Sonntag, 20. Mai 2007

Made in Africa


Der Stoff war wie für Hollywood gemacht: Ein größenwahnsinniger Diktator, der mit einer Mischung aus Charme und Brutalität sein Land und die Welt in Atem hält. Kein Wunder also, dass Der letzte König von Schottland über Ugandas Diktator Idi Amin auch an den Kinokassen ein Erfolg ist. Ein kleines Wunder war hingegen, dass der Film an Originalschauplätzen in Uganda gedreht wurde - glaubt Joanitta Bewulira-Wandera, die für das Casting der rund 6.000 Schauspieler und Statisten in dem ostafrikanischen Land zuständig war. "Zum ersten Mal wurde in Uganda ein richtiger Film gedreht - so etwas hat es hier vorher nicht gegeben."

Weil Ugandas Regierung keine Ansprechpartner in Sachen Film hat, gab der Präsident persönlich das Okay für den Dreh. Das Team von Regisseur Kevin Macdonald konnte so problemlos im größten Hospital der Stadt, im ugandischen Parlament und am Flughafen von Entebbe drehen. Logistisch war die Arbeit dagegen ein Albtraum, sagt die Produzentin Andrea Calderwood. "Uns wurde jede Nacht das Benzin aus den Autos geklaut, und viele unserer Requisiten waren noch nie für einen Film benutzt worden - alles dauerte ewig."

Improvisieren ist alles

In Uganda gibt es zudem nur eine Handvoll professioneller Schauspieler, die Fernsehen oder Theater machen. "Die waren schnell für die aufwändigeren Szenen in Kampala verplant", erinnert sich Bewulira-Wandera. Für die Tausende Statisten ging die 46-jährige Fernsehregisseurin in die Dörfer nahe der Drehorte - oder ließ sie von Ugandas Regionalverwaltung rekrutieren. "Es gibt am Anfang des Films diese Szene, wo Forest Whitaker als Idi Amin vor die jubelnde Menge tritt und seine Antrittsrede hält, dafür brauchten wir 2.000 Statisten." Es kostete Bewulira-Wandera viele Stunden Geduld, um den Bauern und Hausfrauen zu erklären, was das Team vorhatte. "Die haben mich ausgebuht und angeschrien: Du lügst doch - Amin ist längst tot." Als beim Dreh Forest Whitaker im Amin-Kostüm auf die Bühne trat, kannten die Hilfsschauspieler kein Halten mehr. "Das Johlen und die Begeisterung waren echt, davon war nichts gespielt."

Bewulira-Wandera ist bis heute beeindruckt, wie Regisseur und Produzenten solche Hürden mit Bereitschaft zu Improvisation und viel Humor genommen haben. "Das ist überhaupt nicht üblich", weiß Mario Zvan, der nebenan in Kenia die Produktionsfirma Blue Sky leitet. Blue Sky hat sich seit zehn Jahren auf Produktionen im Hollywood-Maßstab spezialisiert und war für die Dreharbeiten zu Tomb Raider 2 mit Angelina Jolie oder Der ewige Gärtner verantwortlich. "Wenn wie bei Tomb Raider 2 ein Drehtag 100.000 US-Dollar kostet, wollen die Produzenten Effizienz und Zuverlässigkeit wie zu Hause - und außerdem noch ordentlichen Komfort." Über die Jahre hat Zvans Firma sich einen Fundus an Equipment angeschafft und kann alles andere schnell besorgen. "Zu Tomb Raider 2 haben die Produzenten noch eine Boeing gechartert, die 300 Leute und tonnenweise Geräte hergebracht hat - ein paar Jahre später beim Ewigen Gärtner hatten wir nicht mehr als 35 Ausländer am Set."

Fachkundiges Personal ist aus Zvans Sicht das größte Hemmnis für Filme in Afrika. Zwar gibt es immer mehr Kenianer, die in Europa und den USA die Filmschule besuchen und danach nach Hause zurückkehren. "Aber die studieren zwei Jahre und nennen sich danach Cutter oder Kameramann - ohne jede praktische Erfahrung." Die zu sammeln, ist in Afrika schwer. Erst in den vergangenen Jahren hat sich in Kenia parallel zum Fernsehen ein lokaler Markt für Billigfilme etabliert, die nur auf DVD veröffentlicht werden. "Riverwood" werden die so anspruchslosen wie beliebten Streifen genannt, die wie Nigerias "Nollywood"-Movies aktuelle Gesellschaftsprobleme aufgreifen und im Regelfall mit einer Kamera binnen einer Woche abgedreht werden. "Riverwood ist gut, um überhaupt ein Bewusstsein für Filmemachen in Kenia zu schaffen", glaubt Jim Shamoon, der auch für Blue Sky arbeitet. Professionell brächten die Produktionen aber niemanden weiter. "Das Einzige, das in Kenia für den lokalen Markt auf internationalem Niveau gedreht und produziert wird, sind Musikvideos." Die MTV-gewohnten Zuschauer geben sich nicht mit weniger als dem zufrieden, was sie aus den USA kennen. Außerdem gibt es für Musikvideos Kapital, das sonst knapp ist. "Da wird man in der Zukunft den einen oder anderen wirklich guten Mann auch für große Produktionen abgreifen können."

Konkurrenten Kenia und Südafrika

Kenia ist nur eines von vielen afrikanischen Ländern, das um Hollywood-Präsenz buhlt. Der Konkurrenzkampf ist groß. Immer mehr Regierungen gründen spezialisierte Agenturen, die ihre Länder international vermarkten sollen. Kenias "Film Commission" wirbt außerdem in Bollywood, dem zweitgrößten Produktionsstandort der Welt. "Indische Regisseure machen immer mehr Spielfilme mit einer traditionellen Handlung, für die sie neue Locations suchen", erklärt Marketingchef Elijah Kahara die Orientierung nach Osten. Als größten Vorteil Kenias verkauft er die Vielfalt der Landschaften. "Wir haben Strände, Savanne, Wüste, Berge, Dörfer - alles weniger als eine Flugstunde voneinander entfernt." Gut für Bollywood-Stars mit ihren engen Zeitplänen, die oft mehrere Filme in unterschiedlichen Settings zur gleichen Zeit drehen. Ein handfestes Argument sind außerdem die Kosten: In Kenia lässt es sich noch einmal billiger drehen als in Indien - oder in Südafrika.

Südafrika ist der mit Abstand größte Player im afrikanischen Movie-Business und arbeitet hart daran, seine Vorreiterrolle auszubauen. Ausländische Filmemacher bekommen nicht nur ohne Abstriche westlichen Lebens- und Arbeitsstandard, sondern auch Steuererlasse und andere Incentives der Regierung. Drei Ministerien beschäftigen sich in Südafrika mit Film, und auch die eigenen Filmemacher kommen nicht zu kurz. Filme mit westlichem Produktionsniveau wie der Oscar-Preisträger Tsotsi oder der FESPACO-Gewinner Drum sind möglich, weil es in Südafrika eine gut ausgestattete Filmförderung gibt. Dazu kommen die zahlreichen Produktionsfirmen, die zu einem guten Teil von der Werbung leben, dem Fundament des südafrikanischen Filmbusiness.

"Nach Südafrika geht man eigentlich, um Europa zu drehen, nicht Afrika", urteilt Blue Sky-Manager Zvan. Südafrika habe keine archetypischen afrikanischen Landschaften. "Außerdem hat Südafrika nur eine starke eigene Geschichte, die Apartheid." Trotzdem werden nicht nur Filme wie Goodbye Bafana am Kap gedreht. "Wenn ein Hollywood-Produzent sagt, wir wollen einen Film wie Blood Diamond drehen, dann antworten die Südafrikaner, kein Problem, wir haben alle Locations hier, die ihr braucht - nur eine Flugstunde entfernt, in Mosambik." Die Dreharbeiten werden zwar deutlich teurer, als wenn man in Mosambik direkt gedreht hätte - doch fehlt dort die nötige Infrastruktur noch ganz. "Natürlich hätte man Blood Diamond auch in Kenia drehen können, aber auf die Idee kommen die meisten Filmemacher nicht."

Das bestätigt der Kenianer Robin Hollister, der weltweit als Location-Scout im Einsatz ist. "Bei der Verfilmung von Der Geist und die Dunkelheit, der in Kenias Tsavo-Nationalpark spielt, hatten wir alle Originalschauplätze zur Hand - aber Produzent Michael Douglas kannte Südafrika von Werbedrehs und hat sich für Johannesburg entschieden." Nach Hollisters Erfahrung wird die Entscheidung, in welchem afrikanischen Land gedreht wird, viel öfter im Bauch als im Kopf getroffen. Wer sich auf den "dunklen" Kontinent wagt, der will so viel Sicherheit wie möglich - ein schlechter Ruf hält sich im Gerüchtesumpf von Hollywood fast unbegrenzt. "Immer wieder treffe ich in Hollywood Regisseure, die mir sagen: Ich würde gerne mal in Kenia drehen, aber die Regierung macht ja so viel Schwierigkeiten." Schwierigkeiten, die Hollister in seinen 27 Jahren als Location-Scout nie erlebt hat: im Gegenteil. Die Regierung, so Hollister, hilft, wo sie kann. "Aber so richtig begriffen, welches Potenzial das Film-Business hat, hat sie noch nicht."

(Copyright epd film, Mai 2007)

Dienstag, 15. Mai 2007

UNO beglückt Somalia mit "Prinzip Hoffnung"


Freundliche Worte für John Holmes, den neuen UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, hat in Mogadischu niemand übrig gehabt. Dabei hatte sich am Wochenende zwölf Jahre nach dem Abzug der letzten UN-Blauhelme endlich wieder ein ranghoher Vertreter der Vereinten Nationen in die Hauptstadt von Somalia getraut. Doch bei den Vertretern der somalischen Zivilgesellschaft machte Holmes am Samstag vor allem "ein großes Maß an Skepsis und auch blanken Hass" gegen die globale Völkergemeinschaft aus. "Die Somalis fühlen sich im Stich gelassen", berichtete er gestern nach seiner Rückkehr in Nairobi.

Holmes, der eigentlich bis Sonntag bleiben wollte, wurde nach zwölf Stunden in Somalia wegen Sicherheitsbedenken ausgeflogen. Da hatte Holmes immerhin schon Somalias Übergangspräsident Abdullahi Yusuf und Premier Ali Mohammed Ghedi die Unterstützung der UNO zugesagt. "Aber wir fordern zugleich einen Dialog mit allen Gruppen", sagt er. An der nationalen Versöhnungskonferenz, die schon mehrfach verschoben wurde und jetzt Mitte Juni beginnen soll, sollen auch Unterstützer der Ende Dezember von Yusuf und Äthiopien verjagten Islamisten teilnehmen.

"Präsident Yusuf hat zugesagt, den Hawiye-Clan maßgeblich am Dialogprozess zu beteiligen", so Holmes weiter. Die Hawiye haben Mogadischu seit der Flucht des Diktators Siad Barre 1991 fast ständig unter ihrer Kontrolle gehabt und lehnen Yusuf als Vertreter des mit ihnen verfeindeten Darod-Clans ab. Bei den schweren Kämpfen im April, bei denen Hunderte ums Leben kamen und bis zu einer halben Million Somalis ins Umland flohen, standen sich regierungstreue Truppen und Clanmilizen der Hawiye gegenüber.

Doch obwohl Holmes sich hinter die Regierung stellte, bekam der Hilfskoordinator von dieser vor allem kritische Worte zu hören. Zwar will die Regierung Straßensperren abbauen und bürokratische Hürden beseitigen, damit den Flüchtlingen besser geholfen werden kann. "Unsere Hilfe erreicht derzeit nur gut ein Drittel der Bedürftigen", warnt Holmes. Doch Präsident Yusuf warf den UN vor, die Lage zu dramatisieren. Den Hilfswerken, die im zerstörten Somalia Wasserversorger, Nahrungsmittellieferant und Krankenhausbetreiber in einem sind, warf Yusuf vor, nicht mit der Regierung zu kooperieren.

Abukar Scheich Ali von der somalischen Hilfsorganisation Daryeel Bulsho Guud (DBG) kann Yusufs Vorwürfe nicht verstehen. "Wir haben fast täglich Treffen mit der Übergangsregierung", sagt er. "Das Problem ist, dass derzeit noch vollkommen unklar ist, was die Regierung genau will." DBG, deren Büro von äthiopischen Truppen in Schutt und Asche gelegt wurde, arbeitet derzeit von einem Camp außerhalb der Stadtgrenzen. "Die Leute würden gerne zurück nach Mogadischu, aber dort sind die Häuser zerstört, es gibt keinen Strom, kein Wasser - wohin sollen sie also zurückkehren?"

Zudem, so Flüchtlinge, herrscht in den Lagern Angst. Nicht nur vor den regierungsfeindlichen Milizen, sondern auch vor den Regierungstruppen. Holmes spricht von "Verschleppungen", ohne die Verantwortlichen zu nennen. Gemeinsam mit Kriegsverbrechen im April sollen diese jetzt von der UN-Kommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, untersucht werden.

(Copyright die tageszeitung, 15.5.07)

Freitag, 11. Mai 2007

Anne will helfen


Auf einer Bastmatte zwischen den Zuckerrohrplantagen häkeln drei Ruanderinnen, vier andere flechten Körbe aus Sisal. Dazwischen sitzt Anne Will, Noch-Tagesthemen-Moderatorin, und versucht sich selbst an der Handarbeit. Vorsichtig sticht sie mit der Nadel durch den ersten Ring aus Sisal, den Jeanne Ntawaguruje für sie vorbereitet hat. "Ich brauche vier Arbeitstage für einen Korbö, erklärt die 31-Jährige, und Anne Will, die nach ein paar Minuten den zweiten Stich durch die harte Faser gemeistert hat, schaut entgeistert. "Wie lange würde ich wohl brauchen?" Die Handarbeit der Frauen aus den Plantagen von Gisenyi oberhalb des Kivusees ist Teil ihres Plans, die Armut in der entlegenen Region nahe der Grenze zum Kongo zu mildern.

Anne Will ist als Botschafterin von "Gemeinsam für Afrika" nach Ruanda gekommen. Solche Reisen nennt sie "Herzensbildung": "Nur so bleibt man aufmerksam für die Nöte der Menschen."

Für die Armutsbekämpfung haben sich nicht erst seit der Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an Muhammad Yunus Mikrokredite bewährt. Mit dem gemeinsamen Ansparen von Kapital und der selbstverwalteten Vergabe kleiner Kreditsummen sollen viele kleine Wirtschaftswunder entstehen, so wie bei den Frauen von Gisenyi, die vor knapp einem Jahr mit dem Sparen begannen. "Früher hat hier jede allein vor sich hin gewurschtelt, ich hatte täglich Angst, das Gemüse aus dem Garten würde nicht für die Familie reichen oder jemand würde erkranken", sagt Asteria Bavugamaneshi, 31. "Jetzt sprechen wir über Probleme und helfen uns." 25 Frauen sind in Bavugamaneshis Spargruppe versammelt, jede zahlt wöchentlich 100 Ruandische Francs ein, umgerechnet 20 Euro-Cent. Was mit dem Geld angestellt wird, beraten die Frauen einmal die Woche auf drei Holzbänken unter Bananenstauden.

"Zuerst haben wir gemeinsam ein Stück Land gekauft, auf dem wir jetzt Zuckerrohr anbauen und ernten", erklärt Bavugamaneshi. Weil ein Teil des Kaufpreises bar zu zahlen war, hätte keine Frau alleine kaufen können. Bei der Feldarbeit sahen die Mütter bald das nächste Problem kommen: "Wir mussten unsere Kinder zu Hause zurücklassen." Als die Frauen bei einem ihrer Treffen den Missbrauch mehrerer Kleinkinder besprechen mussten, war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

Die Mütter gründeten ihren eigenen Kindergarten, ein flaches Lehmhaus nahe der Felder, in dem sich vier angestellte Frauen um die Kinder der Arbeiterinnen kümmern. Für Miete und Gehälter nahmen die Frauen einen Kredit bei einer Bank auf, den sie mit den Erlösen aus dem Verkauf von Zuckerrohr, Körben und Häkeltaschen Stück für Stück abzahlen. Den Vorschuss hätten sie nie bekommen ohne die Bürgschaft der Kindernothilfe, die das Sparprojekt angeregt hatte. "Wir trainieren die Frauen und bürgen bei der Bank für diejenigen, die willens sind, ihre Kredite zurückzuzahlen", beschreibt Antoine Rutayisire die Rolle der deutschen Hilfsorganisation. "Den Rest machen die Frauen selber."

Schon beim Treffen unter den Bananenstauden hat Anne Will sich sichtlich mit den Frauen gefreut. "Man sagt den Leuten: Wir vertrauen euren Ideen, eurer Kreativiät, eurer Leidenschaft. Ich glaube, respektvoller kann man gar nicht helfen." Beim Besuch des Kindergartens bringt sie der johlenden Schar zuerst das Handspiel im Fußball bei und macht beim Seilspringen mit, umringt von Drei- bis Fünfjährigen. "Wie viele Kinder hast Du?", wollen sie wissen. Sie selber haben vier bis acht Geschwister. Dass Anne Will gar keine Kinder hat, können sie gar nicht glauben. "Dann grüß all die anderen Kinder in Deutschland", rufen sie der Moderatorin nach, als sie sich auf den Weg zur schlammigen Zuckerrohrplantage macht.

Bei all der Freude über die verlockende Zukunft kann man schnell vergessen, dass hier in den Hügeln vor dreizehn Jahren Nachbarn ihre Nachbarn ermordeten und Leichen in den Feldern oder am Straßenrand gestapelt lagen. In hundert Frühlingstagen wie diesen wurden zwischen 800 000 und eine Million Ruander getötet. Extremisten der Hutu, die in Ruanda die Bevölkerungsmehrheit stellen, hatten damals zur Vernichtung der Tutsi-Minderheit und moderater Hutus aufgerufen. "Ich habe die Hälfte meiner Familie verloren, vergessen werde ich das nie", sagt Asteria Bavugamaneshi. "Aber es muss weitergehen, vor allem für die Kinder."

Die Vergangenheit erwischt Anne Will mit voller Wucht, als sie die Kirche von Ntarama betritt, einen unscheinbaren Backsteinbau, der Innenraum ist bis auf den Altar leer. Noch vor wenigen Jahren bedeckten die Gebeine der Ermordeten, vermischt mit Kochtöpfen, Schlafmatten, Kleidungsstücken den Kirchenboden. André Kamana hat schon immer in Ntarama gelebt. 1994 suchten Tutsi in der Kirche Schutz vor den Mörderbanden. Doch die Extremisten haben Granaten in die Kirche geworfen und die mehr als 10 000 Menschen in der Kirche mit Macheten und bloßen Händen ermordet." Der neunfache Vater Kamana war da schon mit seiner Familie nach Burundi geflohen, sonst wäre er auch tot.

Graue Flecken an der Wand sind die letzten Reste von jenen, die von Granaten zerfetzt wurden. An den Wänden klebt getrocknetes Blut. Heute ist die Kirche eine Gedenkstätte. Die Schädel der Toten sind aufgebahrt, die Gebeine in Katakomben unter der Erde beigesetzt. Anne Will atmet schwer durch, als sie die Treppen in eine der Gruften herabsteigt. Der Schein der Taschenlampe bleibt an einem Sarg hängen, auf dem das vergilbte Bild einer Frau liegt. Zögernd nimmt sie es in die Hand und setzt sich auf eine der Treppenstufen. "Das ist Anunciate Mukandori, eine Mutter aus Ntarama, die hier mit ihren Kindern gemeinsam begraben liegt", erklärt Kamana. "Woher weiß man das?" will Anne Will wissen. Nach all dem Grauen kann sie sich nicht mehr vorstellen, dass man noch bestimmen kann, wer wer war. "Das hat uns ihr Mörder erzählt", sagt Kamana schlicht.

Auf den Hügeln und in den Tälern, wo Anne Will noch mehr Frauen trifft, hört sie stets das Gleiche. Fast jede Mutter hat Waisen ihrer Verwandten aufgenommen. Die meisten haben Angehörige verloren, jeder kannte die Täter. "Aber es muss weitergehen" - an diesem Wort halten sich alle fest. Eine neue Kuh, ein neues Feld, ein Generator, der Strom und Einnahmen erzeugen soll, all das ist einfacher zu begreifen als der Völkermord.

Beschwiegenes Massentrauma

Madeleine Ntagahira, die einer Spargruppe in Rolindo im Zentrum Ruandas vorsitzt, glaubt, dass das Sparen nur ein erster Schritt ist. "Wir haben hier auch manche Ehe geradegebogen." Nach und nach sei unter den Frauen in Rolindo eine Vertrauensbasis entstanden, auf der früher oder später vielleicht auch über den Genozid und seine Folgen gesprochen werden könne. "Aber noch ist es dafür zu früh."

Anfang Juni wird Anne Will aus Heiligendamm vom G8-Gipfel berichten, ihr wahrscheinlich letzter Großeinsatz für die Tagesthemen. "Ich wünschte, die Staats- und Regierungschefs könnten das hier sehen", sagt sie. Wenn auf Gipfeltreffen im großen Bogen diskutiert werde, müsse sie stets vermeiden, zynisch zu werden. "Denn das will ich nicht. Ich will einfach, dass die G8 im Großen das tun, was hier im Kleinen funktioniert: Den Armen helfen, sich selbst zu helfen."

Copyright Berliner Zeitung, 11.5.2007

Dienstag, 8. Mai 2007

Fataler Absturz eines Hoffnungsträgers


Es war kurz nach Mitternacht am Samstag, als Flug KQ 507 Kameruns Wirtschaftshauptstadt Douala in Richtung Kenia verließ. Nur knapp 20 Kilometer nach dieser Zwischenlandung stürzte die in Abidjan in der Elfenbeinküste gestartete Maschine in ein dicht bewaldetes Sumpfgebiet, wo Suchtrupps sie erst am späten Sonntagabend fanden. Die Maschine explodierte, 114 Menschen starben an Bord der Boeing 737-800, die Kenya Airways erst vor einem halben Jahr aus Singapur geleast hatte.

Unter den Toten sind 35 Kameruner und 15 Inder, dazu weitere Passagiere und Besatzungsmitglieder aus 23 Ländern, unter ihnen der britische Afrikakorrespondent der Nachrichtenagentur AP. Die Ursache für den Absturz ist unklar. Zwar herrschte in Douala schlechtes Wetter, doch das ist in der zentralafrikanischen Millionenstadt zwischen Regenwald und Atlantikküste nichts Ungewöhnliches.

Für Titus Naikuni, den Vorstandschef von Kenya Airways, ist der Absturz der Tiefpunkt seiner Karriere. Kenya Airways hatte auf der gleichen Route schon einmal eine Maschine verloren, direkt nach dem Start in Abidjan im Jahr 2000. Doch das war drei Jahre bevor Naikuni Chef von Kenya Airways wurde und die heruntergewirtschaftete Airline systematisch zum "Stolz Afrikas" umbaute - so der Werbespruch.

"Unser Ziel ist es, in den kommenden Jahren alle afrikanischen Städte miteinander zu vernetzen", hatte Naikuni vor wenigen Wochen in einem Interview angekündigt. Unter seiner Führung wurde Kenya Airways fünfmal in Folge als "beste Fluggesellschaft Afrikas" ausgezeichnet. Die kenianische Fluglinie setzt vor allem auf die lange vernachlässigten Verbindungen zwischen West- und Ostafrika. Wer vor zwei Jahren von Malis Hauptstadt Bamako nach Nairobi reisen wollte, flog im Regelfall über Paris - für gesalzene Preise. Inzwischen fliegt Kenya Airways nicht nur Bamako, sondern auch andere westafrikanische Städte direkt an. Neueste Ziele sind Liberias Hauptstadt Monrovia und Cotonou in Benin.

Naikuni hat Erfolg: Von den fast 660.000 Passagieren, die im letzten Quartal 2006 Kenya Airways flogen, war nahezu die Hälfte zwischen den 33 Zielen in Afrika unterwegs. Von den Verbindungen profitieren ganze Volkswirtschaften, vor allem durch den Handel innerhalb Afrikas und mit Asien. Westafrikanische Händler fliegen jetzt über Nairobi nach China, Dubai, Bangkok oder Istanbul. Sie müssen nicht mehr über Europa reisen und umständliche Visaprozeduren über sich ergehen lassen. Dabei profitiert Kenya Airways in manchen Ländern auch davon, als einzige internationale Airline von Bürgerkrieg und Chaos gezeichnete Regionen anzufliegen.

Kenya Airways gilt, auch wegen der engen Bindung zum Großaktionär KLM, als eine der sichersten Airlines Afrikas. Anders als der panafrikanische Hauptkonkurrent Ethiopian Airlines ist Kenya Airways keine Staatslinie, muss also Profit machen. Der Umsatz stieg allein im vergangenen Jahr um ein Drittel, das Unternehmen machte fast 50 Millionen Euro Profit.

Doch der Aktienkurs, der seit Naikunis Amtsantritt steil nach oben ging, verlor - die neuen Routen galten vielen als zu risikoreich. Südlich der Sahara gibt es in Afrika praktisch nirgendwo eine funktionierende Flugsicherheit oder auch nur Radar. Es fehlt an neuen Maschinen, vor allem aber an qualifizierten Piloten. Kenias Parlament musste erst kürzlich ein Gesetz ändern, das Kenya Airways die Einstellung kenianischer Piloten vorgeschrieben hatte. In Kenia, das wie viele andere afrikanische Staaten kaum in berufliche Ausbildung investiert, waren schlicht keine Piloten mehr zu haben.

(Copyright die tageszeitung, 8.5.2007)

Donnerstag, 3. Mai 2007

Bei den Toten von Ntarama





Als der weiße Landrover Ruandas Hauptstadt Kigali verlässt, steigt der Morgennebel noch aus den Tälern empor. Früher war Ruanda berühmt als "Land der tausend Hügel” und Ziel von Rucksacktouristen, die in den Bergen an der Grenze zu Kongo Gorillas besuchten. Heute kennt man Ruanda vor allem wegen des Völkermords, während dessen in kaum hundert Frühjahrstagen vor 13 Jahren eine Million Ruander brutal ermordet wurden. Extremisten, ethnische Hutu, die in Ruanda bei weitem die Bevölkerungsmehrheit stellen, hatten damals zur Vernichtung der Tutsi-Minorität und moderater Hutus aufgerufen.
Die Stimmung ist so friedlich hier, man kann sich gar nicht vorstellen, dass hier vor so kurzer Zeit solche Massaker stattgefunden haben”, schüttelt Anne Will den Kopf. Die Tagesthemen-Moderatorin ist hier, um als Botschafterin von "Gemeinsam für Afrika” mit Ruandern über ihre Ideen und Vorhaben für die Zukunft des Landes im Herzen Afrikas zu sprechen. Als ihr Wagen nach einer guten Stunde Fahrt vor der Kirche von Ntarama anhält, schlägt die Vergangenheit mit aller Macht zu.

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