Donnerstag, 29. Januar 2009

Vertrieben aus dem Paradies


An seine Kindheit im Paradies hat Olivier Bancoult eine besonders intensive Erinnerung. "Ich höre immer noch den Klang der Kolraba, unserer traditionellen Trommel, die mein Vater mir geschenkt hat, als ich klein war." Das Instrument liegt bis heute in der Hütte der Bancoults auf Peros Banhos, einer der 65 Chagos-Inseln, die zwischen den Malediven und Mauritius mitten im Indischen Ozean liegen. "Meine Eltern sind damals, 1968, überstürzt aufgebrochen, weil meine Schwester dringend zur Behandlung ins Krankenhaus auf Mauritius musste", erzählt Bancoult heute in Port Louis, der mauritischen Hauptstadt. Olivier war da gerade vier Jahre alt. "Sie haben alles zurückgelassen, sie dachten ja, wir kommen wieder." Doch weder Olivier noch seine Eltern und Geschwister haben ihre Heimat seitdem wiedergesehen.

Wer auf den Chagos-Inseln gelebt hat, der erinnert sich an unbeschwerte Tage. Wellen schlugen in die sanft geschwungene Bucht aus strahlend weißem Sand, in der Ferne blitzten Korallenriffe. Fische gab es im Überfluss, und an Land spendeten Kokospalmen Schatten und Früchte, die die Bewohner nur vom Boden auflesen mussten. Doch dieses Paradies ist verloren gegangen. Seine Bewohner wurden von den Chagos-Inseln vertrieben. Verantwortlich dafür ist ein anderes Inselreich im Nordwesten Europas - das Vereinigte Königreich.

Olivier Bancoults Schicksal, das einige tausend andere Chagossianer ganz ähnlich erlitten haben, ist die Geschichte einer zunächst geleugneten und dann verdrängten Vertreibung eines ganzen Volkes. Sie beginnt zu britischen Kolonialzeiten Anfang der Sechzigerjahre, als die Chagos-Inseln noch zu Mauritius gehörten. Wer damals auf einer der gut sechzig Inseln lebte und zum Arzt gehen musste oder Werkzeuge kaufen wollte, der fuhr mit dem Schiff nach Mauritius, denn auf dem entlegenen Archipel gab es solche Angebote nicht. Die Chagossianer blieben für ein paar Wochen auf Mauritius, dann fuhren sie wieder zurück nach Hause.

Doch im Frühjahr 1968, Mauritius war gerade unabhängig geworden, war auf einmal alles anders. "Als meine Eltern nach der Behandlung meiner Schwester die Schiffsreise zurück buchen wollten, teilte ihnen der Zahlmeister mit, das sei unmöglich", erzählt Bancoult. "Eure Inseln sind verkauft worden, erwiderte er, "an die USA, die bauen da eine Militärbasis."

Dieses Militärareal auf Diego Garcia, der größten Chagos-Insel mit einem weltweit einmaligen Naturhafen, ist heute einer der größten US-Militärstützpunkte der Welt. Von der strategisch günstig gelegenen Insel werden Luftangriffe auf Afghanistan, den Irak und Pakistan geflogen. Lindsey Collen, eine auf Mauritius lebende Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, hat die Vorgeschichte der Militärbasis ausgiebig untersucht. Dokumente, die jahrzehntelang in Archiven verstaubten, sowie persönliche Gespräche belegten, wie die Vereinigten Staaten und die Briten Anfang der Sechzigerjahre einen Plan schmiedeten, der aus einem Agentenroman stammen könnte, erzählt Collen. "Die USA wollten unbedingt eine unbewohnte Insel im Indischen Ozean haben, um von dort aus den Mittleren Osten und die Ölrouten kontrollieren zu können."

Die Amerikaner bereiteten ihre Pläne mitten im Kalten Krieg vor. Vorauskommandos der US-Armee schauten sich mehrere britische Kolonialinseln an und entschieden, Diego Garcia sei am besten geeignet. "Da haben die Briten gesagt: Kein Problem, wir gründen einfach eine neue Kolonie, die wir Mauritius nicht mit in die Unabhängigkeit geben", sagt die Schriftstellerin. Der mauritischen Regierung im Wartestand setzten die Briten ein Ultimatum: Entweder kommt schnell die Unabhängigkeit ohne die Chagos-Inseln - oder es gibt gar keine Unabhängigkeit. "Das war nicht einfach nur illegal, sondern verstieß eindeutig gegen die UN-Charta", ärgert sich Lindsey Collen heute noch. Letztendlich setzten sich die Briten durch.

1965 wehte über den Chagos-Inseln erstmals die Flagge der "Britischen Territorien im Indischen Ozean". Das tut sie noch heute. Die Insel Diego Garcia wurde kurz danach wie vereinbart an die USA verpachtet, für zunächst fünfzig Jahre. In einem Brief an die Regierung des Vereinigten Königreichs in London forderte die US-Armeeführung, die Insel sei zu "räumen und danach zu säubern". Kurzerhand kappten die Briten alle Versorgungsfahrten zu den Chagos-Inseln. Wie Olivier Bancoults Familie strandeten viele ungewollt auf Mauritius, andere flohen. "Den Sturköpfen, die zum Schluss noch da waren, setzten sie ein Fanal", berichtet Collen. "Hunde, die auf Diego Garcia praktisch zur Familie gehörten, wurden zusammengetrieben und vor den Augen der Bevölkerung vergast." Von nun an ging die Angst bei den verbliebenen Chagossianern um: Wenn wir bleiben, könnte das Gleiche mit uns passieren. Unterdessen versicherten britische Diplomaten am Sitz der Vereinten Nationen in New York, die Inseln seien unbewohnt. Eine Lüge, die London noch jahrzehntelang aufrechterhielt.

Tatsächlich erlebten die Menschen aus Chagos eine Vertreibung: Schiffe nahmen sie an Bord, und dort hausten die Bewohner des paradiesischen Eilands wochenlang im Frachtraum, wo sie auf einer Ladung von Vogelexkrementen, einem Düngemittel, schlafen mussten. Viele starben auf der Reise, vor allem Kinder. Auf Mauritius ging es den Überlebenden kaum besser, erinnert sich Olivier Bancoult: "Ich bin wie die meisten in absoluter Armut aufgewachsen, es ist ein Wunder, dass ich eine Schulausbildung bekommen habe." Die meisten dieser Menschen lebten und leben bis heute in den ärmsten Vierteln von Port Louis. Die wenigen Häuser, die die mauritische Regierung den orientierungslosen Insulanern anbot, waren bei Unruhen kurz zuvor weitgehend zerstört worden und dienten als Ziegenställe. Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Toiletten. Was den Neuankömmlingen blieb, waren winzige Wohneinheiten in den Häusern. Die 14-köpfige Familie Bancoult hatte nur ein Schlafzimmer. Nach einem ausgeklügelten Schichtplan organisierten sie die Schlafenszeiten, weil nicht für alle gleichzeitig Platz vorhanden war.

"Wir kamen von einer Insel, wo wir alle in Frieden lebten und niemand Not litt", erinnert sich Bancoult an seine Kindheit. "Auf Mauritius gab es dann kein Geld, keine Häuser und keine Jobs für uns, keine Chance, ein besseres Leben zu führen. Stattdessen gab es auf einmal Drogen, Alkohol, Prostitution."

In den ersten Jahren nach ihrer Ankunft und dem Schock starben die meisten Chagossianer. Bancoults Vater erlitt noch am selben Tag im Hafen einen Schlaganfall, an dem ihm der Zahlmeister offenbart hatte, er könne nicht nach Hause zurückkehren. Zwei Jahre lang dämmerte er mit gelähmtem Oberkörper vor sich hin, bevor er starb. Zwei von Olivier Bancoults Brüdern soffen sich zu Tode, ein dritter starb an Herzversagen. Bancoults Schwester beging Selbstmord, wie auch andere Vertriebene. "Sie alle sind an der Trauer gestorben, ihre Heimat verloren zu haben."

Als einer der wenigen Chagossianer, der lesen und schreiben kann, hat Bancoult die Rückkehr auf die Chagos-Inseln zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Das hat er seiner kämpferischen Mutter Rita versprochen, die Anfang der Siebzigerjahre die ersten Proteste vor der britischen Botschaft in Port Louis organisierte. "Da ging es um unsere Anerkennung", berichtet Bancoult, heute noch empört. "Die Briten behaupteten ja, es gäbe uns nicht, wir wären Gastarbeiter, obwohl meine Familie schon in vierter Generation auf Peros Banhos lebte." Als die Bilder der gewaltsam niedergeschlagenen Proteste London erreichten, änderte die britische Regierung allmählich ihre Politik. Als Bewohner einer Inselgruppe, die direkt der britischen Krone untersteht, bekamen die Chagossianer schließlich britische Pässe. Und damit auch Zugang zur britischen Gerichtsbarkeit.

Im Jahr 2000 errang Bancoult seinen ersten Sieg vor Großbritanniens High Court, dem Obersten Gerichtshof. In drastischen Worten bestätigten die Richter die Kläger darin, dass die Ausweisung der Inselbevölkerung illegal gewesen sei. Doch die Labour-Regierung unter Tony Blair nutzte das uralte Recht des königlichen Edikts, um die Rückkehr dennoch zu verbieten. Das Parlament wurde auf diese Weise ausgeschaltet - eine Methode, die ein Berufungsgericht 2007 als "Machtmissbrauch" verurteilte. Es forderte erneut die Rückkehr der Chagossianer. Doch das britische Oberhaus, die letzte Instanz, widersprach, angeblich aus Kostengründen.

Trotz dieser Rückschläge gibt Bancoult nicht auf. "Wir haben bereits eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht", sagt er, und er klingt kämpferisch wie seine Mutter. "Und wir bereiten einen Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor, denn das, was die britische Regierung uns angetan hat, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

Olivier Bancoult wartet auf den Tag, an dem er seinen Kindern seine Heimat zeigen kann. "Auch wenn sie auf Mauritius geboren wurden, ihre Wurzeln liegen auf Peros Banhos." Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, sagt Bancoult, verbrieft das universelle Recht jedes Menschen auf Rückkehr in seine Heimat. Er will nicht mehr erreichen, aber auch keinesfalls weniger.

(Copyright die tageszeitung, 29.1.09)

Samstag, 24. Januar 2009

Ex-Verbündete setzen Nkunda fest


Seit Jahren galt Laurent Nkunda als Ruandas Mann im Osten Kongos. Geld und Waffen sollen aus dem Nachbarstaat an Nkunda geflossen sein. Als die Rebellen des Generals im Oktober auf die kongolesische Stadt Goma zumarschierten, halfen ihm ruandische Panzer mit Schüssen von jenseits der Grenze. Ein UN-Bericht zitierte vor einigen Wochen gar Belege dafür, dass Nkunda seine Militäroperationen direkt mit dem ruandischen Präsidialamt abgesprochen habe. Dennoch wurde Nkunda jetzt verhaftet - und zwar von denen, die ihn bislang unterstützt hatten.

"Nkunda wurde am Vortag gegen halb elf Uhr abends von ruandischen Soldaten in Bunagana festgenommen, das ist die Grenzstadt vom Kongo nach Ruanda", bestätigt der Sprecher der UN-Mission im Kongo, Jean-Paul Dietrich, am Freitag. Die gemeinsame Truppe aus kongolesischen und ruandischen Soldaten, die seit Tagen im Ostkongo gegen Rebellen vorgeht, hatte Nkunda aufgefordert, sich zu ergeben. Nkunda floh nach Ruanda - und wurde kurz hinter der Grenze auf ruandischem Boden festgesetzt.

Einer von Nkundas engsten Vertrauten, Jean-Desiré Muiti, konnte es am Freitag noch nicht fassen. "Nkunda ist zu Konsultationen nach Kigali gerufen worden", so Muiti. Diese Fehleinschätzung spricht dafür, dass Nkunda womöglich Opfer einer Täuschung wurde.

Kongos Informationsminister Lambert Mende feierte die Festnahme des Abtrünnigen als Beginn des Friedens im Osten Kongos, der seit mehr als zehn Jahren vom Bürgerkrieg erschüttert wird. Er forderte die Auslieferung Nkundas. "Es gibt einen kongolesischen Haftbefehl, er ist Kongolese, und er hat seine Verbrechen im Kongo begangen - sein Fall muss im Kongo verhandelt werden." Mende forderte Nkundas Rebellen auf, sich der Regierungsarmee anzuschließen. "Mit Nkundas Festnahme ist seine Rebellion praktisch vorbei", sagt Mende.

UN-Sprecher Dietrich ist zurückhaltender. Bei Nkunda habe man zumindest gewusst, woran man war. "Jetzt müssen wir abwarten, wer nach Nkunda kommt und hoffen, dass die versprochene Niederlegung der Waffen auch wirklich stattfindet." Dietrichs Skepsis gilt Bosco Ntaganda, der als starker Mann der Rebellengruppe gilt. Der hat zwar versprochen, den Kampf zu beenden, doch wegen des Einsatzes von Kindersoldaten wird er vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht, er hat viel zu verlieren.

Die Festnahme Nkundas ist der erste Erfolg der gemeinsamen ruandisch-kongolesischen Offensive, an der laut UN mehr als 3 500 ruandische Soldaten beteiligt sind. Bislang hatten die Führungen beider Länder davon gesprochen, militante Hutu zu verfolgen, die für den Völkermord in Ruanda verantwortlich gemacht werden. Stattdessen wurde Tutsi-General Nkunda festgenommen, der im Namen der Opfer des Völkermords Angst und Schrecken verbreitete. Beim Einmarsch seiner Truppen vor sechs Jahren in Bukavu etwa schauten UN-Blauhelme zu, während Nkundas Truppen vergewaltigten und plünderten. "Nkundas Truppen haben schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten", sagt Anneke van Woudenberg von Human Rights Watch. "Ihm muss ein Prozess gemacht werden, der internationalen Standards entspricht."

(Copyright Berliner Zeitung, 24.1.09)

Mittwoch, 21. Januar 2009

Familienfest


Seit vier Tagen wird in Kogelo, der Heimatstadt von Barack Obamas Vater tief im Westen Kenias, schon gefeiert. Kistenweise fließt das warme Bier, das Kenias größte Brauerei aus gegebenem Anlass von "Senator" in "President" umgetauft hat. In Kogelo freilich ist das egal: Hier bestellt man am Tresen schon seit Monaten mit dem Spruch "Ein Obama, bitte".

Dutzende Kamerateams aus der ganzen Welt sind gekommen, um die Party in Kogelo zu verfolgen. "Kenia ist ein sehr korruptes Land, ein Land ohne Zukunft, mit viel Leid und Hunger", bescheidet etwa Gregory, der in Kogelo lebt und dessen Stimme vor lauter Ausgelassenheit quietscht. "Wenn Obama als US-Präsident vereidigt ist, wird sich das ändern; er kommt von hier, er wird uns helfen." Ganz Kenia werde Obama verändern, glaubt der Jugendliche, und endlich Entwicklung und Aufschwung ins Land bringen.

Mit solchen Erwartungen steht Gregory nicht alleine da. "Sein Blut stammt von hier, aus diesem Land", sagt auch die in der Hauptstadt Nairobi lebende Julia Karimi. "Wir erwarten nicht, dass er Präsident von Kenia wird, aber er sollte etwas tun, um unser Leben besser zu machen."

Gäbe es nicht schon ein Suaheli-Wort für Hoffnung, "Obama" hätte beste Chancen darauf. Überall in Kenia prangt das lachende Gesicht der Lichtgestalt aus Übersee: Auf T-Shirts und Bussen, auf Hauswänden und auf den bunten Kangas, den traditionellen Tüchern, die vor allem an der Küste getragen werden. "Glückwunsch Barack Obama", steht darunter. "Du bist der Wille Gottes."

Nach den blutigen Unruhen vor einem Jahr, von denen Kenia sich bis heute nicht erholt hat, ist der Ehrenkenianer einer der letzten Hoffnungsträger, findet die junge Massaifrau Shirleen Ilante. Sie hofft, dass Kenia von Obamas Beispiel lernt: "Unsere Politiker müssen ihren Egoismus aufgeben, wir brauchen selbstlose Anführer wie Obama", sagt sie. Vor allem aber müsse Kenia lernen, dass jetzt die junge Generation an der Reihe sei. "Obamas Botschaft an ganz Afrika und Kenia im Besonderen lautet: Die alte Garde soll endlich aufhören und uns jungen Leuten eine Chance geben."

Dass sich die wegen Korruption und Amtsmissbrauch verschrienen kenianischen Politiker ein Beispiel nehmen, glaubt freilich nicht jeder. Ein Student an Nairobis Universität, der nur Anthony genannt werden will, ist skeptisch. "Mir ist Obamas Amtseinführung ehrlich gesagt ziemlich egal", wettert er. "Mag schon sein, dass er afrikanischer Herkunft ist und ich auch, aber sein Land ist nicht mein Land." Kenia, so glaubt Anthony, sollte seine Probleme selber anpacken, anstatt auf einen Präsidenten im fernen Washington zu hoffen.

Anthonys Kritik wendet sich auch direkt an eine Delegation unter Führung von Kenias Außenminister Moses Wetangula, die gestern in Washington weilte - uneingeladen. Auf Wetangulas Anfrage hatte die US-Botschaft kühl wissen lassen, dass andere Staaten bei der Vereidigung traditionell nur durch ihre Botschafter vertreten seien. Das hielt die Ministerriege nicht davon ab, trotzdem nach Washington zu fliegen. Ein Skandal, findet der ehemalige Vizeminister und Bürgerrechtler, Kalembe Ndile. "Das ist eine unfassbare Verschwendung von Steuergeldern dafür, dass die Minister sich die Vereidigung letztlich nur auf dem Hotelzimmer ansehen können." In seiner Rage stellte Ndile dem Außenminister vergangene Woche einen Fernseher vor seine Tür - als Geschenk: "Soll er sich das Spektakel hier ansehen, das ist für uns alle billiger."

Als geladene Ehrengäste sind in Washington nur einige kenianische Angehörige Obamas dabei - allen voran Obamas Großmutter Sarah. "Das ist der Tag, auf den ich seit Monaten gewartet habe", sagte die 87-Jährige kurz vor ihrem Abflug in Nairobi. "Ich kann nicht verhehlen, dass ich sehr, sehr glücklich bin." Es ist das zweite Mal, dass Sarah Obama zu ihrem Enkel in die USA reist. An seine Vereidigung als Senator von Illinois, zu der Obama sie ebenfalls eingeladen hatte, kann sie sich noch gut erinnern: "Viel zu kalt war das!". Als Gastgeschenk hat Oma Obama die Insignien der Macht im Gepäck, wie man sie im Westen Kenias kennt: einen dreibeinigen Hocker, ein Schild und einen Wedel aus Ziegenhaar zum Verscheuchen von Fliegen. "Außerdem wollte ich ihm einen Speer mitbringen, aber mir wurde gesagt, dass ich den aus Sicherheitsgründen nicht mit in den Flieger nehmen darf."

Für die Mehrheit der Kenianer, die von Washington nur träumen können, ist die Vereidigung schlicht ein Freudentag. "Das wird wie Weihnachten und Silvester zusammen, die Party des Jahrhunderts", sagt der 31-jährige Gärtner Milton, der wie Obamas kenianischer Vater zur Ethnie der Luo gehört und normalerweise im Botschaftsviertel arbeitet. Zwar hat Kenias Regierung diesmal, anders als am Tag nach Obamas Wahl, keinen Feiertag ausgerufen, doch für die Feier hat sich Milton ein paar seiner wenigen Urlaubstage genommen. Die hohen Fahrtkosten von Nairobi nach Kisumo hat er gern getragen: "Das ist es mir wert." Denn nirgendwo wird Obama am Dienstag so sehr gefeiert wie im Westen Kenias, im "Luoland".

In Kisumu sollen im größten Stadion der Stadt gleich mehrere Großbildleinwände aufgestellt werden, damit bis zu 100 000 Gäste die feierliche Zeremonie ohne Rempeleien verfolgen können. In Kakamega, der zweitgrößten Stadt der Region, werden mehr als 50 000 Gäste zu der Übertragung erwartet, die von einem Livekonzert begleitet wird. Aus den Lautsprechern dröhnt dort immer wieder die Hymne, die der kenianische Musiker Onyi Papa Jey geschrieben hat: "Obama, Sohn unseres Volkes", singt er, und der Bass dröhnt tief dazu. "Freund, der sich zu seinen Wurzeln in Kenia bekennt."

In die staubige Provinzstadt ist zudem eigens für die Party die südafrikanische Starsängerin Yvonne Chaka Chaka angereist. Doch der wahre Star des Abends, da sind die Besucher sich einig, ist auch in Kakamega nur auf der Leinwand zu sehen. Während Obama spricht, verstummen die Musiker und lauschen andächtig den Worten aus dem fernen Amerika.

(Copyright Berliner Zeitung, 21.1.09)

Montag, 5. Januar 2009

Äthiopien hinterlässt in Somalia ein Trümmerfeld


Zwei Jahre nach ihrem Einmarsch in Somalia hat Äthiopiens Armee nach eigenen Angaben ihren Rückzug begonnen. "Es handelt sich um einen Prozess, der einige Zeit in Anspruch nehmen wird", erklärte Simon Bereket, Berater von Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi. Dagegen, dass mit dem Abzug der militärisch bedeutendsten Kraft in der somalischen Hauptstadt Mogadischu ein Machtvakuum entsteht, habe man vorgesorgt. "Wir haben die nötigen Schritte unternommen, um einen Rückfall in die Gesetzlosigkeit früherer Zeiten zu verhindern", so Bereket.

Von einem möglichen "Rückfall" kann keine Rede sein. Ein Trümmerfeld hinterlässt die äthiopische Armee, die bisher Somalias machtlose Übergangsregierung unter dem inzwischen zurückgetretenen Präsidenten Abdullahi Yusuf im Amt gehalten hatte. Vor dem äthiopischen Einmarsch zur Einsetzung Yusufs Ende 2006 hatte es in Mogadischu erstmals seit fünfzehn Jahren eine Art Stabilität gegeben. Die regierende "Union Islamischer Gerichtshöfe" (UIC) hatte in nur einem halben Jahr an der Macht die illegal errichteten Straßensperren und "Mautstellen" abgebaut und die Warlords mit ihren Privatarmeen entmachtet. Selbst der damals noch gering ausgeprägten Piraterie vor Somalias Küste bereiteten die Islamisten unter der Führung des als vergleichsweise moderat geltenden Scheich Scharif Ahmed ein Ende. Zugleich verboten sie zwar die Vorführung von Fußballübertragungen und anderen Fernsehsendungen und ließen Diebe öffentlich zu Tode steinigen. Doch viele Bewohner Somalias, traditionell einem toleranten Islam verbunden, nahmen den fremden Islamismus zugunsten der Wiederkehr eines friedlichen Alltags in Kauf.

Nach dem äthiopischen Einmarsch und dem Sturz der UIC war es damit vorbei: Die islamischen Gerichtshöfe spalteten sich, die Extremisten gewannen an Gewicht. Ihre Truppen, die Al-Schabab-Milizen, liefern sich seitdem aus dem Untergrund heraus Kämpfe mit den äthiopischen Truppen und jedem, den sie als mit Äthiopien verbündet ansehen. 10.000 zivile Opfer, so UN-Schätzungen, haben diese Kämpfe gefordert.

Anstelle der Äthiopier will Somalias kopflose Übergangsregierung nun offenbar den ehemaligen Gegner einspannen. Augenzeugen berichten, Kämpfer von Scharifs moderater UIC-Fraktion hätten am Wochenende mehrere von den Äthiopiern verlassene Polizeistationen besetzt. "Damit wollen wir einen Ausbruch neuer Gewalt verhindern", sagte einer der Milizenführer lokalen Radiosendern. Scharif hatte sich letztes Jahr auf einen Friedensvertrag mit der Übergangsregierung geeinigt. Die Zahl der Abgeordneten im weitgehend machtlosen Übergangsparlament wurde über Nacht verdoppelt, um Platz für Scharifs Fraktion zu schaffen. Jetzt scheint sich der Deal auszuzahlen: Wenn Scharifs Truppen ihre ehemaligen islamistischen Kampfgenossen aufhalten können, dürfte Scharif die Nachfolge von Präsident Abdullahi Yusuf sicher sein.

In Mogadischu kursieren bereits Gerüchte, nach denen Scharif sich in Kairo mit Schabab-Eminenz Scheich Hassan Dahir Aweys treffen will. Die Aussöhnung mit Aweys, der von den USA als Terrorist gesucht wird, wird von mehreren arabischen Nationen betrieben. Auch Premierminister Hassan Hussein Nur Adde gilt als Befürworter einer Verhandlungslösung mit den radikalen Islamisten.

Unter Druck geraten ist die Schabab, die weite Teile Somalias kontrolliert, in den vergangenen Wochen durch eine neue Miliz namens Ahlus-Sunnah wal-Dschama'a, die bereits mehrere von den Islamisten besetzte Gebiete zurückerobert hat. "Wir werden Al-Schabab bekämpfen, bis sie Vergangenheit sind", kündigte einer ihrer Anführer, Scheich Abdullahi Abu Yusuf, am Sonntag an. Ob hinter der neuen Bewegung moderate Islamisten stecken oder entmachtete Warlords, ist derzeit unklar. Womöglich wird die Truppe auch von Äthiopien unterstützt. Denn dass Äthiopien Somalia einer wie auch immer gearteten islamistischen Regierung überlässt, glaubt in Somalia niemand. So überraschen auch Berichte nicht, nach denen mehrere Hundertschaften der äthiopischen Armee am Wochenende im Südwesten Somalias einmarschierten, wo die Schabab ihre Hochburgen hat. Der angebliche äthiopische Rückzug könnte sich schon in den kommenden Tagen als Überraschungsoffensive entpuppen.

(Copyright die tageszeitung, 5.1.09)