Donnerstag, 17. Januar 2008

Leitartikel: Zeit für Verantwortung


Vor nicht einmal einem Monat war Kenia noch eines von Afrikas Aushängeschildern: ein einträchtiger Vielvölkerstaat, ein Ziel ausländischer Investoren mit beeindruckend wachsendem Bruttosozialprodukt, eine Insel der Stabilität zwischen lauter Bürgerkriegsnationen und nicht zuletzt eine von Afrikas beliebtesten Urlaubsdestinationen. Mit all dem ist es vorbei, seit die Regierung von Mwai Kibaki die Präsidentenwahl vom 27. Dezember gefälscht hat. Gefälscht hat sie sie, das bezweifelt außer ihr praktisch niemand. Doch dass Kenia im Chaos versunken ist, dass Oppositionsmilizen Hetzjagden auf ganze Volksgruppen durchführen und die Polizei mit offener Feindseligkeit Demonstranten niederknüppelt, hat noch eine andere Ursache. Die derzeitige Krise ist unmittelbar die Folge der Verantwortungslosigkeit, mit der eine kleine politische Elite auf dem Rücken der bettelarmen Mehrheit ihren Kampf um Macht und Geld führt. Um Kenia wieder zu befrieden, ist es unumgänglich, dass alle Beteiligten endlich Verantwortung übernehmen.

Oppositionsführer Raila Odinga, der die Wahl vermutlich gewonnen hat, und Kibaki tragen gemeinsam die Verantwortung, die brutalen Kämpfe im Land zu beenden. Beide haben im Wahlkampf mit dem Feuer gespielt und ihre Anhänger mit Vorurteilen und Hassparolen gegen die jeweils anderen bei der Stange gehalten. Kibakis Leute verbreiteten Gerüchte, Odingas Luo-Volksgruppe plane einen Völkermord; Odingas Anhänger machten alleine die Kikuyu, zu denen auch Kibaki zählt, für die wirtschaftliche Ungleichheit im Land verantwortlich. Als die Situation nach der Wahl explodierte, schauten beide tatenlos zu oder gossen sogar noch Öl ins Feuer. Der eine konnte so auf das Chaos verweisen, das ein Sieg Odingas zur Folge gehabt hätte - der andere auf das Ausmaß des Unmuts in der Bevölkerung. Während die Ärmsten und Perspektivlosesten, allen voran arbeitslose Jugendliche, sich in den Slums gegenseitig umbringen, sitzen die Anführer komfortabel in ihren jeweiligen Villen.

Kibaki muss die Verantwortung für seinen Wahlbetrug übernehmen und zurücktreten - das ist das mindeste. Als er vor fünf Jahren an die Macht kam, wurde er noch als Hoffnungsträger gefeiert, als derjenige, der nach mehr als 20 Jahren Alleinherrschaft im Land die Demokratie zurückbringen würde. Diese Erwartung hatte Kibaki selbst im Wahlkampf genährt, um sie dann binnen weniger Monate zu zerstören. Zurück blieb eine Nation, die desillusionierter war als je zuvor - und entschlossen, der Herrschaft der alten Männer aus der Gründergeneration des Staates ein Ende zu bereiten. Dass Kibaki jetzt auch diese Hoffnung genommen hat, macht ihn als Präsidenten untragbar. Dass eine "Regierung der nationalen Einheit", die mit Kenias derzeitiger Verfassung ohnehin nicht vereinbar ist, keine Lösung ist, ist Kibakis eigene Schuld. Er war es, der kurz nach der Wahl 2002 alle Versprechen brach, mit denen er seinen damaligen Unterstützer Odinga im Wahlkampf an sich gebunden hatte.

Odinga trägt die Verantwortung, die Nation zusammenzuführen. Dazu muss Schluss sein mit der Tradition, dass die Volksgruppe des jeweils herrschenden Präsidenten das größte Stück vom Kuchen abbekommt. Er muss seinen Anhängern klarmachen, dass sie mit seiner Wahl nicht "an die Fleischtöpfe" kommen, wie man in Kenia so bildlich sagt. Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen für diejenigen, die gerade die Macht inne haben. Wenn die Luo gegen Odinga auf die Straße gehen und er dennoch nicht einknickt, ist das ein erster wichtiger Schritt zur Heilung des zerrissenen Landes. Wenn er das nicht kann, muss Odinga den Weg frei machen für einen anderen Präsidenten, am besten einen der jungen Hoffnungsträger, für die sich die Wähler aller Parteien bei der Parlamentswahl so einmütig ausgesprochen haben.

Die Industrieländer tragen die Verantwortung, den Druck so lange aufrecht zu erhalten, bis Kenias Wählern Gerechtigkeit wiederfährt. Wer in Afrika seit Jahren gebetsmühlenhaft gute Regierungsführung fordert, darf sich in einer Situation wie dieser nicht auf angeblich übergeordnete Eigeninteressen zurückziehen. Das gilt für die Europäische Union genauso wie für die USA, für die Kenia einer der wichtigsten Partner im "Kampf gegen den Terrorismus" ist. Ohne zu murren lieferte die Kibaki-Regierung ohne Prozess mutmaßliche Terroristen nach Guantánamo aus, kein afrikanischer Staat hat in den vergangenen Jahren so viele amerikanische Waffen gekauft wie Kenia. Doch all das darf kein Grund sein, auf Sanktionen gegen Kibakis Regierung und das Einfrieren von Budgethilfen zu verzichten. Sonst trägt der Westen die Verantwortung, wenn sich der nächste afrikanische Despot Kenia zum Beispiel nimmt und seine Bevölkerung um den Wahlsieg betrügt -wohlwissend, dass er keine Folgen fürchten muss.

(Copyright HAZ, 17.1.08)