Dienstag, 25. August 2009

Fragen in der Nacht


Sie klopfen an alle Türen, und wer zu Hause ist, muss sie einlassen. Gestern Abend machten sich mit Einbruch der Dunkelheit in Kenias Straßen Volkszähler auf den Weg, die bis Ende des Monats herausfinden wollen, wer in dem ostafrikanischen Land lebt. "Die Zeit für uns alle ist gekommen, uns zählen zu lassen", wandte sich Kenias Präsident Mwai Kibaki in einer TV-Ansprache an die Nation.

"Wir haben Vorkehrungen getroffen, um auch Obdachlose, Straßenkinder und Reisende zu zählen", sagt Anthony Kilele, Direktor der Statistikbehörde. "Selbst Babys, die bis kurz vor Mitternacht geboren sind, werden von uns erfasst." Erste Berechnungen gehen davon aus, dass die Bevölkerung seit der letzten Zählung 1999 deutlich stärker gewachsen ist als bislang geschätzt: von 29 auf 40 Millionen - bisherige Hochrechnungen waren von 35 Millionen ausgegangen.

Was jedoch viele Kenianer gegen die Volkszählung aufbringt, sind Fragen zu ihrer Stammeszugehörigkeit. Gerade erst ein Jahr ist vergangen seit den ethnisch aufgeheizten Unruhen mit mehr als 1 000 Toten. Weite Teile Kenias leiden bis heute unter Spannungen, immer wieder gibt es Ausschreitungen mit Toten.

"Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung steht bedauerlicherweise im Mittelpunkt dieser Volkszählung", wettert Njoki Ndung'u von der kenianischen Bürgerrechtsbewegung "Mars Group". Nach Ansicht der Gruppe könnten Politiker die Angaben zur ethnischen Zusammensetzung des Landes für Manipulationen im Vorfeld der nächsten Wahlen 2012 missbrauchen. "Dabei gibt es inzwischen so viele Mischehen im Land, dass viele Kenianer keiner einzelnen Ethnie mehr angehören", so Ndung'u.

Statt sich um eine Aufklärung der Unruhen und die Aussöhnung der Nation zu kümmern, setzten viele Politiker weiterhin auf die ethnische Karte, um ihre Macht zu erhalten. "Die Kluft zwischen verschiedenen Stämmen ist immer noch so groß, dass die Regierung ethnische Zugehörigkeit als wichtigstes Einstellungskriterium nutzt", sagt Ndung'u. Vor allem in der Hauptstadt Nairobi haben Kritiker angekündigt, die umstrittenen Fragen bewusst falsch zu beantworten.

Zu der politischen Unsicherheit kommt die Angst vor der Zählung selber. Bei Volkszählungen wurden in der Vergangenheit immer wieder Haushalte überfallen, weil sich Räuber als Volkszähler ausgaben. Dass die Zählung nachts stattfindet, können viele deshalb nicht verstehen.

"Aber es geht nicht anders, wenn wir ein Bild davon bekommen wollen, wer wo wohnt", verteidigt Chef-Statistiker Kilele das Vorgehen. Auch Präsident Kibaki verspricht Sicherheit: "Viele Volkszähler sind direkt aus der Nachbarschaft rekrutiert worden. Die Gezählten kennen also meist diejenigen, die vor der Tür stehen." Doch die Unsicherheit ist groß, auch deshalb, weil Muster der Zählerausweise und Uniformen bis heute nicht veröffentlich worden sind. Manch einer wird so aus Furcht die Tür verschlossen lassen.

(Copyright Berliner Zeitung, 25.9.09)

Donnerstag, 20. August 2009

Kein Wasser, kein Fleisch


Von den Rinderherden, die die farbenfroh gekleideten Massai normalerweise durch die Ebenen am Fuß des Kili-mandscharo treiben, ist in diesen Tagen nichts mehr zu sehen. Die einst grüne Landschaft ist braun und grau, Farben des Todes und der Not. „Noch keine Dürre war so schlimm wie diese“, sagt der Massaihirte Mengeti ole Lomni. Drei Jahre lang hat es hier kaum geregnet, die letzte Regenzeit ist ganz ausgefallen. Wasser ist Mangelware, die meisten Brunnen sind ausgetrocknet. Der Durst ist das Einzige, was für die Bevölkerung derzeit noch schlimmer ist als der Hunger.

Für mehr als zwanzig Millionen Menschen in Kenia, Somalia und Äthiopien ist die Nahrungsmittelversorgung nicht mehr gesichert. Mit dem Regen bleibt auch die Ernte aus, entsprechend steigen die Preise. Ein Paket Maismehl, Grundnahrungsmittel der meisten Kenianer, kostet derzeit 120 Schillinge (1,10 Euro), fast einen Tageslohn. Die zwei Kilo reichen einer vierköpfigen Familie für ein paar Tage, vorausgesetzt, es gibt genug Wasser zum Strecken. Kenias Landwirtschaftsminister William Ruto rechnet frühestens in einem Jahr mit einer Entspannung der Versorgungslage.

Eigentlich sollten in Zeiten der Not die staatlichen Maisreserven auf den Markt gebracht werden, teils als Nothilfe, teils, um den Preis zu drücken. Doch offiziellen Angaben zufolge liegen in den staatlichen Maissilos nur noch zweieinhalb statt normalerweise acht Millionen Sack Mais. Einen guten Teil der Differenz sollen korrupte Ministerialbeamte und sogar der Landwirtschaftsminister selbst für Millionengewinne ans Ausland verkauft haben. Zwar hat die Regierung angekündigt, Armee und Polizei aufs Land zu schicken, um Hilfslieferungen zu verteilen. „Aber ich frage mich, was die verteilen wollen“, sagt sich Iris Krebber von der Deutschen Welthungerhilfe in Kenia. „Nach meinem Wissen fehlt es nicht an Verteilern, sondern an Hilfsgütern zum Verteilen.“

Die Preise auf den Märkten sind so hoch, dass Bewohner der Armenviertel sich inzwischen von Schweinefutter ernähren. „Ein Sack mit 90 Kilo kostet 1200 Schillinge“, erklärt Jane Wanjiru, alleinerziehende Mutter von vier Kindern. „Für einen Sack Weizenmehl müsste ich mehr als das Dreifache zahlen, das kann ich mir nicht leisten.“ So legt die 35-Jährige mit fünf Freundinnen zusammen, um Schweinefutter zu kaufen. „Ein Sack ernährt sechs Familien für mehr als eine Woche.“ Die Zubereitung, sagt Wanjiru, ist schwierig: Um aus dem stinkenden Pflanzen- und Tiermehl eine Art Fladen zu backen, muss sie eine Handvoll des teuren Weizenmehls zugeben und einen Löffel Öl in der Pfanne erhitzen. Das Ergebnis sieht eher aus wie ein bröckliger Keks, doch Wanjirus Kinder greifen zu. Unter Magenschmerzen leiden sie, sagt die Mutter, und unter Durchfall. „Aber was soll ich ihnen sonst geben? Hilfslieferungen hatten wir hier schon seit einem Monat nicht mehr.“

Massaihirten wie Mengeti ole Lomni sehen unterdessen zu, wie sich ihr einziger Reichtum, die Rinderherden, dezimieren. Weil es überall im Land trocken ist, kehren immer mehr Herden in die Heimat zurück, wo sie notgeschlachtet werden. Der Verkauf lohnt sich nicht. Für die klapperdürren Kühe bekommen sie auf dem Markt gerade mal noch umgerechnet zehn Euro – normalerweise ist es vierzigmal so viel. Durch die Schlachtungen haben die Massai zumindest für den Moment etwas Fleisch. Doch wie er ohne Vieh in Zukunft überleben will, bleibt für ole Lomni ein unlösbares Rätsel.

(Copyright Rheinischer Merkur, 20.8.09)

Dienstag, 18. August 2009

Rationierter Alltag


Dieser Text ist eine Montagsproduktion. Das ist nicht im übertragenen Sinne gemeint. Weder hat dieses Global Village erkennbare Macken, noch ist es aus minderwertigen Bausteinen von einem vom Wochenende ermüdeten Arbeiter zusammengesetzt worden. Nein, es ist schlicht an einem Montag geschrieben. Denn nur am Montag, so legt es ein zweiseitiger, eng bedruckter Plan der kenianischen Elektrizitätswerke dar, gibt es Strom für meinen Computer. Dann erst wieder am Mittwoch, und schließlich am Freitag. An den restlichen Wochentagen bleibt die Steckdose tot: So will es die neu eingeführte Stromrationierung.

Damit umzugehen will gelernt sein. Frische Milch kaufen wir nur noch sonntags, dienstags und donnerstags, möglichst abends, damit die Kühlregalkälte (große Supermärkte haben dank eigener Generatoren Strom rund um die Uhr) bis zum nächsten Morgen vorhält. Das gilt für alle verderblichen Waren. Das Eisfach ist sowieso längst leergeräumt, im Regal daneben sind Kerzenpakete gestapelt. Die werden derzeit so eifrig gehamstert, dass sie oft ausverkauft sind. Eigentlich soll zwar zumindest nachts der Strom wieder angedreht werden, doch das klappt nicht immer.

Wäsche waschen wir nur noch mittwochs, denn von Freitag bis Montag gibt es kein Wasser. Auch das ist wegen ausgebliebener Regenfälle rationiert. Weil die Waschmaschine Strom, aber eben auch Wasser braucht, läuft sie mittwochs von früh morgens bis spät abends. Das Telefon schließlich ist schon lange rationiert, wenn auch leider nicht so vorhersehbar: Im Schnitt funktioniert es fünf Tage im Monat, was daran liegt, dass es in Nairobi zu viele Nummern für zu wenige Anschlüsse gibt.

Einziges Gesprächsthema der Kenianer ist derzeit, was als nächstes rationiert wird. Am wahrscheinlichsten wird es Zucker sein, denn wegen der Dürre sind die Ernten schlecht gewesen. Auch Maismehl, Milch und andere Hauptnahrungsmittel sind heiße Kandidaten. An den Ladenregalen hängen vielerorts schon erste Schilder: Nicht mehr als zwei Packungen auf einmal kaufen! Auch Diesel dürfte knapp werden, nicht zuletzt, weil in den Einkaufszentren mehr Generatoren brummen als je zuvor. Zwar hat die Politik Besserung versprochen. Doch die bisherigen Vorschläge waren echte Montagsproduktionen: im übertragenen Sinne.

Copyright Berliner Zeitung, 18.8.09)

Dienstag, 16. Juni 2009

Kongos Kreislauf des Krieges


Von den meisten Plastikplanen auf den aus Holz, Pappe, Stroh und plattgedrückten Konservendosen notdürftig zusammengezimmerten Hütten sind kaum mehr als Fetzen übrig geblieben. Jetzt in der Regenzeit, wenn die Tropfen am Nachmittag wie ein dichter Vorhang vom Himmel fallen, verschwinden nicht nur die Wege, sondern auch die Unterkünfte der gut 5.000 Vertriebenen im Lager Mugunga 1 in einer stinkenden Mixtur aus Dreck und Schlamm. "Wir haben nichts, um die Dächer auszubessern", klagt Fikiri Jamboku, ein Mann Anfang 40, der jeden Morgen in seinen blauen Polyesteranzug steigt, auf den größten Platz des Lagers marschiert und wartet. Worauf, das weiß er selbst nicht genau. "Es gibt immer weniger Hilfe, im Monat bekomme ich noch drei Kilo Mehl, ein Säckchen getrockneter Bohnen und einen halben Liter Öl - das muss für die ganze Familie reichen." Zurück ins Dorf will Jamboku dennoch nicht. "Es gibt hier keine Arbeit, es gibt keine Felder, und die Kinder werden in der feuchten Hütte krank - aber wenigstens sind wir am Leben."

Wie die meisten im Camp Mugunga am Rand der Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo, so stammt auch Jamboku aus der Stadt Masisi in der gleichnamigen Bergregion weiter westlich. Er landete vor fast einem Jahr hier, auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen Kongos Armee, Rebellen des "Nationalkongresses zur Verteidigung des Volkes" (CNDP) des Tutsi-Generals Laurent Nkunda, örtlichen Mai-Mai-Milizen und den nach dem Völkermord aus Ruanda geflohenen Hutu-Extremisten der "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR). "Ich habe nichts retten können", erinnert sich Matata Kalamiva, ein grauer, hochgewachsener Mann, der ein T-Shirt und ein leuchtend rotes Basecap trägt. "Alles, was ich besitze, ist noch in Masisi, wir mussten Hals über Kopf vor Nkundas Leuten fliehen."

Doch im Januar schöpften Kalamiva, Jamboku und die anderen Hoffnung: eine gemeinsame Militäroperation Kongos und Ruandas sollte die Rebellenbewegungen zur Aufgabe zwingen. Es ging vor allem gegen die Hutu-Milizen der FDLR, aber Höhepunkt der Aktion war die Verhaftung Nkundas auf ruandischem Boden. "Da haben wir schon gefeiert: bald geht es zurück", sagt mit leiser Stimme Kanyangesi Kapalata, ein gebeugter Alter im beigen Hemd. "Aber dann wurde alles noch schlimmer."

Denn statt des erhofften Friedens wird in Masisi und in anderen Teilen der Provinz Nord-Kivu so heftig gekämpft wie lange nicht. Die FDLR haben viele ihrer alten Positionen zurückerobert. "Den Menschen geht es eindeutig schlechter als vor der Offensive", sagt Marcel Stoessel vom Hilfswerk Oxfam. "Mädchen und Frauen werden brutal vergewaltigt, Häuser werden abgefackelt, ganze Dörfer geplündert." Nicht nur die FDLR-Milizen, auch die Soldaten der unterbezahlten kongolesischen Armee gehören zu den Tätern - manche sagen, sie sind für die meisten Gräueltaten verantwortlich. "Jeder steht unter Generalverdacht", so Stoessel. "Ständig gibt es sogenannte Racheattacken gegen die Zivilbevölkerung." Mehr als 300.000 Menschen sind seit Anfang dieses Jahres aus ihren Dörfern geflohen.

Ein Analyst der UN-Mission, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, macht für die gestiegene Gewalt einen Ende März unterzeichneten Friedensvertrag verantwortlich. "Die CNDP ist jetzt offiziell Teil der Armee und hat dadurch Orte erreicht, wo sie vorher nie war", sagt er. Dies habe andere Gruppen geärgert. Schon hat die erste Partei den Vertrag aufgekündigt. "Ich sprach letzte Woche mit einem Mai-Mai-Anführer aus Masisi, der hat angekündigt, man werde sich mit den Hutu-Extremisten zusammentun."

Entlang der Straße von Goma nach Masisi entstehen derzeit fast täglich neue Lager wie Mugunga I. Von "vorsorglicher Flucht" sprechen die humanitären Helfer in Goma, dem Versuch, erwarteten Massakern zu entgehen. Ähnliches sehen die Helfer bereits in der angrenzenden Provinz Süd-Kivu. "Wenn die Militäroperation gegen die FDLR wie geplant in Süd-Kivu fortgesetzt wird, dann wird es dort mindestens genauso schlimm werden wie hier", so Stoessel.

(Copyright die tageszeitung, 16.6.09)

Mittwoch, 10. Juni 2009

Nigerias schwarze Wirtschaft


Es ist ein später Sieg. Nach 13 Jahren juristischen Tauziehens in den USA zahlt der britisch-niederländische Ölmulti Shell 15,5 Millionen US-Dollar an die Hinterbliebenen des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa und dessen Mitstreiter. Die außergerichtliche Einigung, die am Montag in New York verkündet wurde, hinterlässt alle Seiten als Gewinner: Shell ist juristisch reingewaschen, die Kläger erfahren finanzielle Genugtuung und Nigerias Regierung kann endlich neue Ölinvestoren anwerben.

Das Verfahren "Wiva vs. Shell" geht zurück auf den berüchtigtsten Justizmord in Nigerias düsterer Geschichte. Am 10. November 1995 wurde der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht weiteren Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung Mosop (Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes) gehenkt. Die Leichen wurden mit Säure übergossen und in einem Massengrab verscharrt. Mosop hatte friedliche Proteste gegen die verheerenden ökologischen Folgen der Shell-Ölförderung im Siedlungsgebiet der Ogoni angeführt, die gewaltsam unterdrückt wurden. Ihr Führer Saro-Wiwa, bereits als Schriftsteller bekannt, wurde damit Leitfigur des gewaltfreien Widerstandes gegen Nigerias Militärherrschaft.

"Shell hat tief ins Herz der Ogoni gegraben", hatte Saro-Wiwa 1990 bei der Gründung von Mosop gesagt, und nach seiner Hinrichtung reichte sein Sohn Ken Wiwa Klage gegen Shell ein: "Sie waren nicht die Henker, aber ihre Fingerabdrücke sind überall zu sehen." Um Millionengewinne zu sichern, habe Shell sich enger Verbindungen zur Militärdiktatur bedient und Angriffe auf mutmaßlich rebellische Dörfer befohlen.

Shell wies beharrlich alle Vorwürfe zurück, und im Laufe der Jahre entwickelte sich ein undurchdringliches Justizgeflecht. Erst am 3. Juni wurde die Klage wegen direkter Mitverantwortung Shells an Saro-Wiwas Tod vom New Yorker Bezirksgericht ausgesetzt, während eine andere Klage gegen Shells nigerianische Tochter wegen Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen erneut zugelassen wurde. Der jetzt erzielte Vergleich beendet beide Verfahren, "um die Unsicherheiten, Lasten und Kosten weiterer andauernder Verfahren zu eliminieren", wie es in der Vergleichsschrift heißt.

"Mein Vater wäre glücklich mit dem Ergebnis", sagte Wiwa, der in London lebt, aber inzwischen als Sonderberater von Nigerias zivilem Präsidenten Umaru YarAdua für mehr Entwicklung im Delta eintritt. Umweltaktivist Nnimo Bassey, der mit den ermordeten "Ogoni Neun" gestritten hatte, ist ebenfalls zufrieden: "Der Vergleich zeigt eindeutig, dass Shell schuldig ist. Shell zahlt zwar nur eine kleine Summe, aber der Vergleich ist eine Ouvertüre für das, was Shell und die anderen Öl-Multis noch erwartet!"

Die Ogoni-Aktivisten sind offenbar wieder versöhnt mit Nigerias Staat. Der 2007 gewählte Präsident YarAdua hat nicht nur Ken Wiwa als Berater eingebunden. Saro-Wiwas Nachfolger als Mosop-Chef, Ledum Mitee, wurde Chef einer Regierungskommission zur Zukunft des Niger-Deltas. Ihr Abschlussbericht Ende letzten Jahres empfiehlt, 25 statt wie bisher 13 Prozent der Öleinnahmen in den Fördergebieten zu belassen, Ölfirmen eine Versicherungspflicht gegen Umweltschäden aufzuerlegen und kostenlose Schulbildung einzuführen.

Im April 2008 entzog Nigerias Regierung Shell die Lizenz zur Ausbeutung der Ölfelder im Ogoni-Land. Die Förderung war ohnehin längst eingestellt; nun muss auch ein neues Bieterverfahren beginnen. Nigerias Regierung will alle Joint-Venture-Verträge mit ausländischen Ölkonzernen neu aushandeln, mit höheren Anteilen für die nigerianische Seite und einer Verpflichtung zur Nutzung lokaler Zulieferer in den Fördergebieten.

"Gesiegt haben wir erst, wenn wir nachhaltige Entwicklung in ganz Nigeria haben, nicht nur in Ogoniland", sagt Mosop-Chef Mitee. In diesem Reformelan sind Gerichtsverfahren gegen Ölinvestoren nicht mehr nützlich. Die Ogoni-Protestler von einst sind Teil des Establishments geworden, und vor Ort haben radikalere Gruppen den friedlichen Protest in bewaffneten Kampf verwandelt. Kein Wunder: Nigeria verdient Milliarden am Erdölexport, aber im Niger-Delta herrschen Elend und Gewalt.

In Oloibiri, wo 1956 Shell die allerste Ölquelle Nigerias bohrte, endet die Teerstraße am Dorfanfang. Von hier geht es unbefestigt weiter durch den Matsch. Bis zum Haus des Dorfältesten Sunday Foster Inengite-Ikpesu muss man von Pfütze zu Pfütze springen. "Oloibiri Well No. 1, drilled June 1956, 12.000 Feet" steht auf einem rostigen Blechschild im Gras. Hier begann vor 53 Jahren Nigerias Ölabenteuer.

"Uns hat das Öl nichts gebracht", sagt der 72-jährige Dorfälteste. "Die Grundschule wurde vor dem Ölboom gebaut, die Sekundärstufe danach. Beide sind stark renovierungsbedürftig. Das Krankenhaus ist seit einigen Jahren verlassen. Die einzige Straße gab es auch schon vor dem Öl. Einen Wasserturm haben wir, aber noch kein Wasser. Strom gibt es gar nicht."

In seiner Kindheit sah es anders aus. Früher war Oloibiri der älteste und wichtigste Ort in der Region. Es gab große Märkte. Oloibiri war Stützpunkt für Missionare und die Regionalregierung. Und dann entdeckte man sogar Erdöl. Aber Anfang der 70er-Jahre und viele Ölquellen weiter war Schluss. Oloibiri fiel wieder in die Armut zurück, ohne dass von seinem Ölreichtum etwas hängengeblieben wäre.

"Früher habe ich es nicht so gespürt, aber heute bin ich sehr wütend", sagt der alte Sunday Foster, ein drahtiger, freundlicher Mann mit grauem Haar. "Die Jungen wollen kämpfen und sie sind bereit, für die gute Sache zu sterben", warnt er. Wenn er könnte, würde er auch, aber er sei zu alt. Er setzt jetzt auf Aufklärung. "Damals wussten wir nicht, was geschieht, wir waren ignorant. Aber heute gehen fast alle zur Schule. Ich sage meinen Kindern: Lasst das nicht wieder geschehen."

Die einzige Wirtschaft, die hier boomt, ist krimineller Natur. Wenn die Nacht hereinbricht, sind auf den zahlreichen Wasserwegen des Niger-Deltas Barken unterwegs mit Öl, das illegal aus Pipelines abgezapft wurde und in größeren Häfen auf Tanker umgeladen wird. Die Gewinne schmieren Rebellengruppen wie die "Bewegung zur Emanzipation des Niger-Deltas" (MEND), aber auch lokale Politiker ein Grund dafür, dass sich Gesetzlosigkeit ausbreitet. Kidnapping ausländischer Ölangestellter, Schutzgelderpressung von Ölfirmen und die Vermietung von Schlägertrupps an Politiker sind weitere Einkommensquellen des mafiösen Sumpfs im Niger-Delta. Dass die Region unterentwickelt ist, kommt den Hintermännern gelegen: je größer die Not, desto größer die Unterstützung für die selbsternannten Wohltäter, die die Region hat.

"Allein mit den illegalen Ölexporten machen die Syndikate 60 Millionen am Tag", sagt ein Insider. Nigeria droht dadurch der Staatsbankrott: Wegen Sabotageakten der MEND und des Rückzugs von Investoren und Betreibern ist die tägliche Ölförderung von 2,2 Millionen Barrel, wie es die Haushaltsplanung 2009 vorsieht, auf derzeit 1,38 Millionen gefallen. Seit dem Beginn der Kämpfe im Ölgebiet hat Nigerias Staat nach Regierungsschätzungen 20,7 Milliarden Dollar Öleinnahmen verloren.

Seit Mitte Mai versuchen mehr als 3.000 Soldaten in der größten Militäroperation seit Jahren, die Rebellen und Schmuggler mit Kriegsschiffen, und Kampfhubschraubern in die Schranken zu weisen. Zivilisten müssen das Leid tragen, wie meist in Nigeria. Hunderte wurden getötet, Zehntausende harren im Busch aus. Im Gegenzug haben MEND-Kämpfer fünf große Exportpipelines gesprengt. In der Nacht zum Dientag lief ein Ultimatum an die Ölfirmen aus, das Niger-Delta zu verlassen.

(Copyright die tageszeitung, 10.6.09)

Samstag, 30. Mai 2009

Tausend Hügel begrünen


Als "Land der tausend Hügel" war Ruanda einst bekannt. Wer heute aus der Hauptstadt Kigali hinausfährt, findet jedoch von der einstigen grünen Kulturlandschaft nicht mehr viel vor. Ganze Abhänge sind abgerutscht, die rotbraune Erde ist nackt und unbewachsen. Am Fuß der Hügel wälzen sich schlammige Fluten, gesättigt vom einstigen Ackerland. Erosion ist eines der größten Umweltprobleme in einer der kleinsten Nationen Afrikas.

Neun Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche von der Größe Belgiens; fast alle sind Kleinbauern. Brandrodung, Abholzung und Überbewirtschaftung laugen das Land aus. Und dabei steigt die Bevölkerungsdichte rasant. In zwanzig Jahren, so sagen die Demoskopen voraus, wird die Bevölkerung sich verdoppelt haben.

Kaum zu glauben, dass das Land eine ökologische Vorzeigenation sein soll. Doch genau das wird Ruanda vom Global Footprint Network bescheinigt, das jährlich den "Ökologischen Fußabdruck", also den Umweltverbrauch aller Länder, misst. In Ruanda liegt der bei 0,7 und damit deutlich unter dem, was die Bevölkerung an Umweltverbrauch für sich beanspruchen dürfte. 1,0 ist dieser Idealwert, Deutschland etwa liegt mit 4,2 deutlich darüber; die gesamte Erde hat einen Fußabdruck von 2,23 - das bedeutet, mehr als zwei Planeten wären nötig, um die derzeitige Naturzerstörung auszugleichen.

Dass Ruanda als eines der ärmsten Länder der Erde einen niedrigen Fußabdruck hat, ist noch nicht überraschend - dass dieser Fußabdruck aber seit Jahren kleiner wird, obwohl die Wirtschaft wächst, doch. Welches Geheimnis hat Ruanda, das andere Länder nicht haben?

Entschlossenheit, sagt Ruandas Präsident Paul Kagame. "Afrikas Wirtschaftswachstum hängt direkt von Landwirtschaft, Tourismus, Fischerei und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ab. All das ist nur mit einem effektiven Umweltmanagement möglich." Bei einem Finanzgipfel in Kigali warf Kagame den afrikanischen Regierenden jüngst in brüskem Tonfall vor, in Umweltfragen immer in Verzug zu sein: "Unser generelles Problem in Afrika ist die Umsetzung."

Wer den Mund so voll nimmt, muss zu Hause Erfolge vorweisen können: Dazu gehören in Ruanda etwa die Programme für Aufforstung und Terrassierung, die die Nationale Umweltbehörde REMA im ganzen Land vorantreibt. Inzwischen stammen nach REMA-Angaben bereits achtzig Prozent des in Ruanda verbrauchten Holzes aus einheimischen, nachwachsenden Plantagen.

Eine weitere Kernfrage lautet: Wie kann der Energiebedarf eines Landes gedeckt werden, das innerhalb von zehn Jahren ein Drittel der Bevölkerung ans Stromnetz anschließen will - derzeit sind es gerade einmal sechs Prozent - und auf weitere Industrialisierung baut?

Die Antwort gibt Eva Paul. Die ehemalige Mitarbeiterin der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) gehört zu der großen ausländischen Community, die im Infrastrukturministerium in Kigali arbeitet. Diese Spezialisten sollen dem Land helfen, bis 2020 ökologisch nachhaltig vom Entwicklungs- zum Schwellenland aufzusteigen.

"Seit November vergangenen Jahres pumpen wir Methan aus dem Kivu-See in einen schwimmenden Generator", erklärt Eva Paul in ihrem Büro im Regierungsviertel. In der Tiefe des Kivu-Sees an der Grenze zum Kongo liegen Methan-Vorkommen, die für mehr als 50 Jahre ausreichen könnten. "Im Moment werden vom Kivu-See aus zwei Megawatt ins Netz eingespeist", so Paul. "Gerade haben wir einen Vertrag mit der amerikanischen Firma Contour Global unterschrieben, die die Leistung bis Ende kommenden Jahres auf 100 Megawatt erhöhen wird." 100 Megawatt - das ist fast doppelt so viel wie Ruandas derzeitige Gesamtleistung. Ein Konsortium, an dem der Aga Khan beteiligt ist, verhandelt in diesen Monaten über die Lizenz, weitere 100 Megawatt Strom zu erzeugen. "Ein südafrikanischer Investor will aus dem Methan 1.000 Barrel Treibstoff pro Tag erzeugen, und wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die die Herstellung von Kunstdünger aus Methan prüft", so Paul.

Afrikas größte Solaranlage, nur eine halbe Stunde Fahrt von Kigali entfernt auf einem Hügel gelegen, ist ein Prototyp für Insellösungen. "Solarenergie ist zu teuer, um sie ins Netz einzuspeisen", so Paul. In einem extra Programm werden derzeit Schulen und Krankenhäuser mit Solarzellen ausgestattet. Dem gleichen Zweck dienen die 15.000 Biogasanlagen, die derzeit mit Unterstützung der GTZ vor allem an Latrinen von Kleinbauern installiert werden. "Die Familien kochen mit Biogas statt mit Feuerholz, das schont die Ressourcen", erklärt Koordinator Gerard Hendriksen. Ressourcenarmut, so scheint es, macht - zumindest im Falle Ruanda - erfinderisch.

(Copyright die tageszeitung, 30.5.09)

Freitag, 29. Mai 2009

Die weißen Schwarzen


Die Trommeln schlagen dumpf, eine helle Stimme singt dazu. David Ntanga und seine zehnköpfige Tanzgruppe bewegen sich im Takt. Die Menge hält den Atem an, als die Truppe völlig synchron nach vorne springt. Die Musik erstirbt, Beifall brandet auf. Ein lang gezogener Pfiff aus einer der hinteren Reihen schmerzt in den Ohren. Ein paar hundert Menschen haben sich versammelt, um der Performance zuzusehen; Ntanga ist zufrieden. "Es gibt immer mehr Menschen, die uns zujubeln und sagen: Macht weiter so", freut sich der Mittdreißiger in Jeans und kurzärmeligem Khakihemd. "Aber die Mehrheit glaubt immer noch, wir können nichts. Schließlich sind wir nur Albinos."

"Albino Kulturbefreiungsfront" nennt sich Ntangas Ensemble, und der Name ist Programm. Mit Tanz, Musik, Theater und Filmvorführungen tourt die Gruppe seit Wochen durch Tansania und Nachbarländer, tritt in Clubs und auf staubigen Dorfplätzen auf. "Wir wollen den Leuten zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind", sagt Ntanga. "Für viele einfache Leute ist es das erste Mal, dass sie einen Albino bewusst ansehen und nicht einfach angeekelt wegschauen."

Der Kampf um mehr Verständnis für ihr Anderssein ist in Tansania nicht nur eine Frage der Emanzipation, sondern des Überlebens. Vor rund einem Jahr begannen die ersten Ritualmorde, bei denen Albinos lebend Arme oder Beine abgehackt wurden. Andere wurden umgebracht, bevor man ihnen die Haut abzog. "Nach Sonnenuntergang bin ich nicht mehr auf der Straße unterwegs", sagt Ntanga, der in einem der Armenviertel von Tansanias Drei-Millionen-Metropole Daressalam lebt.

Tansania gilt als das Land mit den meisten Albinos weltweit, schätzungsweise 200.000, wovon aber nur 4.000 registriert sind. Seit zwielichtige Wunderheiler die Parole ausgegeben haben, dass sie ihren Besitzer reich machen können, ist der Handel mit Albinokörperteilen ein Riesengeschäft. Die Polizei schätzt die Zahl der Morde auf mehr als 40. Ernest Kimayo glaubt aber, dass es wesentlich mehr sind, sie seien den Behörden bloß nie gemeldet worden. Auch er überlegt sich zweimal, wohin er geht. "Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob mich derjenige nicht an die Mörder verkaufen will", sagt der Vorsitzende des tansanischen Albinoverbandes. An die schiefen Blicke, die schwarze Tansanier den bleichen Albinos zuwerfen, hat Kimayo sich gewöhnt. Auch dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht mehr. "Als Kind wollten mich immer alle betatschen: Wenn wir die Haut anfassen, fließt sofort Blut heraus, haben die gesagt", erinnert sich Kimayo. Doch Unverständnis und Diskriminierung sind das eine. "Es ging uns nie wirklich gut, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt."

In seinem kleinen, stickigen Büro auf dem Gelände des Ocean Road Hospital, einem der größten Krankenhäuser der Stadt, sammelt Kimayo die Geschichten der Opfer. Besonders schlimm, sagt er, sei die Lage im Westen Tansanias, wo der Geisterglaube sehr verbreitet ist. Auffällig viele Tote gab es in den Dörfern am Victoriasee, weil Fischer Albinohaare in ihre Netze flechten und damit auf eine größere Ausbeute hoffen. Auch in den Minen der Region glaubt man, dass der Gebrauch von Albinokörperteilen Glück beim Schürfen bringt.

Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als sie von einer Bande in der elterlichen Hütte in ihrem Heimatdorf Shilela aufgespürt wurde. Das fröhliche Mädchen mit dem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde brutal ermordet: mit Macheten regelrecht in Stücke geschnitten. Finger, Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern weit mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, weiß Kimayo.

Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Wunderheiler. Und die sind aus dem tansanischen Alltag nicht wegzudenken. "Unternehmer legen Albinoschädel auf ihre Goldmine, damit das Gold auf magische Weise an die Oberfläche steigt", berichtet Kimayo. "Fischer benutzen Albinofleisch als Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch haben." Andere sind der Ansicht, dass sich ihre Krankheiten durch Albinokörperteile heilen lassen. Auf der Straße hört Kimayo ständig Getuschel.

Im winzigen Ort Kimnyak im Westen Tansanias, am Fuße des 4.600 Meter hohen Berges Meru, lebt der siebenjährige Metili Mollel bei seinen Großeltern. Er ist ein echter "weißer Maasai" - ein Albinojunge aus dem ostafrikanischen Hirtenvolk. Bis zum vorigen Jahr war sein schlimmster Feind die Sonne, die seine Haut erbarmungslos verbrennt. Dann wollte sein Vater ihn umbringen, weil bei den Maasai Albinos als Inkarnation des Teufels gelten. Großvater Samuel Mollel rettete seinem Enkel das Leben und nahm ihn auf, obwohl die Familie nur von ein paar Kühen und Ziegen und etwas Maisanbau lebt. "Ich darf nicht alleine auf die Straße", sagt der Junge. "Nicht mal zu den Nachbarn kann ich allein gehen." Auf der Straße wird er als "Zero Zero" beschimpft - als Brut des Teufels. Noch versteht er diesen Schimpfnamen nicht, aber seine Großeltern wissen Bescheid. In der schönen, leeren Savannenlandschaft ist die Polizei weit entfernt, und Albinos sind schutzlos. "Eigentlich ist der Kleine nie alleine. Wir haben ihn auch gewarnt, Süßigkeiten von Fremden anzunehmen", erzählt der Großvater.

Selbst die Schule stellt für Metili keinen sicheren Platz dar. "Meine Augen sind schlecht, ich kann oft nicht erkennen, was an der Tafel steht. Der Lehrer will, dass ich in eine Sonderschule gehe", erzählt der Junge mit leiser Stimme. In ganz Tansania gibt es nur eine solche Sonderschule - in der weit entfernten Hauptstadt Daressalam. Metili setzt sich in den Schatten des Hauses. Er ist ein einsamer Junge. Draußen spielen ist gefährlich, weil die Sonne Hautkrebs verursacht und ihm Mörder auflauern könnten. Im Haus zu bleiben ist das Beste, aber es macht einen Gefangenen aus ihm.

Nicht weit von Kimnyak entfernt, in der Stadt Arusha, bereiten sich Albinos auf die Selbstverteidigung vor. "Ich habe die erste Anzahlung für eine Pistole geleistet", erzählt Godson Mollel, Vorsitzender der Arusha-Abteilung der landesweiten Organisation Chama cha Albinos, die allerdings nur etwas mehr als 200 Mitglieder hat. Er ist mit dem kleinen Metili nicht verwandt - die meisten Maasai in der Arusha-Region heißen Mollel oder Leyser. Godson Mollel hat Angst. "Ich muss mich selbst schützen, weil die Behörden das nicht tun."

Um seinen Waffenschein zu lesen, muss sich der 40-Jährige den Zettel ganz dicht vor die Augen halten. Die Frage, ob es nicht gefährlich ist, eine Waffe zu besitzen, wenn er kaum sehen kann, ist für ihn nicht relevant. "Ich habe Angst", rechtfertigt er sich. "Tagsüber traue ich mich kaum auf die Straße, und abends schließe ich mich zu Hause ein. Eine Pistole verschafft mir Beruhigung."

In seinem Innenstadtbüro kann er kaum Gäste empfangen. Es reicht gerade für einen Tisch und einen Stuhl. Durch das offene Fenster dringen Geräusche vom nahen Markt hinein - eine andere Welt. "Ich habe selten Spaß im Leben", sagt Godson Mollel. "Vorige Woche erst ist ein Albino verblutet, während seine Angreifer ihm Beine, Penis und Hodensack abhackten. Dann rasierten sie ihm die Haare ab." Das Grab eines Albinos, der vor Kurzem in Arusha eines natürlichen Todes starb, musste zubetoniert werden. "Nur so kann seine Familie sicher sein, dass nachts nicht die Zauberer kommen, um die Leiche auszugraben", erzählt Godson.

Es ist schwer, Verständnis für seine potenziellen Mörder aufzubringen. Und doch ist es das, was Al-Shaymaa Kwegyir in der fernen Hauptstadt Daressalam jeden Tag aufs Neue versucht. "Die Leute sind arm und ungebildet", verteidigt die einzige Albinoparlamentarierin Tansanias diejenigen, die ihr und anderen Albinos nach dem Leben trachten. "Niemand hat ihnen je gesagt, dass wir ganz normale Menschen sind." Auch Kwegyir wurde als Kind gehänselt, "Niemand" nannten ihre Mitschüler sie oder "Geist". Jetzt wurde Kwegyir von Tansanias Präsident Jakaya Kikwete persönlich zur Parlamentsabgeordneten ernannt. "Als er mich angerufen hat, konnte ich kaum fassen, dass er denkt, dass ich genauso gut arbeiten kann wie ein normaler Mensch", platzt es aus der langjährigen Aktivistin heraus. Die immer wieder gehörten Vorurteile haben Narben hinterlassen. "Wenn ich mich um einen Job beworben habe, wurde ich als Einzige nicht zu einem Gespräch eingeladen, weil die Arbeitgeber dachten: Die kann ohnehin nichts."

Früher, sagt Kwegyir, seien Albinos oft schon nach der Geburt umgebracht worden. "Sie wurden ertränkt, oder man hat ihnen das Genick umgedreht. Ein Albinobaby galt als Fluch." Ihrer Mutter hat Kwegyir nie vergessen, dass sie ihr immer wieder versichert hat, wie sehr sie die Tochter liebt. "Sie hat gesagt, Gott hat mich so gewollt", sagt Kwegyir, und ihre Augen werden feucht. "Das gibt mir bis heute die Kraft, durchs Land zu reisen und Aufklärung zu betreiben."

Die Serie der Morde ist in jüngster Zeit abgeebbt. Dazu hat nach Ansicht der Abgeordneten auch beigetragen, dass die Regierung inzwischen zur Jagd auf die Albinomörder geblasen hat - mit dem Mittel der Denunziation. "Wir haben im ganzen Land Urnen und Wahlkabinen aufgestellt, und im Schutz der Anonymität konnten die Leute die Namen derer aufschreiben, die sie für schuldig halten." Kwegyir glaubt, dass mindestens vier Arten von Gangstern am Albinogeschäft mitverdienen. "Es gibt Scouts, die herausfinden, wo Albinos leben, es gibt die Mörder, dann diejenigen, die die Körperteile abtrennen und verkaufen, und schließlich gibt es noch die Kunden."

Derzeit stellt die Regierung Listen aller Personen zusammen, die in eine dieser Kategorien fallen. Was genau mit den Verdächtigten geschehen soll, weiß Kwegyir nicht - schließlich gibt es auch in Tansania Gesetze, die die Strafverfolgung regeln. "Wir wollten den Mördern vor allem Angst machen, und das ist uns gelungen." Mehr als 200 Menschen wurden verhaftet, bestätigt Godson Mollel in Arusha - verurteilt wurde noch niemand.

Die Albino-Selbsthilfegruppen lassen nicht locker. Sie haben zusammen mit Menschenrechtsorganisationen Klage beim Obersten Gericht eingereicht, weil die Regierung Leben und Gesundheit von Albinos nicht schütze und damit die tansanische Verfassung verletze. Letzte Woche begannen die Anhörungen in der Sache.

Die Sensibilisierung der tansanischen Öffentlichkeit für die Albinos ist neu - wie auch die Aufmerksamkeit für die geheime Welt der Wunderheiler. Maimuna Ramadhani hat in Arusha ein winziges Geschäft, eingeklemmt zwischen einer Schneiderei und einem Friseursalon. Sie verkauft Kräuter gegen eine Vielzahl von Krankheiten und Beschwerden. Sie benutze keine Albinokörperteile, sagt sie, "nicht mal Blut von Tieren. Ich verarbeite bloß Pflanzen und Wurzeln. Ich bin eine Naturheilerin, kein Zauberer." Dennoch bietet auch sie ein Öl für die Stirn an, das Glück bringen soll.

"Ich glaube nicht, dass die tansanianischen Zauberer verantwortlich sind", sagt sie zu den Morden und hat dafür eine professionelle Erklärung: "Man muss die Haut vom Fleisch trennen. Dazu braucht man Chemikalien, und die haben wir in Tansania genauso wenig wie Kenntnisse darüber." Die Regierung hat vorläufig allen Naturheilern und Zauberern die Arbeit verboten. Aber die Geschäfte gehen weiter wie früher.

Keiner scheint zu wissen, warum die Gewaltwelle gegen Albinos 2007 anfing. Godson Mollel glaubt, nigerianische TV-Filme sind schuld. Das sind Dramen voller Geister, Zauberer und Wunder. In Nigeria ist der Glaube, dass Albinos außerordentliche Kräfte besitzen, weit verbreitet. Sie werden oft eingeladen, um Segnungen auszusprechen, etwa beim Bezug eines neuen Hauses oder der Eröffnung eines neuen Betriebes. Dort ist ihr Anderssein positiv besetzt.

Die billig produzierten und verkauften nigerianischen Videos, als "Nollywood" bekannt, sind in ganz Afrika verbreitet. "Die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwindet für dumme Menschen", meint Godson Mollel. "Irgendwie muss es ein paar Menschen auf tödliche Gedanken gebracht haben." Auch der Aktivist Kimayo warnt: "Im Fernsehen laufen immer mehr nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier unbegrenzte Macht haben. Das stärkt natürlich die traditionell ohnehin schon mächtigen Heiler im Dorf."

Dazu kommt die Gier. Am Anfang gruben die Beschaffer noch Leichen von Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Als aber ein vollständiger Albinokörper bis zu 350.000 Euro einbrachte, schlossen sich überall im Land Kopfjäger der Hatz an. Auch in Kenia hat es die ersten Morde gegeben. In Burundi, wo am 19. Mai in der Stadt Ruyigi nahe der Grenze zu Tansania der erste Prozess wegen einer Serie von Albinomorden begann, hat der oberste Staatsanwalt der Grenzregion alle Albinos der Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den langen Marsch nach Ruyigi legen die meisten fernab der Hauptstraßen im Schutz der Dunkelheit zurück.

(Copyright die tageszeitung, 29.5.09)

Dienstag, 14. April 2009

Geiseldrama auf hoher See beendet


Es ist der Stoff, aus dem große Dramen sind: ein Kapitän, der sich als Geisel zur Verfügung stellt, um Schiff und Besatzung zu retten; vier Piraten, die von Bord eines manövrierunfähigen Rettungsbootes aus das Geschäft ihres Lebens machen wollten; und eine militärische Supermacht, die mit drei Kriegsschiffen jede Bewegung an Bord des nur wenige hundert Meter entfernten Rettungsbootes verfolgte. Kein Wunder, dass die Geiselnahme auch dramatisch endete.

"Der Kommandant an Bord der 'USS Bainbridge' hat innerhalb von Sekunden entschieden, dass sich Kapitän Richard Phillips in akuter Lebensgefahr befindet", erklärte der Chef des Zentralkommandos der US-Marine, Vize-Admiral William Gortney, kurz nach der Befreiung am Samstagabend. Da hatten die Piraten offenbar ihre Waffen auf Phillips gerichtet, nachdem die US-Verhandlungsführer sich geweigert hatten, das geforderte Lösegeld von zwei Millionen US-Dollar zu bezahlen. "Drei Piraten wurden von Scharfschützen erschossen, der vierte ergab sich." Phillips Befreiung sei von Spezialeinheiten ausgeführt worden.

Dem 53-jährigen Phillips, dessen Schicksal in den vergangenen Tagen ganz Amerika bewegt hatte, geht es gut. Er soll bald nach Hause fliegen. Mit Jubelgebrüll reagierte Phillips Crew auf die Befreiung: Die 19 Seeleute an Bord der "Maersk Alabama" waren am Samstagabend in Kenias Hafenstadt Mombasa angekommen. "Wir haben es geschafft", rief ein Matrose von Bord der "Alabama" über Absperrungen hinweg Journalisten zu. "Captain Phillips ist unser Held", schrie ein anderer.

Doch nicht alle feiern. Andrew Mwangura, der die Piraterie vor Somalias Küste seit Jahren verfolgt, befürchtet, dass die gewaltsame Befreiung das Leben künftiger Geiseln gefährdet. "Man hat die Piraten gewalttätiger gemacht", so Mwangura. In der Vergangenheit sei den Geiseln nie etwas geschehen. "Jetzt wird es passieren, dass Piraten Geiseln umbringen, um so ihr eigenes Leben zu retten." Selbst US-Militär Gortney räumt das ein. "Dadurch könnte die Gewalt in diesem Teil der Welt zweifellos sprunghaft zunehmen." Mehrere Piratengruppen haben bereits mit Vergeltung gedroht.

In der Nacht zum Montag flogen zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden Armeehelikopter über Piratenhäfen an der somalischen Küste. "Erst töten sie unsere Freunde, dann müssen wir Angst vor Bombardements haben", so ein Pirat. "Amerika ist unser neuer Feind." Der Fall Phillips scheint auch Bewegung in die politische Debatte zu bringen. Der Kongressabgeordnete Donald Payne landete am Montag als erster US-Politiker seit dem traumatischen Tod mehrerer US-Soldaten 1994 in Mogadischu, um Gespräche mit der weitgehend machtlosen Übergangsregierung zu führen.

Nach der Freilassung von Phillips befindet sich jetzt noch ein amerikanisches Schiff in der Hand somalischer Seeräuber. Der Schlepper unter italienischer Flagge war am Samstag gekapert worden. Auch der deutsche Frachter "Hansa Stavanger" mit fünf deutschen Seeleuten an Bord wird seit mehr als einer Woche von Piraten festgehalten.

Gerätselt wird unterdessen über die Fracht an Bord der "Maersk Alabama". Laut offiziellen Angaben befindet sich in den Containern Lebensmittelhilfe für Ostafrika. Doch FBI und CIA, die kurz nach der Ankunft in Mombasa die Kontrolle über die "Alabama" übernommen haben, weigern sich kenianischen Zollbeamten zufolge, den Inhalt zu deklarieren. Es könnten militärisch heikle Güter darunter sein: Die "Maersk Alabama" ist Teil eines Spezialprogramms der Marine, mit dem vertrauenswürdige Schiffe für Militärtransporte akquiriert werden.

(Copyright die tageszeitung, 14.4.09)

Dienstag, 7. April 2009

Der gedeckte Mörder


"Hier ist Radio Libre Mille Collines", ruft der Moderator schwer atmend in sein Mikrofon. "Die Gräben sind erst zur Hälfte mit Tutsi-Leichen gefüllt, helft mit, sie aufzufüllen!" Es ist Frühjahr 1994 in Ruanda, seit dem 7. April haben die Morde an Tutsi und moderaten Hutu begonnen. Macheten, die schon vor Monaten lastwagenweise eingeführt worden sind, werden an die Hutu-Bevölkerungsmehrheit verteilt. Angeheizt wird die Stimmung von den Scharfmachern im Freien Radio der tausend Hügel, die später sogar Musikstücke senden, die den Völkermord glorifizieren. Später werden Medienwissenschaftler sagen, dass die Hasssendungen maßgeblich dazu beigetragen haben, den Völkermord am Laufen zu halten.

Der Mann, der hinter Radio Libre Mille Collines steckt, ist derselbe, der den Import von zehntausenden Macheten organisierte: Félicien Kabuga, einer der reichsten Männer Ruandas und Hutu-Extremist, für dessen Ergreifung die US-Regierung ein Lösegeld von 5 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat. Doch 15 Jahre nach Beginn des Genozids ist der inzwischen 74-Jährige immer noch auf der Flucht. "Von den 97 Angeklagten haben wir 84 festnehmen können", bilanziert Roland Amoussouga, Sprecher des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ruanda im tansanischen Arusha. "Nur 13 sind noch auf der Flucht."

Doch unter diesen 13 sind die vielleicht wichtigsten noch lebenden Hintermänner des Genozids: der damalige Verteidigungsminister Augustin Bizimana etwa, und Protais Mpiranya, Chef der besonders brutalen Präsidialgarde. Und Kabuga, der als Finanzier des Völkermordes gilt. "Bei vielen wissen wir ungefähr, wo sie sich aufhalten", sagt Hassan Jallow, der Chefankläger des von den UN eingerichteten Tribunals. Doch das reicht zur Festnahme nicht aus, denn das Tribunal hat keine Polizei. Wenn Jallow weiß, wo sich ein Verdächtiger aufhält, dann muss er die Regierung des Landes um Amtshilfe bitten. "Und nicht alle Regierungen sind so kooperativ, wie wir uns das wünschen würden."

Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass sich Félicien Kabuga seit fast 15 Jahren meistens in Kenias Hauptstadt Nairobi aufhält. Am 3. September 1994 stempelten Einreisebeamte seinen Pass am internationalen Flughafen, seine Frau und sechs Kinder folgten kurze Zeit später nach. Kenia war nicht Kabugas erste Wahl: Weder die Schweiz noch das damalige Zaire war bereit, den Völkermörder aufzunehmen.

In Kenia hingegen wurde Kabuga mit offenen Armen empfangen. "Der damalige ruandische Botschafter Cyprien Habimana sorgte dafür, dass eine ganze Reihe von Völkermördern Flüchtlingsstatus bekamen", erklärt ein damaliger Mitarbeiter von Kenias Ausländerbehörde im Schutz der Anonymität. Erst im Dezember wurde Habimana von der neuen Regierung nach Kigali zurückgerufen. Da hatte Kabuga bereits seine erste Wohnung im schicken Gemina Court bezogen, gleich neben der Witwe von Expräsident Juvénal Habyarimana. So groß war der Andrang der Extremisten, dass im September 1994 in der All Saints Basilica eine eigene Schule für 140 ihrer Kinder eröffnet wurde, in der auf Kinyarwanda unterrichtet wurde. Auch die tutsifeindliche Hetzschrift Kangura, die in kongolesischen Hutu-Flüchtlingslagern verteilt wurde, wurde in Nairobi gedruckt.

Die Kenia-Connection der Hutu-Elite um den ermordeten Präsident Juvenal Habyarimana, dessen Flugzeug am Vorabend des 7. April 1994 abgeschossen wurde, hat Tradition. Habyarimana selbst war mit Kenias autokratischem Präsidenten Daniel arap Moi gut befreundet und unterhielt mehrere Firmen in Mombasa und an Kenias Küste. Auch Kabuga hatte Verbindungen. Sein wohl nützlichster Beschützer soll der damalige Chef des gefürchteten Geheimdienstes, Zakayo Cheruiyot, gewesen sein. Vieles spricht dafür, dass es innerhalb von Bürokratie und Politik bis heute zahlreiche Männer gibt, die ihre schützende Hand über Kabuga halten.

Selbst der sonst eher diplomatische Chefankläger des Völkermordtribunals Jallow kritisiert Kenias Regierung mittlerweile öffentlich. "Im Kongo hat die Regierung Probleme mit ihrer Kapazität und kann deshalb viele Flüchtlinge nicht fassen", so Jallow. "In Kenia geht es nicht um Kapazität, es geht um politischen Willen."

Eine von Jallow ins Leben gerufene Taskforce, der Vertreter des Tribunals und der kenianischen Polizei angehören, legte vor nicht einmal einem Jahr einen bestürzenden Bericht vor: Das Netzwerk, das Kabuga zu seinem Schutz aufgebaut habe, umfasse den Expolizeipräsidenten des Landes, zwei persönliche Referenten des Präsidenten, zwei Minister, Kenias obersten Verwaltungschef und Heerscharen von Geschäftsleuten und Rechtsanwälten. Ein Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Mois habe zudem mit der neuen Regierung eine Vereinbarung darüber geschlossen, dass Kabuga weiterhin geschützt werde. Die Regierung Kibaki, die bis heute im Amt ist, wies alle Vorwürfe zurück. Der Bericht wurde nie veröffentlicht.

Wer den Fall Kabuga verfolgt, lebt gefährlich. Der kenianische Journalist Cyrus Ombati, der die Spur Kabugas seit Jahren verfolgt, ist sich dessen bewusst. Und dennoch will er nicht schweigen. "Die Regierung behauptet, Kabuga sei nicht im Land, aber gleichzeitig hat sie ihn gerade wegen Steuerhinterziehung angeklagt", weist er auf einen der vielen Widersprüche hin. "Polizeibeamte geben im Vieraugengespräch offen zu, dass er sich in Kenia frei bewegen kann", so Ombati. "Und gleichzeitig sagen sie dir: Pass bloß auf, was du über ihn schreibst!"

Das kenianische Finanzimperium Kabugas umfasst Immobilien, Farmen, Hotels, Transport- und ein Busunternehmen sowie eine Import-Export-Firma. Zwar hat Kenias Regierung nach langem Zögern Konten und Besitztümer Kabugas eingefroren, doch mindestens zwei Konten, die Jallows Taskforce im vergangenen Jahr überprüfen wollte, scheinen noch intakt zu sein. "Weder die Barclays Bank noch die Family Bank war bereit, uns bei der Aufklärung zu unterstützen", sagt ein Insider. Auch die Konten von Geschäftspartnern und Kabugas Schwiegersohn seien bis heute nicht gesperrt.

Einmal schien es, als seien die Verfolger kurz davor, Kabuga festzunehmen. Der Geschäftsmann William Munuhe vereinbarte ein Treffen mit Kabuga, bei dem die Polizei zugreifen sollte. Als Kabuga nicht wie vereinbart zum Treffen erschien, wurde der Einsatzleiter ungeduldig. Weil Munuhe seinen Telefonhörer nicht abnahm, brachen die Beamten die Tür auf. Sie fanden den 27-Jährigen tot in seinem Bett - er war mit einem Kopfschuss ermordet worden.

Auch weil die Polizei den Tod Munuhes lange geheim hielt, gehen viele bis heute davon aus, dass Polizei-Insider den Geschäftsmann verraten hatten. Vor einem Jahr, Jallow hatte einen kritischen Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat angekündigt, meldete die Polizei auf einmal die Festnahme Kabugas. Erst einige Tagen später, die Sicherheitsratssitzung war vorbei und Jallow zurück in Arusha, stellte sich heraus: Der Verhaftete war nicht Kabuga, sondern Charles Nyandwi, ein Mathematikdozent an Nairobis Universität, der Kabuga überhaupt nicht ähnlich sieht.

Doch Jallow will nicht aufgeben. "Kabuga bleibt einer der wichtigsten Flüchtlinge für uns, wir wollen ihn hier vor Gericht sehen, bevor wir Ende des Jahres die Verhandlungen einstellen", so der Chefankläger. Und etwas realistischer setzt er nach: "Diese Verbrechen verjähren nicht." Irgendwann werde man Kabuga finden und festnehmen. "Er kann wegrennen, aber er kann sich nie in Sicherheit wiegen."

(Copyright die tageszeitung, 7.4.09)

Samstag, 21. März 2009

Papst zelebriert afrikanische Identität


Als Papst Benedikt XVI. am Freitag feierlich von Angolas Präsident Eduardo dos Santos am Flughafen von Luanda empfangen wird, feiern die Jugendlichen in Sambizanga, einem Slum der Hauptstadt, schon seit mehr als sechs Stunden. Kurz nach Sonnenaufgang heizten lokale Musikgrößen tausenden jungen Leuten ein. Immer wieder unterbrechen "Papa, Papa"-Rufe die Rhythmen. "Es ist wie ein Wunder, der Papst kommt zu uns und wird uns segnen", freut sich Julieta. Am Sonntag will sie wie alle hier dabei sein, wenn der 81-jährige Papst den größten Gottesdienst in der Innenstadt hält.

Über mangelnde Euphorie bei seiner Afrikareise kann Benedikt sich nicht beschweren. Wie in Angola, so jubelten auch in Kameruns Hauptstadt Jaunde zehntausende Gläubige, als der Papst am Donnerstag in einem Stadion die Messe las. Für viele fand er den richtigen Ton: "Afrika ist ein Kontinent der Hoffnung, der durch die Tyrannei des Materialismus gefährdet wird." Für solche Sätze, die das Leid der meist armen Besucher auffingen, jubeln sie. Ein Bericht des Vatikans geht noch weiter: Darin heißt es, multinationale Kräfte beuteten den Kontinent gemeinsam mit skrupellosen Politikern aus. "Dies ist ein Prozess, der im Namen der Moderne die afrikanische Identität zerstören will."

Solche Zitate lassen ahnen, wie der Papst die katholische Kirche in Afrika positionieren will: Mehr afrikanische Identität soll im Kampf gegen den Islam wie die boomenden Pfingstkirchen helfen. Zwar leben bald die meisten Katholiken in Afrika: 149 Millionen sollen es sein, vor 30 Jahren war es noch ein Drittel. Doch trotz dieser Zunahme wächst die Konkurrenz noch schneller: Auf 147 Millionen schätzt das Pew-Forum in Afrika die evangelikalen Christen. Auch der Islam, seine Anhänger werden auf 400.000 geschätzt, wächst - nicht zuletzt dank einer aus Saudi-Arabien und Libyen finanzierten Missionsbewegung. Zwar predigte Benedikt XVI. bei einem Treffen mit 22 kamerunischen Imamen Toleranz und das Ende religiöser Auseinandersetzungen. Doch die im Herbst in Rom angesetzte Afrika-Synode soll auch beraten, wie die katholische Kirche die Macht auf ihrem Zukunftskontinent sichern kann.

Längst nicht alle jubeln dem Papst bei seinem ersten Afrikabesuch zu: Oppositionsanhänger werfen ihm vor, das wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption verfehmte Regime von Präsident Paul Biya nicht klar genug zu kritisieren. "Wir erleben hier in Kamerun einen Verfall der Werte", sagte Oppositionsführer John Fru Ndi. "Wir brauchen einen spirituell beflügelten Neuanfang."

Viele Bürgerrechtsgruppen Kameruns haben ihre Wurzeln in der katholischen Kirche. Doch der Papst nutzte seinen Besuch im Präsidentenpalast vor allem, um Präsident samt Familie zu segnen. In Angola, wo Ölgelder verschwinden und die Masse der Bevölkerung hungert, befürchten Papstkritiker eine ähnliche Sprachlosigkeit. Und während die Bevölkerung sich am Papstkommentar zu Kondomen nicht sonderlich stört, sind Aktivisten sauer. "In welchem Jahrhundert lebt der Papst eigentlich?", fragt Aids-Aktivist Alain Fogué. "Von 100 Katholiken benutzen doch mindestens 99 Kondome, und das ist auch gut so."

(Copyright die tageszeitung, 21.3.09)

Mittwoch, 11. März 2009

Kontinent meistbietend zu verkaufen


Tröstende Worte hatte IWF-Chef Dominic Strauss-Kahn für die Finanzminister und Funktionsträger aus Afrika in der tansanischen Hafenstadt nicht übrig: "Auch wenn es gedauert hat, bis die Krise Afrika erreicht hat: Sie kommt, und ihre Folgen werden schwer sein." Strauss-Kahn sprach seine Warnung auf dem Gipfeltreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus, der am Dienstag in Daressalam begann. "Afrikas Aufschwung wird enden, Millionen werden erneut verarmen", sagte der IWF-Chef. Schon die bislang befürchtete Halbierung des afrikanischen Wirtschaftswachstums auf 3 Prozent sei kaum zu halten, so Strauss-Kahn.

Vor allem Afrikas reichere Nationen spüren die Krise schon seit Monaten. Händeringend suchen Regierungen nach neuen Einnahmequellen - und haben eine der letzten begehrten Ressourcen entdeckt, die ihnen noch zum Verkauf bleibt: Land. Weil Erz- und Ölpreise gesunken sind, Investoren und Touristen ausbleiben und afrikanische Auswanderer immer weniger Geld aus dem Ausland nach Hause überweisen können, klingen die Angebote vor allem aus Asien und Arabien immer attraktiver. Schon in wenigen Wochen wird der saudische Konzern Hadco auf seinen Feldern im Sudan die erste Ernte einfahren. Gemüse, Weizen und Viehfutter von 10.000 Hektar Land sollen helfen, den seit Jahren steigenden Bedarf an Lebensmitteln in Saudi-Arabien zu decken. Für das Land an den fruchtbaren Bänken des Nils hat Hadco unbestätigten Informationen zufolge 95 Millionen US-Dollar Pacht an die Regierung in Khartum gezahlt - und mehr Geld soll folgen. Sudans Regierung hat den Golfstaaten angeblich bereits 900.000 Hektar bestes Farmland zugesagt, für 99 Jahre Pacht. Offiziell will das in Khartum freilich niemand bestätigen. Denn der Verkauf von Ackerland an ausländische Investoren ist bei den Bürgern, fast überall in Afrika überwiegend Kleinbauern, nicht sonderlich beliebt. Am höchsten hinaus will der koreanische Mischkonzern Daewoo, der auf Madagaskar Futtermais und Ölpalmen anbauen will. 1,3 Millionen Hektar hat die Regierung des bettelarmen Inselstaats dafür bereitgestellt. In Kenias Tana-Flussdelta sollen 40.000 Hektar Land an den Golfstaat Katar verpachtet werden - zum Anbau von Früchten und Gemüse. Ein Viertel Ersparnis gegenüber dem Weltmarktpreis erwarten die Regierungen, die mit den Verpachtungen praktisch ihr Hoheitsgebiet erweitern. Von "Neokolonialismus" sprechen denn auch Kritiker wie der britische Umweltschützer George Monbiot. "Früher haben die reichen Nationen Kanonenschiffe und Glasperlen eingesetzt, heute sind es Anwälte und Scheckbücher", so Monbiot. "Der Westen will sich mit aller Kraft vor der drohenden Nahrungsmittelkrise retten, auch wenn das heißt, das Menschen anderswo verhungern werden."

Doch diese Kritik teilen nicht alle. Der Nahrungsmittelexperte des UN-Umweltprogramms, Christian Nellemann, betont, es führe kein Weg daran vorbei, die vorhandenen Ackerflächen besser zu bewirtschaften. "Wir müssen auch verhindern, dass mehr als die Hälfte aller geernteten Güter bei Transport und Lagerung verloren gehen", so Nellemann. "Aber wir müssen auch die Ernteerträge erhöhen, wenn wir angesichts des Bevölkerungswachstums die drohende Hungerkrise aufhalten wollen."

Mary Fosi, Staatssekretärin in Kameruns Umweltministerium, bettelt förmlich um Investoren: "Hauptsache, jemand entwickelt unsere Landwirtschaft." Natürlich wäre es schöner, wenn Kamerun Unterstützung beim Aufbau seiner eigenen Landwirtschaft bekäme, sagt Fosi. "Aber wir können es uns eben nicht aussuchen."

(Copyright die tageszeitung, 11.3.09)

Samstag, 7. März 2009

Todesschüsse im Berufsverkehr


Kenias Regierungssprecher Alfred Mutua ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. So dachte sich kaum jemand etwas, als er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz über den renommierten Menschenrechtler Oscar Kamau Kingara und seine Organisation herzog. "Die Oscar-Stiftung ist eine Fassade, über die die Mungiki-Sekte sich Geld und Unterstützung vom Ausland beschafft", schäumte Mutua, während Anhänger der Mungiki-Miliz in den Straßen der Hauptstadt Nairobi und anderswo in Kenia gegen die Polizei und ihre systematischen Erschießungen demonstrierten, die Kingara aufgedeckt hatte. Einige Stunden nach Mutuas Pressekonferenz wurden Kingara und sein Kollege John Paul Oulu in ihrem Wagen erschossen, als sie am helllichten Tag mitten in Nairobi im Stau standen.

"Unter den gegebenen Umständen muss man Kenias Polizei für die Morde verdächtigen", ließ der entsetzte UN-Sonderberichterstatter Philip Alston wenige Stunden später in einer Erklärung mitteilen. Der australische UN-Mann fordert eine unabhängige Aufklärung mit Hilfe südafrikanischer oder britischer Spezialisten. Erst eine Woche vorher hatte Alston einen Bericht darüber vorgelegt, wie Todesschwadronen in Kenia im Jahr 2007 hunderte Mungiki-Mitglieder ermordet hatten. Zu seinen Gewährsleuten gehörten auch die beiden Menschenrechtler, die jetzt tot sind.

Schon am Tag, als Alston seinen Bericht vorstellte, war es ihm bange gewesen. "Man hat uns überwachen lassen und Zeugen bedroht, in einem Fall wurde den Bewohnern eines ganzen Vertriebenenlagers der Entzug von Essen für den Fall angedroht, dass man mit uns redet." Alston sprach damals zudem von einem Brief von Präsident Mwai Kibaki, der ihn sehr beunruhigt habe. "Ich kann mir nicht sicher sein, dass unsere Zeugen unbehelligt bleiben werden."

Polizeisprecher Eric Kiraithe wies am gestrigen Freitag den Vorwurf zurück, Kenias Polizei habe mit dem Mord zu tun. "Das waren Kriminelle, die Studentenunruhen anfachen wollten." Nach Kingaras Tod hatten sich Studenten und Sicherheitskräfte Straßenschlachten bis in die Nacht hinein geliefert. Ein Student wurde von der Polizei erschossen. Gestern war die Lage weiter angespannt.

Was Kingara und Alston in ihren Berichten aufgedeckt hatten, ist ein mafiöses System in Kenias Polizei. Mit Kopfschüssen wurden 2007 binnen weniger Monate mehr als 500 junge Männer erschossen. Dahinter steckte eine Todesschwadron namens "Kwe Kwe", die in Absprache mit der Polizeiführung jeden ermordet, der womöglich ein Mitglied der Mungiki sein könnte. Die Mungiki, eine illegale Jugendmiliz des Kikuyu-Volkes in Kenia, zu dem auch Präsident Kibaki gehört, sind unangenehm: die mafiöse Gang, die Schutzgelder erpresst und für Geld Terror walten lässt, schlägt säumigen Schuldnern gerne mal die Köpfe ab. Und doch, so betonte der Menschenrechtler Kingara stets, haben auch sie ein Recht auf einen fairen Prozess.

(Copyright die tageszeitung, 7.3.09)

Mittwoch, 25. Februar 2009

NEU ERSCHIENEN: Der Hüter der zerfallenden Bücher


Frisch erschienen (25. Februar) ist meine Sammlung von Reportagen aus allen Ecken Afrikas - der Verlag schreibt:

Auch nach fünf Jahren in Afrika sind es einfache Menschen und ihre Schicksale, die den Korrespondenten Marc Engelhardt am meisten faszinieren. Ihre Geschichten beschreiben am besten, welche Folgen »große« Ereignisse oder schwelende Konflikte tatsächlich haben. Da ist der Bibliothekar Saif Islam, der in der mauretanischen Wüste jahrhundertealten Büchern beim Verfall zusehen muss, obwohl er sie so sehr liebt, dass er die darin enthaltenen Verse vorsingen kann. Der ugandische Jugendliche Deogratius Okema, der den Kindermörder verehrt, der ihn selbst verschleppte und zwang, seine eigene Familie zu ermorden. Oder der Berliner Architekt Martin Grütters, der in einer der unwirtlichsten Gegenden Afrikas im Alleingang versucht, Entwicklungshilfe zu leisten – und dabei an der eigenen Hilfsbereitschaft zu scheitern droht.

Die Unfassbarkeit Afrikas lässt sich nur durch ihre Akteure, die kleinen Helden, tragischen Verlierer und skurrilen Persönlichkeiten begreifen. Ihre Geschichten hat Marc Engelhardt aufgeschrieben und schafft so ein ganz persönliches Bild von Afrika: von einem Kontinent, wo nicht nur Not und Leid, sondern auch Wagemut und Ideenreichtum herrschen; einem Kontinent, auf dem nicht nur gestorben, sondern vor allem gelebt wird.

ISBN 978-3-85452-955-2
Picus Verlag, 132 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 14,90 Euro
(Ein Klick auf die Überschrift führt zum Buch auf amazon.de)

Freitag, 20. Februar 2009

Quecksilber verboten


Das Gipfeltreffen der Umweltminister geht zwar erst heute zu Ende, doch ein Ergebnis gilt bereits als sicher: Sieben Jahre nach der Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot von Quecksilber habe man sich auf den Ausstieg geeinigt, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) der taz in Nairobi. "Es wird einen echten Verhandlungsauftrag geben, um in zwei Jahren zu einem Ergebnis zu kommen, wie wir Quecksilber weltweit aus dem Verkehr ziehen", sagte Gabriel, der gemeinsam mit seinen EU-Kollegen seit Jahren für das Verbot kämpft. Die USA hatten eine Einigung stets verhindert. Erst eine Kehrtwende in Washington machte den Deal möglich: "Man merkt, wie schnell die Atmosphäre sich verändert hat."

Eine vom Gipfel eingesetzte Arbeitsgruppe hat jetzt den Auftrag, aus dem Ausstiegsbeschluss innerhalb von zwei Jahren ein rechtlich verbindliches Abkommen zu machen. Über dessen Details wurde am Donnerstag bereits heftig diskutiert. "Alle sind sich einig darin, dass es eine rechtlich bindende Verordnung geben soll", sagt der Sprecher des UN-Umweltprogramms (Unep), Nick Nuttall. "Aber es gibt Länder, die die Verordnung perspektivisch um andere Schwermetalle erweitern wollen, andere wollen es beim Quecksilber belassen."

Quecksilber gilt als eine der giftigsten Substanzen. Jedes Jahr werden 6.000 Tonnen des Schwermetalls freigesetzt, ein Drittel von Kohlekraftwerken. "Die Menge nimmt zu, weil vor allem in Asien immer mehr Kohle verbrannt wird", warnt Nuttall. Das aus der Kohleverbrennung stammende Quecksilber gelangt in die Atmosphäre und von dort in die menschliche Nahrungskette. Am gefährlichsten ist der Verzehr von kontaminiertem Fisch. In Schweden gelten Hechte und einige andere Fischarten aus mehr als 50.000 Seen als so sehr kontaminiert, dass die Behörden Frauen im geburtsfähigen Alter davon abraten, sie zu essen. "Der Rest der Bevölkerung darf sie maximal einmal pro Woche zu sich nehmen", so Unep-Chef Achim Steiner. Kein Wunder, dass jeder heute lebende Mensch Quecksilber in sich trägt. "Und die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass selbst kleine Mengen schon gesundheitsgefährdend sind." Folgen von Quecksilbervergiftung sind Gehirn-, Leber-, Lungen- und Nervenschäden.

In vielen Entwicklungsländern setzen sich Menschen bis heute freiwillig dem Schwermetall aus. Goldschürfer in Brasilien, Simbabwe, Indien und Papua-Neuguinea waschen das Edelmetall mithilfe von Quecksilber aus und vergiften damit nicht nur sich selbst, sondern ganze Landstriche. Nuttall schätzt die Zahl der betroffenen Goldschürfer samt Familien auf zehn Millionen.

Wenn das Quecksilberverbot in Kraft tritt, müssen sich nicht nur Goldschürfer nach Alternativen umsehen. Viele industrielle Prozesse sind auf Quecksilber angewiesen. Während es kaum noch Quecksilberthermometer gibt, enthalten die meisten LCD-Displays von Elektrothermometern das Schwermetall. Auch Energiesparbirnen enthalten Quecksilber. "Es handelt sich um etwa ein Milligramm, das ist eine winzige Menge, die auf die Spitze eines Kugelschreibers passt", verteidigt sich Philips-Manager Nick Kelso, der an einer Technikmesse auf dem UN-Gelände teilnimmt. "Wer herkömmliche Birnen kauft, verbraucht mehr Energie und produziert dadurch weit mehr Quecksilber, als in einer Energiesparbirne steckt." Doch einen Stand weiter präsentiert die chinesische Firma Megaman bereits quecksilberfreie Energiesparlampen. "Wir haben das Quecksilber durch Amalgam ersetzt", erklärt David Fan. "Die Birnen sind genauso hell."

(Copyright die tageszeitung, 20.2.09)

Dienstag, 10. Februar 2009

DJ gegen Joghurtverkäufer


Seiner jüngsten Provokation hatte Andry Rajoelina, 34, einen besonders jugendlichen Anstrich gegeben. Statt zu einer politischen Kundgebung lud der ehemalige DJ und gefeuerte Bürgermeister von Madagaskars Hauptstadt Antananarivo zu einem Konzert mit beliebten Musikern. Mehr als 20 000 vor allem junge Anhänger des charismatischen Redners waren dabei, als Rajoelina auf dem größten Platz der Stadt seine neue "Übergangsregierung" für Madagaskar vorstellte.

Zum neuen Präsidenten hatte Rajoelina sich schon eine Woche zuvor gekürt. "Kraft meines Amtes ernenne ich Monja Roidenfo zum ersten Premierminister der Vierten Republik", rief Rajoelina, immer wieder unterbrochen vom Jubel der Menge, die er kurz darauf zum Marsch auf den Palast des Präsidenten Marc Ravalomanana aufforderte. Doch was als Machtbeweis begann, endete als Blutbad.

"Wir haben friedlich demonstriert", berichtet Jocelyn Ratolojanahary, die gestern mit einer bandagierten Hand im größten Krankenhaus der Hauptstadt sitzt. "Dann, ohne Vorwarnung, haben die Sicherheitskräfte das Feuer auf uns eröffnet." Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Polizei und Militär wahllos in die Menge schießen. Als die Masse in Panik flieht, werden Demonstranten zu Tode getrampelt. Mindestens 28 Oppositionsanhänger kamen nach Polizeiangaben ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.

"Die Menschen waren nur mit ihrem Mut bewaffnet", lässt Rajoelina Journalisten wissen, die seine Krankenhausvisite filmen. Ein seit Wochen stehendes Verhandlungsangebot der Regierung schlägt Rajoelina aus: "Das Blut wurde nicht umsonst vergossen, wir machen weiter bis zum endgültigen Sieg", sagt er am Sonntag. Gestern Abend stimmen die beiden Kontrahenten dann aber einer UN-Vermittlung zu. Rajoelina nennt als Voraussetzung die Einsetzung einer Interims-Regierung bis zu Neuwahlen sowie die Bestrafung der Verantwortlichen für das Blutbad vom vergangenen Sonnabend.

Die Demonstranten, die am Samstag vor dem Präsidentenpalast niedergemäht wurden, sind die jüngsten Opfer eines erbarmungslosen Machtkampfes zwischen Rajoelina und Präsident Ravalomanana.In den vergangenen Wochen sollen in der Inselrepublik vor der afrikanischen Küste mehr als 125 Menschen ihr Leben verloren haben. Es ist die schlimmste Krise seit Ravalomanana vor sieben Jahren zum Präsidenten gewählt wurde.

Damals weigerte sich der seit mehr als 25 Jahren regierende Marxist und Marineoffizier Didier Ratsiraka, den Wahlsieg Ravalomananas anzuerkennen. Ratsiraka ließ die Straßen und Brücken rund um die Hauptstadt Antananarivo verminen und hungerte die Bevölkerung aus. Erst als sich nach fünf Monaten ohne Grundnahrungsmittel und Benzin die Armee auf Ravalomananas Seite schlug, floh Ratsiraka ins Exil nach Frankreich. Die ehemalige Kolonialmacht hatte ihn bis zuletzt gestützt.

Schnell machte Ravalomanana sich einen Namen als einer, der das heruntergewirtschaftete Land auf die Beine stellen könnte. Die meisten Leute auf der Insel sind Subsistenzfarmer; nur wenige bauen Vanille und Kaffee an, die beiden wichtigsten Exportagrargüter. Bis heute leben trotz neuer Rohstofffunde mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums von einem Dollar am Tag.

Doch Ravalomanana verbreitete Aufbruchsstimmung, auch weil er Armut kennt: Aufgewachsen in einer Vorstadt von Antananarivo, verkaufte der heute 59-Jährige Joghurt vom Gepäckträger seines Fahrrads herab. Heute ist Ravalomanana der größte Unternehmer des Landes. In Interviews lobt er gerne Deutschland im allgemeinen und deutsche Molkereien ganz besonders. Sein Mischkonzern Tiko durchdringt alle madagassischen Wirtschaftszweige: außer Molkereien gehören Ravalomanana Supermärkte, Zeitungen sowie ein Radio- und Fernsehsender. Das Präsidentenamt nutzt er geschickt, um seine Marktposition auszubauen und seinen Reichtum zu vergrößern. So wurde aus ihm binnen kurzer Zeit eine Art afrikanischer Berlusconi.

Ravalomanana wurde zwar Ende 2006 mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Doch vor allem in der Hauptstadt wächst der Unmut seitdem ständig. "Wir sind ein armes Land, es sollte vorwärts gehen für uns", klagt ein Taxifahrer. "Aber es geht immer nur abwärts." Wie die meisten in Antananarivo, will auch der Mann mit grauem Haar anonym bleiben. Nicht erst seit Samstag gilt Ravalomanana als autoritärer Herrscher. "Die einzigen, die Geld machen, sind doch der Präsident und seine Bagage", sagt eine Marktverkäuferin. Als vor einigen Monaten Gerüchte die Runde machten, dass die Regierung eine Fläche von 1,3 Millionen Hektar an den koreanischen Mischkonzern Daewoo verpachten wollte, war für sie wie für viele andere die Grenze erreicht. Auf der Fläche, halb so groß wie Belgien, will Daewoo Schweinefutter und Ölpalmen für Biodiesel anbauen. "Kurz danach hat sich der Präsident eine neue Privatmaschine gekauft, die haben die doch finanziert", glaubt die Händlerin. Die Kosten für die nach Ravalomananas Wünschen umgebaute Boeing 737: fast 50 Millionen Euro.

Kein Wunder, dass Vertreter der internationalen Helfergemeinde auf den Präsidenten schlecht zu sprechen sind. "Madagaskar wird auf lange Sicht eines der wenigen afrikanischen Länder sein, wo die Armut zu- statt abnimmt", glaubt der inzwischen abgelöste Repräsentant des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Belgier Pierre van den Boogaerde. Zahlreiche Geber, unter ihnen die EU, hatten ihre Hilfen schon vor den jüngsten Unruhen suspendiert. Der Unmut gegen Ravalomanana ist es, den Rajoelina für seinen Aufstieg nutzen will. Seinen Bürgermeisterwahlkampf bestritt der Mann mit schrillen T-Shirts und Rapmusik. Wegen seiner Rasanz nennt man ihn nach dem französischen Schnellzug: TGV. Er verspricht Wandel und ist Ravalomanana ähnlicher, als er selber zugeben will. Außer zwei Werbeagenturen besitzt Rajoelina auch eine Radio- und Fernsehstation; seit Wochen rührt Viva für den Boss die Werbetrommel. Als "TGV" vor etwas mehr als einem Jahr Bürgermeister wurde, ließ er kurzerhand alle Werbetafeln einer konkurrierenden Werbeagentur abnehmen. Heute gehört sie seiner Firma Injet.

Dazu kommt eine Aura von Unsicherheit: Nachdem Rajoelina am 26. Januar den Präsidentenkonvoi mit Steinen bewerfen ließ, musste Ravalomanana die Hauptstadt fluchtartig verlassen. Er hat inzwischen aufrüsten lassen - das Blutbad vom Samstag hat ein von ihm frisch ernannter Sicherheitschef zu verantworten. Die Verteidigungsministerin trat gestern zurück, mit der Begründung, sie könne nicht akzeptieren, dass das Blut ihrer Landsleute vergossen worden sei. Offenbar bröckelt der Rückhalt des Präsidenten in der Armee.

Nach der Flucht des Präsidenten hatten Rajoelinas Anhänger mehr als 24 Stunden auf ein Wort ihres Anführers warten müssen. Schließlich meldete sich Rajoelina per Radio und rief zur Ruhe auf. Viele Beobachter glauben, dass der Mann, der sich nach Madagaskars Gesetzen erst in sechs Jahren als Präsident zur Wahl stellen darf, damals die Chance vertat, in den zwei Tage lang ungeschützten Präsidentenpalast einzuziehen. Umso erstaunlicher ist die Vehemenz, mit der Rajoelina sich jetzt als starker Mann verkauft. "Auf dem Land kennen ihn viele überhaupt nicht", gibt selbst einer seiner Berater zu bedenken.

Auch Rajoelina, den viele für seinen frischen Esprit unterstützt hatten, gehen Anhänger verloren. "Es gibt seit Tagen kaum noch Salz, Öl und Zucker auf den Märkten", berichtet Nadine Ralaivao, eine Großhändlerin. "Benzin wird knapp." Steigende Preise und die Toten auf den Straßen haben viele Rajoelina-Fans umgestimmt. "Wir wollten jemand, der näher am Volk ist", sagt ein Jugendlicher, "einen Bürgerkrieg wollten wir nicht."

Mittwoch, 4. Februar 2009

Das Elend der Bleichen


Wenn die Sonne rot glühend im indischen Ozean vor Daressalaam versinkt, schlägt Ernest Kimayo einen schnelleren Schritt ein, um rechtzeitig vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Früher hat der vierfache Vater die Nacht geliebt, wenn die gleißenden Sonnenstrahlen verschwunden sind und Kimayo sich ohne Kopfbedeckung durch die Straßen von Tansanias Hauptstadt bewegen konnte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit einem Jahr fürchtet sich der Albino vor seinen potenziellen Mördern, die ihn in Stücke hacken und seine Körperteile an Zauberheiler verkaufen wollen. Überall im Land sind solche Morde passiert, auf mehr als 40 schätzt die Polizei die Zahl der Opfer. Kimayo fürchtet, er könnte der nächste sein.

"Ich habe Angst, in eine Bar zu gehen oder an den Strand", sagt Kimayo, der in einem engen, stickigen Büro sitzt, das dem Ocean Road Hospital, einem der größten Krankenhäuser der Stadt, angeschlossen ist. "Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob derjenige mich an die Mörder verkaufen will."

An die schiefen Blicke, die schwarze Tansaniern den bleichen Albinos zuwerfen, hatte Kimayo sich gewöhnt. Auch dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht. "Als ich ein Kind war, wollten die anderen mich immer betatschen: wenn wir die Haut anfassen, fließt das Blut sofort raus, haben sie gesagt", erinnert sich Kimayo. "Unverständnis und Diskriminierung gab es immer, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt."

Besonders schlimm ist es auf dem Land, im Westen Tansanias, wo der Geisterglaube bis heute weit verbreitet ist. Die kleine Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als eine Bande sie in der Hütte der Eltern in ihrem Heimatdorf Shilela aufspürte. Das fröhliche Mädchen mit seinem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde mit Macheten in Stücke geschnitten. Finger, Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, sagt Kimayo. Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Geisterheiler, die ihren Kunden Reichtum versprechen. "Unternehmer haben Albinoschädel auf ihre Goldmine gelegt, damit das Gold auf magische Weise an die Oberfläche wandert", weiß Kimayo. "Fischer benutzen Albinofleisch als Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch haben." Andere sagen, Krankheiten könnten mit Hilfe von Albino-Körperteilen geheilt werden. Auf der Straße hört Kimayo ständig Getuschel. "Da geht unser Glück vorbei, sagen die einen. Lass es uns tun, wir brauchen das Geld, sagen andere."

Kimayo kennt fast alle Geschichten. Er ist Vorsitzender des tansanischen Albinoverbandes, der in dem stickigen Büro seinen Hauptsitz hat. Dass die Zentrale auf dem Krankenhausgelände liegt, nicht weit von der Krebsstation entfernt, hat seine Gründe. "Es ist ein Fluch, in Afrika ohne schützende Hautpigmente geboren zu werden", seufzt Kimayo, der selbst in geschlossenen Räumen eine Sonnenbrille trägt. Die Sonne scheint so stark, dass viele Albinos schon im Teenageralter Hautkrebs entwickeln. Viele sterben vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Eine medizinische Behandlung können sich die meisten der auf 200 000 geschätzten tansanischen Albinos schlicht nicht leisten. "Viele von uns brechen die Schule ab, weil unsere Augen sehr schwach sind und es in den Schulen keine Unterstützung gibt", sagt Kimayo.

Andere Tansanier schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch; das können Albinos nicht. "Erntehelfer, Straßenverkäufer, Autowäscher arbeiten alle unter der brennenden Sonne, gegen die wir keinerlei natürlichen Schutz haben." Deshalb leiden die meisten Albinos Armut. Bisher war das wichtigste Projekt von Kimayos Organisation, genug Geld für Sonnencreme und breitkrempige Hüte zusammenzubekommen. Sonntags traf man sich, um gemeinsam zu essen und sich um die besonders Bedürftigen zu kümmern. Doch die knapp 12 000 Euro, die ihm im vergangenen Jahr Spender, vor allem in Tansania lebende Ausländer, zur Verfügung stellten, reichten schon dafür vorne und hinten nicht. Gegen die neue Gefahr haben die Albinos erst recht kaum Mittel.

Kimayo, 41, zeigt achselzuckend auf ein Telefon, das auf dem staubigen Holztisch steht. "Die Polizei hat uns das geschenkt, damit wir sie im Notfall alarmieren können." Doch einem Verfolgten auf dem Land nutzt das wenig. Dabei hat Tansanias Präsident Jakaya Kikwete die grausamen Morde zur Chefsache gemacht. "Diese Morde sind eine Schande für unsere Gesellschaft", erklärte er in einer eigens angesetzten Fernsehansprache. "Man wird nur durch harte Arbeit reich und nicht, indem man Mitbürger ermordet und zerstückelt." Kikwete hat die Registrierung von Albinos angeordnet, um sie besser schützen zu können. Eine Albinoaktivistin ernannte er zur Abgeordneten, als Signal, dass Albinos vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Zauberheilern im ganzen Land entzog man die Lizenzen, jetzt müssen sie sich prüfen lassen. Kimayo wurde dieser Tage für sein Engagement mit einem Staatspreis ausgezeichnet. Doch der Horror geht weiter: Gerade erst wurde in der Nähe des Viktoriasees wieder ein Albino ermordet.

"Die Menschen glauben ihren Heilern, sie stellen keine Fragen", glaubt Kimayo. "Viele denken, die sind so bleich, die sind eh keine Menschen, sondern Geister, das macht die Grausamkeit umso leichter." Dazu kommt die Gier. Anfangs gruben die Zulieferer der Zaubermeister Leichen von Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Heute, wo ein vollständiger Albinokörper für angeblich 350 000 Euro verkauft wird, haben sich überall im Land Kopfjäger der Hatz angeschlossen. "Einer Frau schlugen sie beide Beine über den Knien ab und ließen sie einfach verbluten lassen, weil ein Heiler Beine brauchte", berichtet Kimayo mit stockender Stimme.

Längst müssen auch Albinos in den Nachbarländern um ihr Leben fürchten. In Burundi hat der oberste Staatsanwalt einer Grenzregion zu Tansania alle Albinos der Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den langen Marsch in die Provinzhauptstadt Ruyigi legen die meisten nur im Schutz der Dunkelheit, fernab der Hauptstraßen zurück. Auch in Kenia hat es die ersten Morde gegeben.

Dass die Armen auf dem Land ihre Hoffnung auf skrupellose Geisterheiler setzen, hat viele Gründe. Die meisten der vierzig Millionen Tansanier leben unterhalb der Armutsgrenze, wie Generationen vor ihnen. Allerdings ist das Fernsehen in ihr Leben getreten, "Da laufen immer mehr nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier unbegrenzte Macht haben, das stärkt natürlich die traditionell ohnehin schon mächtigen Heiler im Dorf," sagt Kimayo.

In der Stadt ist es kaum anders: In Daressalaam leben drei Millionen Menschen, Slums umringen die Innenstadt mit ihrer Kolonialarchitektur. In den wuchernden Armenvierteln regeln die Menschen ihr Zusammenleben vielfach bis heute wie in einer dörflichen Gemeinschaft. Um weitere Morde zu verhindern, glaubt Kimayo, muss man auf diese Menschen zugehen. "Wir versuchen, in Schulen und anderswo aufzuklären und Diskussionen zu veranstalten, aber das ist nicht leicht."

Kimayo verriegelt am Abend die Tür seines Hauses besonders früh, um sich in Sicherheit zu bringen. Zumindest um seine Kinder, sagt Kimayo, muss er sich nicht sorgen. Er ist mit einer schwarzen Tansanierin verheiratet. "Alle meine vier Söhne sind schwarz." Welch eine Erleichterung für den Vater.

(Copyright Berliner Zeitung, 4.2.09)

Dienstag, 3. Februar 2009

Afrikas König der Könige


Schon vor seiner Ankunft beim Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Addis Abeba sorgte Muammar al-Gaddafi für einen Eklat. Er komme nicht nur als libyscher Revolutionsführer, ließ er den verblüfften Staats- und Regierungschefs per Rundschreiben mitteilen, sondern als "König der afrikanischen Könige" - und erwarte, als solcher empfangen zu werden. Als Gaddafi äthiopischen Boden betrat, ließ er sich entsprechend von sieben traditionellen afrikanischen Königen begleiten.

Es sind Auftritte wie dieser, mit denen Gaddafi seinen Ruf als Exzentriker geprägt hat. Der im Regelfall ungekämmte politische Einzelgänger, nur echt mit Sonnenbrille und Dreitagebart, schlägt bei Staatsbesuchen Präsidentensuiten aus und stattdessen im Hotelgarten Beduinenzelte auf. Selbst jahrelangen Vertrauten gilt er als vollkommen unberechenbar, er berät sich mit niemandem. Als kürzlich in Guinea die Armee putschte, flog Gaddafi im Privatjet in die Hauptstadt Conakry und musste wieder abziehen, als klar wurde, dass niemand mit ihm sprechen wollte.

Dabei steht außer Frage, dass der 1942 nahe der libyschen Stadt Sirte geborene Gaddafi ein politisches Ausnahmetalent ist. Im September wird er den 40. Jahrestag seiner Revolution feiern lassen, des unblutigen Putsches, mit dem der damals 27-jährige Colonel Libyens König Idris absetzen ließ. In seinem "Grünen Buch", Gaddafis Pendant zur Mao-Bibel, verkündete er Libyens Alternative zu Sozialismus und Kapitalismus, der die Gründung von Volkskomitees und seines "Massenstaats" folgte.

Unternehmen wurden erst verstaatlicht, seit einigen Jahren wird wieder privatisiert. Denn dogmatisch ist Gaddafi nur bei einem: seiner unangefochtenen Führerschaft. Opposition und freie Presse werden brutal unterdrückt, bis vor einigen Jahren durften Ausländer das Land nur im Ausnahmefall betreten. Das lag auch daran, dass Gaddafi Terroristen aus aller Welt Unterschlupf gewährte, den Bau von Massenvernichtungswaffen ankündigte und den Anschlag auf ein PanAm- Flugzeug über Lockerbie anordnete. Erst seit er 2003 allem Terror abschwor, ist Gaddafi im Westen wieder gesellschaftsfähig.

In Afrika zieht Gaddafi an vielen Strippen: Er finanziert Rebellen im Tschad, im Sudan und vielen weiteren Ländern und macht zeitgleich Regierungen mit großzügigen Überweisungen willfährig. Außenstehende mag es da überraschen, dass Gaddafi sich ausgerechnet der afrikanischen Einheit verschrieben hat. Die Gründung der AU war vor allem seine Idee, Gaddafis immer wieder verkündetes Ziel sind die Vereinigten Staaten von Afrika. An deren Spitze: er selbst, Gaddafi der Erste, König der afrikanischen Könige.

(Copyright die tageszeitung, 3.2.09)

Donnerstag, 29. Januar 2009

Vertrieben aus dem Paradies


An seine Kindheit im Paradies hat Olivier Bancoult eine besonders intensive Erinnerung. "Ich höre immer noch den Klang der Kolraba, unserer traditionellen Trommel, die mein Vater mir geschenkt hat, als ich klein war." Das Instrument liegt bis heute in der Hütte der Bancoults auf Peros Banhos, einer der 65 Chagos-Inseln, die zwischen den Malediven und Mauritius mitten im Indischen Ozean liegen. "Meine Eltern sind damals, 1968, überstürzt aufgebrochen, weil meine Schwester dringend zur Behandlung ins Krankenhaus auf Mauritius musste", erzählt Bancoult heute in Port Louis, der mauritischen Hauptstadt. Olivier war da gerade vier Jahre alt. "Sie haben alles zurückgelassen, sie dachten ja, wir kommen wieder." Doch weder Olivier noch seine Eltern und Geschwister haben ihre Heimat seitdem wiedergesehen.

Wer auf den Chagos-Inseln gelebt hat, der erinnert sich an unbeschwerte Tage. Wellen schlugen in die sanft geschwungene Bucht aus strahlend weißem Sand, in der Ferne blitzten Korallenriffe. Fische gab es im Überfluss, und an Land spendeten Kokospalmen Schatten und Früchte, die die Bewohner nur vom Boden auflesen mussten. Doch dieses Paradies ist verloren gegangen. Seine Bewohner wurden von den Chagos-Inseln vertrieben. Verantwortlich dafür ist ein anderes Inselreich im Nordwesten Europas - das Vereinigte Königreich.

Olivier Bancoults Schicksal, das einige tausend andere Chagossianer ganz ähnlich erlitten haben, ist die Geschichte einer zunächst geleugneten und dann verdrängten Vertreibung eines ganzen Volkes. Sie beginnt zu britischen Kolonialzeiten Anfang der Sechzigerjahre, als die Chagos-Inseln noch zu Mauritius gehörten. Wer damals auf einer der gut sechzig Inseln lebte und zum Arzt gehen musste oder Werkzeuge kaufen wollte, der fuhr mit dem Schiff nach Mauritius, denn auf dem entlegenen Archipel gab es solche Angebote nicht. Die Chagossianer blieben für ein paar Wochen auf Mauritius, dann fuhren sie wieder zurück nach Hause.

Doch im Frühjahr 1968, Mauritius war gerade unabhängig geworden, war auf einmal alles anders. "Als meine Eltern nach der Behandlung meiner Schwester die Schiffsreise zurück buchen wollten, teilte ihnen der Zahlmeister mit, das sei unmöglich", erzählt Bancoult. "Eure Inseln sind verkauft worden, erwiderte er, "an die USA, die bauen da eine Militärbasis."

Dieses Militärareal auf Diego Garcia, der größten Chagos-Insel mit einem weltweit einmaligen Naturhafen, ist heute einer der größten US-Militärstützpunkte der Welt. Von der strategisch günstig gelegenen Insel werden Luftangriffe auf Afghanistan, den Irak und Pakistan geflogen. Lindsey Collen, eine auf Mauritius lebende Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, hat die Vorgeschichte der Militärbasis ausgiebig untersucht. Dokumente, die jahrzehntelang in Archiven verstaubten, sowie persönliche Gespräche belegten, wie die Vereinigten Staaten und die Briten Anfang der Sechzigerjahre einen Plan schmiedeten, der aus einem Agentenroman stammen könnte, erzählt Collen. "Die USA wollten unbedingt eine unbewohnte Insel im Indischen Ozean haben, um von dort aus den Mittleren Osten und die Ölrouten kontrollieren zu können."

Die Amerikaner bereiteten ihre Pläne mitten im Kalten Krieg vor. Vorauskommandos der US-Armee schauten sich mehrere britische Kolonialinseln an und entschieden, Diego Garcia sei am besten geeignet. "Da haben die Briten gesagt: Kein Problem, wir gründen einfach eine neue Kolonie, die wir Mauritius nicht mit in die Unabhängigkeit geben", sagt die Schriftstellerin. Der mauritischen Regierung im Wartestand setzten die Briten ein Ultimatum: Entweder kommt schnell die Unabhängigkeit ohne die Chagos-Inseln - oder es gibt gar keine Unabhängigkeit. "Das war nicht einfach nur illegal, sondern verstieß eindeutig gegen die UN-Charta", ärgert sich Lindsey Collen heute noch. Letztendlich setzten sich die Briten durch.

1965 wehte über den Chagos-Inseln erstmals die Flagge der "Britischen Territorien im Indischen Ozean". Das tut sie noch heute. Die Insel Diego Garcia wurde kurz danach wie vereinbart an die USA verpachtet, für zunächst fünfzig Jahre. In einem Brief an die Regierung des Vereinigten Königreichs in London forderte die US-Armeeführung, die Insel sei zu "räumen und danach zu säubern". Kurzerhand kappten die Briten alle Versorgungsfahrten zu den Chagos-Inseln. Wie Olivier Bancoults Familie strandeten viele ungewollt auf Mauritius, andere flohen. "Den Sturköpfen, die zum Schluss noch da waren, setzten sie ein Fanal", berichtet Collen. "Hunde, die auf Diego Garcia praktisch zur Familie gehörten, wurden zusammengetrieben und vor den Augen der Bevölkerung vergast." Von nun an ging die Angst bei den verbliebenen Chagossianern um: Wenn wir bleiben, könnte das Gleiche mit uns passieren. Unterdessen versicherten britische Diplomaten am Sitz der Vereinten Nationen in New York, die Inseln seien unbewohnt. Eine Lüge, die London noch jahrzehntelang aufrechterhielt.

Tatsächlich erlebten die Menschen aus Chagos eine Vertreibung: Schiffe nahmen sie an Bord, und dort hausten die Bewohner des paradiesischen Eilands wochenlang im Frachtraum, wo sie auf einer Ladung von Vogelexkrementen, einem Düngemittel, schlafen mussten. Viele starben auf der Reise, vor allem Kinder. Auf Mauritius ging es den Überlebenden kaum besser, erinnert sich Olivier Bancoult: "Ich bin wie die meisten in absoluter Armut aufgewachsen, es ist ein Wunder, dass ich eine Schulausbildung bekommen habe." Die meisten dieser Menschen lebten und leben bis heute in den ärmsten Vierteln von Port Louis. Die wenigen Häuser, die die mauritische Regierung den orientierungslosen Insulanern anbot, waren bei Unruhen kurz zuvor weitgehend zerstört worden und dienten als Ziegenställe. Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Toiletten. Was den Neuankömmlingen blieb, waren winzige Wohneinheiten in den Häusern. Die 14-köpfige Familie Bancoult hatte nur ein Schlafzimmer. Nach einem ausgeklügelten Schichtplan organisierten sie die Schlafenszeiten, weil nicht für alle gleichzeitig Platz vorhanden war.

"Wir kamen von einer Insel, wo wir alle in Frieden lebten und niemand Not litt", erinnert sich Bancoult an seine Kindheit. "Auf Mauritius gab es dann kein Geld, keine Häuser und keine Jobs für uns, keine Chance, ein besseres Leben zu führen. Stattdessen gab es auf einmal Drogen, Alkohol, Prostitution."

In den ersten Jahren nach ihrer Ankunft und dem Schock starben die meisten Chagossianer. Bancoults Vater erlitt noch am selben Tag im Hafen einen Schlaganfall, an dem ihm der Zahlmeister offenbart hatte, er könne nicht nach Hause zurückkehren. Zwei Jahre lang dämmerte er mit gelähmtem Oberkörper vor sich hin, bevor er starb. Zwei von Olivier Bancoults Brüdern soffen sich zu Tode, ein dritter starb an Herzversagen. Bancoults Schwester beging Selbstmord, wie auch andere Vertriebene. "Sie alle sind an der Trauer gestorben, ihre Heimat verloren zu haben."

Als einer der wenigen Chagossianer, der lesen und schreiben kann, hat Bancoult die Rückkehr auf die Chagos-Inseln zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Das hat er seiner kämpferischen Mutter Rita versprochen, die Anfang der Siebzigerjahre die ersten Proteste vor der britischen Botschaft in Port Louis organisierte. "Da ging es um unsere Anerkennung", berichtet Bancoult, heute noch empört. "Die Briten behaupteten ja, es gäbe uns nicht, wir wären Gastarbeiter, obwohl meine Familie schon in vierter Generation auf Peros Banhos lebte." Als die Bilder der gewaltsam niedergeschlagenen Proteste London erreichten, änderte die britische Regierung allmählich ihre Politik. Als Bewohner einer Inselgruppe, die direkt der britischen Krone untersteht, bekamen die Chagossianer schließlich britische Pässe. Und damit auch Zugang zur britischen Gerichtsbarkeit.

Im Jahr 2000 errang Bancoult seinen ersten Sieg vor Großbritanniens High Court, dem Obersten Gerichtshof. In drastischen Worten bestätigten die Richter die Kläger darin, dass die Ausweisung der Inselbevölkerung illegal gewesen sei. Doch die Labour-Regierung unter Tony Blair nutzte das uralte Recht des königlichen Edikts, um die Rückkehr dennoch zu verbieten. Das Parlament wurde auf diese Weise ausgeschaltet - eine Methode, die ein Berufungsgericht 2007 als "Machtmissbrauch" verurteilte. Es forderte erneut die Rückkehr der Chagossianer. Doch das britische Oberhaus, die letzte Instanz, widersprach, angeblich aus Kostengründen.

Trotz dieser Rückschläge gibt Bancoult nicht auf. "Wir haben bereits eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht", sagt er, und er klingt kämpferisch wie seine Mutter. "Und wir bereiten einen Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor, denn das, was die britische Regierung uns angetan hat, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

Olivier Bancoult wartet auf den Tag, an dem er seinen Kindern seine Heimat zeigen kann. "Auch wenn sie auf Mauritius geboren wurden, ihre Wurzeln liegen auf Peros Banhos." Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, sagt Bancoult, verbrieft das universelle Recht jedes Menschen auf Rückkehr in seine Heimat. Er will nicht mehr erreichen, aber auch keinesfalls weniger.

(Copyright die tageszeitung, 29.1.09)