Montag, 26. März 2007

Millionenspiele in Nigeria


Hier ein paar Millionen unterschlagen, dort ein paar Millionen
veruntreut: Knapp einen Monat vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen in
Nigeria wird vor allem darüber diskutiert, welcher Spitzenpolitiker wie
korrupt ist. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass neue Enthüllungen in den
Zeitungen stehen. Mit rund 140 Millionen Einwohnern ist Nigeria das
bevölkerungsreichste Land Afrikas und der größte Erölexporteur des
Kontinents. Die Wahlen am 21. April soll den ersten demokratischen
Machtwechsel seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1960 bringen.

"Die Mächtigen schieben fantastische Beträge hin- und her, während Nigeria
nach und nach verfällt", bilanziert Shina Loremikon von der
Anti-Korruptions-Initiative "Zero Corruption Network". Präsident Olusegun
Obasanjo hatte 1999 die erste Wahl nach dem Ende der blutigen
Abacha-Diktatur gewonnen. Doch heute verschwinden nach wie vor Milliarden
in den Taschen korrupter Politiker und Beamten.

Zwar gibt es Fortschritte: Die von Obasanjo eingerichtete "Kommission für
Wirtschafts- und Finanzvergehen" hat allein in den vergangenen zwei Jahren
veruntreute Gelder in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar aufgespürt. Doch
an die Männer ganz oben, die "big men", kommen die Korruptionsjäger meist
nicht heran.

So wie Vize-Präsident Atiku Abubakar, der mehr als 120 Millionen Euro aus
einem staatlichen Öl-Entwicklungsfonds auf sein Konto überweisen ließ - so
ein Kommissionsbericht. Multi-Millionär Abubakar, der sein Vermögen "durch
harte Arbeit und das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein"
gemacht haben will, weist den Vorwurf als politisch motiviert zurück. Er
gewann bereits mehrere Prozesse.

Abubakar hatte den Versuch von Präsident Obasanjo vereitelt, sich per
Verfassungsänderung die Kandidatur für eine dritte Amtszeit zu ermöglichen.
Im Gegenzug will Obasanjo nun offenbar einen Sieg Abubakars in der
Präsidentenwahl verhindern. Doch die Korruptionsvorwürfe halten fast alle
Kommentatoren für zutreffend.

Nicht nur der Vize, auch Obasanjo selbst steht am Pranger. Ein
Parlamentsausschuss stellte vergangene Woche fest, dass der Präsident mehr
als 20 Millionen Euro aus dem gleichen Fonds illegal für Regierungsprojekte
missbraucht hat. Und das ist nicht alles: Kritiker werfen Obasanjo vor,
sich vom Präsidentensessel aus Millionengewinne aus Nigerias ehemaligen
Staatsunternehmen gesichert zu haben.

Unter Obasanjos Aufsicht wurden die staatliche Telekom, mehrere Ölfelder
und das Hilton-Hotel in Abuja an den neugegründeten Transcorp-Konzern
verkauft, an dem Obasanjo beträchtliche Anteile hält. Ihr Wert hat sich
seit der Ausgabe um mehr als das Achtfache erhöht. Händler an der
nigerianischen Börse sagen, das Unternehmen genieße "bevorzugte
Behandlung". Zuletzt erhielt Transcorp den Zuschlag für den Bau einer
Raffinerie und eines neuen Kraftwerks.

"Transcorp ist ein bemerkenswerter Mechanismus, um staatliches Geld
abzusaugen", so Korruptionsbekämpfer Loremikon. Die Privatisierung der
nigerianischen Staatsunternehmen werde kontrolliert von einer kleinen
Clique aus Politik und Wirtschaft: "Egal, zu welchem Empfang Sie gehen, Sie
sehen immer die gleichen Leute, die mit der Regierung dicke Geschäfte
machen." Unklar ist auch noch, woher Obasanjo das Geld für seinen
Aktienkauf hatte. Loremikon sieht Beweise dafür, dass die privaten Aktien
mit staatlichen Mitteln bezahlt wurden.

Als Hoffnungsschimmer erscheint es da, dass die Regierung veruntreute
Millionen aus der Abacha-Ära zurückgeholt hat. 500 Millionen US-Dollar
wurden von der Schweizer Regierung unter der Bedingung freigegeben, dass
sie ausschließlich für Entwicklungsprojekte verwendet werden. "Das ist, zum
ersten Mal in der Geschichte Nigerias, auch von
Nichtregierungsorganisationen kontrolliert worden", erklärt der Ökonom
Agbojo Adewale, der für die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung den
Kontroll-Bericht zusammengestellt hat.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Von 50 zufällig ausgewählten Projekten war
jedes fünfte unfertig, außer Betrieb oder lange vor der Rückführung der
Abacha-Gelder finanziert worden. Manche Projekte waren gar nicht
aufzufinden. "Trotzdem ist es ein Fortschritt, dass so etwas überhaupt
herausgefunden und veröffentlicht werden kann", gibt sich Adewale
optimistisch. Die nichtstaatlichen Organisationen wollen weiter Druck
machen. Schließlich lagern noch immer Milliarden anderer nigerianischer
Diktatoren im Ausland.

(Copyright epd 26.3.2007)