Dienstag, 8. Januar 2008

Sehnsucht nach Langeweile


Kenia hat unter uns Journalisten im Allgemeinen keinen guten Ruf. In dem Land, in dem die meisten Afrika-Korrespondenten leben, passiere zu wenig von internationaler Tragweite, sagen viele. Irgendwie sei es für Afrika zu langweilig. Damit ist seit den Wahlen vor einer Woche jedenfalls Schluss. Und wer vor lauter Arbeit überhaupt dazu kommt, wünscht sich ausnahmslos die Langeweile von früher zurück.

Dass ein Kollege und ich uns im Gemüseladen angesichts der letzten Zucchini fast ineinander verkeilten - er kam mit voller Geschwindigkeit aus der Regalreihe rechts, ich von links - ist da noch gar nichts. (Dabei war die Zucchini angeschimmelt, aber darauf achtet man angesichts der Versorgungsengpässe längst nicht mehr). Erbitterte Gefechte werden in Großmärkten um die letzten Flaschen Gas zum Kochen oder an den Zapfsäulen um ein paar (rationierte) Tropfen Diesel geführt. Dabei sollte man sich keinesfalls verletzen, denn in den Krankenhäusern arbeitet wie überall nur die Notbesetzung.

Tausende, die Weihnachten und den darauf folgenden Wahltag bei der Großfamilie auf dem Land verbracht haben, warten noch auf den Rücktransport. Die wenigen Busse, die fahren, werden von der Polizei eskortiert, die Fahrpreise haben sich verdoppelt oder verdreifacht.
Während die meisten in Kenia lebenden Ausländer sonst Hausmädchen oder Kinderfrau haben, müssen sie jetzt wieder lernen, selbst zu spülen oder zu bügeln. Lebensgefährlich kann es für die werden, die normalerweise einen Fahrer haben - den leisten sich wegen des chaotischen Verkehrs auch viele kenianische Familien. Wenn sich jemand erstmals seit zehn Jahren wieder selbst hinters Steuer setzt, sollte man lieber nicht mit einsteigen.

Doch so widersprüchlich es klingt, das Chaos hat alle auch näher zusammengebracht. Als im Supermarkt gestern "Daima" vom kenianischen Sänger Eric Wainaina erklang, schon vor den Wahlen als Friedenssong für ein einiges Kenia geschrieben, sang oder summte vom Kleinkind bis zur Kassiererin jeder mit. Wer kann, kauft ein Paket Maismehl extra, um es am Ausgang in eine der Boxen zu werfen, aus denen die von den Unruhen Vertriebenen versorgt werden. In den Gärten der Betuchten campen ganze Großfamilien. Und man teilt, was man mit Schweiß im Gesicht irgendwo erstanden hat - selbst die Zucchini. Trotzdem: Man kann nur hoffen, dass Kenia bald wieder so langweilig sein wird wie früher.

(Copyright Berliner Zeitung, 8.1.08)