Donnerstag, 31. Januar 2008

Die traurige Tradition der Milizen


Wer von Nairobi ins kenianische Hochland fährt, passiert einen Kreisverkehr, an dem sich Prediger tummeln. Derzeit steht dort nur ein Mann: Wer ihn versteht, spricht Kikuyu, die Sprache der Volksgruppe, die ursprünglich aus dem Hochland stammt, so wie der umstrittene Präsident Mwai Kibaki. "Der ruft zum Mord an allen anderen Ethnien auf", empört sich ein Geschäftsmann aus Nairobi, der auf dem Weg zu seiner Familie an dem Prediger vorbeigefahren ist.

Gegen das, was ihn zu Hause in Nanyuki erwartete, war die Hetzpredigt noch harmlos. In der fast nur von Kikuyu besiedelten Region werde überall offen für den Mord an anderen Volksgruppen gesammelt: "Die gehen von Haus zu Haus und sagen: Habt ihr gehört, was unseren Brüdern und Schwestern rund um Eldoret zugestoßen ist? Gebt uns Geld, damit wir die Übeltäter umlegen können", berichtet der Geschäftsmann. Die da von Haus zu Haus gehen, sind Anhänger einer der berüchtigtsten politischen Sekten, der Mungiki, die sich auf einen mythischen Hintergrund und das Erbe der Mau-Mau berufen, die Kenia von der Kolonialherrschaft befreiten. Viele halten sie inzwischen für kaum mehr als eine mafiöse Organisation. Doch in den Unruhen der Zeit nach den Wahlen, in der viele Kikuyu zu Opfern geworden sind, haben die Mungiki Oberwasser bekommen. Sie drohen, jeden umzubringen, der einen Kikuyu vertrieben hat. Auch neue Angreifer wollen sie fernhalten - gegen ein hohes Schutzgeld, versteht sich. Vor allem bei Vertriebenen aus dem Rift Valley kommt das gut an.

Im Rift Valley, das sich westlich des Hochlands von der Grenze zu Tansania bis nach Äthiopien erstreckt, leben unterschiedlichste Ethnien zusammen. Eldoret liegt in der nördlichen Hälfte des Rift Valley - hier sind die Kikuyu in der Minderheit. Seit der Verkündung des Wahlsiegs von Kibaki werden sie von Milizen der Mehrheitsethnie, den Kalenjin, verfolgt. Im südlichen Rift Valley, wo die Mehrheitsverhältnisse genau umgekehrt sind, verfolgen Kikuyu-Milizen Kalenjin, Luo und andere Volksgruppen, die mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga gestimmt haben.

Die ethnischen Milizen haben eine traurige Tradition. Seit langem sind sie der verlängerte Arm politischer Hardliner. Die Mungiki etwa benutzte schon 2002 Präsident Daniel arap Moi, um in Nairobis Slums Angst und Schrecken zu verbreiten. Luo wurden zerstückelt, angezündet oder lebendig begraben. Das wiederholt sich in diesen Tagen in Naivasha und Nakuru im südlichen Rift Valley. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich in Kenia binnen eines Monats verdoppelt, warnen die UN. "Es ist immer dasselbe: Wenn Unruhen ausbrechen, sind die Schwächsten die ersten Opfer", erklärt Rahab Ngugi, die in Nairobis Frauenhospital arbeitet. Von 140 Frauen, die hier seit Anfang Januar eine Vergewaltigung gemeldet haben, war gut die Hälfte unter 18.

Auch moderate Kikuyu fürchten die Mungiki, die ihre Mitglieder mit düsteren Riten auf unbedingte Treue einschwören. "Sie gehen von Haus zu Haus", berichtet ein Kikuyu aus Naivasha. "Wenn du ein Luo bist, dann töten sie dich. Wenn du ein Kikuyu bist, nehmen sie dich mit. Wenn du dich weigerst, töten sie dich auch."

Extremisten haben in Kenia derzeit Konjunktur. Die Gerüchte mehren sich, dass einige von Kibakis Ministern die Mungiki mit Geld und Waffen unterstützen. Kurz vor den Wahlen wurde ein Auto mit Regierungskennzeichen in Naivasha angehalten, bis unter das Dach voll geladen mit Macheten. Zwei Tage stand der Wagen an einer Polizeiwache, dann war er verschwunden. Was mit den Waffen geschehen ist, weiß niemand.

Im nördlichen Rift Valley wüten Milizen, die 1992 bewaffnet wurden. Auch damals zogen sie gegen die Kikuyu zu Felde, die in den 60er-Jahren von Staatsgründer Jomo Kenyatta in der fruchtbaren Region angesiedelt worden waren. Eine Untersuchungskommission machte die Moi-Regierung direkt für die Unruhen verantwortlich: Mois Kanu-Partei habe die Kämpfer ausgerüstet. Sie seien von Polizisten bis zu ihren Zielen eskortiert worden. Doch trotz des deutlichen Berichts wurde niemand verhaftet, die Milizen wurden nie entwaffnet. Unter den mutmaßlichen Drahtziehern war damals auch William Ruto, der diesmal als Spitzenmann der Opposition neben Odinga antrat. Den Kalenjin machen viele vertriebene Kikuyu auch für die jetzigen Unruhen verantwortlich.

Regierungs- und Oppositionspolitiker geraten wegen der Angriffe der Milizen zunehmend unter Druck. US-Staatssekretärin Jendayi Frazer verglich die Kämpfe im Rift Valley jetzt mit "ethnischen Säuberungen". Der UN-Sonderbeauftragte zur Verhinderung von Völkermorden, Francis Deng, kündigte an, einen Ermittler nach Kenia zu schicken.

Unterdessen haben die ethnischen Milizen die Hauptstadt Nairobi ins Visier genommen. Im Norden von Nairobi brannten am Mittwochmorgen Hütten von Nicht-Kikuyu. "Die Mungiki haben sie abgefackelt", sagt Roger, der als Gärtner im nahen Villenviertel arbeitet. Aus der nahen Polizeiwache sei niemand gekommen, um zu helfen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Zwar versichert Polizeisprecher Eric Kiraithe, man habe die Lage unter Kontrolle, doch das kann nicht ganz stimmen. Von einem Todesschussbefehl war am Mittwoch die Rede; auch das wies er zurück. "Aber wir können nicht zulassen, dass weiterhin Menschen auf offener Straße erschlagen werden", verteidigte Kiraithe ein künftig noch härteres Durchgreifen. Doch ob die Polizei gegen die Milizen eine Chance hat oder haben darf, war vier Wochen nach Beginn der Unruhen in Kenia völlig unklar.