Sonntag, 6. Januar 2008

Krieg der Armen


Wenn der Wind falsch steht, weht er in Dandora den Gestank der nahen Müllkippe direkt in die ärmlichen Hütten aus Lehm und Stroh. Unter einem der Wellblechdächer, die sich bis zum Horizont hinziehen, lebt Daniele Moschetti, ein Pater, der einmal in Italien gelebt hat. Doch das ist mehr als 15 Jahre her. Sein Suaheli ist inzwischen besser als sein Italienisch, scherzt der Mann mit dem langen weißen Bart gern. Den Kenianern in Nairobis vielleicht schlimmsten Slum gilt er schon lange als einer von ihnen.


"Wir kämpfen gemeinsam gegen die Armut, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit", sagt der Pater. Auch jetzt, nach den Wahlen, wo Unruhen das sonst als Oase der Stabilität geltende Kenia so stark erschüttern. "Dieser Krieg um das Wahlergebnis, das ist ein Krieg der Armen", wettert Moschetti. Im Slum gebe es nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Kommunikation mit dem Nairobi der glitzernden Hochhäuser und Straßencafés: "Wir Slumbewohner leiden, während die Politiker in ihren warmen Villen einen Bürgerkrieg anzetteln."


Mehrere Leichen hat Moschetti in der Nachbarschaft gesehen, seit am Sonntag die offensichtlich gefälschten Wahlergebnisse verlesen wurden: Kenias alter Präsident Mwai Kibaki sei auch der neue, der Herausforderer Raila Odinga habe verloren, entgegen allen Voraussagen. Minuten später gingen in den Slums, den Hochburgen der Opposition, die Kämpfe los. "Inzwischen schläft kaum noch jemand in den Häusern, aus Angst, sie könnten in der Nacht abgefackelt werden. Nachbarn töten Nachbarn oder verprügeln sie zumindest, bis sie krankenhausreif sind", sagt ein Bewohner, der seinen Namen nicht nennen will aus Angst, er könnte das nächste Opfer sein.


Menschen, die seit Jahren friedlich zusammen gelebt haben, erfasst die Furcht, der falschen Ethnie anzugehören. Kenia ist ein Vielvölkerstaat. Mehr als 40 Volksgruppen leben hier zusammen. Wenn man einen Kenianer fragt, woher er kommt, antwortet er zum Beispiel: "Ich bin Luo." Nur selten sagt einer: Ich bin Kenianer. Präsident Kibaki ist ein Kikuyu, Angehöriger der größten Ethnie, die als privilegiert und reich gilt. "Lege einem toten Kikuyu eine Münze aufs Grab", so lautet ein Sprichwort, "und er wird wiederauferstehen, um das Geld als seines in Anspruch zu nehmen."


Oppositionsführer Odinga ist ein Luo aus dem Westen des Landes. Die Luo, die mehr als ein Zehntel der Bevölkerung stellen, gelten als vernachlässigt. Noch nie seit der Unabhängigkeit waren sie an der Regierung beteiligt. Ihr Neid auf die Kikuyu, die nicht erst seit dem Gründungspräsidenten Jomo Kenyatta viele Posten in Politik und Wirtschaft besetzen, wurde in diesem Wahlkampf von praktisch allen anderen Volksgruppen geteilt. "Die ethnischen Differenzen, die es unterschwellig schon immer gab, sind im Wahlkampf politisiert worden", sagt Pater Moschetti. "Jeder hat gehetzt." Jetzt, wo die eine Hälfte als Verlierer dasteht, habe sich in der aufgeheizten Stimmung der Frust in Hass auf die vermeintlich feindliche Ethnie gewandelt.


"Wir stehen am Rande eines Bürgerkriegs", orakelt der in eine bunte Decke eingewickelte Henry düster, der sich im Morgengrauen auf dem Weg zur Hauptstraße macht, um mit einem der wenigen Matatu-Busse zum Freiheitspark im Stadtzentrum zu fahren. Oppositionsführer Odinga hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Es soll ein Fanal werden, ein Marsch der Millionen, ein Zeichen , dass die Armen in diesem Land etwas zu sagen haben.


"Kibaki hat uns fertiggemacht, wir wollen Raila haben", singen die Demonstranten aus Dandora, während sie eine der wie ausgestorben daliegenden Hauptstraßen herabmarschieren. Dies soll ihr Tag werden. Viele haben weiße Armbinden angelegt, andere schwenken Palmenzweige. Den zu Hunderten am Straßenrand aufgezogenen Polizisten wollen sie klarmachen, dass sie es friedlich meinen.


"Die Leute schlafen nachts nicht mehr, sie verteidigen sich selbst", erklärt Peter, der mit grimmigem Gesicht starr nach vorne schaut. Er wüsste gern, wo seine Schwester steckt, die vor Tagen aus dem Westen des Landes nach Hause kommen wollte. Peter weiß nicht, ob sie irgendwo auf der Zwölf-Stunden-Strecke bei Freunden untergekommen ist - oder ob ihr etwas zugestoßen ist. Die Busse sind nicht sicher, sagt derzeit ein Gerücht. "In Nakuru leben viele Kikuyu, vielleicht liegt sie schon wie so viele andere Luo als Leiche am Straßenrand."


Gerüchte gibt es viele, verlässliche Informationen sind hingegen Mangelware. Die Regierung hat bereits über die beiden Handynetze Warnungen verschickt: Wer Hass-Mails oder Mails mit falschen Inhalten versendet, macht sich strafbar. Fast jeder Kenianer hat ein Handy. "Was ich da manchmal lese, lässt mir die Galle hochkommen", gibt Peter zu. Da werden Luo wie er zum Mord an Kikuyu aufgerufen. "Hack ihnen mit der Machete die Beine ab", steht in einer der Botschaften.


"Wir hassen uns nicht, weil wir Kikuyu oder Luo sind", gibt die Menschenrechtlerin Gladwell Otieno zu bedenken, die an der Seite der Slumbewohner marschiert. "Wir hassen uns allenfalls, weil die großen Führer uns gesagt haben, wir sollten uns hassen." Dem Glauben, Abneigungen zwischen den Volksgruppen seien genetisch veranlagt, will sie vehement entgegentreten.


Schon nach einigen hundert Metern ist Schluss mit dem Marsch. Die Träger der Palmenzweige stehen Viehlastwagen gegenüber, von deren Ladeflächen Polizisten in Kampfausrüstung springen. Ein Wasserwerfer steht da, ein Polizist schwenkt eine Tränengasgranate. "Aus dem Weg, aus dem Weg", skandiert die Menge und: "Kein Raila, kein Frieden." Dieser Spruch ist seit Tagen der Kampfruf der Opposition. Ein paar gehen weiter, andere ziehen sich zurück. Auf einmal ist alles in Bewegung. Zurück bleibt ein brennendes Auto. Peter rennt in Richtung Dandora. "Da kommen wir nicht durch, versuchen wir den anderen Weg", schreit er.


Der Freiheitspark liegt unterdessen einsam da. Während nicht weit entfernt Märkte geplündert werden und Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei kraftvoll in eine erbeutete Ananas beißen, langweilen sich die Polizisten, die seit dem Morgen in einem dichten Ring den Platz abschirmen. Andere haben die sonst so überfüllten Hauptstraßen mit Steinen blockiert. "Hier kommt doch eh keiner hin", sagt ein junger Polizist zu seinem Kollegen.


Ein Ziel hat die Opposition an diesem Tag zumindest erreicht: Alle Geschäfte sind zu, die Börse musste früher schließen. Die Unruhen kosten Kenia täglich Millionen, was den Druck auf die Regierung erhöht. Zu den paar Demonstranten, die es bis zur Absperrkette geschafft haben, gesellt sich später Oppositionspolitiker William Ruto und sagt, der Protest sei auf nächsten Dienstag verschoben. Später korrigiert er sich, es werde schon am Freitag weitergehen. Am Donnerstag war nicht einmal eine Fernsehkamera dabei. Es lohnte sich nicht.


Während die Armen in den Straßen mit der Polizei kämpfen, treffen die politischen Führer mal in dieser, mal in jener Villa zusammen. Für sein Treffen mit Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu hat Oppositionschef Odinga eine besonders grell orangene Krawatte gewählt - orange ist die Farbe seiner Partei. "Jetzt warten wir schon zwei Stunden auf den", stöhnt irgendwann eine Kamerafrau des norwegischen Fernsehens, die wie die meisten anderen in der brütenden Sonne wartet. Überall in Afrika pflegen Politiker Audienz zu gewähren, das ist auch bei Kenias Opposition nicht anders.


Immerhin gibt es etwas zu drehen: Vor der Tür stehen Unterstützer aus den Slums, die unermüdlich Sprechgesänge anstimmen. Tutu erscheint gut gelaunt. "Die Opposition ist bereit und freut sich darauf, eine Vermittlungslösung zur Beilegung der Krise in diesem Land anzugehen. Sie will ihre Ideen und Beiträge dazu beisteuern, was ich für ein sehr gutes Ergebnis halte", sagt der Südafrikaner.


Odinga sitzt daneben und grinst. Auch wenn die Demonstration nicht zum großen Marsch wurde, die Schuld bekommt an diesem Donnerstag die Regierung ab. Die nämlich lehnte den Vorschlag aus Europa und den USA ab, Ghanas Präsidenten John Kufuor als Vermittler einzuschalten. "Vielleicht plant Herr Kufuor ja einen Staatsbesuch, oder er will in Kenia Urlaub machen", sagte Regierungssprecher Alfred Mutua spitz. Am Abend heißt es dann aus Washington, die USA würden angesichts der Lage Unterstaatssekretärin Jendayi Frazer nach Nairobi entsenden.
Auch im Regierungslager rücken inzwischen einige vorsichtig vom Präsidenten ab. Schon am Mittwoch hatte der Vorsitzende der Wahlkommission zugegeben, er wisse selbst nicht, ob Kibaki gewonnen habe. Beide Seiten hätten ihn unter Druck gesetzt, das Ergebnis schnell zu verkünden, sagte Samuel Kivuitu der Zeitung The Standard. Gestern schloss sich Kenias Generalstaatsanwalt Amos Wako der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Wahl an. Kenia gleite "in eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes" ab, warnte er.


Kibaki lenkt etwas ein: Bei einem Empfang später am Abend im Präsidentenpalast erklärt er, reden könne man schon - wenn erst einmal Frieden eingekehrt sei. Doch in Dandora und den anderen Slums, wo die Menschen am Abend wieder ihr Nachtlager auf der Straße einrichten, ist Frieden nicht in Sicht.


(Copyright Berliner Zeitung, 4.1.08)