Dienstag, 14. April 2009

Geiseldrama auf hoher See beendet


Es ist der Stoff, aus dem große Dramen sind: ein Kapitän, der sich als Geisel zur Verfügung stellt, um Schiff und Besatzung zu retten; vier Piraten, die von Bord eines manövrierunfähigen Rettungsbootes aus das Geschäft ihres Lebens machen wollten; und eine militärische Supermacht, die mit drei Kriegsschiffen jede Bewegung an Bord des nur wenige hundert Meter entfernten Rettungsbootes verfolgte. Kein Wunder, dass die Geiselnahme auch dramatisch endete.

"Der Kommandant an Bord der 'USS Bainbridge' hat innerhalb von Sekunden entschieden, dass sich Kapitän Richard Phillips in akuter Lebensgefahr befindet", erklärte der Chef des Zentralkommandos der US-Marine, Vize-Admiral William Gortney, kurz nach der Befreiung am Samstagabend. Da hatten die Piraten offenbar ihre Waffen auf Phillips gerichtet, nachdem die US-Verhandlungsführer sich geweigert hatten, das geforderte Lösegeld von zwei Millionen US-Dollar zu bezahlen. "Drei Piraten wurden von Scharfschützen erschossen, der vierte ergab sich." Phillips Befreiung sei von Spezialeinheiten ausgeführt worden.

Dem 53-jährigen Phillips, dessen Schicksal in den vergangenen Tagen ganz Amerika bewegt hatte, geht es gut. Er soll bald nach Hause fliegen. Mit Jubelgebrüll reagierte Phillips Crew auf die Befreiung: Die 19 Seeleute an Bord der "Maersk Alabama" waren am Samstagabend in Kenias Hafenstadt Mombasa angekommen. "Wir haben es geschafft", rief ein Matrose von Bord der "Alabama" über Absperrungen hinweg Journalisten zu. "Captain Phillips ist unser Held", schrie ein anderer.

Doch nicht alle feiern. Andrew Mwangura, der die Piraterie vor Somalias Küste seit Jahren verfolgt, befürchtet, dass die gewaltsame Befreiung das Leben künftiger Geiseln gefährdet. "Man hat die Piraten gewalttätiger gemacht", so Mwangura. In der Vergangenheit sei den Geiseln nie etwas geschehen. "Jetzt wird es passieren, dass Piraten Geiseln umbringen, um so ihr eigenes Leben zu retten." Selbst US-Militär Gortney räumt das ein. "Dadurch könnte die Gewalt in diesem Teil der Welt zweifellos sprunghaft zunehmen." Mehrere Piratengruppen haben bereits mit Vergeltung gedroht.

In der Nacht zum Montag flogen zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden Armeehelikopter über Piratenhäfen an der somalischen Küste. "Erst töten sie unsere Freunde, dann müssen wir Angst vor Bombardements haben", so ein Pirat. "Amerika ist unser neuer Feind." Der Fall Phillips scheint auch Bewegung in die politische Debatte zu bringen. Der Kongressabgeordnete Donald Payne landete am Montag als erster US-Politiker seit dem traumatischen Tod mehrerer US-Soldaten 1994 in Mogadischu, um Gespräche mit der weitgehend machtlosen Übergangsregierung zu führen.

Nach der Freilassung von Phillips befindet sich jetzt noch ein amerikanisches Schiff in der Hand somalischer Seeräuber. Der Schlepper unter italienischer Flagge war am Samstag gekapert worden. Auch der deutsche Frachter "Hansa Stavanger" mit fünf deutschen Seeleuten an Bord wird seit mehr als einer Woche von Piraten festgehalten.

Gerätselt wird unterdessen über die Fracht an Bord der "Maersk Alabama". Laut offiziellen Angaben befindet sich in den Containern Lebensmittelhilfe für Ostafrika. Doch FBI und CIA, die kurz nach der Ankunft in Mombasa die Kontrolle über die "Alabama" übernommen haben, weigern sich kenianischen Zollbeamten zufolge, den Inhalt zu deklarieren. Es könnten militärisch heikle Güter darunter sein: Die "Maersk Alabama" ist Teil eines Spezialprogramms der Marine, mit dem vertrauenswürdige Schiffe für Militärtransporte akquiriert werden.

(Copyright die tageszeitung, 14.4.09)

Dienstag, 7. April 2009

Der gedeckte Mörder


"Hier ist Radio Libre Mille Collines", ruft der Moderator schwer atmend in sein Mikrofon. "Die Gräben sind erst zur Hälfte mit Tutsi-Leichen gefüllt, helft mit, sie aufzufüllen!" Es ist Frühjahr 1994 in Ruanda, seit dem 7. April haben die Morde an Tutsi und moderaten Hutu begonnen. Macheten, die schon vor Monaten lastwagenweise eingeführt worden sind, werden an die Hutu-Bevölkerungsmehrheit verteilt. Angeheizt wird die Stimmung von den Scharfmachern im Freien Radio der tausend Hügel, die später sogar Musikstücke senden, die den Völkermord glorifizieren. Später werden Medienwissenschaftler sagen, dass die Hasssendungen maßgeblich dazu beigetragen haben, den Völkermord am Laufen zu halten.

Der Mann, der hinter Radio Libre Mille Collines steckt, ist derselbe, der den Import von zehntausenden Macheten organisierte: Félicien Kabuga, einer der reichsten Männer Ruandas und Hutu-Extremist, für dessen Ergreifung die US-Regierung ein Lösegeld von 5 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat. Doch 15 Jahre nach Beginn des Genozids ist der inzwischen 74-Jährige immer noch auf der Flucht. "Von den 97 Angeklagten haben wir 84 festnehmen können", bilanziert Roland Amoussouga, Sprecher des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. "Nur 13 sind noch auf der Flucht."

Doch unter diesen 13 sind die vielleicht wichtigsten noch lebenden Hintermänner des Genozids: der damalige Verteidigungsminister Augustin Bizimana etwa, und Protais Mpiranya, Chef der besonders brutalen Präsidialgarde. Und Kabuga, der als Finanzier des Völkermordes gilt. "Bei vielen wissen wir ungefähr, wo sie sich aufhalten", sagt Hassan Jallow, der Chefankläger des von den UN eingerichteten Tribunals. Doch das reicht zur Festnahme nicht aus, denn das Tribunal hat keine Polizei. Wenn Jallow weiß, wo sich ein Verdächtiger aufhält, dann muss er die Regierung des Landes um Amtshilfe bitten. "Und nicht alle Regierungen sind so kooperativ, wie wir uns das wünschen würden."

Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass sich Félicien Kabuga seit fast 15 Jahren meistens in Kenias Hauptstadt Nairobi aufhält. Am 3. September 1994 stempelten Einreisebeamte seinen Pass am internationalen Flughafen, seine Frau und sechs Kinder folgten kurze Zeit später nach. Kenia war nicht Kabugas erste Wahl: Weder die Schweiz noch das damalige Zaire war bereit, den Völkermörder aufzunehmen.

In Kenia hingegen wurde Kabuga mit offenen Armen empfangen. "Der damalige ruandische Botschafter Cyprien Habimana sorgte dafür, dass eine ganze Reihe von Völkermördern Flüchtlingsstatus bekamen", erklärt ein damaliger Mitarbeiter von Kenias Ausländerbehörde im Schutz der Anonymität. Erst im Dezember wurde Habimana von der neuen Regierung nach Kigali zurückgerufen. Da hatte Kabuga bereits seine erste Wohnung im schicken Gemina Court bezogen, gleich neben der Witwe von Expräsident Juvénal Habyarimana. So groß war der Andrang der Extremisten, dass im September 1994 in der All Saints Basilica eine eigene Schule für 140 ihrer Kinder eröffnet wurde, in der auf Kinyarwanda unterrichtet wurde. Auch die tutsifeindliche Hetzschrift Kangura, die in kongolesischen Hutu-Flüchtlingslagern verteilt wurde, wurde in Nairobi gedruckt.

Die Kenia-Connection der Hutu-Elite um den ermordeten Präsident Juvenal Habyarimana, dessen Flugzeug am Vorabend des 7. April 1994 abgeschossen wurde, hat Tradition. Habyarimana selbst war mit Kenias autokratischem Präsidenten Daniel arap Moi gut befreundet und unterhielt mehrere Firmen in Mombasa und an Kenias Küste. Auch Kabuga hatte Verbindungen. Sein wohl nützlichster Beschützer soll der damalige Chef des gefürchteten Geheimdienstes, Zakayo Cheruiyot, gewesen sein. Vieles spricht dafür, dass es innerhalb von Bürokratie und Politik bis heute zahlreiche Männer gibt, die ihre schützende Hand über Kabuga halten.

Selbst der sonst eher diplomatische Chefankläger des Völkermordtribunals Jallow kritisiert Kenias Regierung mittlerweile öffentlich. "Im Kongo hat die Regierung Probleme mit ihrer Kapazität und kann deshalb viele Flüchtlinge nicht fassen", so Jallow. "In Kenia geht es nicht um Kapazität, es geht um politischen Willen."

Eine von Jallow ins Leben gerufene Taskforce, der Vertreter des Tribunals und der kenianischen Polizei angehören, legte vor nicht einmal einem Jahr einen bestürzenden Bericht vor: Das Netzwerk, das Kabuga zu seinem Schutz aufgebaut habe, umfasse den Expolizeipräsidenten des Landes, zwei persönliche Referenten des Präsidenten, zwei Minister, Kenias obersten Verwaltungschef und Heerscharen von Geschäftsleuten und Rechtsanwälten. Ein Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Mois habe zudem mit der neuen Regierung eine Vereinbarung darüber geschlossen, dass Kabuga weiterhin geschützt werde. Die Regierung Kibaki, die bis heute im Amt ist, wies alle Vorwürfe zurück. Der Bericht wurde nie veröffentlicht.

Wer den Fall Kabuga verfolgt, lebt gefährlich. Der kenianische Journalist Cyrus Ombati, der die Spur Kabugas seit Jahren verfolgt, ist sich dessen bewusst. Und dennoch will er nicht schweigen. "Die Regierung behauptet, Kabuga sei nicht im Land, aber gleichzeitig hat sie ihn gerade wegen Steuerhinterziehung angeklagt", weist er auf einen der vielen Widersprüche hin. "Polizeibeamte geben im Vieraugengespräch offen zu, dass er sich in Kenia frei bewegen kann", so Ombati. "Und gleichzeitig sagen sie dir: Pass bloß auf, was du über ihn schreibst!"

Das kenianische Finanzimperium Kabugas umfasst Immobilien, Farmen, Hotels, Transport- und ein Busunternehmen sowie eine Import-Export-Firma. Zwar hat Kenias Regierung nach langem Zögern Konten und Besitztümer Kabugas eingefroren, doch mindestens zwei Konten, die Jallows Taskforce im vergangenen Jahr überprüfen wollte, scheinen noch intakt zu sein. "Weder die Barclays Bank noch die Family Bank war bereit, uns bei der Aufklärung zu unterstützen", sagt ein Insider. Auch die Konten von Geschäftspartnern und Kabugas Schwiegersohn seien bis heute nicht gesperrt.

Einmal schien es, als seien die Verfolger kurz davor, Kabuga festzunehmen. Der Geschäftsmann William Munuhe vereinbarte ein Treffen mit Kabuga, bei dem die Polizei zugreifen sollte. Als Kabuga nicht wie vereinbart zum Treffen erschien, wurde der Einsatzleiter ungeduldig. Weil Munuhe seinen Telefonhörer nicht abnahm, brachen die Beamten die Tür auf. Sie fanden den 27-Jährigen tot in seinem Bett - er war mit einem Kopfschuss ermordet worden.

Auch weil die Polizei den Tod Munuhes lange geheim hielt, gehen viele bis heute davon aus, dass Polizei-Insider den Geschäftsmann verraten hatten. Vor einem Jahr, Jallow hatte einen kritischen Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat angekündigt, meldete die Polizei auf einmal die Festnahme Kabugas. Erst einige Tagen später, die Sicherheitsratssitzung war vorbei und Jallow zurück in Arusha, stellte sich heraus: Der Verhaftete war nicht Kabuga, sondern Charles Nyandwi, ein Mathematikdozent an Nairobis Universität, der Kabuga überhaupt nicht ähnlich sieht.

Doch Jallow will nicht aufgeben. "Kabuga bleibt einer der wichtigsten Flüchtlinge für uns, wir wollen ihn hier vor Gericht sehen, bevor wir Ende des Jahres die Verhandlungen einstellen", so der Chefankläger. Und etwas realistischer setzt er nach: "Diese Verbrechen verjähren nicht." Irgendwann werde man Kabuga finden und festnehmen. "Er kann wegrennen, aber er kann sich nie in Sicherheit wiegen."

(Copyright die tageszeitung, 7.4.09)