Mittwoch, 25. Februar 2009

NEU ERSCHIENEN: Der Hüter der zerfallenden Bücher


Frisch erschienen (25. Februar) ist meine Sammlung von Reportagen aus allen Ecken Afrikas - der Verlag schreibt:

Auch nach fünf Jahren in Afrika sind es einfache Menschen und ihre Schicksale, die den Korrespondenten Marc Engelhardt am meisten faszinieren. Ihre Geschichten beschreiben am besten, welche Folgen »große« Ereignisse oder schwelende Konflikte tatsächlich haben. Da ist der Bibliothekar Saif Islam, der in der mauretanischen Wüste jahrhundertealten Büchern beim Verfall zusehen muss, obwohl er sie so sehr liebt, dass er die darin enthaltenen Verse vorsingen kann. Der ugandische Jugendliche Deogratius Okema, der den Kindermörder verehrt, der ihn selbst verschleppte und zwang, seine eigene Familie zu ermorden. Oder der Berliner Architekt Martin Grütters, der in einer der unwirtlichsten Gegenden Afrikas im Alleingang versucht, Entwicklungshilfe zu leisten – und dabei an der eigenen Hilfsbereitschaft zu scheitern droht.

Die Unfassbarkeit Afrikas lässt sich nur durch ihre Akteure, die kleinen Helden, tragischen Verlierer und skurrilen Persönlichkeiten begreifen. Ihre Geschichten hat Marc Engelhardt aufgeschrieben und schafft so ein ganz persönliches Bild von Afrika: von einem Kontinent, wo nicht nur Not und Leid, sondern auch Wagemut und Ideenreichtum herrschen; einem Kontinent, auf dem nicht nur gestorben, sondern vor allem gelebt wird.

ISBN 978-3-85452-955-2
Picus Verlag, 132 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 14,90 Euro
(Ein Klick auf die Überschrift führt zum Buch auf amazon.de)

Freitag, 20. Februar 2009

Quecksilber verboten


Das Gipfeltreffen der Umweltminister geht zwar erst heute zu Ende, doch ein Ergebnis gilt bereits als sicher: Sieben Jahre nach der Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot von Quecksilber habe man sich auf den Ausstieg geeinigt, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) der taz in Nairobi. "Es wird einen echten Verhandlungsauftrag geben, um in zwei Jahren zu einem Ergebnis zu kommen, wie wir Quecksilber weltweit aus dem Verkehr ziehen", sagte Gabriel, der gemeinsam mit seinen EU-Kollegen seit Jahren für das Verbot kämpft. Die USA hatten eine Einigung stets verhindert. Erst eine Kehrtwende in Washington machte den Deal möglich: "Man merkt, wie schnell die Atmosphäre sich verändert hat."

Eine vom Gipfel eingesetzte Arbeitsgruppe hat jetzt den Auftrag, aus dem Ausstiegsbeschluss innerhalb von zwei Jahren ein rechtlich verbindliches Abkommen zu machen. Über dessen Details wurde am Donnerstag bereits heftig diskutiert. "Alle sind sich einig darin, dass es eine rechtlich bindende Verordnung geben soll", sagt der Sprecher des UN-Umweltprogramms (Unep), Nick Nuttall. "Aber es gibt Länder, die die Verordnung perspektivisch um andere Schwermetalle erweitern wollen, andere wollen es beim Quecksilber belassen."

Quecksilber gilt als eine der giftigsten Substanzen. Jedes Jahr werden 6.000 Tonnen des Schwermetalls freigesetzt, ein Drittel von Kohlekraftwerken. "Die Menge nimmt zu, weil vor allem in Asien immer mehr Kohle verbrannt wird", warnt Nuttall. Das aus der Kohleverbrennung stammende Quecksilber gelangt in die Atmosphäre und von dort in die menschliche Nahrungskette. Am gefährlichsten ist der Verzehr von kontaminiertem Fisch. In Schweden gelten Hechte und einige andere Fischarten aus mehr als 50.000 Seen als so sehr kontaminiert, dass die Behörden Frauen im geburtsfähigen Alter davon abraten, sie zu essen. "Der Rest der Bevölkerung darf sie maximal einmal pro Woche zu sich nehmen", so Unep-Chef Achim Steiner. Kein Wunder, dass jeder heute lebende Mensch Quecksilber in sich trägt. "Und die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass selbst kleine Mengen schon gesundheitsgefährdend sind." Folgen von Quecksilbervergiftung sind Gehirn-, Leber-, Lungen- und Nervenschäden.

In vielen Entwicklungsländern setzen sich Menschen bis heute freiwillig dem Schwermetall aus. Goldschürfer in Brasilien, Simbabwe, Indien und Papua-Neuguinea waschen das Edelmetall mithilfe von Quecksilber aus und vergiften damit nicht nur sich selbst, sondern ganze Landstriche. Nuttall schätzt die Zahl der betroffenen Goldschürfer samt Familien auf zehn Millionen.

Wenn das Quecksilberverbot in Kraft tritt, müssen sich nicht nur Goldschürfer nach Alternativen umsehen. Viele industrielle Prozesse sind auf Quecksilber angewiesen. Während es kaum noch Quecksilberthermometer gibt, enthalten die meisten LCD-Displays von Elektrothermometern das Schwermetall. Auch Energiesparbirnen enthalten Quecksilber. "Es handelt sich um etwa ein Milligramm, das ist eine winzige Menge, die auf die Spitze eines Kugelschreibers passt", verteidigt sich Philips-Manager Nick Kelso, der an einer Technikmesse auf dem UN-Gelände teilnimmt. "Wer herkömmliche Birnen kauft, verbraucht mehr Energie und produziert dadurch weit mehr Quecksilber, als in einer Energiesparbirne steckt." Doch einen Stand weiter präsentiert die chinesische Firma Megaman bereits quecksilberfreie Energiesparlampen. "Wir haben das Quecksilber durch Amalgam ersetzt", erklärt David Fan. "Die Birnen sind genauso hell."

(Copyright die tageszeitung, 20.2.09)

Dienstag, 10. Februar 2009

DJ gegen Joghurtverkäufer


Seiner jüngsten Provokation hatte Andry Rajoelina, 34, einen besonders jugendlichen Anstrich gegeben. Statt zu einer politischen Kundgebung lud der ehemalige DJ und gefeuerte Bürgermeister von Madagaskars Hauptstadt Antananarivo zu einem Konzert mit beliebten Musikern. Mehr als 20 000 vor allem junge Anhänger des charismatischen Redners waren dabei, als Rajoelina auf dem größten Platz der Stadt seine neue "Übergangsregierung" für Madagaskar vorstellte.

Zum neuen Präsidenten hatte Rajoelina sich schon eine Woche zuvor gekürt. "Kraft meines Amtes ernenne ich Monja Roidenfo zum ersten Premierminister der Vierten Republik", rief Rajoelina, immer wieder unterbrochen vom Jubel der Menge, die er kurz darauf zum Marsch auf den Palast des Präsidenten Marc Ravalomanana aufforderte. Doch was als Machtbeweis begann, endete als Blutbad.

"Wir haben friedlich demonstriert", berichtet Jocelyn Ratolojanahary, die gestern mit einer bandagierten Hand im größten Krankenhaus der Hauptstadt sitzt. "Dann, ohne Vorwarnung, haben die Sicherheitskräfte das Feuer auf uns eröffnet." Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Polizei und Militär wahllos in die Menge schießen. Als die Masse in Panik flieht, werden Demonstranten zu Tode getrampelt. Mindestens 28 Oppositionsanhänger kamen nach Polizeiangaben ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.

"Die Menschen waren nur mit ihrem Mut bewaffnet", lässt Rajoelina Journalisten wissen, die seine Krankenhausvisite filmen. Ein seit Wochen stehendes Verhandlungsangebot der Regierung schlägt Rajoelina aus: "Das Blut wurde nicht umsonst vergossen, wir machen weiter bis zum endgültigen Sieg", sagt er am Sonntag. Gestern Abend stimmen die beiden Kontrahenten dann aber einer UN-Vermittlung zu. Rajoelina nennt als Voraussetzung die Einsetzung einer Interims-Regierung bis zu Neuwahlen sowie die Bestrafung der Verantwortlichen für das Blutbad vom vergangenen Sonnabend.

Die Demonstranten, die am Samstag vor dem Präsidentenpalast niedergemäht wurden, sind die jüngsten Opfer eines erbarmungslosen Machtkampfes zwischen Rajoelina und Präsident Ravalomanana.In den vergangenen Wochen sollen in der Inselrepublik vor der afrikanischen Küste mehr als 125 Menschen ihr Leben verloren haben. Es ist die schlimmste Krise seit Ravalomanana vor sieben Jahren zum Präsidenten gewählt wurde.

Damals weigerte sich der seit mehr als 25 Jahren regierende Marxist und Marineoffizier Didier Ratsiraka, den Wahlsieg Ravalomananas anzuerkennen. Ratsiraka ließ die Straßen und Brücken rund um die Hauptstadt Antananarivo verminen und hungerte die Bevölkerung aus. Erst als sich nach fünf Monaten ohne Grundnahrungsmittel und Benzin die Armee auf Ravalomananas Seite schlug, floh Ratsiraka ins Exil nach Frankreich. Die ehemalige Kolonialmacht hatte ihn bis zuletzt gestützt.

Schnell machte Ravalomanana sich einen Namen als einer, der das heruntergewirtschaftete Land auf die Beine stellen könnte. Die meisten Leute auf der Insel sind Subsistenzfarmer; nur wenige bauen Vanille und Kaffee an, die beiden wichtigsten Exportagrargüter. Bis heute leben trotz neuer Rohstofffunde mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums von einem Dollar am Tag.

Doch Ravalomanana verbreitete Aufbruchsstimmung, auch weil er Armut kennt: Aufgewachsen in einer Vorstadt von Antananarivo, verkaufte der heute 59-Jährige Joghurt vom Gepäckträger seines Fahrrads herab. Heute ist Ravalomanana der größte Unternehmer des Landes. In Interviews lobt er gerne Deutschland im allgemeinen und deutsche Molkereien ganz besonders. Sein Mischkonzern Tiko durchdringt alle madagassischen Wirtschaftszweige: außer Molkereien gehören Ravalomanana Supermärkte, Zeitungen sowie ein Radio- und Fernsehsender. Das Präsidentenamt nutzt er geschickt, um seine Marktposition auszubauen und seinen Reichtum zu vergrößern. So wurde aus ihm binnen kurzer Zeit eine Art afrikanischer Berlusconi.

Ravalomanana wurde zwar Ende 2006 mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Doch vor allem in der Hauptstadt wächst der Unmut seitdem ständig. "Wir sind ein armes Land, es sollte vorwärts gehen für uns", klagt ein Taxifahrer. "Aber es geht immer nur abwärts." Wie die meisten in Antananarivo, will auch der Mann mit grauem Haar anonym bleiben. Nicht erst seit Samstag gilt Ravalomanana als autoritärer Herrscher. "Die einzigen, die Geld machen, sind doch der Präsident und seine Bagage", sagt eine Marktverkäuferin. Als vor einigen Monaten Gerüchte die Runde machten, dass die Regierung eine Fläche von 1,3 Millionen Hektar an den koreanischen Mischkonzern Daewoo verpachten wollte, war für sie wie für viele andere die Grenze erreicht. Auf der Fläche, halb so groß wie Belgien, will Daewoo Schweinefutter und Ölpalmen für Biodiesel anbauen. "Kurz danach hat sich der Präsident eine neue Privatmaschine gekauft, die haben die doch finanziert", glaubt die Händlerin. Die Kosten für die nach Ravalomananas Wünschen umgebaute Boeing 737: fast 50 Millionen Euro.

Kein Wunder, dass Vertreter der internationalen Helfergemeinde auf den Präsidenten schlecht zu sprechen sind. "Madagaskar wird auf lange Sicht eines der wenigen afrikanischen Länder sein, wo die Armut zu- statt abnimmt", glaubt der inzwischen abgelöste Repräsentant des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Belgier Pierre van den Boogaerde. Zahlreiche Geber, unter ihnen die EU, hatten ihre Hilfen schon vor den jüngsten Unruhen suspendiert. Der Unmut gegen Ravalomanana ist es, den Rajoelina für seinen Aufstieg nutzen will. Seinen Bürgermeisterwahlkampf bestritt der Mann mit schrillen T-Shirts und Rapmusik. Wegen seiner Rasanz nennt man ihn nach dem französischen Schnellzug: TGV. Er verspricht Wandel und ist Ravalomanana ähnlicher, als er selber zugeben will. Außer zwei Werbeagenturen besitzt Rajoelina auch eine Radio- und Fernsehstation; seit Wochen rührt Viva für den Boss die Werbetrommel. Als "TGV" vor etwas mehr als einem Jahr Bürgermeister wurde, ließ er kurzerhand alle Werbetafeln einer konkurrierenden Werbeagentur abnehmen. Heute gehört sie seiner Firma Injet.

Dazu kommt eine Aura von Unsicherheit: Nachdem Rajoelina am 26. Januar den Präsidentenkonvoi mit Steinen bewerfen ließ, musste Ravalomanana die Hauptstadt fluchtartig verlassen. Er hat inzwischen aufrüsten lassen - das Blutbad vom Samstag hat ein von ihm frisch ernannter Sicherheitschef zu verantworten. Die Verteidigungsministerin trat gestern zurück, mit der Begründung, sie könne nicht akzeptieren, dass das Blut ihrer Landsleute vergossen worden sei. Offenbar bröckelt der Rückhalt des Präsidenten in der Armee.

Nach der Flucht des Präsidenten hatten Rajoelinas Anhänger mehr als 24 Stunden auf ein Wort ihres Anführers warten müssen. Schließlich meldete sich Rajoelina per Radio und rief zur Ruhe auf. Viele Beobachter glauben, dass der Mann, der sich nach Madagaskars Gesetzen erst in sechs Jahren als Präsident zur Wahl stellen darf, damals die Chance vertat, in den zwei Tage lang ungeschützten Präsidentenpalast einzuziehen. Umso erstaunlicher ist die Vehemenz, mit der Rajoelina sich jetzt als starker Mann verkauft. "Auf dem Land kennen ihn viele überhaupt nicht", gibt selbst einer seiner Berater zu bedenken.

Auch Rajoelina, den viele für seinen frischen Esprit unterstützt hatten, gehen Anhänger verloren. "Es gibt seit Tagen kaum noch Salz, Öl und Zucker auf den Märkten", berichtet Nadine Ralaivao, eine Großhändlerin. "Benzin wird knapp." Steigende Preise und die Toten auf den Straßen haben viele Rajoelina-Fans umgestimmt. "Wir wollten jemand, der näher am Volk ist", sagt ein Jugendlicher, "einen Bürgerkrieg wollten wir nicht."

Mittwoch, 4. Februar 2009

Das Elend der Bleichen


Wenn die Sonne rot glühend im indischen Ozean vor Daressalaam versinkt, schlägt Ernest Kimayo einen schnelleren Schritt ein, um rechtzeitig vor der Dunkelheit zu Hause zu sein. Früher hat der vierfache Vater die Nacht geliebt, wenn die gleißenden Sonnenstrahlen verschwunden sind und Kimayo sich ohne Kopfbedeckung durch die Straßen von Tansanias Hauptstadt bewegen konnte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit einem Jahr fürchtet sich der Albino vor seinen potenziellen Mördern, die ihn in Stücke hacken und seine Körperteile an Zauberheiler verkaufen wollen. Überall im Land sind solche Morde passiert, auf mehr als 40 schätzt die Polizei die Zahl der Opfer. Kimayo fürchtet, er könnte der nächste sein.

"Ich habe Angst, in eine Bar zu gehen oder an den Strand", sagt Kimayo, der in einem engen, stickigen Büro sitzt, das dem Ocean Road Hospital, einem der größten Krankenhäuser der Stadt, angeschlossen ist. "Ich habe sogar Angst, tagsüber in ein Büro zu gehen oder Geschäftspartner zu treffen, weil ich nicht sicher sein kann, ob derjenige mich an die Mörder verkaufen will."

An die schiefen Blicke, die schwarze Tansaniern den bleichen Albinos zuwerfen, hatte Kimayo sich gewöhnt. Auch dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn er kommt, berührt ihn nicht. "Als ich ein Kind war, wollten die anderen mich immer betatschen: wenn wir die Haut anfassen, fließt das Blut sofort raus, haben sie gesagt", erinnert sich Kimayo. "Unverständnis und Diskriminierung gab es immer, aber so einen Horror wie jetzt haben wir noch nie erlebt."

Besonders schlimm ist es auf dem Land, im Westen Tansanias, wo der Geisterglaube bis heute weit verbreitet ist. Die kleine Esther Charles war erst zehn Jahre alt, als eine Bande sie in der Hütte der Eltern in ihrem Heimatdorf Shilela aufspürte. Das fröhliche Mädchen mit seinem weißen Haar und den empfindlichen Augen wurde mit Macheten in Stücke geschnitten. Finger, Augen, Geschlechtsteile oder auch nur ein Stück Haut bringen den Mördern mehr Geld, als sie sonst in einem Monat verdienen können, sagt Kimayo. Auftraggeber der grausamen Verfolger sind anerkannte Geisterheiler, die ihren Kunden Reichtum versprechen. "Unternehmer haben Albinoschädel auf ihre Goldmine gelegt, damit das Gold auf magische Weise an die Oberfläche wandert", weiß Kimayo. "Fischer benutzen Albinofleisch als Köder, weil sie glauben, dass die gefangenen Fische dann Gold im Bauch haben." Andere sagen, Krankheiten könnten mit Hilfe von Albino-Körperteilen geheilt werden. Auf der Straße hört Kimayo ständig Getuschel. "Da geht unser Glück vorbei, sagen die einen. Lass es uns tun, wir brauchen das Geld, sagen andere."

Kimayo kennt fast alle Geschichten. Er ist Vorsitzender des tansanischen Albinoverbandes, der in dem stickigen Büro seinen Hauptsitz hat. Dass die Zentrale auf dem Krankenhausgelände liegt, nicht weit von der Krebsstation entfernt, hat seine Gründe. "Es ist ein Fluch, in Afrika ohne schützende Hautpigmente geboren zu werden", seufzt Kimayo, der selbst in geschlossenen Räumen eine Sonnenbrille trägt. Die Sonne scheint so stark, dass viele Albinos schon im Teenageralter Hautkrebs entwickeln. Viele sterben vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Eine medizinische Behandlung können sich die meisten der auf 200 000 geschätzten tansanischen Albinos schlicht nicht leisten. "Viele von uns brechen die Schule ab, weil unsere Augen sehr schwach sind und es in den Schulen keine Unterstützung gibt", sagt Kimayo.

Andere Tansanier schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch; das können Albinos nicht. "Erntehelfer, Straßenverkäufer, Autowäscher arbeiten alle unter der brennenden Sonne, gegen die wir keinerlei natürlichen Schutz haben." Deshalb leiden die meisten Albinos Armut. Bisher war das wichtigste Projekt von Kimayos Organisation, genug Geld für Sonnencreme und breitkrempige Hüte zusammenzubekommen. Sonntags traf man sich, um gemeinsam zu essen und sich um die besonders Bedürftigen zu kümmern. Doch die knapp 12 000 Euro, die ihm im vergangenen Jahr Spender, vor allem in Tansania lebende Ausländer, zur Verfügung stellten, reichten schon dafür vorne und hinten nicht. Gegen die neue Gefahr haben die Albinos erst recht kaum Mittel.

Kimayo, 41, zeigt achselzuckend auf ein Telefon, das auf dem staubigen Holztisch steht. "Die Polizei hat uns das geschenkt, damit wir sie im Notfall alarmieren können." Doch einem Verfolgten auf dem Land nutzt das wenig. Dabei hat Tansanias Präsident Jakaya Kikwete die grausamen Morde zur Chefsache gemacht. "Diese Morde sind eine Schande für unsere Gesellschaft", erklärte er in einer eigens angesetzten Fernsehansprache. "Man wird nur durch harte Arbeit reich und nicht, indem man Mitbürger ermordet und zerstückelt." Kikwete hat die Registrierung von Albinos angeordnet, um sie besser schützen zu können. Eine Albinoaktivistin ernannte er zur Abgeordneten, als Signal, dass Albinos vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Zauberheilern im ganzen Land entzog man die Lizenzen, jetzt müssen sie sich prüfen lassen. Kimayo wurde dieser Tage für sein Engagement mit einem Staatspreis ausgezeichnet. Doch der Horror geht weiter: Gerade erst wurde in der Nähe des Viktoriasees wieder ein Albino ermordet.

"Die Menschen glauben ihren Heilern, sie stellen keine Fragen", glaubt Kimayo. "Viele denken, die sind so bleich, die sind eh keine Menschen, sondern Geister, das macht die Grausamkeit umso leichter." Dazu kommt die Gier. Anfangs gruben die Zulieferer der Zaubermeister Leichen von Albinos auf Friedhöfen aus, um die Nachfrage zu bedienen. Heute, wo ein vollständiger Albinokörper für angeblich 350 000 Euro verkauft wird, haben sich überall im Land Kopfjäger der Hatz angeschlossen. "Einer Frau schlugen sie beide Beine über den Knien ab und ließen sie einfach verbluten lassen, weil ein Heiler Beine brauchte", berichtet Kimayo mit stockender Stimme.

Längst müssen auch Albinos in den Nachbarländern um ihr Leben fürchten. In Burundi hat der oberste Staatsanwalt einer Grenzregion zu Tansania alle Albinos der Gegend in sein Haus einquartiert, das er wie eine Festung schützt. Den langen Marsch in die Provinzhauptstadt Ruyigi legen die meisten nur im Schutz der Dunkelheit, fernab der Hauptstraßen zurück. Auch in Kenia hat es die ersten Morde gegeben.

Dass die Armen auf dem Land ihre Hoffnung auf skrupellose Geisterheiler setzen, hat viele Gründe. Die meisten der vierzig Millionen Tansanier leben unterhalb der Armutsgrenze, wie Generationen vor ihnen. Allerdings ist das Fernsehen in ihr Leben getreten, "Da laufen immer mehr nigerianische Serien und Filme, in denen Geisterheiler eine schier unbegrenzte Macht haben, das stärkt natürlich die traditionell ohnehin schon mächtigen Heiler im Dorf," sagt Kimayo.

In der Stadt ist es kaum anders: In Daressalaam leben drei Millionen Menschen, Slums umringen die Innenstadt mit ihrer Kolonialarchitektur. In den wuchernden Armenvierteln regeln die Menschen ihr Zusammenleben vielfach bis heute wie in einer dörflichen Gemeinschaft. Um weitere Morde zu verhindern, glaubt Kimayo, muss man auf diese Menschen zugehen. "Wir versuchen, in Schulen und anderswo aufzuklären und Diskussionen zu veranstalten, aber das ist nicht leicht."

Kimayo verriegelt am Abend die Tür seines Hauses besonders früh, um sich in Sicherheit zu bringen. Zumindest um seine Kinder, sagt Kimayo, muss er sich nicht sorgen. Er ist mit einer schwarzen Tansanierin verheiratet. "Alle meine vier Söhne sind schwarz." Welch eine Erleichterung für den Vater.

(Copyright Berliner Zeitung, 4.2.09)

Dienstag, 3. Februar 2009

Afrikas König der Könige


Schon vor seiner Ankunft beim Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Addis Abeba sorgte Muammar al-Gaddafi für einen Eklat. Er komme nicht nur als libyscher Revolutionsführer, ließ er den verblüfften Staats- und Regierungschefs per Rundschreiben mitteilen, sondern als "König der afrikanischen Könige" - und erwarte, als solcher empfangen zu werden. Als Gaddafi äthiopischen Boden betrat, ließ er sich entsprechend von sieben traditionellen afrikanischen Königen begleiten.

Es sind Auftritte wie dieser, mit denen Gaddafi seinen Ruf als Exzentriker geprägt hat. Der im Regelfall ungekämmte politische Einzelgänger, nur echt mit Sonnenbrille und Dreitagebart, schlägt bei Staatsbesuchen Präsidentensuiten aus und stattdessen im Hotelgarten Beduinenzelte auf. Selbst jahrelangen Vertrauten gilt er als vollkommen unberechenbar, er berät sich mit niemandem. Als kürzlich in Guinea die Armee putschte, flog Gaddafi im Privatjet in die Hauptstadt Conakry und musste wieder abziehen, als klar wurde, dass niemand mit ihm sprechen wollte.

Dabei steht außer Frage, dass der 1942 nahe der libyschen Stadt Sirte geborene Gaddafi ein politisches Ausnahmetalent ist. Im September wird er den 40. Jahrestag seiner Revolution feiern lassen, des unblutigen Putsches, mit dem der damals 27-jährige Colonel Libyens König Idris absetzen ließ. In seinem "Grünen Buch", Gaddafis Pendant zur Mao-Bibel, verkündete er Libyens Alternative zu Sozialismus und Kapitalismus, der die Gründung von Volkskomitees und seines "Massenstaats" folgte.

Unternehmen wurden erst verstaatlicht, seit einigen Jahren wird wieder privatisiert. Denn dogmatisch ist Gaddafi nur bei einem: seiner unangefochtenen Führerschaft. Opposition und freie Presse werden brutal unterdrückt, bis vor einigen Jahren durften Ausländer das Land nur im Ausnahmefall betreten. Das lag auch daran, dass Gaddafi Terroristen aus aller Welt Unterschlupf gewährte, den Bau von Massenvernichtungswaffen ankündigte und den Anschlag auf ein PanAm- Flugzeug über Lockerbie anordnete. Erst seit er 2003 allem Terror abschwor, ist Gaddafi im Westen wieder gesellschaftsfähig.

In Afrika zieht Gaddafi an vielen Strippen: Er finanziert Rebellen im Tschad, im Sudan und vielen weiteren Ländern und macht zeitgleich Regierungen mit großzügigen Überweisungen willfährig. Außenstehende mag es da überraschen, dass Gaddafi sich ausgerechnet der afrikanischen Einheit verschrieben hat. Die Gründung der AU war vor allem seine Idee, Gaddafis immer wieder verkündetes Ziel sind die Vereinigten Staaten von Afrika. An deren Spitze: er selbst, Gaddafi der Erste, König der afrikanischen Könige.

(Copyright die tageszeitung, 3.2.09)