Donnerstag, 29. März 2007

Mit Charme, Bibel und Koran


Nach zwei Jahren als Werkzeugmacher in Deutschland empfing Reinhold Strähler einen Ruf, der sein Leben verändern sollte. “Ich empfinde es als Ruf von Gott, als Missionar in der moslemischen Welt zu arbeiten”, sagt der dreifache Familienvater, der 15 Jahre lang in Khartum gelebt und gewirkt hat. Ein Schritt, den nur wenige ergreifen. Von den tausenden Missionaren, die in Afrika aktiv sind, wendet sich nur ein Bruchteil an Moslems. Die Mission unter Moslems oder Anhängern anderer monotheistischer Weltreligionen wie dem Judentum ist umstritten, weiß Strähler. “Selbst einheimische Christen im Sudan müssen ermutigt werden, aktiv auf Moslems zuzugehen.”

Doch für Strähler und ein paar hundert anderer Missionare, die sich auf die Mission in islamischen Ländern eingelassen haben, führt kein Weg an der Mission von Moslems vorbei. “Ich sehe das als Gehorsam gegenüber dem Auftrag, den Jesus seinen Jüngern hinterlassen hat”, erklärt Strähler. “Jesus selbst hat als Zeuge seines Glaubens in der jüdischen Gesellschaft gelebt, und so machen wir es in der moslemischen Gesellschaft auch.”

Zeugnis Jesu zu sein, das ist für Missionare wie Strähler der Kern ihres Auftrags. Sie predigen nicht von der Kanzel, sie kommen mit Moslems ins Gespräch. Sie diskutieren über Religion im allgemeinen und das Verhältnis von Islam und Christentum im Besonderen. Im Sudan, lächelt Strähler, sei das viel einfacher, als man denkt. “Gespräche über den Glauben sind was ganz Normales in einer tief religiösen Gesellschaft, das ist anders als etwa in Deutschland, wo Glauben als Gesprächsthema allenfalls toleriert wird.” Doch bei aller Offenheit ist Strähler unbeirrt in seinem Auftrag: “Mein Ziel ist es, dass Moslems zu Jüngern Jesu werden.”

Christliche Missionare im Sudan müssen vorsichtig sein. Ihre Arbeit in einem islamischen Land läuft im Privaten ab. Im islamischen Norden Sudans sind alleine Schon Informationen über das Christentum Mangelware. Zwar genießen die christlichen Kirchen im Sudan eine erstaunliche Menge an Privilegien: Sie sind von der Steuer befreit, anerkannte Gemeinden zahlen weder für Strom noch für Wasser. Auch Bibelschulen sind geduldet. Doch der Versuch, Moslems vom Christentum zu überzeugen, wird nicht toleriert. Noch schlimmeres droht jenen Moslems, die schließlich zum Christentum konvertieren. Denn auf den Abfall vom Islam steht die Todesstrafe.

Sowohl im Koran als auch im Hadith wird kein Zweifel daran gelassen, dass Konvertierte im Diesseits wie im Jenseits verdammt sind. “Tötet den, der seine Religion wechselt”, soll Mohammed seinem Cousin Ibn Abbas zufolge gesagt haben. Im Koran selbst heißt es: “Wenn sie... ihre Eide brechen und hinsichtlich Eurer Religion ausfällig werden, dann kämpft gegen die Vorbilder des Unglaubens.” Diejenigen, die sich von ihrer Religion abbringen lassen, so heißt es weiter, werden ewig im Höllenfeuer schmoren. In einer traditionellen islamischen Gesellschaft wie dem Nord-Sudan sind Konvertierte dementsprechend geächtet: Sie werden von Familien oder Freunden verstoßen und müssen sich eine neue Existenz aufbauen, während sie um ihr Leben fürchten.

Doch solche Folgen halten Missionare nicht davon ab, für den Übertritt zum Christentum zu werben. Von der “moslemischen Herausforderung” spricht der südafrikanische Baptist John Gilchrist, der zahlreiche Bücher über die Mission unter Moslems veröffentlicht hat. In einem heißt es: “Es handelt sich um einen epischen Kampf, den Kampf zwischen Islam und Christentum um die Seelen aller Erdenbürger.” Seine Konzepte sind weniger martialisch. Gilchrist ermutigt Christen, den Islam verstehen zu lernen und Moslems in ihre Herzen zu schließen. Dies, so sagt er, sei die Grundlage ihrer Mission. Methodisch schlägt Gilchrist vor, Moslems dort abzuholen, wo sie stehen: Etwa durch die Vergleiche von Bibel- und Koranversen. Über die niedrige Erfolgsquote lässt Gilchrist seine Leser nicht im Unklaren: Übertritte zum Christentum seien selten, und man müsse auf Rückschläge gefasst sein.

Den Bemühungen der Christen, Moslems zu ihrem Glauben zu bekehren, stehen Moslems in nichts nach. Im “10/40-Fenster”, wie das zwischen Islam und Christentum besonders umkämpfte Gebiet zwischen dem 10. und 40. Grad nördlicher Breite auch genannt wird, bemühen sich Männer wie Abdul darum, Ungläubige – also auch Christen - zum Islam einzuladen. Abdul sitzt unter einem Mangobaum im Hof der “Dawah Islamiyah” in Juba, der Hauptstadt des Südsudans. Während der Norden ganz überwiegend von moslemischen Sudanesen arabischer Herkunft bewohnt wird, ist der Süden von afrikanischen Ethnien bewohnt, die Christen sind oder traditionellem Glauben anhängen.

Seit zwei Jahren ist der zwanzigjährige Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd vorbei. Rund um Juba sind Flüchtlingslager entstanden, in denen die Dawah besonders aktiv ist. “Dawah” ist arabisch für “Einladung” – so will Abdul, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, seine Arbeit auch verstanden wissen. “Wir laden die Menschen ein, an unseren Veranstaltungen teilzunehmen, damit sie sich ein Bild vom Islam machen können.” Dazu kommen soziale Projekte vor allem in den Flüchtlingslagern, die Verteilung von Lebensmitteln oder anderen Hilfsgütern. “Wir bieten das alles an, und wer zum Islam übertreten möchte, der kann das tun.”

Die Zahl der Moslems in Juba nimmt zu, bestätigen UN-Helfer, die seit Ende des Kriegs im Südsudan arbeiten. Sudanesische Rückkehrer aus Uganda oder Flüchtlinge aus Somalia sind der Nukleus der wachsenden islamischen Gemeinschaft. Dazu kommt, dass die Dawah anders als die südsudanesische Regierung handfeste Hilfe leistet. Viele der mittellosen Flüchtlinge sehen darin und in der freien Ausbildung für moslemische Kinder in den Koranschulen Grund genug, sich zum Islam zu bekennen. “Es ist schon erstaunlich, wie viel die islamische Dawah von der Arbeitsweise der christlichen Mission übernommen hat”, wundert sich ein auf Anonymität bedachter christlicher Missionar im Südsudan.

(Copyright Deutsche Welle/ qantara.de, 29.3.2007)

Dienstag, 27. März 2007

Junta-Freund siegt in Mauretanien


Die Tage für Mauretaniens Putschregierung sind gezählt: Wenn alles nach Plan geht, wird die Junta von Ely Ould Mohammed Vall spätestens Mitte April ihre Geschäfte an den neuen Präsidenten Sidi Ould Cheikh Abdellahi abgeben. Der 68-jährige Exfinanzminister setzte sich bei der Stichwahl am Sonntag mit 53 Prozent der Stimmen gegen Oppositionsführer Ahmed Ould Daddah durch und soll als erster frei gewählter Präsident seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 in den "grauen Palast" in der Hauptstadt Nouakchott einziehen.

Die Chancen stehen gut. Bislang hat Militärführer Vall sein Versprechen eingehalten, die Macht schrittweise an demokratisch legitimierte Zivilisten abzugeben, nachdem er in einem unblutigen Putsch im August 2005 den mehr als 20 Jahre herrschenden Diktator Mohammed Ould Taya abgelöst hatte. Mitglieder der Militärregierung durften bei den Wahlen nicht kandidieren. Doch dass Wahlsieger Abdellahi von Anfang an der Favorit Valls war, dürfte den reibungslosen Übergang befördern. Während die alte Oppositionsgarde dem traditionell starken Militär im Land feindlich gegenüber steht, gilt der Technokrat Abdellahi als Vermittler.

Der zunächst fast langweilige Wahlkampf hatte zum Schluss an Fahrt gewonnen, als beide Kandidaten in einer dreistündigen Fernsehdebatte zusicherten, gegen die weit verbreitete Sklaverei im Land vorzugehen. Abdellahi hat neue Gesetze angekündigt, die die Versklavung der schwarzen Bevölkerung effektiv unterbinden sollen. Valls Junta hatte sich in dieser Frage nicht bewegt.

Unklar ist die Zukunft der diplomatischen Beziehungen Mauretaniens zu Israel. Auf einer Wahlversammlung hatte Abdellahi angekündigt, über ihren Abbruch nachzudenken. "Das ist eine Entscheidung des Volkes, nicht einer Person allein." Volkes Meinung ist bekannt: Der einsame Entschluss des Exdiktators Taya, als einer von wenigen islamischen Staaten Israel anzuerkennen, stößt bei den meisten der drei Millionen Einwohner, die fast ausschließlich muslimischen Glaubens sind, auf Unverständnis. Es bleibt abzuwarten, ob Abdellahi tatsächlich wagt, mit einem Abbruch der Beziehungen zu Israel auch die USA zu brüskieren, die im "Kampf gegen den Terror" bislang auf die Kooperation Mauretaniens setzen. Auch das ist im Volk umstritten.

Wirtschaftlich muss sich der neue Präsident, der bis 2012 gewählt ist, weniger Sorgen machen. Ölvorräte vor der Küste, die seit einem Jahr sprudeln, könnten der Entwicklung eines der ärmsten Länder der Welt Flügel verleihen.

(Copyright die tageszeitung, 27.3.2007)

Montag, 26. März 2007

Millionenspiele in Nigeria


Hier ein paar Millionen unterschlagen, dort ein paar Millionen
veruntreut: Knapp einen Monat vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen in
Nigeria wird vor allem darüber diskutiert, welcher Spitzenpolitiker wie
korrupt ist. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass neue Enthüllungen in den
Zeitungen stehen. Mit rund 140 Millionen Einwohnern ist Nigeria das
bevölkerungsreichste Land Afrikas und der größte Erölexporteur des
Kontinents. Die Wahlen am 21. April soll den ersten demokratischen
Machtwechsel seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1960 bringen.

"Die Mächtigen schieben fantastische Beträge hin- und her, während Nigeria
nach und nach verfällt", bilanziert Shina Loremikon von der
Anti-Korruptions-Initiative "Zero Corruption Network". Präsident Olusegun
Obasanjo hatte 1999 die erste Wahl nach dem Ende der blutigen
Abacha-Diktatur gewonnen. Doch heute verschwinden nach wie vor Milliarden
in den Taschen korrupter Politiker und Beamten.

Zwar gibt es Fortschritte: Die von Obasanjo eingerichtete "Kommission für
Wirtschafts- und Finanzvergehen" hat allein in den vergangenen zwei Jahren
veruntreute Gelder in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar aufgespürt. Doch
an die Männer ganz oben, die "big men", kommen die Korruptionsjäger meist
nicht heran.

So wie Vize-Präsident Atiku Abubakar, der mehr als 120 Millionen Euro aus
einem staatlichen Öl-Entwicklungsfonds auf sein Konto überweisen ließ - so
ein Kommissionsbericht. Multi-Millionär Abubakar, der sein Vermögen "durch
harte Arbeit und das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein"
gemacht haben will, weist den Vorwurf als politisch motiviert zurück. Er
gewann bereits mehrere Prozesse.

Abubakar hatte den Versuch von Präsident Obasanjo vereitelt, sich per
Verfassungsänderung die Kandidatur für eine dritte Amtszeit zu ermöglichen.
Im Gegenzug will Obasanjo nun offenbar einen Sieg Abubakars in der
Präsidentenwahl verhindern. Doch die Korruptionsvorwürfe halten fast alle
Kommentatoren für zutreffend.

Nicht nur der Vize, auch Obasanjo selbst steht am Pranger. Ein
Parlamentsausschuss stellte vergangene Woche fest, dass der Präsident mehr
als 20 Millionen Euro aus dem gleichen Fonds illegal für Regierungsprojekte
missbraucht hat. Und das ist nicht alles: Kritiker werfen Obasanjo vor,
sich vom Präsidentensessel aus Millionengewinne aus Nigerias ehemaligen
Staatsunternehmen gesichert zu haben.

Unter Obasanjos Aufsicht wurden die staatliche Telekom, mehrere Ölfelder
und das Hilton-Hotel in Abuja an den neugegründeten Transcorp-Konzern
verkauft, an dem Obasanjo beträchtliche Anteile hält. Ihr Wert hat sich
seit der Ausgabe um mehr als das Achtfache erhöht. Händler an der
nigerianischen Börse sagen, das Unternehmen genieße "bevorzugte
Behandlung". Zuletzt erhielt Transcorp den Zuschlag für den Bau einer
Raffinerie und eines neuen Kraftwerks.

"Transcorp ist ein bemerkenswerter Mechanismus, um staatliches Geld
abzusaugen", so Korruptionsbekämpfer Loremikon. Die Privatisierung der
nigerianischen Staatsunternehmen werde kontrolliert von einer kleinen
Clique aus Politik und Wirtschaft: "Egal, zu welchem Empfang Sie gehen, Sie
sehen immer die gleichen Leute, die mit der Regierung dicke Geschäfte
machen." Unklar ist auch noch, woher Obasanjo das Geld für seinen
Aktienkauf hatte. Loremikon sieht Beweise dafür, dass die privaten Aktien
mit staatlichen Mitteln bezahlt wurden.

Als Hoffnungsschimmer erscheint es da, dass die Regierung veruntreute
Millionen aus der Abacha-Ära zurückgeholt hat. 500 Millionen US-Dollar
wurden von der Schweizer Regierung unter der Bedingung freigegeben, dass
sie ausschließlich für Entwicklungsprojekte verwendet werden. "Das ist, zum
ersten Mal in der Geschichte Nigerias, auch von
Nichtregierungsorganisationen kontrolliert worden", erklärt der Ökonom
Agbojo Adewale, der für die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung den
Kontroll-Bericht zusammengestellt hat.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Von 50 zufällig ausgewählten Projekten war
jedes fünfte unfertig, außer Betrieb oder lange vor der Rückführung der
Abacha-Gelder finanziert worden. Manche Projekte waren gar nicht
aufzufinden. "Trotzdem ist es ein Fortschritt, dass so etwas überhaupt
herausgefunden und veröffentlicht werden kann", gibt sich Adewale
optimistisch. Die nichtstaatlichen Organisationen wollen weiter Druck
machen. Schließlich lagern noch immer Milliarden anderer nigerianischer
Diktatoren im Ausland.

(Copyright epd 26.3.2007)

Mittwoch, 14. März 2007

"Du lügst doch! Amin ist längst tot!"


Das schafft sonst nur Ugandas Präsident Yoweri Museveni: Am Tag nach der Oscar-Prämiserung für seine Rolle als ugandischer Diktator Idi Amin grinst Forest Whitaker von den Titelseiten aller ugandischen Zeitungen. Selbst das Boulevardblatt Red Pepper hat die obligatorische Halbnackte zur Seite gerückt, um Platz zu machen für die Schlagzeile: "Whitaker: Bade-Orgie nach der Verleihung". In Uganda kommt so etwas einem Ritterschlag gleich. Auf den Straßen, in den Bretterbuden-Cafés am Straßenrand und in den vollgestopften Matatu-Bussen gibt es nur drei Gesprächsthemen: Whitaker, Amin und der erste in Uganda gedrehte Hollywood-Film, "Der letzte König von Schottland". Jeder Ugander fühlt sich mit geehrt, es herrscht die Stimmung: Wir sind König.

Im Film flieht der schottische Arzt Nicholas Garrigan aus dem muffigen Schottland der 70er in das exotisch-aufregende Uganda und verfällt der Ausstrahlung und Macht des frisch gebackenen Alleinherrschers Idi Amin. Als sein Leibarzt erfährt Garrigan im Film vor allem die lustvolle Dekadenz des Amin-Regimes - die grausame Wirklichkeit der Diktatur erfahren Garrigan und die Zuschauer erst zum Ende des Films hin, als die gewalttätige Fratze des manisch- depressiven Diktators immer offener zutage tritt.

Joanitta Bewulira-Wandera gehört zu denjenigen, die Amins Herrschaft miterlebt haben. Wie die meisten ihrer Zeitgenossen, so erinnert sich auch die heute 46-Jährige an den grausamen Tod eines Verwandten. "Mein Großonkel war ein kritischer Richter, eines Tages fand man ihn in seinem Mercedes: Amins Leute hatten eine schwere Metallstange in seinen Rachen gewuchtet und ihn danach angezündet."

Sein Schicksal hatte die ugandische Filmemacherin immer wieder vor Augen, als sie die gut 6.000 Statisten aussuchte, die für die erste Hollywood-Produktion auf ugandischem Boden benötigt wurden. Keine einfache Aufgabe in einem Land, in dem die wenigsten überhaupt wissen, was genau ein Kinofilm eigentlich ist.

"Es gibt am Anfang des Films diese Szene, wo Forest Whitaker als Idi Amin vor die jubelnde Menge tritt und seine Antrittsrede hält", erzählt Bewulira-Wandera. Für die Einstellung, die mitten auf dem Land gedreht wurde, musste sie irgendwie 2.000 Darsteller herbeischaffen. "Was sollte ich tun - ich bin in die Dörfer gegangen und habe Bauern und Hausfrauen überredet, mitzumachen." Schwierigkeiten gab es erst, als sie den neuen Statisten erklärte, dass sie in der Szene Idi Amin bei einer Rede zujubeln sollten. "Die haben mich ausgebuht und angeschrien: Geh nach Hause, Mädchen, Du lügst doch -Amin ist längst tot!" Als dann aber am Morgen des Drehs Forest Whitaker auf die Bühne trat, kannten die Hilfsschauspieler kein Halten mehr. "Das Johlen und die Begeisterung waren echt, davon war nichts gespielt." Zum Glück hatte Bewulira-Wandera dem Regisseur Kevin Macdonald vorher geraten, die als Generalprobe geplante Szene komplett zu drehen. Eine Wiederholung war nicht mehr nötig.

Ein anderes Mal war die Uganderin zu nett zu ihren Komparsen: Weil der Bus, in dem der schottische Arzt Nicholas Garrigan zu seiner Missionsstation reist, in den Sonnenaufgang hineinfahren sollte, begannen die Dreharbeiten mitten in der Nacht. Also ließ Bewulira-Wandera für die Schauspieler ein ausgiebiges nächtliches Frühstück bereitstellen. "Als es losging, haben wir den Leuten gesagt: Okay, ihr habt eine lange nächtliche Busreise hinter euch, seht möglichst müde aus." Doch das wollten die Schauspieler nicht einsehen. "Die sagten: Warum, wir haben doch gerade erst gefrühstückt, wir sind nicht mehr müde." Weil alles Bitten nicht half und der Sonnenaufgang immer näher rückte, griff Bewulira-Wandera schließlich zum Äußersten: "Entweder ihr seid müde, oder es gibt kein Geld." So müde Passagiere wie in dieser Szene, lacht sie heute, hat sie danach nie wieder gesehen.

Doch nicht nur für die Hilfskräfte vom Land war der Dreh eine andere Welt. Obwohl Bewulira-Wandera schon mehrere Produktionen beim ugandischen Fernsehen verantwortet hat - zuletzt eine Art ugandisches "Emergency Room" -, war auch sie von der schieren Größe des Unternehmens "Letzter König von Schottland" erschlagen. "Bei unseren Produktionen setzen wir uns zur Besprechung unter einen Mangobaum, hier wurden wir in Abteilungen aufgeteilt und nach und nach behandelt." Auch sonst hat die Uganderin eine Menge gelernt. Das Wissen will sie bei künftigen Produktionen einsetzen: "Ich hoffe, dass noch mehr solcher Filme in Uganda gedreht werden - Stoff gibt es jedenfalls genug."

Vom Hollywood-Standard lernen will auch Musarait Kashmiri, die in Kampala gemeinsam mit der indischstämmigen Regisseurin Mira Nair eine Filmschule für Ostafrikaner leitet. Den "Letzten König von Schottland" mag sie trotzdem nicht. Den Filmemachern wirft sie vor, Uganda als Schauplatz missbraucht zu haben, mehr nicht. "Es wäre interessant gewesen, was Ugander selbst zu Amin zu sagen hätten, aber das kommt in diesem Film nicht vor." Viele historische Details seien zudem falsch, was die Filmemacher damit entschuldigen, dass es sich um einen Spielfilm, keine Dokumentation handelt. Schließlich ist sogar die Hauptfigur des Films, der schottische Arzt Garrigan, eine von Autor Giles Foden erfundene Kunstfigur. "Aber mal ehrlich: Für die Zuschauer selbst hier ist ein so gut gemachter Film doch wie das Evangelium, das wird doch von niemandem hinterfragt."

In Kashmiris "Maisha"-Filmschule bewerben sich seit drei Jahren Nachwuchsautoren und -regisseure mit ihren eigenen afrikanischen Geschichten. Inzwischen bildet "Maisha" auch Kameraleute, Tonassistenten und Cutter aus. Das Ziel: Ostafrikaner sollen ostafrikanische Geschichten mit ostafrikanischen Schauspielern und Crews drehen können. "Solche Crews stehen dann in Zukunft auch den ausländischen Regisseuren zur Verfügung, die immer häufiger in Afrika drehen: Es ist doch absurd, dass die ganzen Crews bislang aus Europa und Amerika eingeflogen werden." Kashmiri ärgert sich darüber, wie großzügig der ugandische Staat und Präsident Museveni persönlich die Macher aus Hollywood hofiert haben. Ihnen wurde die Mehrwertsteuer erlassen, Genehmigungen wurden ohne Rückfrage erteilt, Armeesoldaten ohne Murren als Statisten bereitgestellt. "Wenn ich als Uganderin einen Film machen will, muss ich mich monatelang mit den Behörden herumschlagen, nur um eine Drehgenehmigung zu bekommen." Auch eine staatliche Kulturförderung gibt es nicht in Uganda.

Mit dem Ergebnis des von ihm unterstützten Drehs war Ugandas Staatschef Museveni jedenfalls zufrieden. Nach der Premiere, angeblich Musevenis erster Kinobesuch seit 47 Jahren, bescheinigte er dem Hauptdarsteller volle Authentizität: "Ich gratuliere Herrn Whitaker, er ist ein echter Amin." Anders sieht das jemand, der den Titel "echter Amin" für sich selbst beanspruchen kann: einer von Idi Amins Söhnen, der 41-jährige Geschäftsmann Jaffar Amin. "Der Film zeigt nichts anderes als die gängigen Vorurteile, die der Westen über meinen Vater hatte." Idi, so erinnert sich Jaffar, sei ein strenger, aber guter Mann gewesen, der ihm schon mit 12 Jahren Autofahren und Schießen beigebracht habe. "Als Präsident hat er totale Kontrolle über Dinge gehabt, aber genau das mögen viele Ugander noch bis heute: In den 80ern, nach meinem Vater, kamen die großen Unruhen."

Trotz der neu angefachten Diskussionen über Amins blutiges Erbe ist sich der Sohn des letzten Königs von Schottlands keiner Schuld bewusst. Im Gegenteil.

Bei der nächsten Präsidentenwahl im Jahr 2011, so sinniert Amin junior, könne er sich gut vorstellen, selbst anzutreten und in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

(Copyrigth die tageszeitung, 14.3.2007 - Photo 20th Century Fox)

Donnerstag, 1. März 2007

Ugandas Kriegsopfer trotzen der Angst


Die Geschäfte im Zentrum von Kitgum sind frisch gestrichen. Manche leuchten rot in der Farbe des einen, andere gelb in der Farbe des anderen Mobilfunkanbieters. Entlang der Hauptstraße parken vollbeladene Lastwagen. Noch vor einem Jahr konnte diese Kleinstadt im Norden Ugandas nur aus der Luft erreicht werden - heute hat sie sich zu einem brummenden Handelsposten entwickelt, seit die vom selbsternannten Propheten Joseph Kony geführte "Lord's Resistance Army" (LRA) im vergangenen Herbst nach 20 Jahren Partisanenkrieg einen Waffenstillstand ankündigte und Friedensgespräche mit der Regierung von Yoweri Museveni begann. Doch der Traum vom Frieden ist vorbei: Ab heute, so hat LRA-Vizekommandeur Vincent Otti angekündigt, greifen Konys Kindersoldaten wieder zu den Waffen.

Von Angst ist dennoch nichts zu spüren in Kitgum, das unter den brutalen Übergriffen der LRA vielleicht am schlimmsten gelitten hat. 48 Bewohner eines Dorfs nahe Kitgum wurden Ende Juli 2002 in einem Massaker ermordet, das selbst für die Verhältnisse der sehr brutalen LRA besonders blutrünstig war: Erwachsene wurden mit Macheten und Messern in Stücke gehackt, Kinder mit ihrem Kopf so lange gegen Bäume geschlagen, bis der Schädel entzweibrach. Solche Traumata vergisst eine Bevölkerung nicht, glaubt der katholische Pater Josef Gerner, der in Kitgum mit dem deutschen Hilfswerk Missio arbeitet.

"Irgendwann war es selbstverständlich, dass jeden Tag aufs Neue Kinder verschwanden", erinnert sich Gerner an die schlimmste Zeit des Krieges. Ständig neue Kinder brauchte Joseph Kony: Jungen ab acht Jahren für seine Armee, Mädchen für die Hausarbeit und als Sexsklavinnen. Auf einem umzäunten Hof zwischen einem Krankenhaus und einem Mädchenpensionat kümmerte sich Gerner in der besonders schlimmen Zeit zwischen 2002 und 2006 um bis zu 900 Kinder. Mehr als 7.000 kamen jede Nacht aus den umliegenden Flüchtlingslagern hinzu, um während der Dunkelheit Konys Häschern zu entgehen.

Heute ist Gerners Hof leer, trotz der neuen LRA-Drohungen. "Vor Weihnachten sind die letzten großen Gruppen von Kindern hier abgezogen", sagt der 72-Jährige. Die meisten leben in neu aufgebauten "Satellitenlagern", in deren Umland sie Felder bestellen und Vieh hüten können. Mehr als 100.000 Flüchtlinge, so schätzen Hilfswerke, leben in den Lagern rund um Kitgum, in ganz Norduganda sind es mehr als eine Million. Die meisten brennen darauf, endlich wieder ein normales Leben zu führen. "Eigentlich wollen die Leute in die Dörfer auf ihr angestammtes Land zurück, aber die Armee lässt sie nicht, angeblich aus Sicherheitsgründen," so Gerner. Berichte, dass die Regierung in Kampala Ländereien im großen Stil verkauft, haben die Flüchtlinge verunsichert. Sie wollen zurück und ihren Besitz sichern - das Risiko eines LRA-Angriffs nehmen sie dafür in Kauf.

"Aber die LRA wird nicht angreifen", sagt anonym ein Oberst der ugandischen Armee. "Nachdem Konys Soldaten sechs Monate lang an den Sammelpunkten im Südsudan ausgeharrt haben, hat er die militärische Initiative verloren. Die LRA ist nur noch auf der Flucht." Im unerschlossenen Osten der Zentralafrikanischen Republik soll ein Teil der Rebellen gelandet sein, andere werden im sudanesisch-kongolesischen Grenzgebiet vermutet. Weit genug weg von Kitgum.

Doch Armee und Regierung sind im Norden Ugandas jetzt noch ungeliebter als die Rebellen aus dem Busch. Schuld an dem Scheitern des Friedensprozesses, da sind sich die Kitgumer einig, ist Ugandas Regierung. Viele der oft schwer traumatisierten LRA-Rückkehrer glauben bis heute an Konys Unschuld. "Es sind nur seine Kommandeure, die sich wie Gorillas aufführen, er selbst ist ein gottesfürchtiger Mann", sagt der 21-jährige Godfrey Odokonyero. Und der 29-jährige Schuldirektor Cyprian Komakech, der in einem Flüchtlingslager unterrichtet, ist sich sicher: "Die LRA will den Frieden, aber Museveni lässt sie nicht. Er will den Norden klein halten." Wenn Konys verwahrloste Truppen bald doch wieder in Kitgum einfallen sollten, so scheint es, könnte der Hass der Bevölkerung vor allem Konys Gegner treffen.

(Copyright die tageszeitung, 1.3.07)