Mittwoch, 21. Januar 2009

Familienfest


Seit vier Tagen wird in Kogelo, der Heimatstadt von Barack Obamas Vater tief im Westen Kenias, schon gefeiert. Kistenweise fließt das warme Bier, das Kenias größte Brauerei aus gegebenem Anlass von "Senator" in "President" umgetauft hat. In Kogelo freilich ist das egal: Hier bestellt man am Tresen schon seit Monaten mit dem Spruch "Ein Obama, bitte".

Dutzende Kamerateams aus der ganzen Welt sind gekommen, um die Party in Kogelo zu verfolgen. "Kenia ist ein sehr korruptes Land, ein Land ohne Zukunft, mit viel Leid und Hunger", bescheidet etwa Gregory, der in Kogelo lebt und dessen Stimme vor lauter Ausgelassenheit quietscht. "Wenn Obama als US-Präsident vereidigt ist, wird sich das ändern; er kommt von hier, er wird uns helfen." Ganz Kenia werde Obama verändern, glaubt der Jugendliche, und endlich Entwicklung und Aufschwung ins Land bringen.

Mit solchen Erwartungen steht Gregory nicht alleine da. "Sein Blut stammt von hier, aus diesem Land", sagt auch die in der Hauptstadt Nairobi lebende Julia Karimi. "Wir erwarten nicht, dass er Präsident von Kenia wird, aber er sollte etwas tun, um unser Leben besser zu machen."

Gäbe es nicht schon ein Suaheli-Wort für Hoffnung, "Obama" hätte beste Chancen darauf. Überall in Kenia prangt das lachende Gesicht der Lichtgestalt aus Übersee: Auf T-Shirts und Bussen, auf Hauswänden und auf den bunten Kangas, den traditionellen Tüchern, die vor allem an der Küste getragen werden. "Glückwunsch Barack Obama", steht darunter. "Du bist der Wille Gottes."

Nach den blutigen Unruhen vor einem Jahr, von denen Kenia sich bis heute nicht erholt hat, ist der Ehrenkenianer einer der letzten Hoffnungsträger, findet die junge Massaifrau Shirleen Ilante. Sie hofft, dass Kenia von Obamas Beispiel lernt: "Unsere Politiker müssen ihren Egoismus aufgeben, wir brauchen selbstlose Anführer wie Obama", sagt sie. Vor allem aber müsse Kenia lernen, dass jetzt die junge Generation an der Reihe sei. "Obamas Botschaft an ganz Afrika und Kenia im Besonderen lautet: Die alte Garde soll endlich aufhören und uns jungen Leuten eine Chance geben."

Dass sich die wegen Korruption und Amtsmissbrauch verschrienen kenianischen Politiker ein Beispiel nehmen, glaubt freilich nicht jeder. Ein Student an Nairobis Universität, der nur Anthony genannt werden will, ist skeptisch. "Mir ist Obamas Amtseinführung ehrlich gesagt ziemlich egal", wettert er. "Mag schon sein, dass er afrikanischer Herkunft ist und ich auch, aber sein Land ist nicht mein Land." Kenia, so glaubt Anthony, sollte seine Probleme selber anpacken, anstatt auf einen Präsidenten im fernen Washington zu hoffen.

Anthonys Kritik wendet sich auch direkt an eine Delegation unter Führung von Kenias Außenminister Moses Wetangula, die gestern in Washington weilte - uneingeladen. Auf Wetangulas Anfrage hatte die US-Botschaft kühl wissen lassen, dass andere Staaten bei der Vereidigung traditionell nur durch ihre Botschafter vertreten seien. Das hielt die Ministerriege nicht davon ab, trotzdem nach Washington zu fliegen. Ein Skandal, findet der ehemalige Vizeminister und Bürgerrechtler, Kalembe Ndile. "Das ist eine unfassbare Verschwendung von Steuergeldern dafür, dass die Minister sich die Vereidigung letztlich nur auf dem Hotelzimmer ansehen können." In seiner Rage stellte Ndile dem Außenminister vergangene Woche einen Fernseher vor seine Tür - als Geschenk: "Soll er sich das Spektakel hier ansehen, das ist für uns alle billiger."

Als geladene Ehrengäste sind in Washington nur einige kenianische Angehörige Obamas dabei - allen voran Obamas Großmutter Sarah. "Das ist der Tag, auf den ich seit Monaten gewartet habe", sagte die 87-Jährige kurz vor ihrem Abflug in Nairobi. "Ich kann nicht verhehlen, dass ich sehr, sehr glücklich bin." Es ist das zweite Mal, dass Sarah Obama zu ihrem Enkel in die USA reist. An seine Vereidigung als Senator von Illinois, zu der Obama sie ebenfalls eingeladen hatte, kann sie sich noch gut erinnern: "Viel zu kalt war das!". Als Gastgeschenk hat Oma Obama die Insignien der Macht im Gepäck, wie man sie im Westen Kenias kennt: einen dreibeinigen Hocker, ein Schild und einen Wedel aus Ziegenhaar zum Verscheuchen von Fliegen. "Außerdem wollte ich ihm einen Speer mitbringen, aber mir wurde gesagt, dass ich den aus Sicherheitsgründen nicht mit in den Flieger nehmen darf."

Für die Mehrheit der Kenianer, die von Washington nur träumen können, ist die Vereidigung schlicht ein Freudentag. "Das wird wie Weihnachten und Silvester zusammen, die Party des Jahrhunderts", sagt der 31-jährige Gärtner Milton, der wie Obamas kenianischer Vater zur Ethnie der Luo gehört und normalerweise im Botschaftsviertel arbeitet. Zwar hat Kenias Regierung diesmal, anders als am Tag nach Obamas Wahl, keinen Feiertag ausgerufen, doch für die Feier hat sich Milton ein paar seiner wenigen Urlaubstage genommen. Die hohen Fahrtkosten von Nairobi nach Kisumo hat er gern getragen: "Das ist es mir wert." Denn nirgendwo wird Obama am Dienstag so sehr gefeiert wie im Westen Kenias, im "Luoland".

In Kisumu sollen im größten Stadion der Stadt gleich mehrere Großbildleinwände aufgestellt werden, damit bis zu 100 000 Gäste die feierliche Zeremonie ohne Rempeleien verfolgen können. In Kakamega, der zweitgrößten Stadt der Region, werden mehr als 50 000 Gäste zu der Übertragung erwartet, die von einem Livekonzert begleitet wird. Aus den Lautsprechern dröhnt dort immer wieder die Hymne, die der kenianische Musiker Onyi Papa Jey geschrieben hat: "Obama, Sohn unseres Volkes", singt er, und der Bass dröhnt tief dazu. "Freund, der sich zu seinen Wurzeln in Kenia bekennt."

In die staubige Provinzstadt ist zudem eigens für die Party die südafrikanische Starsängerin Yvonne Chaka Chaka angereist. Doch der wahre Star des Abends, da sind die Besucher sich einig, ist auch in Kakamega nur auf der Leinwand zu sehen. Während Obama spricht, verstummen die Musiker und lauschen andächtig den Worten aus dem fernen Amerika.

(Copyright Berliner Zeitung, 21.1.09)