Mittwoch, 4. Februar 2009

Das Elend der Bleichen


Wenn die Sonne rot glühend im indischen Ozean vor Daressalaam versinkt, schlägt Ernest Kimayo einen schnelleren Schritt ein, um rechtzeitig vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Früher hat der vierfache Vater die Nacht geliebt, wenn die gleißenden Sonnenstrahlen verschwunden sind und Kimayo sich ohne Kopfbedeckung durch die Straßen von Tansanias Hauptstadt bewegen konnte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit einem Jahr fürchtet sich der Albino vor seinen potenziellen Mördern, die ihn in Stücke hacken und seine Körperteile an Zauberheiler verkaufen wollen. Überall im Land sind solche Morde passiert, auf mehr als 40 schätzt die Polizei die Zahl der Opfer. Kimayo fürchtet, er könnte der nächste sein.

"Ich habe Angst, in eine Bar zu gehen oder an den Strand", sagt Kimayo, der in einem engen, stickigen Büro sitzt, das dem Ocean Road Hospital, einem der größten Krankenhäuser der Stadt, angeschlossen ist. "Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob derjenige mich an die Mörder verkaufen will."

An die schiefen Blicke, die schwarze Tansaniern den bleichen Albinos zuwerfen, hatte Kimayo sich gewöhnt. Auch dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht. "Als ich ein Kind war, wollten die anderen mich immer betatschen: wenn wir die Haut anfassen, fließt das Blut sofort raus, haben sie gesagt", erinnert sich Kimayo. "Unverständnis und Diskriminierung gab es immer, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt."

Besonders schlimm ist es auf dem Land, im Westen Tansanias, wo der Geisterglaube bis heute weit verbreitet ist. Die kleine Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als eine Bande sie in der Hütte der Eltern in ihrem Heimatdorf Shilela aufspürte. Das fröhliche Mädchen mit seinem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde mit Macheten in Stücke geschnitten. Finger, Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, sagt Kimayo. Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Geisterheiler, die ihren Kunden Reichtum versprechen. "Unternehmer haben Albinoschädel auf ihre Goldmine gelegt, damit das Gold auf magische Weise an die Oberfläche wandert", weiß Kimayo. "Fischer benutzen Albinofleisch als Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch haben." Andere sagen, Krankheiten könnten mit Hilfe von Albino-Körperteilen geheilt werden. Auf der Straße hört Kimayo ständig Getuschel. "Da geht unser Glück vorbei, sagen die einen. Lass es uns tun, wir brauchen das Geld, sagen andere."

Kimayo kennt fast alle Geschichten. Er ist Vorsitzender des tansanischen Albinoverbandes, der in dem stickigen Büro seinen Hauptsitz hat. Dass die Zentrale auf dem Krankenhausgelände liegt, nicht weit von der Krebsstation entfernt, hat seine Gründe. "Es ist ein Fluch, in Afrika ohne schützende Hautpigmente geboren zu werden", seufzt Kimayo, der selbst in geschlossenen Räumen eine Sonnenbrille trägt. Die Sonne scheint so stark, dass viele Albinos schon im Teenageralter Hautkrebs entwickeln. Viele sterben vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Eine medizinische Behandlung können sich die meisten der auf 200 000 geschätzten tansanischen Albinos schlicht nicht leisten. "Viele von uns brechen die Schule ab, weil unsere Augen sehr schwach sind und es in den Schulen keine Unterstützung gibt", sagt Kimayo.

Andere Tansanier schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch; das können Albinos nicht. "Erntehelfer, Straßenverkäufer, Autowäscher arbeiten alle unter der brennenden Sonne, gegen die wir keinerlei natürlichen Schutz haben." Deshalb leiden die meisten Albinos Armut. Bisher war das wichtigste Projekt von Kimayos Organisation, genug Geld für Sonnencreme und breitkrempige Hüte zusammenzubekommen. Sonntags traf man sich, um gemeinsam zu essen und sich um die besonders Bedürftigen zu kümmern. Doch die knapp 12 000 Euro, die ihm im vergangenen Jahr Spender, vor allem in Tansania lebende Ausländer, zur Verfügung stellten, reichten schon dafür vorne und hinten nicht. Gegen die neue Gefahr haben die Albinos erst recht kaum Mittel.

Kimayo, 41, zeigt achselzuckend auf ein Telefon, das auf dem staubigen Holztisch steht. "Die Polizei hat uns das geschenkt, damit wir sie im Notfall alarmieren können." Doch einem Verfolgten auf dem Land nutzt das wenig. Dabei hat Tansanias Präsident Jakaya Kikwete die grausamen Morde zur Chefsache gemacht. "Diese Morde sind eine Schande für unsere Gesellschaft", erklärte er in einer eigens angesetzten Fernsehansprache. "Man wird nur durch harte Arbeit reich und nicht, indem man Mitbürger ermordet und zerstückelt." Kikwete hat die Registrierung von Albinos angeordnet, um sie besser schützen zu können. Eine Albinoaktivistin ernannte er zur Abgeordneten, als Signal, dass Albinos vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Zauberheilern im ganzen Land entzog man die Lizenzen, jetzt müssen sie sich prüfen lassen. Kimayo wurde dieser Tage für sein Engagement mit einem Staatspreis ausgezeichnet. Doch der Horror geht weiter: Gerade erst wurde in der Nähe des Viktoriasees wieder ein Albino ermordet.

"Die Menschen glauben ihren Heilern, sie stellen keine Fragen", glaubt Kimayo. "Viele denken, die sind so bleich, die sind eh keine Menschen, sondern Geister, das macht die Grausamkeit umso leichter." Dazu kommt die Gier. Anfangs gruben die Zulieferer der Zaubermeister Leichen von Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Heute, wo ein vollständiger Albinokörper für angeblich 350 000 Euro verkauft wird, haben sich überall im Land Kopfjäger der Hatz angeschlossen. "Einer Frau schlugen sie beide Beine über den Knien ab und ließen sie einfach verbluten lassen, weil ein Heiler Beine brauchte", berichtet Kimayo mit stockender Stimme.

Längst müssen auch Albinos in den Nachbarländern um ihr Leben fürchten. In Burundi hat der oberste Staatsanwalt einer Grenzregion zu Tansania alle Albinos der Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den langen Marsch in die Provinzhauptstadt Ruyigi legen die meisten nur im Schutz der Dunkelheit, fernab der Hauptstraßen zurück. Auch in Kenia hat es die ersten Morde gegeben.

Dass die Armen auf dem Land ihre Hoffnung auf skrupellose Geisterheiler setzen, hat viele Gründe. Die meisten der vierzig Millionen Tansanier leben unterhalb der Armutsgrenze, wie Generationen vor ihnen. Allerdings ist das Fernsehen in ihr Leben getreten, "Da laufen immer mehr nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier unbegrenzte Macht haben, das stärkt natürlich die traditionell ohnehin schon mächtigen Heiler im Dorf," sagt Kimayo.

In der Stadt ist es kaum anders: In Daressalaam leben drei Millionen Menschen, Slums umringen die Innenstadt mit ihrer Kolonialarchitektur. In den wuchernden Armenvierteln regeln die Menschen ihr Zusammenleben vielfach bis heute wie in einer dörflichen Gemeinschaft. Um weitere Morde zu verhindern, glaubt Kimayo, muss man auf diese Menschen zugehen. "Wir versuchen, in Schulen und anderswo aufzuklären und Diskussionen zu veranstalten, aber das ist nicht leicht."

Kimayo verriegelt am Abend die Tür seines Hauses besonders früh, um sich in Sicherheit zu bringen. Zumindest um seine Kinder, sagt Kimayo, muss er sich nicht sorgen. Er ist mit einer schwarzen Tansanierin verheiratet. "Alle meine vier Söhne sind schwarz." Welch eine Erleichterung für den Vater.

(Copyright Berliner Zeitung, 4.2.09)