Donnerstag, 31. Januar 2008

Kenias Wirtschaftswunder gestoppt


Wer jetzt in die Massai Mara reisen würde, um wilde Tiere zu beobachten, hätte das Naturparadies praktisch für sich allein. Denn niemand fährt momentan dorthin, und so haben die meisten Lodges längst dichtgemacht. "Seit Neujahr sind uns an der Küste und in den Nationalparks 90 Prozent der Einnahmen weggebrochen", berichtet Tasneem Adamji, Chefin des Tourismusverbandes.

An den Stränden sieht es nur unwesentlich besser aus als in den Parks. Fast eine Milliarde Euro, so die Prognose, wird Kenia in diesem Jahr im wichtigsten Wirtschaftszweig gegenüber dem Vorjahr verlieren. 20.000 Angestellte in Kenias Urlaubssektor, schätzt Adamji, stehen jetzt schon auf der Straße, bis März könnten es schon sechsmal so viele sein. Nicht mitgezählt sind die zahlreichen Jobs im informellen Sektor, wo die meisten Kenianer arbeiten.

Denn obwohl Kenia in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Wirtschaftswunder mit jährlichen Wachstumsraten von über 7 Prozent erlebte, stehen von den zuletzt 8,5 Millionen Beschäftigten nur 1,85 Millionen in einem offiziellen Arbeitsverhältnis - Tendenz stark sinkend. Viele Teefelder im Westen Kenias sind abgefackelt oder derzeit nicht erreichbar. Viele der Saisonarbeiter sind auf der Flucht, ebenso wie in Naivasha, dem Zentrum von Kenias Blumenindustrie. Kurz vor dem Valentinstag, wo in Europa die Nachfrage am stärksten ist, gefährden die Unruhen den 500 Millionen Euro schweren Exportmarkt. Immerhin ein Viertel der in Europa verkauften Schnittblumen kommt von hier. Einzig Kaffee kann aus dem ruhigen Hochland derzeit noch geliefert werden: Der Preis stieg sogar, weil viele Händler Hamsterkäufe vornehmen.

Der Niedergang von Tourismus und Exportindustrie hat katastrophale Auswirkungen auf die Binnenwirtschaft. Die Bauindustrie, die in den vergangenen Jahren von einem investitionsfreundlichen Klima profitierte, wurde von heute auf morgen praktisch arbeitslos. Banken befürchten, dass die Mehrzahl der Kreditnehmer nicht in der Lage sein wird, ihren Kredit abzuzahlen. Unternehmer, die die Raten aus Gewinnen abstotterten, nehmen derzeit schlicht nichts ein.

Das gilt vor allem für die viel gepriesenen Mikrokredite, die vielfach in Armenvierteln zum Einsatz kamen. Das vom Kredit erworbene Kapital ist oftmals schon zerstört. Am schlechtesten geht es derzeit den Tagelöhnern, die vergeblich auf Anstellung warten. Eine soziale oder wirtschaftliche Absicherung haben sie nicht.

Der kenianische Schilling befindet sich unterdessen wie der Aktienmarkt im freien Fall - dabei hatten Währung und Börse in den vergangenen Jahren stetig zugelegt. Am Dienstag musste der Handel an Nairobis Börse sogar unterbrochen werden, weil der Abwärtstrend zu stark war. Zwar brüstet sich Kenias Finanzminister Amos Kimunya zu Recht damit, dass der Haushalt in Kenia zuletzt nur noch zu knapp 5 Prozent von ausländischen Hilfsgeldern abhängig war, doch das könnte sich schneller ändern, als irgendjemand lieb sein kann. Immerhin sprudelt die wichtigste Devisenquelle Kenias unverändert. Nichts bringt so viel harte Währung ins Land wie die Überweisungen, die Auslandskenianer nach Hause machen.

(Copyright die tageszeitung, 31.1.08)

Leere Strände zur Hochsaison


Das Rauschen der Wellen im Indischen Ozean vermischt sich mit dem Knistern des Windes in den Palmen: Der Strand von Diani ist immer noch Kenias tropisches Bilderbuchparadies. Wer von den blutigen Unruhen etwas mitbekommen will, benötigt dafür einen Fernseher. Mehr als 500 Kilometer weiter nordwestlich von hier rennen mehr als eine Viertelmillion Menschen um ihr Leben, brennen Hütten, muss die Polizei mit Gummigeschoßen aus Hubschraubern Vertriebene vor dem Tod bewahren. Im nahen Mombasa hat es seit den umstrittenen Wahlen Ende Dezember ein paar Demonstrationen gegeben, in den Armenvierteln ist die Lage angespannt. Doch am Traumstrand sind die Massaker und Gräueltaten eine Welt weit entfernt.

Dennoch sind fast alle Liegen, die die Angestellten des Diani Sea Resort am Morgen unter die Sonnenschirme aus Stroh gerollt haben, leer. "Früher wurde es schnell knapp mit den Liegen, aber jetzt herrscht gähnende Leere", wundert sich Ronald Vrbicky aus Röschitz nahe der tschechischen Grenze, der vor ein paar Jahren schon einmal da war. Der 33-jährige Spengler hat mit seiner Freundin fünf Nächte gebucht, Last Minute für 600 Euro pro Kopf. "Wir wollten eigentlich nach Ägypten, aber da war nichts zu kriegen, und Kenia war unschlagbar billig."

Weil so viele storniert haben, setzte der Verkäufer am Wiener Flughafen noch erklärend hinzu - und dass es in Kenia derzeit 32 Grad warm sei. Von Unruhen sagte er nichts. "Und ich hatte davon auch nichts mitbekommen", gesteht Vrbicky ein. Ein paar Bekannte waren entsetzt. "Aber hier merkt man gar nichts von Krise, und wir haben fest versprochen, in einem Stück zurückzukommen."

So richtig bereut haben die beiden ihre Wahl nicht. Vrbickys elf Jahre jüngere Freundin Birgit Hochwimmer schwingt sich von der Liege und läuft die paar Meter in die Brandung. "Ein bisschen schockiert hat es mich schon, dass hier so wenig Leute sind", sagt sie nach ihrem einsamen Bad. "Das drückt die Stimmung", bestätigt ihr Freund. Ob im Pool, beim Essen oder an der Bar: Ständig hat man das Gefühl, allein zu sein.

Auch Harald Kampa hat sich die diesjährige Hauptsaison irgendwie anders vorgestellt. Der deutsche Hotelier sitzt im luftigen Frühstückssaal, den er selbst vor 17 Jahren geplant und gebaut hat. "Die vergangenen zwei Jahre waren super für den Tourismus in Kenia", erinnert er sich. "Die Belegungszahlen waren gut, und wir haben alle renoviert." Eine Million Euro hat Kampa in die Erneuerung seiner Hotelanlage gesteckt, das entspricht ziemlich genau dem Minus, das er im laufenden Geschäftsjahr erwartet.

Auch Tasneem Adamji, Chefin des Tourismusverbandes, sieht schwarz: "Seit Neujahr sind uns an der Küste und in den Nationalparks 90 Prozent der Einnahmen weggebrochen." Noch düsterer sieht es nur in den Nationalparks aus: "Niemand geht mehr auf Safari." Fast eine Milliarde Euro, so die Prognose, wird Kenia in diesem Jahr im Tourismus verlieren. 20.000 Angestellte in Kenias Urlaubssektor, schätzt Adamji, stehen jetzt schon auf der Straße, bis März könnten es sechsmal so viele sein. Nicht mitgezählt sind die zahlreichen Jobs im informellen Sektor, Beachboys oder fliegende Händler.

Es sind Leute wie der Kameltreiber Aden Mohammed, die sich freuen, am Strand endlich ein paar Urlauber gefunden zu haben. Geduldig unterhält er sich mit Ronald und Birgit, die lachend über das borstige Kamelfell streicht. Sein Geschäft sei schlecht wie bei jedem hier. Dabei, fleht auch Mohammed, sei doch alles wie immer. "Niemand hat ein Hotel angezündet, hier am Strand gab es auch keine Toten." An der Küste gibt es kaum Landwirtschaft, keine Industrie, die Urlauber sind das einzige Kapital. Niemand weiß, was die Entlassenen von Diani stattdessen machen sollen.

(Copyright Der Standard, 31.1.08)

Die traurige Tradition der Milizen


Wer von Nairobi ins kenianische Hochland fährt, passiert einen Kreisverkehr, an dem sich Prediger tummeln. Derzeit steht dort nur ein Mann: Wer ihn versteht, spricht Kikuyu, die Sprache der Volksgruppe, die ursprünglich aus dem Hochland stammt, so wie der umstrittene Präsident Mwai Kibaki. "Der ruft zum Mord an allen anderen Ethnien auf", empört sich ein Geschäftsmann aus Nairobi, der auf dem Weg zu seiner Familie an dem Prediger vorbeigefahren ist.

Gegen das, was ihn zu Hause in Nanyuki erwartete, war die Hetzpredigt noch harmlos. In der fast nur von Kikuyu besiedelten Region werde überall offen für den Mord an anderen Volksgruppen gesammelt: "Die gehen von Haus zu Haus und sagen: Habt ihr gehört, was unseren Brüdern und Schwestern rund um Eldoret zugestoßen ist? Gebt uns Geld, damit wir die Übeltäter umlegen können", berichtet der Geschäftsmann. Die da von Haus zu Haus gehen, sind Anhänger einer der berüchtigtsten politischen Sekten, der Mungiki, die sich auf einen mythischen Hintergrund und das Erbe der Mau-Mau berufen, die Kenia von der Kolonialherrschaft befreiten. Viele halten sie inzwischen für kaum mehr als eine mafiöse Organisation. Doch in den Unruhen der Zeit nach den Wahlen, in der viele Kikuyu zu Opfern geworden sind, haben die Mungiki Oberwasser bekommen. Sie drohen, jeden umzubringen, der einen Kikuyu vertrieben hat. Auch neue Angreifer wollen sie fernhalten - gegen ein hohes Schutzgeld, versteht sich. Vor allem bei Vertriebenen aus dem Rift Valley kommt das gut an.

Im Rift Valley, das sich westlich des Hochlands von der Grenze zu Tansania bis nach Äthiopien erstreckt, leben unterschiedlichste Ethnien zusammen. Eldoret liegt in der nördlichen Hälfte des Rift Valley - hier sind die Kikuyu in der Minderheit. Seit der Verkündung des Wahlsiegs von Kibaki werden sie von Milizen der Mehrheitsethnie, den Kalenjin, verfolgt. Im südlichen Rift Valley, wo die Mehrheitsverhältnisse genau umgekehrt sind, verfolgen Kikuyu-Milizen Kalenjin, Luo und andere Volksgruppen, die mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga gestimmt haben.

Die ethnischen Milizen haben eine traurige Tradition. Seit langem sind sie der verlängerte Arm politischer Hardliner. Die Mungiki etwa benutzte schon 2002 Präsident Daniel arap Moi, um in Nairobis Slums Angst und Schrecken zu verbreiten. Luo wurden zerstückelt, angezündet oder lebendig begraben. Das wiederholt sich in diesen Tagen in Naivasha und Nakuru im südlichen Rift Valley. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich in Kenia binnen eines Monats verdoppelt, warnen die UN. "Es ist immer dasselbe: Wenn Unruhen ausbrechen, sind die Schwächsten die ersten Opfer", erklärt Rahab Ngugi, die in Nairobis Frauenhospital arbeitet. Von 140 Frauen, die hier seit Anfang Januar eine Vergewaltigung gemeldet haben, war gut die Hälfte unter 18.

Auch moderate Kikuyu fürchten die Mungiki, die ihre Mitglieder mit düsteren Riten auf unbedingte Treue einschwören. "Sie gehen von Haus zu Haus", berichtet ein Kikuyu aus Naivasha. "Wenn du ein Luo bist, dann töten sie dich. Wenn du ein Kikuyu bist, nehmen sie dich mit. Wenn du dich weigerst, töten sie dich auch."

Extremisten haben in Kenia derzeit Konjunktur. Die Gerüchte mehren sich, dass einige von Kibakis Ministern die Mungiki mit Geld und Waffen unterstützen. Kurz vor den Wahlen wurde ein Auto mit Regierungskennzeichen in Naivasha angehalten, bis unter das Dach voll geladen mit Macheten. Zwei Tage stand der Wagen an einer Polizeiwache, dann war er verschwunden. Was mit den Waffen geschehen ist, weiß niemand.

Im nördlichen Rift Valley wüten Milizen, die 1992 bewaffnet wurden. Auch damals zogen sie gegen die Kikuyu zu Felde, die in den 60er-Jahren von Staatsgründer Jomo Kenyatta in der fruchtbaren Region angesiedelt worden waren. Eine Untersuchungskommission machte die Moi-Regierung direkt für die Unruhen verantwortlich: Mois Kanu-Partei habe die Kämpfer ausgerüstet. Sie seien von Polizisten bis zu ihren Zielen eskortiert worden. Doch trotz des deutlichen Berichts wurde niemand verhaftet, die Milizen wurden nie entwaffnet. Unter den mutmaßlichen Drahtziehern war damals auch William Ruto, der diesmal als Spitzenmann der Opposition neben Odinga antrat. Den Kalenjin machen viele vertriebene Kikuyu auch für die jetzigen Unruhen verantwortlich.

Regierungs- und Oppositionspolitiker geraten wegen der Angriffe der Milizen zunehmend unter Druck. US-Staatssekretärin Jendayi Frazer verglich die Kämpfe im Rift Valley jetzt mit "ethnischen Säuberungen". Der UN-Sonderbeauftragte zur Verhinderung von Völkermorden, Francis Deng, kündigte an, einen Ermittler nach Kenia zu schicken.

Unterdessen haben die ethnischen Milizen die Hauptstadt Nairobi ins Visier genommen. Im Norden von Nairobi brannten am Mittwochmorgen Hütten von Nicht-Kikuyu. "Die Mungiki haben sie abgefackelt", sagt Roger, der als Gärtner im nahen Villenviertel arbeitet. Aus der nahen Polizeiwache sei niemand gekommen, um zu helfen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Zwar versichert Polizeisprecher Eric Kiraithe, man habe die Lage unter Kontrolle, doch das kann nicht ganz stimmen. Von einem Todesschussbefehl war am Mittwoch die Rede; auch das wies er zurück. "Aber wir können nicht zulassen, dass weiterhin Menschen auf offener Straße erschlagen werden", verteidigte Kiraithe ein künftig noch härteres Durchgreifen. Doch ob die Polizei gegen die Milizen eine Chance hat oder haben darf, war vier Wochen nach Beginn der Unruhen in Kenia völlig unklar.

Dienstag, 29. Januar 2008

Ein zerrissenes Land


Der Mann hat eine Machete in der Hand. Wie zig andere Demonstranten rennt er gröhlend eine Straße vor dem Naivasha Country Club herab, wo zu normalen Zeiten Wochenendbesucher aus Nairobi den Blick auf die Nilpferde genießen. "Diese Luos sollen verschwinden, wir zahlen ihnen jetzt heim, was sie unseren Leuten angetan haben", schreit er und winkt drohend mit der Machete. Die normalen Zeiten sind vorbei, so viel steht fest. Am Dienstag schossen Hubschrauber der Armee über Demonstranten hinweg, um neue Ausschreitungen vor allem gegen Angehörige von Minderheiten zu verhindern.

Von der Hauptstadt Nairobi ist es nicht einmal eine Stunde mit dem Auto, bis das Hochland abrupt endet und in einer spektakulären Szenerie mehrere hundert Meter in die Tiefe abfällt. Dort unten liegt das Rift Valley, wo sich seit der Nacht zum Freitag die jüngsten Szenen brutaler Gewalt mit mehr als hundert Toten abspielen. Gangs aus den Armenvierteln, deren Mitglieder unterschiedlichen Volksgruppen angehören, bekriegen sich und die Mitglieder der jeweils anderen Ethnie unerbittlich. Die Kämpfe von Kikuyu gegen Luo oder Kalenjin gegen Kikuyu sind politisch aufgeheizt, teilweise schon seit Jahrzehnten.

Bei der umstrittenen Präsidentenwahl Ende Dezember stimmten die Kikuyu mehrheitlich für Präsident Mwai Kibaki, dessen Unterstützer im Wahlkampf vor einem Sieg des Luo Raila Odinga warnten und in drastischen Worten einen drohenden Völkermord heraufbeschworen. Odinga, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, machte hingegen die Kikuyu für die Ungleichheit im Land verantwortlich und schürte so den vorhandenen Neid. Viele Unternehmen und Geschäfte in Kenia gehören Kikuyu.

Auch der unter Kibaki gewachsene Mittelstand besteht vor allem aus Kikuyu, die schon unter der britischen Kolonialherrschaft im Ausbildungssystem stark bevorzugt wurden. Dazu kommt, dass Staatsgründer Kenyatta - auch ein Kikuyu - fruchtbares Land im Rift Valley an Kikuyu-Bauern verteilte. Land, das in mehrheitlich von Kalenjin bevölkerten Gebieten liegt.

Dass in Naivasha und Nakuru jetzt Kikuyu-Milizen gegen andere Volksgruppen zu Felde ziehen, verteidigen viele von ihnen als Vergeltungsschläge. Tausende Kikuyu sind aus dem nördlichen Rift Valley nach Nakuru geflohen, nachdem sie von Kalenjin-Kämpfern vertrieben worden waren. Unmittelbar nach Verkündung der Wahlergebnisse hatte es in der Oppositionshochburg Eldoret regelrechte Hetzjagden gegeben, die am Neujahrstag darin gipfelten, dass vertriebene Frauen und Kinder in einer Kirche verbrannten, die von den Verfolgern angesteckt wurde.

Doch die Kikuyu, die jetzt knapp 100 Kilometer weiter südlich zu den Macheten greifen und ähnliche Massaker wie im Norden verüben, haben mit den von ihnen so verachteten Tätern aus dem Nord-Rift vieles gemeinsam: Sie sind jung, arbeitslos und ohne Perspektive. Vor allem nach Naivasha, wo die für den europäischen Markt produzierenden Blumenfarmen tausende ungelernte Arbeiter beschäftigen, sind in den vergangenen Jahren massenhaft junge Arbeitssuchende gezogen, die in ohne Job in den Armenvierteln endeten. Die Kriminalität am Naivashasee nimmt seitdem ständig zu - ein Nährboden für Schläger- oder Mördertrupps.

Unklar ist dabei, welche Rolle die zerstrittenen Politiker bei der Organisation der Unruhen spielen. Belege für organisierte "ethnische Säuberungen" oder die Bewaffnung einzelner Milizen gibt es bislang aber nicht.

Zwar leben in Kenia seit der Unabhängigkeit die mehr als 40 Ethnien friedvoll zusammen. Das mag daran liegen, dass keine Volksgruppe eine klare Mehrheit stellt: Die Kikuyu, größte Ethnie des Landes, stellen knapp ein Viertel der Bevölkerung; Luo und Luhya im Westen des Landes sind etwa zusammen genommen etwa genauso viele. Die Kalenjin stellen mehr als ein Zehntel der Bevölkerung. Doch wenn der Staat nicht die Kontrolle zurück erlangt, so fürchten viele, könnten die Kämpfe im Vielvölkerstaat Kenia sich weiter verselbständigen und irgendwann nicht mehr einzudämmen sein.

(Copyright epd, 29.01.08)

Macheten und Brandfackeln


Die Strandhotels von Diani Beach lagen schon weit hinter ihnen, als der Deutsche Bernd S., seine Frau und ein Besucher der beiden aus Deutschland am späten Sonntagabend zu Hause ankamen: Die Palm Villas liegen gut 50 Kilometer südlich von Mombasa, Richtung tansanische Grenze. Als S. auf seinen Hof einbiegen wollte, schlug die Bande von mehr als einem halben Dutzend Männer, die offenbar gewartet hatte, zu. Sie folgten den Dreien - während eines Kampfes im Haus wurden die beiden deutschen Männer von den Angreifern mit Macheten erschlagen. S. Frau wurde leicht verletzt ins Krankenhaus eingeliefert.

Bernd S., Anfang 40, kannte Kenia: Seit fast 10 Jahren lebte er hier und war im Immobiliengeschäft tätig. Der genaue Hintergrund des Überfalls war unklar. Ein Zusammenhang mit den politischen Unruhen, die am Wochenende ganz Kenia erschütterten, galt als unwahrscheinlich. Die Polizei nahm am Montag zwei Verdächtige fest, doch ob es sich wirklich um die Täter handelt, ist offen. In der gegenwärtigen politischen Krise wird vielfach beklagt, dass Kenias Polizei kaum in der Lage ist, auch noch der steigenden Alltagskriminalität im Lande Herr zu werden.

Dass die Polizei die Situation nicht im Griff hat, müssen derzeit tausende Kenianer erleben, auf die militante Kämpfer jeweils anderer Ethnien Hetzjagden veranstalten. In Naivasha im südlichen Rift Valley starben am Sonntag Frauen und Kinder, die sich aus Angst vor den Unruhen in einem Haus eingeschlossen hatten. Das wurde ihnen zum Verhängnis: Eine aufgebrachte Menschenmenge steckte das Gebäude in Brand, niemand überlebte. Ähnliche Szenen wurden überall aus dem südlichen Rift Valley gemeldet, wo es nach den umstrittenen Wahlen vor einem Monat bislang ruhig geblieben war. Mehr als 100 Opfer haben die neuesten Unruhen, die in der Nacht zum Freitag begonnen hatten, gefordert.

Ausgelöst wurde die neue Welle der Gewalt von Milizen der Kikuyu-Ethnie, zu der auch der umstrittene Präsident Mwai Kibaki zählt: Die Kämpfer griffen Nachbarn aus anderen Volksgruppen an. Mit Buschmessern, Knüppeln und Fackeln zogen sie durch die Armenviertel und Innenstädte der Siedlungen, in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. "Wir haben uns vorgenommen: Für jeden Kikuyu, der in Eldoret gestorben ist, sterben zwei Kalenjin in Nakuru", schrie ein Busfahrer Reportern entgegen. Eldoret liegt im nördlichen Rift Valley: Dort sind die Kikuyu in der Minderheit und waren seit Wochen von Angehörigen vor allem der Kalenjin-Volksgruppe verfolgt worden. Die Kikuyu gelten mehrheitlich als Unterstützer Kibakis, während die anderen Ethnien als Unterstützer der Opposition um ihren Kandidaten Raila Odinga wahrgenommen werden. In dessen Heimatstadt Kisumu wie auch in anderen Städten im Westen Kenias lieferten sich Anhänger Odingas schwere Gefechte mit der Polizei. Mehrere Menschen wurden von ihr erschossen.

Die internationale Verhandlung unter dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ging unterdessen nicht voran. Annan warnte, die Ausschreitungen im Land hätten sich verselbstständigt: "Es geht längst nicht mehr nur um das umstrittene Wahlergebnis."

(Copyright Berliner Zeitung, 29.1.08)

Samstag, 26. Januar 2008

Hoher Preis für Frieden im Ostkongo


So viel Hoffnung gab es in Goma, der größten Stadt in der Nord-Kivu-Provinz im Osten Kongos, schon lange nicht mehr. Während der Bürgerkrieg seit 2003 offiziell beendet ist, wurde hier stets weitergekämpft. Der Armee stehen 25 Rebellengruppen gegenüber, die sich in der rohstoffreichen Region bedienen und widerstreitende Ziele verfolgen.

Auch die UN, die mit der größten Friedensmission im Kongo vertreten sind, konnten nicht verhindern, dass Milizen ganze Dörfer nieder brannten, Frauen vergewaltigten und brutale Massaker anrichteten. Doch das soll jetzt ein Ende haben: Bis Mitte kommender Woche, so sieht es ein am Mittwoch in Goma unterschriebener Friedensvertrag vor, sollen die Blauhelme eine Pufferzone errichten. Alle Gruppen haben schriftlich eingewilligt, die Waffen ruhen zu lassen.

Zwar sind Experten wie der langjährige Kongo-Analyst Jason Stearns skeptisch. "Wenn man sich den Vertrag anguckt, steht außer der Waffenruhe nichts konkretes darin - die schwierigen Details soll eine technische Kommission ausarbeiten." Stearns befürchtet, dass der Prozess hier scheitern könnte. Schließlich war auch das Abkommen von Goma nur unter dem massiven Druck des Westens und seiner Botschafter zustande gekommen. Ob der gleiche Druck sich aufrecht erhalten lässt, ist ungewiss. Doch zumindest scheint die Regierung von Joseph Kabila, der einst selbst als Rebell im Osten kämpfte, es ernst zu meinen. Am Freitag ließ sie durchscheinen, für den Rebellengeneral Laurent Nkunda eine Lösung gefunden zu haben. Nkunda, ein ethnischer Tutsi, hält die Region seit 2004 mit Überfällen in Atem. Er selbst behauptet, die kongolesische Tutsi-Bevölkerung vor Hutu-Extremisten schützen zu wollen. Doch bei seinen Angriffen wurden auch viele Tutsi ermordet.

Die Tatsache, dass Kongos Regierung gegen Nkunda eine Anzeige wegen Kriegsverbrechen beim Internationalen Strafgerichtshof gestellt hat, hing wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen. "Aber die Anzeige ist inzwischen verjährt, weil wir keinen neuen Folgeantrag gestellt haben", erklärte ein hochrangiger Beamter aus Kinshasa. Nkunda soll diese Zusicherung schriftlich übermittelt werden.

Größtes Hindernis für einen Frieden dürften demnach die Hutu-Extremisten sein, von denen viele für den Völkermord im nahen Ruanda verantwortlich gemacht werden. Tausende von ihnen leben seit 1994 in der Region. "Viele haben in die Bevölkerung im Kongo eingeheiratet, es wird schwierig werden, sie loszuwerden", warnt der südafrikanische Analyst Henri Boshoff. Das wiederum ist eine der Kernforderungen Nkundas, um seine Rebellion zu beenden. Unter dem Krieg leidet vor allem die Zivilbevölkerung: Die Zahl der Opfer seit 1998 wird auf 5,4 Millionen geschätzt.

(Copyright Der Standard. 26.1.08)

Montag, 21. Januar 2008

Erfolgreicher Vermittler


Sein Wochenende hat Walter Lindner, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Kenia, vor allem mit reden verbracht. Am Telefon und in Vier-Augen-Gesprächen setzte er sich dafür ein, dass der Berliner Musiker Andrej Hermlin vor Ort aus der Haft entlassen wurde und zurück nach Deutschland fliegen konnte. Ohne Lindners Einsatz, so glauben viele, wäre das kaum gelungen. Der fast zwei Meter große Hüne mit graumeliertem Zopf und Drei-Tage-Bart ist ein ungewöhnlicher Diplomat und bei Kenias Politikern, die stets frisch rasiert im Anzug auftreten, ein respektierter Mann.

Dabei mag Lindner nichts lieber, als das Klischee des Botschafters zu unterlaufen und die anderen Gesandten zu überraschen. Während die ihre von fein manikürten Hecken umgebenen Residenzen zur Sicherheitszone erklärt haben und am Nationalfeiertag ihres Heimatlandes nur ihresgleichen zum Cocktailempfang begrüßen, lud der ausgebildete Musiker Lindner vorigen Oktober zum großen Rockkonzert mit allen kenianischen Showgrößen im den Garten seiner Residenz. Die Party ging auch nach Mitternacht noch lange weiter. Den Nachbarn im Slum, der jenseits der Botschaftsmauer liegt, hatte er zuvor einen Besuch abgestattet - um sich vorab für den Lärm zu entschuldigen. Ein Gastgeschenk in Form von hundert Säcken Maismehl hatte er auch mitgebracht. Dabei setzen sich andere Botschafter in der Gegend seit Langem für den Abriss des Armenviertels ein.

Der Rebell steckt schon lange in Lindner, dem Sohn eines Schuldirektors, der sich kurz nach 1968 auf den Hippie-Trek in Richtung Osten aufmachte und erst nach vier Jahren und einem Trip rund um die Welt wieder in seiner Geburtsstadt München ankam. Auf dem Weg hatte er mehrere Sprachen und Instrumente gelernt. Neben Musik studierte Lindner Jura, was ihm 1988 überraschend die Tore zum Auswärtigen Dienst öffnete. Der Gedanke, für Deutschland in die Welt zu ziehen, war ihm auf seiner durch Musik finanzierten Weltreise gekommen: In Guatemala hatte er seinen Pass verloren und stand vor der deutschen Botschaft, um einen neuen zu bekommen. Reingelassen hat man ihn damals nicht - zu abgerissen sah der Weltenbummler aus. Damals dachte er: Das würde ich anders machen.

Das macht Lindner, 51, inzwischen auch anders. Selbst jetzt, wo das einst so stabil scheinende Kenia in einer seiner größten Krisen steckt. Als die meisten Botschaften ihre Bürger wegen der Straßenkämpfe zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern aufforderten, sich zu Hause einzuschließen, fuhr Lindner hinein in den Kibera-Slum, um sich selbst ein Bild zu machen. Das vermittelt er täglich weiter in die deutsche Hauptstadt. Er ist vor allem eines: Diplomat, der mit kühlem Kopf die rund 5 000 Deutschen im Land schützen und zugleich das richtige Maß an politischem Druck auf die entscheidenden Akteure ausüben muss. Wie das geht, weiß Lindner: Als Sprecher des früheren Bundesaußenministers Joschka Fischer hat er genügend Krisen unmittelbar miterlebt.

(Copyright Berliner Zeitung, 21.1.08)

Freitag, 18. Januar 2008

BLOGer setzen Straßenkampf fort


Nach der überstürzten Vereidigung des umstrittenen Präsidenten Mwai Kibaki, dessen Wahlsieg die Opposition und internationale Beobachtergleichermaßen anzweifeln, dauerte es kaum 30 Minuten: Dann verkündete Kenias Informationsminister eine Nachrichtensperre. Doch Kenias Blogger widersetzen sich der Zensur.

Seit dem 30.12.2007 darf in Kenia nichts mehr live übertragen werden, weder im Fernsehen noch im Radio. Damit soll vor allem verhindert werden, dass missliebige Bilder von Protesten der Opposition ausgestrahlt werden. Dass die Direktoren der größten Medienhäuser das Verbot inzwischen ignorieren, macht die Lage nicht besser: Aus vorauseilendem Gehorsam, und weil die Regierung wegen des latenten Gesetzesverstoßes jederzeit die Übertragung abstellen könnte, ist die Berichterstattung überwiegend regierungsfreundlich, kritisieren Bürgerrechtler.

Dazu kommen bezahlte Anzeigen: Selbst im kritischsten Radiosender Kiss100 rufen weinende Kinder im Auftrag des Informationsministers die Opposition dazu auf, ihre Proteste einzustellen: "Baby does not get food because people demonstrate. Baby hungry".

Weil es in den gedruckten und ausgestrahlten Medien so wenig Informationen gibt, sind Kenianer auf andere Quellen angewiesen. Per SMS - fast jeder Kenianer hat ein Handy - machen haarsträubende Gerüchte die Runde, ebenso wie gut gemeinte Ratschläge. Auch rassistische Aufrufe gibt es immer wieder: "Hack Deinem nächsten Kikuyu die Beine ab", hieß es in einem, der kurz nach Kibakis Sieg kursierte - Kibaki ist Kikuyu, in weiten Teilen Kenias wurde seine Volksgruppe brutal verfolgt.

Die einzige Alternative sind Kenias BLOGs. Obwohl Internetverbindungen in Kenia meist abschreckend langsam sind, herrscht in Nairobis Internetcafés derzeit ein Andrang wie nie. Ein, zwei Stunden muss man sich schon die Beine in den Bauch stehen, um endlich das Neueste auf einem der angesagten Infoforen zu lesen.
Straßenkampf im Netz

Der Straßenkampf zwischen Regierung und Opposition spiegelt sich in den BLOGs wieder. "Der König der Diebe, Mwai Kibaki, ist auf unermüdlicher Mission, um die Wähler auszuschalten, die ihn mit überwältigender Mehrheit abgewählt haben", schreibt Gerald Baraza auf seinem BLOG (http://geraldbaraza.blogspot.com/). Wie viele Autoren, so ist auch er Auslandskenianer.
Dagegen hat Mrembo kein gutes Wort für Oppositionsführer Raila Odinga übrig, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt: "Ich habe Odinga bei der BBC gesehen, und jetzt dreht der Idiot endgültig durch und fordert, dass uns internationale Hilfen gestrichen werden." (http://mrembo.wordpress.com/).

Doch außer mehr oder weniger unterhaltsamen Verunglimpfungen von Kenias politischem Spitzenpersonal beherrscht vor allem ein Thema die Beiträge: Die politisch angeheizten ethnischen Verfolgungen. "Wie mutig ist es denn bitte schön, unbewaffnete und vollkommen unschuldige Kikuyu, Kisii, Meru oder Embu an Orten zu überfallen, wo sie eine verschwindende Minderheit darstellen?", fragt Cicerow auf mashada.com (http://www.mashada.com). Mashada ist einer der wenigen BLOGs, wo sich Autoren an ein Minimum von Regeln halten müssen. Rassistische Posts und der Aufruf zur Gewalt sind etwa verboten.
Justice auf kenya.rcbowen.com (http://kenya.rcbowen.com/) hingegen schreibt ungehindert: "Die Kalenjin sollen umgehend all das Land wieder besetzen, dass Kenyatta seinen Kikuyu geschenkt hat." Ähnliche Töne schlagen Kalenjin-Milizen in Eldoret an, wo sie die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Die meisten Kikuyu sind inzwischen geflohen, der Rest hat sich in Lagern verschanzt. Während die Kalenjin als Oppositionsanhänger gelten, macht Pea auf Shirels BLOG (http://wendwa.yakuti.org/) auch die Regierung für ethnisch aufgeheizte Ausschreitungen verantwortlich: "Es ist eine gewisse ethnische Gruppe (Luo wie Odinga), auf die in Kisumu und in Kibera, Nairobis größtem Slum, scharf geschossen wird. Es ist die gleiche ethnische Gruppe, die nicht mit einem Posten in Kibakis Regierung vertreten ist."

Doch mehr und mehr weichen die kämpferischen Ausbrüche hoffnungslosen Tönen. Shiroh auf "Girl in the Meadow" (http://sylkwan.blogspot.com/) verzweifelt über den Zustand der Gerichte in Kenia: "Mir wird schlecht,wenn ich eine Million Menschen sagen höre, dass unser Justizsystem nicht funktioniert. Aber ich muss auch zustimmen." In einem anderen Beitrag schreibt Shiroh: "Als die Polizei uns aufrief, die Innenstadt von Nairobizu verlassen, wusste ich nicht: Soll ich gehen? Soll ich bleiben? Ist es im Büro vielleicht sicherer als zuhause?"

Und WM schreibt im "Tagebuch einer verrückten Kenianerin", einem BLOG der kenianischen Literaturszene (http://madkenyanwoman.blogspot.com): "Bevor wir nach den Wahlen die Fundamente unserer Heimat zertrümmert haben, hatten manche eine wunderschöne Idee: Eine Geburtstagsparty für Kenia zu organisieren, das 2013 50 Jahre alt wird." Das daraus noch etwas wird, kann man sich derzeit auch im Web niemand vorstellen.

(Copyright taz.de, 18.1.08)

Donnerstag, 17. Januar 2008

Leitartikel: Zeit für Verantwortung


Vor nicht einmal einem Monat war Kenia noch eines von Afrikas Aushängeschildern: ein einträchtiger Vielvölkerstaat, ein Ziel ausländischer Investoren mit beeindruckend wachsendem Bruttosozialprodukt, eine Insel der Stabilität zwischen lauter Bürgerkriegsnationen und nicht zuletzt eine von Afrikas beliebtesten Urlaubsdestinationen. Mit all dem ist es vorbei, seit die Regierung von Mwai Kibaki die Präsidentenwahl vom 27. Dezember gefälscht hat. Gefälscht hat sie sie, das bezweifelt außer ihr praktisch niemand. Doch dass Kenia im Chaos versunken ist, dass Oppositionsmilizen Hetzjagden auf ganze Volksgruppen durchführen und die Polizei mit offener Feindseligkeit Demonstranten niederknüppelt, hat noch eine andere Ursache. Die derzeitige Krise ist unmittelbar die Folge der Verantwortungslosigkeit, mit der eine kleine politische Elite auf dem Rücken der bettelarmen Mehrheit ihren Kampf um Macht und Geld führt. Um Kenia wieder zu befrieden, ist es unumgänglich, dass alle Beteiligten endlich Verantwortung übernehmen.

Oppositionsführer Raila Odinga, der die Wahl vermutlich gewonnen hat, und Kibaki tragen gemeinsam die Verantwortung, die brutalen Kämpfe im Land zu beenden. Beide haben im Wahlkampf mit dem Feuer gespielt und ihre Anhänger mit Vorurteilen und Hassparolen gegen die jeweils anderen bei der Stange gehalten. Kibakis Leute verbreiteten Gerüchte, Odingas Luo-Volksgruppe plane einen Völkermord; Odingas Anhänger machten alleine die Kikuyu, zu denen auch Kibaki zählt, für die wirtschaftliche Ungleichheit im Land verantwortlich. Als die Situation nach der Wahl explodierte, schauten beide tatenlos zu oder gossen sogar noch Öl ins Feuer. Der eine konnte so auf das Chaos verweisen, das ein Sieg Odingas zur Folge gehabt hätte - der andere auf das Ausmaß des Unmuts in der Bevölkerung. Während die Ärmsten und Perspektivlosesten, allen voran arbeitslose Jugendliche, sich in den Slums gegenseitig umbringen, sitzen die Anführer komfortabel in ihren jeweiligen Villen.

Kibaki muss die Verantwortung für seinen Wahlbetrug übernehmen und zurücktreten - das ist das mindeste. Als er vor fünf Jahren an die Macht kam, wurde er noch als Hoffnungsträger gefeiert, als derjenige, der nach mehr als 20 Jahren Alleinherrschaft im Land die Demokratie zurückbringen würde. Diese Erwartung hatte Kibaki selbst im Wahlkampf genährt, um sie dann binnen weniger Monate zu zerstören. Zurück blieb eine Nation, die desillusionierter war als je zuvor - und entschlossen, der Herrschaft der alten Männer aus der Gründergeneration des Staates ein Ende zu bereiten. Dass Kibaki jetzt auch diese Hoffnung genommen hat, macht ihn als Präsidenten untragbar. Dass eine "Regierung der nationalen Einheit", die mit Kenias derzeitiger Verfassung ohnehin nicht vereinbar ist, keine Lösung ist, ist Kibakis eigene Schuld. Er war es, der kurz nach der Wahl 2002 alle Versprechen brach, mit denen er seinen damaligen Unterstützer Odinga im Wahlkampf an sich gebunden hatte.

Odinga trägt die Verantwortung, die Nation zusammenzuführen. Dazu muss Schluss sein mit der Tradition, dass die Volksgruppe des jeweils herrschenden Präsidenten das größte Stück vom Kuchen abbekommt. Er muss seinen Anhängern klarmachen, dass sie mit seiner Wahl nicht "an die Fleischtöpfe" kommen, wie man in Kenia so bildlich sagt. Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen für diejenigen, die gerade die Macht inne haben. Wenn die Luo gegen Odinga auf die Straße gehen und er dennoch nicht einknickt, ist das ein erster wichtiger Schritt zur Heilung des zerrissenen Landes. Wenn er das nicht kann, muss Odinga den Weg frei machen für einen anderen Präsidenten, am besten einen der jungen Hoffnungsträger, für die sich die Wähler aller Parteien bei der Parlamentswahl so einmütig ausgesprochen haben.

Die Industrieländer tragen die Verantwortung, den Druck so lange aufrecht zu erhalten, bis Kenias Wählern Gerechtigkeit wiederfährt. Wer in Afrika seit Jahren gebetsmühlenhaft gute Regierungsführung fordert, darf sich in einer Situation wie dieser nicht auf angeblich übergeordnete Eigeninteressen zurückziehen. Das gilt für die Europäische Union genauso wie für die USA, für die Kenia einer der wichtigsten Partner im "Kampf gegen den Terrorismus" ist. Ohne zu murren lieferte die Kibaki-Regierung ohne Prozess mutmaßliche Terroristen nach Guantánamo aus, kein afrikanischer Staat hat in den vergangenen Jahren so viele amerikanische Waffen gekauft wie Kenia. Doch all das darf kein Grund sein, auf Sanktionen gegen Kibakis Regierung und das Einfrieren von Budgethilfen zu verzichten. Sonst trägt der Westen die Verantwortung, wenn sich der nächste afrikanische Despot Kenia zum Beispiel nimmt und seine Bevölkerung um den Wahlsieg betrügt -wohlwissend, dass er keine Folgen fürchten muss.

(Copyright HAZ, 17.1.08)

Mittwoch, 16. Januar 2008

Brotbacken in schwierigen Zeiten


Auf die mehlgestäubten Tische aus Nirosta-Stahl donnern die Teigballen im Sekundentakt. Mit geübten Handgriffen formen Bäcker ein paar hundert Vollkornbrote, die gleich in den Gärschrank sollen. Andere wieder sind in der großen Halle dabei, Croissants zu formen oder Keksteig zu schneiden. Mitten in der geschäftigen Halle steht Klaus Schneider (44) und zeigt sich erleichtert. "Trotz des Chaos der vergangenen Tage sind bis auf einen alle meine Leute zum Dienst angetreten, jeden Tag."

120 Angestellte beschäftigt der gebürtige Schladminger in seiner "Ennsvalley Bakery" am Rand von Kenias Hauptstadt Nairobi. Mehr als die Hälfte sind Bäcker und Konditoren, die Schneider selbst ausgebildet hat.

6000 Brote verlassen die Bäckerei täglich, dazu kommen zehntausende Brötchen, Muffins und Gebäck vor allem für Fluglinien. In Supermärkten hat er Bäckereien, außerdem hat er sich gerade einen Traum erfüllt: Ein Wiener Kaffeehaus auf afrikanischem Boden.

Von solch einem Imperium träumte der damals 25-jährige allenfalls, als er nach seiner Lehre zum Konditor und Bäcker in einem kleinen Familienbetrieb eine Annonce in der Zeitung fand: Norwegisches Kreuzfahrtschiff sucht Bäcker. "Zwei Tage später ging ich in Kopenhagen an Bord."

Neugierde und ein bisschen Fernweh waren wohl schon dabei damals, auch wenn die Arbeit alles andere als romantisch war. "Ich habe ständig geschuftet, ich hatte nicht mal Zeit, seekrank zu werden."Mit Umwegen über Ägypten und Saudi-Arabien landete Klaus Schneider vor mehr als 13 Jahren in Nairobi. Im Grand Regency Hotel machte er sich einen Namen, bevor er 1996 seine eigene Bäckerei aufmachte. Auch die hieß schon Ennsvalley, war aber nur sechs Quadratmeter groß. "Ich hatte einen Angestellten, den ich vom Gärtner zur Putzkraft und dann zum Hilfsbäcker ausgebildet habe." Die nächsten Hilfsbäcker lernte er ebenso an: Mit Erfolg. "Vor allem am Wochenende standen Botschafter und Ausländer aller Nationalitäten in einer langen Schlange an - kam der Letzte rein, war meistens schon alles ausverkauft." Mit einer Werbekampagne hat Schneider inzwischen auch Kenianer für sein österreichisches Brot begeistert, die Zeiten des kleinen Bäckerladens liegen lange hinter ihm.

Doch seine Herkunft hat er nie vergessen: So kümmert er sich um jeden Mitarbeiter. "Vor sieben Jahren habe ich den Leuten Wohnungen besorgt, nicht mehr als zehn Minuten von der Fabrik entfernt." Bei den Unruhen der vergangenen Tage ein Riesenvorteil: "Andere Bäcker mussten dicht machen, weil ihre Leute nicht anreisen konnten."

Schwierig wurde irgendwann der Nachschub - die Mühlen wollten kein Mehl mehr liefern, weil immer wieder Lebensmitteltransporte überfallen wurden. Schneiders Fahrer fanden Schleichwege, um das Mehl rein und Brot raus zu transportieren - unter Lebensgefahr. Aber nur einer wurde verletzt, zum Glück nur leicht. Dicht machen will Schneider auf keinen Fall. "Ich bin zwar nicht stolz drauf, aber wir haben von der Krise sogar profitiert: Wir haben viele neue Kunden gewonnen, weil die Konkurrenz nicht liefern konnte."

(Copyright Der Standard, 16.1.08)

Donnerstag, 10. Januar 2008

Geister der Vergangenheit


Die aufgebrachte Menschenmenge war so plötzlich aufgetaucht, dass nicht mehr alle fliehen konnten: 30 Menschen verbrannten bei lebendigem Leib, nachdem der Mob die Kirche der „Kenya Assemblies of God“ angezündet hatte. Wie in fast allen Kirchen der Stadt Eldoret im Westen Kenias hatten sich auch hierher verängstigte Familien geflüchtet, deren Dörfer von ähnlichen Banden heimgesucht worden waren.

„Die tun sich in Gruppen von 500 bis 1000 zusammen, bewaffnet mit Knüppeln, Macheten oder Pfeil und Bogen, und stecken Häuser in Brand“, berichtet einer derjenigen, die rechtzeitig aus der Kirche fliehen konnten. Die Angreifer seien vor allem Kalenjin, die größte Volksgruppe in dieser Region, dem nördlichen Rift Valley. Die Opfer hingegen sind vor allem Kikuyu, Angehörige der Volksgruppe, der auch der umstrittene Präsident Mwai Kibaki angehört. „Die Kikuyu respektieren keine andere Ethnie“, warnt der Kalenjin-Älteste John Sang. „Wir wollen, dass sie dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind.“
Solche Parolen, zusammen mit den brennenden Kirchen und Berichten von 250000 Menschen auf der Flucht, lassen Erinnerungen an Ruanda aufkommen, wo 1994 in nur hundert Tagen fast eine Million Menschen systematisch umgebracht wurden – vor allem Tutsi und moderate Hutu. Die Asche in Eldoret war noch nicht kalt, da machte die größtenteils abgewählte Regierung – 20 Minister wurden von den Wählern aus dem Parlament geworfen – die Opposition um ihren Anführer Raila Odinga für einen „detailliert geplanten und von ihm finanzierten Genozid“ an den Kikuyu verantwortlich. Droht Kenia, der bislang stets für seine Stabilität gerühmte Vielvölkerstaat im Osten Afrikas, ein zweites Ruanda zu werden?

Nein, sagt die kenianische Bürgerrechtlerin Gladwell Otieno. Anders als in Ruanda, habe es in Kenia nie die Herrschaft einer einzigen Ethnie über alle anderen gegeben. „Auch gibt es keinerlei Belege dafür, dass die Unruhen zentral gesteuert wurden.“ In Kenia tobe ein politischer Konflikt, der sich ethnisch ausdrücke. „Die politischen Führer aller Parteien nutzen ethnische Unterschiede aus und manipulieren sie, um ihr Volk hinter sich zu haben.“ Dabei spielt die ethnische Herkunft vor allem unter jungen und städtischen Kenianern eine immer geringere Rolle. Otieno, die an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaft studiert hat, ist das lebende Beispiel dafür: Ihr Vater ist wie Oppositionsführer Odinga Luo, ihre Mutter Kikuyu.
Doch in keinem Wahlkampf in Kenia wurden ethnische Spannungen so sehr geschürt wie in diesem. Prominente Politiker fast aller Volksgruppen stellten sich in einem Bündnis auf Zeit hinter Odinga als Präsidenten, um die Kikuyu abzuwählen – ein Bündnis der Unzufriedenen. Die mit etwa einem Viertel größte Volksgruppe nimmt in Wirtschaft und Politik spätestens seit der Herrschaft des Staatsgründers Jomo Kenyatta eine wichtige Rolle ein. Odingas Luo, die mehr als ein Zehntel der Bevölkerung stellen, waren hingegen seit der Unabhängigkeit nie an der Macht. In Kenias politischer Realität, einem System politischer „Paten“ – wer gewählt wird, versorgt vor allem die eigene Volksgruppe –, bedeutet das die faktische Vernachlässigung der Region.
Tatsächlich ist der Westen nicht nur der Brotkorb, sondern auch das Armenhaus Kenias. „Der Protest gegen die gefälschte Wahl ist ein Protest der Armen gegen Kibaki und seine Clique von reichen Männern aus dem Kikuyu-Stamm, die als sehr arrogant und verschlossen gelten“, erklärt Otieno. Unter den Kikuyu habe hingegen Kibaki eine irrationale Angst vor Odinga geschürt, die dafür sorge, dass sich die Volksgruppe jetzt kollektiv als Opfereines Völkermords sehe. Dabei sind unter den konservativ auf 500 geschätzten Opfern auch zahlreiche Angehörige anderer Ethnien, von denen viele gezielt von der Polizei erschossen wurden.

Der katholische Pater Daniele Moschetti, der seit mehr als 15 Jahren in einem der berüchtigten Slums von Nairobi lebt, kritisiert, wie die Masse der Armen für die politischen Ziele der herrschenden Reichen aufgehetzt wird. „Wir Slumbewohner leiden, während die Politiker in ihren warmen Villen einen Bürgerkrieg anzetteln.“ Unterschwelliger Neid sei da ebenso politisiert worden wie die Angst, unter einer neuen Regierung alles zu verlieren. „Jeder hat gehetzt“, sagt der Geistliche. Nun, da die eine Hälfte allem Anschein nach auch noch zu Unrecht als Verlierer dasteht, habe sich der aufgestaute Frust in Hass auf die vermeintlich schuldige Ethnie gewandelt.

Doch auf dem Messegelände von Nairobi, wo sich die Flüchtlinge aus den Slums verschanzt haben, sitzen beileibe nicht nur Kikuyu. Viele Luo und Angehörige anderer Ethnien sind vor den Angriffen der Mungiki geflohen, einer vor allem aus Kikuyu rekrutierten Miliz. Andere haben sich schlicht geweigert, ihre Nachbarn zu vergewaltigen, auszurauben oder umzubringen. „Egal welche Miliz, da gilt immer die gleiche Regel: Entweder du bist einer von denen, oder du bist gegen sie“, sagt Joseph, der mit seiner Familie hierher geflohen ist.

Hinter den ethnisch maskierten Konflikten steht immer wieder dasselbe: der Kampf um Macht, Geld und Landbesitz. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie im nördlichen Rift Valley, jener Provinz, aus der der mehrals zwanzig Jahre autokratisch regierende Präsident Daniel arap Moi stammt, den Kibaki vor fünf Jahren ablöste. Siedelte Staatsgründer JomoKenyatta in der fruchtbaren Region noch Kikuyu als Bauern an, nutzte Moi den vorhandenen Unmut darüber und bewaffnete im Wahlkampf 1992 Kalenjin-Milizen, die auf seinen Befehl für Unruhe in der Provinz sorgten. Von ihrem Mentor haben sie sich längst entfernt, doch entwaffnet wurden sie nie – nun kehren sie wie Geister aus der Vergangenheit zurück.


(Copyright Rheinischer Merkur, 10.1.2008)

Dienstag, 8. Januar 2008

Vom Demokraten zum Despoten


Mugabe, Museveni, Zenawi und nun Kibaki: Die Liste afrikanischer Staatschefs, die als Hoffnungsträger begannen, um sich dann mit aller Kraft ans Amt zu klammern, ist lang. Der zivile Putsch - ein afrikanisches Prolem, dessen Gründe nicht nur hausgemacht sind.

(Die ganze Geschichte können Sie mit eine Klick auf die Überschrift lesen)

Sehnsucht nach Langeweile


Kenia hat unter uns Journalisten im Allgemeinen keinen guten Ruf. In dem Land, in dem die meisten Afrika-Korrespondenten leben, passiere zu wenig von internationaler Tragweite, sagen viele. Irgendwie sei es für Afrika zu langweilig. Damit ist seit den Wahlen vor einer Woche jedenfalls Schluss. Und wer vor lauter Arbeit überhaupt dazu kommt, wünscht sich ausnahmslos die Langeweile von früher zurück.

Dass ein Kollege und ich uns im Gemüseladen angesichts der letzten Zucchini fast ineinander verkeilten - er kam mit voller Geschwindigkeit aus der Regalreihe rechts, ich von links - ist da noch gar nichts. (Dabei war die Zucchini angeschimmelt, aber darauf achtet man angesichts der Versorgungsengpässe längst nicht mehr). Erbitterte Gefechte werden in Großmärkten um die letzten Flaschen Gas zum Kochen oder an den Zapfsäulen um ein paar (rationierte) Tropfen Diesel geführt. Dabei sollte man sich keinesfalls verletzen, denn in den Krankenhäusern arbeitet wie überall nur die Notbesetzung.

Tausende, die Weihnachten und den darauf folgenden Wahltag bei der Großfamilie auf dem Land verbracht haben, warten noch auf den Rücktransport. Die wenigen Busse, die fahren, werden von der Polizei eskortiert, die Fahrpreise haben sich verdoppelt oder verdreifacht.
Während die meisten in Kenia lebenden Ausländer sonst Hausmädchen oder Kinderfrau haben, müssen sie jetzt wieder lernen, selbst zu spülen oder zu bügeln. Lebensgefährlich kann es für die werden, die normalerweise einen Fahrer haben - den leisten sich wegen des chaotischen Verkehrs auch viele kenianische Familien. Wenn sich jemand erstmals seit zehn Jahren wieder selbst hinters Steuer setzt, sollte man lieber nicht mit einsteigen.

Doch so widersprüchlich es klingt, das Chaos hat alle auch näher zusammengebracht. Als im Supermarkt gestern "Daima" vom kenianischen Sänger Eric Wainaina erklang, schon vor den Wahlen als Friedenssong für ein einiges Kenia geschrieben, sang oder summte vom Kleinkind bis zur Kassiererin jeder mit. Wer kann, kauft ein Paket Maismehl extra, um es am Ausgang in eine der Boxen zu werfen, aus denen die von den Unruhen Vertriebenen versorgt werden. In den Gärten der Betuchten campen ganze Großfamilien. Und man teilt, was man mit Schweiß im Gesicht irgendwo erstanden hat - selbst die Zucchini. Trotzdem: Man kann nur hoffen, dass Kenia bald wieder so langweilig sein wird wie früher.

(Copyright Berliner Zeitung, 8.1.08)

Sonntag, 6. Januar 2008

Krieg der Armen


Wenn der Wind falsch steht, weht er in Dandora den Gestank der nahen Müllkippe direkt in die ärmlichen Hütten aus Lehm und Stroh. Unter einem der Wellblechdächer, die sich bis zum Horizont hinziehen, lebt Daniele Moschetti, ein Pater, der einmal in Italien gelebt hat. Doch das ist mehr als 15 Jahre her. Sein Suaheli ist inzwischen besser als sein Italienisch, scherzt der Mann mit dem langen weißen Bart gern. Den Kenianern in Nairobis vielleicht schlimmsten Slum gilt er schon lange als einer von ihnen.


"Wir kämpfen gemeinsam gegen die Armut, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit", sagt der Pater. Auch jetzt, nach den Wahlen, wo Unruhen das sonst als Oase der Stabilität geltende Kenia so stark erschüttern. "Dieser Krieg um das Wahlergebnis, das ist ein Krieg der Armen", wettert Moschetti. Im Slum gebe es nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Kommunikation mit dem Nairobi der glitzernden Hochhäuser und Straßencafés: "Wir Slumbewohner leiden, während die Politiker in ihren warmen Villen einen Bürgerkrieg anzetteln."


Mehrere Leichen hat Moschetti in der Nachbarschaft gesehen, seit am Sonntag die offensichtlich gefälschten Wahlergebnisse verlesen wurden: Kenias alter Präsident Mwai Kibaki sei auch der neue, der Herausforderer Raila Odinga habe verloren, entgegen allen Voraussagen. Minuten später gingen in den Slums, den Hochburgen der Opposition, die Kämpfe los. "Inzwischen schläft kaum noch jemand in den Häusern, aus Angst, sie könnten in der Nacht abgefackelt werden. Nachbarn töten Nachbarn oder verprügeln sie zumindest, bis sie krankenhausreif sind", sagt ein Bewohner, der seinen Namen nicht nennen will aus Angst, er könnte das nächste Opfer sein.


Menschen, die seit Jahren friedlich zusammen gelebt haben, erfasst die Furcht, der falschen Ethnie anzugehören. Kenia ist ein Vielvölkerstaat. Mehr als 40 Volksgruppen leben hier zusammen. Wenn man einen Kenianer fragt, woher er kommt, antwortet er zum Beispiel: "Ich bin Luo." Nur selten sagt einer: Ich bin Kenianer. Präsident Kibaki ist ein Kikuyu, Angehöriger der größten Ethnie, die als privilegiert und reich gilt. "Lege einem toten Kikuyu eine Münze aufs Grab", so lautet ein Sprichwort, "und er wird wiederauferstehen, um das Geld als seines in Anspruch zu nehmen."


Oppositionsführer Odinga ist ein Luo aus dem Westen des Landes. Die Luo, die mehr als ein Zehntel der Bevölkerung stellen, gelten als vernachlässigt. Noch nie seit der Unabhängigkeit waren sie an der Regierung beteiligt. Ihr Neid auf die Kikuyu, die nicht erst seit dem Gründungspräsidenten Jomo Kenyatta viele Posten in Politik und Wirtschaft besetzen, wurde in diesem Wahlkampf von praktisch allen anderen Volksgruppen geteilt. "Die ethnischen Differenzen, die es unterschwellig schon immer gab, sind im Wahlkampf politisiert worden", sagt Pater Moschetti. "Jeder hat gehetzt." Jetzt, wo die eine Hälfte als Verlierer dasteht, habe sich in der aufgeheizten Stimmung der Frust in Hass auf die vermeintlich feindliche Ethnie gewandelt.


"Wir stehen am Rande eines Bürgerkriegs", orakelt der in eine bunte Decke eingewickelte Henry düster, der sich im Morgengrauen auf dem Weg zur Hauptstraße macht, um mit einem der wenigen Matatu-Busse zum Freiheitspark im Stadtzentrum zu fahren. Oppositionsführer Odinga hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Es soll ein Fanal werden, ein Marsch der Millionen, ein Zeichen , dass die Armen in diesem Land etwas zu sagen haben.


"Kibaki hat uns fertiggemacht, wir wollen Raila haben", singen die Demonstranten aus Dandora, während sie eine der wie ausgestorben daliegenden Hauptstraßen herabmarschieren. Dies soll ihr Tag werden. Viele haben weiße Armbinden angelegt, andere schwenken Palmenzweige. Den zu Hunderten am Straßenrand aufgezogenen Polizisten wollen sie klarmachen, dass sie es friedlich meinen.


"Die Leute schlafen nachts nicht mehr, sie verteidigen sich selbst", erklärt Peter, der mit grimmigem Gesicht starr nach vorne schaut. Er wüsste gern, wo seine Schwester steckt, die vor Tagen aus dem Westen des Landes nach Hause kommen wollte. Peter weiß nicht, ob sie irgendwo auf der Zwölf-Stunden-Strecke bei Freunden untergekommen ist - oder ob ihr etwas zugestoßen ist. Die Busse sind nicht sicher, sagt derzeit ein Gerücht. "In Nakuru leben viele Kikuyu, vielleicht liegt sie schon wie so viele andere Luo als Leiche am Straßenrand."


Gerüchte gibt es viele, verlässliche Informationen sind hingegen Mangelware. Die Regierung hat bereits über die beiden Handynetze Warnungen verschickt: Wer Hass-Mails oder Mails mit falschen Inhalten versendet, macht sich strafbar. Fast jeder Kenianer hat ein Handy. "Was ich da manchmal lese, lässt mir die Galle hochkommen", gibt Peter zu. Da werden Luo wie er zum Mord an Kikuyu aufgerufen. "Hack ihnen mit der Machete die Beine ab", steht in einer der Botschaften.


"Wir hassen uns nicht, weil wir Kikuyu oder Luo sind", gibt die Menschenrechtlerin Gladwell Otieno zu bedenken, die an der Seite der Slumbewohner marschiert. "Wir hassen uns allenfalls, weil die großen Führer uns gesagt haben, wir sollten uns hassen." Dem Glauben, Abneigungen zwischen den Volksgruppen seien genetisch veranlagt, will sie vehement entgegentreten.


Schon nach einigen hundert Metern ist Schluss mit dem Marsch. Die Träger der Palmenzweige stehen Viehlastwagen gegenüber, von deren Ladeflächen Polizisten in Kampfausrüstung springen. Ein Wasserwerfer steht da, ein Polizist schwenkt eine Tränengasgranate. "Aus dem Weg, aus dem Weg", skandiert die Menge und: "Kein Raila, kein Frieden." Dieser Spruch ist seit Tagen der Kampfruf der Opposition. Ein paar gehen weiter, andere ziehen sich zurück. Auf einmal ist alles in Bewegung. Zurück bleibt ein brennendes Auto. Peter rennt in Richtung Dandora. "Da kommen wir nicht durch, versuchen wir den anderen Weg", schreit er.


Der Freiheitspark liegt unterdessen einsam da. Während nicht weit entfernt Märkte geplündert werden und Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei kraftvoll in eine erbeutete Ananas beißen, langweilen sich die Polizisten, die seit dem Morgen in einem dichten Ring den Platz abschirmen. Andere haben die sonst so überfüllten Hauptstraßen mit Steinen blockiert. "Hier kommt doch eh keiner hin", sagt ein junger Polizist zu seinem Kollegen.


Ein Ziel hat die Opposition an diesem Tag zumindest erreicht: Alle Geschäfte sind zu, die Börse musste früher schließen. Die Unruhen kosten Kenia täglich Millionen, was den Druck auf die Regierung erhöht. Zu den paar Demonstranten, die es bis zur Absperrkette geschafft haben, gesellt sich später Oppositionspolitiker William Ruto und sagt, der Protest sei auf nächsten Dienstag verschoben. Später korrigiert er sich, es werde schon am Freitag weitergehen. Am Donnerstag war nicht einmal eine Fernsehkamera dabei. Es lohnte sich nicht.


Während die Armen in den Straßen mit der Polizei kämpfen, treffen die politischen Führer mal in dieser, mal in jener Villa zusammen. Für sein Treffen mit Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat Oppositionschef Odinga eine besonders grell orangene Krawatte gewählt - orange ist die Farbe seiner Partei. "Jetzt warten wir schon zwei Stunden auf den", stöhnt irgendwann eine Kamerafrau des norwegischen Fernsehens, die wie die meisten anderen in der brütenden Sonne wartet. Überall in Afrika pflegen Politiker Audienz zu gewähren, das ist auch bei Kenias Opposition nicht anders.


Immerhin gibt es etwas zu drehen: Vor der Tür stehen Unterstützer aus den Slums, die unermüdlich Sprechgesänge anstimmen. Tutu erscheint gut gelaunt. "Die Opposition ist bereit und freut sich darauf, eine Vermittlungslösung zur Beilegung der Krise in diesem Land anzugehen. Sie will ihre Ideen und Beiträge dazu beisteuern, was ich für ein sehr gutes Ergebnis halte", sagt der Südafrikaner.


Odinga sitzt daneben und grinst. Auch wenn die Demonstration nicht zum großen Marsch wurde, die Schuld bekommt an diesem Donnerstag die Regierung ab. Die nämlich lehnte den Vorschlag aus Europa und den USA ab, Ghanas Präsidenten John Kufuor als Vermittler einzuschalten. "Vielleicht plant Herr Kufuor ja einen Staatsbesuch, oder er will in Kenia Urlaub machen", sagte Regierungssprecher Alfred Mutua spitz. Am Abend heißt es dann aus Washington, die USA würden angesichts der Lage Unterstaatssekretärin Jendayi Frazer nach Nairobi entsenden.
Auch im Regierungslager rücken inzwischen einige vorsichtig vom Präsidenten ab. Schon am Mittwoch hatte der Vorsitzende der Wahlkommission zugegeben, er wisse selbst nicht, ob Kibaki gewonnen habe. Beide Seiten hätten ihn unter Druck gesetzt, das Ergebnis schnell zu verkünden, sagte Samuel Kivuitu der Zeitung The Standard. Gestern schloss sich Kenias Generalstaatsanwalt Amos Wako der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Wahl an. Kenia gleite "in eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes" ab, warnte er.


Kibaki lenkt etwas ein: Bei einem Empfang später am Abend im Präsidentenpalast erklärt er, reden könne man schon - wenn erst einmal Frieden eingekehrt sei. Doch in Dandora und den anderen Slums, wo die Menschen am Abend wieder ihr Nachtlager auf der Straße einrichten, ist Frieden nicht in Sicht.


(Copyright Berliner Zeitung, 4.1.08)