Dienstag, 3. Juni 2008

Apokalypse in Abyei


Die Vertriebenen von Abyei, die es nach Tagen im unwegsamen Busch bis in die Region südlich des Flusses Kiir geschafft haben, sind froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. "Die Kämpfe haben so plötzlich begonnen, dass die Bewohner Hals über Kopf geflohen sind", sagt der Österreicher Andreas Papp. Der Mediziner ist für die Organisation Ärzte ohne Grenzen in der unwegsamen Region unterwegs, wo Zehntausende Vertriebene notdürftig untergekommen sind. Sie haben alles verloren.

Nach drei Jahren brüchigen Friedens zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem afrikanischen Süden Sudans wird in der ölreichen Grenzregion nördlich des Kiir wieder gekämpft. Seit Mitte Mai liefern sich die 31. Brigade der sudanesischen Armee, unterstützt von arabischen Reitermilizen und Einheiten der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA/M) heftige Gefechte. Weite Teile der Stadt Abyei sind zerstört, der US-Sondergesandte für den Sudan, Richard Williamson, spricht von Weltuntergangsstimmung. "Es sieht aus wie die Apokalypse, ich habe nirgendwo Menschen gesehen." Fast alle Hütten in der einst lebendigen Marktstadt seien niedergebrannt, überall lägen Kleidungsstücke und andere Gegenstände verteilt. "Es gibt dort nichts als Zerstörung, ganze Wohnviertel sind verschwunden."

Der UN-Sicherheitsrat, seit Sonntag unter US-Vorsitz, reist in dieser Woche durch Afrika und will die Kämpfe von Abyei zum Thema machen. Viele befürchten, dass in Abyei bereits eine mit Darfur vergleichbare Krise begonnen hat. Die Zahl der Vertriebenen wird schon jetzt auf mindestens 60 000 geschätzt. Allein 24 000 drängen sich in Agok, einer kleinen Siedlung, wo es nur zwei feste Gebäude gibt und sonst 2 000 Menschen leben.

Mit Geländewagen fahren Ärzte wie Andreas Papp von Agok aus in die umliegenden Dörfer. Wenn sich herumgesprochen hat, dass die Mediziner da sind, wagen sich auch die Ängstlichen nach und nach aus dem Busch. "Wir haben in den vergangenen Tagen gut 140 Verwundete mit Gefechtsverletzungen behandelt", sagt Papp. Am häufigsten aber diagnostiziert er Unterernährung sowie Augen- und Atemwegserkrankungen, die sich im feuchten Unterholz schnell ausbreiten. Papp hat schon in Darfur gearbeitet, dort sei es in gewisser Weise besser gewesen. "In Darfur gibt es Lager, die gut organisiert sind, hier ist alles noch in der Schwebe: Die Hilfe läuft erst an, uns fehlt der Überblick und oft auch das Material."

Wenn SPLA/M-Generalsekretär Pagan Amum es ernst meint, dann ist das Friedensabkommen mit dem Norden bereits obsolet. "Sudan steht am Rande eines neuen Bürgerkriegs, die Soldaten aus dem Norden haben gezielt Angehörige der Dinka-Ngok-Ethnie vertrieben, das sind ethnische Säuberungen." Ähnlich wie in Darfur rüstet Khartum auch in der Grenzregion von Abyei schon seit langem arabische Milizen aus, um gegen die afrikanische Bevölkerung vorzugehen. Die Missiriya-Milizen, die sich mit den Dschandschawid in Darfur vergleichen lassen, waren gleich zur Stelle, um die ausgebrannten Überreste der Stadt zu plündern, sagt der US-Sondergesandte Williamson. "Es ist eine Schande."

In Abyei und Umgebung, wo sich fast alle Ölvorkommen des Sudan befinden, steht für Sudans Präsident Omar Hassan el Baschir weit mehr auf dem Spiel als in Darfur. Per Referendum könnte sich die Bevölkerung einfach von Khartum lossagen: Die Ölquellen - derzeit von chinesischen Firmen ausgebeutet - wären verloren.

Beide Seiten stehen zudem unter extremem Druck nicht nachzugeben. Baschir muss nach dem Überraschungsangriff von Darfur-Rebellen auf Khartum Anfang Mai Härte zeigen, auch um Kritiker aus den eigenen Reihen zu besänftigen. Den Ex-Rebellen der SPLA/M kommt der Konflikt gelegen, weil sie im Süden wegen Korruption und Misswirtschaft immer mehr an Rückhalt verlieren. Drei Jahre nach dem formellen Ende des Krieges und trotz vieler Millionen Euro Hilfsgelder hat etwa die 200 000-Einwohnerstadt Rumbek noch immer keine asphaltierte Straße. Wasser gibt es nur an den weit verstreuten Handpumpen, Latrinen sind rar, an eine zentrale Stromversorgung ist nicht zu denken. Bombenkrater, die Angriffe sudanesischer Kampfjets überall hinterlassen haben, verwandeln die Wege bei jedem Regenguss in eine Seenlandschaft. Die Stadt im Herzland der Dinka, Südsudans größter Bevölkerungsgruppe, hat sich kaum entwickelt; auf dem Land sieht es noch viel schlimmer aus.

Ausländische Helfer machen für diese Lage die SPLA/M verantwortlich. "Wenn wir über Probleme diskutieren, ist von den zuständigen Behörden nie jemand dabei", sagt ein Arzt, der seit drei Jahren für eine Hilfsorganisation in Rumbek arbeitet. "Da gibt es dieses Missverständnis, wir wären dazu da, das Land aufzubauen, und die Regierung der Ex-Rebellen schaut einfach zu." Wenn die Behörden nicht zuschauen, greifen sie zu, und zwar kräftig. Mehrmals wöchentlich werden Autos der Hilfsorganisationen an Straßensperren durch die SPLA/M konfisziert. Manchmal werden sie wenig später irgendwo stehen gelassen, doch seit Beginn der Kämpfe in Abyei sind schon mehrere dieser Lastwagen, voll besetzt mit Soldaten, in Richtung Norden aufgebrochen. "Der Gouverneur hat die Hilfsorganisationen zwar mit einem Schreiben ausgestattet, das die Beschlagnahme von Autos verbietet", so der Arzt, "aber das hilft wenig, weil die meisten Soldaten an den Straßenblockaden nicht lesen können."

Nach zwanzig Jahren im Busch fehlt den meisten auch sonst jede Fähigkeit, im zivilen Alltag zu bestehen. Weil die Rebellen-Regierung den Soldaten seit Jahresanfang keinen Sold ausgezahlt hat, müssen die Besitzer der wenigen Cafés und Marktstände die Soldaten täglich umsonst verköstigen. Dass sich zudem die Zahl der Überfälle von Uniformierten auf Bewohner Rumbeks ständig erhöht, kontert der zuständige Offizier lässig: "Da haben sicher ein paar Leute Uniformen gestohlen, unsere Soldaten machen so was nicht."

Niemand will die Armee beleidigen und einen Putsch riskieren. Denn der könnte fatale Folgen haben, weil die SPLA/M intern heillos zerstritten ist. Hinter den Kulissen eines gerade beendeten Parteitags, der in einer eigens errichteten Versammlungshalle für mehr als tausend Delegierte stattfand, wurde vor allem über die Frage der möglichen Unabhängigkeit heftig diskutiert. Während die Mehrheit der Bevölkerung einen selbstständigen Südsudan will, gibt es in der Partei viele, die sich nicht vom Norden lossagen wollen. Denn bis heute leben zwei Millionen geflüchtete Südsudanesen rund um Khartum; sie würden im Falle der Unabhängigkeit des Südens über Nacht zu Ausländern.

Doch den Ausschlag zugunsten eines selbstständigen Südsudan, so glaubt ein SPLA/M-Delegierter aus Rumbek, werden letztlich die USA geben. "Dass private Firmen im Auftrag der US-Armee die ehemaligen Rebellen aufrüsten, weiß hier in Rumbek jeder." Auf einem umzäunten Gelände sitzt die zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende PAE Group. Auch die DynCorp untersteht der US-Armee. Vor zwei Jahren gab der DynCorp-Vizepräsident öffentlich bekannt, man werde aus den Guerillakämpfern eine professionelle Armee machen. Die Kämpfe in Abyei, so glaubt denn auch ein UN-Mann in Rumbek, seien erst der Anfang. "Egal wie schwach die SPLA/M sein mag: Die USA werden nicht zulassen, dass Khartum einen neuen Krieg für sich entscheidet."

Für die Vertriebenen von Abyei ist das eine schlechte Nachricht. Denn eine Holding mit Sitz in New York wartet schon auf die Unabhängigkeit, sagt der SPLA/M-Delegierte. "Der Armeechef selbst unterstützt die Firma dabei, nach der Unabhängigkeit nicht weit von Abyei nach Öl zu bohren." Im Kampf um Sudans Ölquellen könnten die derzeitigen Gefechte in Abyei erst der Auftakt sein.

(Copyright Berliner Zeitung, 3.6.2008)