schiff nahe der Küste entdeckt haben, womöglich, nachdem es wegen Treibstoffmangels manövrierunfähig geworden war. Sie alarmierten Löwenohr, der mit ein paar Kumpanen und Kalaschnikows das Boot einnahm. Es handelte sich wohl nicht um organisierte Piraterie, wie sie vor Somalias Ostküste fast täglich vorkommt. "Da hat jemand eine Gelegenheit ausgenutzt", meint ein Kenner der örtlichen Zustände.

Kompliziert ist die Lage auch deshalb, weil rund um Las Korey immer wieder gekämpft wird. Die ölreiche Maakhir-Region hat im vergangenen Jahr ihre Unabhängigkeit erklärt, was den Präsidenten von Puntland auf den Plan rief. Adde, wie Mohammed Musa Hersi genannt wird, hatte nämlich bereits lukrative Förderlizenzen an einen australischen Konzern verkauft. Unterstützt werden die Separatisten in Maakhir von Truppen aus dem weiter westlich gelegenen Somaliland, das sich 1991 einseitig von Somalia lossagte und seitdem - für somalische Verhältnisse - als eine Art Musterländle galt.

Weil die Zuständigkeiten dermaßen unklar sind, stehen jetzt zwei Trupps am Fuß der Bergkette, um die Geiseln zur Not mit Gewalt zu befreien, berichten Dorfälteste. Anfang des Jahres war es der somaliländischen Armee gelungen, auf diese Weise den deutschen Entwicklungshelfer Daniel Bronkel zu befreien, der nicht einmal 50 Kilometer von Las Korey entfernt von Entführern aus seinem Auto gezerrt worden war. 24 Stunden später war er wieder frei.

Warum die Jacht überhaupt in den Küstengewässern vor Somalia unterwegs war, dürfte sich erst klären, wenn die Geiseln wieder frei sind. Die Vereinten Nationen nennen den Golf von Aden, der vom Indischen Ozean ins Rote Meer führt, die gefährlichste Wasserstraße der Welt. Der empfohlene Mindestabstand zur Küste beträgt 200 Kilometer - überall sonst sind es nur 50. Der Grund: Es gibt keine Regierung, keine Küstenwache, keine Polizei in Somalia, niemanden, der Piraten ihr Geschäft vermiesen könnte. Erst am Mittwoch ließen Entführer ein holländisches Schiff frei, dass sie vor einem Monat entführt hatten - für fast eine Million Euro Lösegeld.

"Katastrophal ist das", verurteilte Puntlands machtloser Sicherheitsminister Jama Hersi Farah die Entscheidung des Reeders zu zahlen. "Puntland wird niemals irgendjemandem Lösegeld zahlen." Auch ein deutsches Schiff, die Lehmann Timber, ist seit einem Monat in der Hand von Entführern. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, beklagt sich die ukrainische Regierung, die sich um die Freilassung der osteuropäischen Crew bemüht. Angeblich sind einige Matrosen erkrankt, Eile ist geboten.

(Copyright Berliner Zeitung, 26.6.2008)