Dienstag, 29. Januar 2008

Ein zerrissenes Land


Der Mann hat eine Machete in der Hand. Wie zig andere Demonstranten rennt er gröhlend eine Straße vor dem Naivasha Country Club herab, wo zu normalen Zeiten Wochenendbesucher aus Nairobi den Blick auf die Nilpferde genießen. "Diese Luos sollen verschwinden, wir zahlen ihnen jetzt heim, was sie unseren Leuten angetan haben", schreit er und winkt drohend mit der Machete. Die normalen Zeiten sind vorbei, so viel steht fest. Am Dienstag schossen Hubschrauber der Armee über Demonstranten hinweg, um neue Ausschreitungen vor allem gegen Angehörige von Minderheiten zu verhindern.

Von der Hauptstadt Nairobi ist es nicht einmal eine Stunde mit dem Auto, bis das Hochland abrupt endet und in einer spektakulären Szenerie mehrere hundert Meter in die Tiefe abfällt. Dort unten liegt das Rift Valley, wo sich seit der Nacht zum Freitag die jüngsten Szenen brutaler Gewalt mit mehr als hundert Toten abspielen. Gangs aus den Armenvierteln, deren Mitglieder unterschiedlichen Volksgruppen angehören, bekriegen sich und die Mitglieder der jeweils anderen Ethnie unerbittlich. Die Kämpfe von Kikuyu gegen Luo oder Kalenjin gegen Kikuyu sind politisch aufgeheizt, teilweise schon seit Jahrzehnten.

Bei der umstrittenen Präsidentenwahl Ende Dezember stimmten die Kikuyu mehrheitlich für Präsident Mwai Kibaki, dessen Unterstützer im Wahlkampf vor einem Sieg des Luo Raila Odinga warnten und in drastischen Worten einen drohenden Völkermord heraufbeschworen. Odinga, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, machte hingegen die Kikuyu für die Ungleichheit im Land verantwortlich und schürte so den vorhandenen Neid. Viele Unternehmen und Geschäfte in Kenia gehören Kikuyu.

Auch der unter Kibaki gewachsene Mittelstand besteht vor allem aus Kikuyu, die schon unter der britischen Kolonialherrschaft im Ausbildungssystem stark bevorzugt wurden. Dazu kommt, dass Staatsgründer Kenyatta - auch ein Kikuyu - fruchtbares Land im Rift Valley an Kikuyu-Bauern verteilte. Land, das in mehrheitlich von Kalenjin bevölkerten Gebieten liegt.

Dass in Naivasha und Nakuru jetzt Kikuyu-Milizen gegen andere Volksgruppen zu Felde ziehen, verteidigen viele von ihnen als Vergeltungsschläge. Tausende Kikuyu sind aus dem nördlichen Rift Valley nach Nakuru geflohen, nachdem sie von Kalenjin-Kämpfern vertrieben worden waren. Unmittelbar nach Verkündung der Wahlergebnisse hatte es in der Oppositionshochburg Eldoret regelrechte Hetzjagden gegeben, die am Neujahrstag darin gipfelten, dass vertriebene Frauen und Kinder in einer Kirche verbrannten, die von den Verfolgern angesteckt wurde.

Doch die Kikuyu, die jetzt knapp 100 Kilometer weiter südlich zu den Macheten greifen und ähnliche Massaker wie im Norden verüben, haben mit den von ihnen so verachteten Tätern aus dem Nord-Rift vieles gemeinsam: Sie sind jung, arbeitslos und ohne Perspektive. Vor allem nach Naivasha, wo die für den europäischen Markt produzierenden Blumenfarmen tausende ungelernte Arbeiter beschäftigen, sind in den vergangenen Jahren massenhaft junge Arbeitssuchende gezogen, die in ohne Job in den Armenvierteln endeten. Die Kriminalität am Naivashasee nimmt seitdem ständig zu - ein Nährboden für Schläger- oder Mördertrupps.

Unklar ist dabei, welche Rolle die zerstrittenen Politiker bei der Organisation der Unruhen spielen. Belege für organisierte "ethnische Säuberungen" oder die Bewaffnung einzelner Milizen gibt es bislang aber nicht.

Zwar leben in Kenia seit der Unabhängigkeit die mehr als 40 Ethnien friedvoll zusammen. Das mag daran liegen, dass keine Volksgruppe eine klare Mehrheit stellt: Die Kikuyu, größte Ethnie des Landes, stellen knapp ein Viertel der Bevölkerung; Luo und Luhya im Westen des Landes sind etwa zusammen genommen etwa genauso viele. Die Kalenjin stellen mehr als ein Zehntel der Bevölkerung. Doch wenn der Staat nicht die Kontrolle zurück erlangt, so fürchten viele, könnten die Kämpfe im Vielvölkerstaat Kenia sich weiter verselbständigen und irgendwann nicht mehr einzudämmen sein.

(Copyright epd, 29.01.08)