Dienstag, 10. Februar 2009

DJ gegen Joghurtverkäufer


Seiner jüngsten Provokation hatte Andry Rajoelina, 34, einen besonders jugendlichen Anstrich gegeben. Statt zu einer politischen Kundgebung lud der ehemalige DJ und gefeuerte Bürgermeister von Madagaskars Hauptstadt Antananarivo zu einem Konzert mit beliebten Musikern. Mehr als 20 000 vor allem junge Anhänger des charismatischen Redners waren dabei, als Rajoelina auf dem größten Platz der Stadt seine neue "Übergangsregierung" für Madagaskar vorstellte.

Zum neuen Präsidenten hatte Rajoelina sich schon eine Woche zuvor gekürt. "Kraft meines Amtes ernenne ich Monja Roidenfo zum ersten Premierminister der Vierten Republik", rief Rajoelina, immer wieder unterbrochen vom Jubel der Menge, die er kurz darauf zum Marsch auf den Palast des Präsidenten Marc Ravalomanana aufforderte. Doch was als Machtbeweis begann, endete als Blutbad.

"Wir haben friedlich demonstriert", berichtet Jocelyn Ratolojanahary, die gestern mit einer bandagierten Hand im größten Krankenhaus der Hauptstadt sitzt. "Dann, ohne Vorwarnung, haben die Sicherheitskräfte das Feuer auf uns eröffnet." Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Polizei und Militär wahllos in die Menge schießen. Als die Masse in Panik flieht, werden Demonstranten zu Tode getrampelt. Mindestens 28 Oppositionsanhänger kamen nach Polizeiangaben ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.

"Die Menschen waren nur mit ihrem Mut bewaffnet", lässt Rajoelina Journalisten wissen, die seine Krankenhausvisite filmen. Ein seit Wochen stehendes Verhandlungsangebot der Regierung schlägt Rajoelina aus: "Das Blut wurde nicht umsonst vergossen, wir machen weiter bis zum endgültigen Sieg", sagt er am Sonntag. Gestern Abend stimmen die beiden Kontrahenten dann aber einer UN-Vermittlung zu. Rajoelina nennt als Voraussetzung die Einsetzung einer Interims-Regierung bis zu Neuwahlen sowie die Bestrafung der Verantwortlichen für das Blutbad vom vergangenen Sonnabend.

Die Demonstranten, die am Samstag vor dem Präsidentenpalast niedergemäht wurden, sind die jüngsten Opfer eines erbarmungslosen Machtkampfes zwischen Rajoelina und Präsident Ravalomanana.In den vergangenen Wochen sollen in der Inselrepublik vor der afrikanischen Küste mehr als 125 Menschen ihr Leben verloren haben. Es ist die schlimmste Krise seit Ravalomanana vor sieben Jahren zum Präsidenten gewählt wurde.

Damals weigerte sich der seit mehr als 25 Jahren regierende Marxist und Marineoffizier Didier Ratsiraka, den Wahlsieg Ravalomananas anzuerkennen. Ratsiraka ließ die Straßen und Brücken rund um die Hauptstadt Antananarivo verminen und hungerte die Bevölkerung aus. Erst als sich nach fünf Monaten ohne Grundnahrungsmittel und Benzin die Armee auf Ravalomananas Seite schlug, floh Ratsiraka ins Exil nach Frankreich. Die ehemalige Kolonialmacht hatte ihn bis zuletzt gestützt.

Schnell machte Ravalomanana sich einen Namen als einer, der das heruntergewirtschaftete Land auf die Beine stellen könnte. Die meisten Leute auf der Insel sind Subsistenzfarmer; nur wenige bauen Vanille und Kaffee an, die beiden wichtigsten Exportagrargüter. Bis heute leben trotz neuer Rohstofffunde mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums von einem Dollar am Tag.

Doch Ravalomanana verbreitete Aufbruchsstimmung, auch weil er Armut kennt: Aufgewachsen in einer Vorstadt von Antananarivo, verkaufte der heute 59-Jährige Joghurt vom Gepäckträger seines Fahrrads herab. Heute ist Ravalomanana der größte Unternehmer des Landes. In Interviews lobt er gerne Deutschland im allgemeinen und deutsche Molkereien ganz besonders. Sein Mischkonzern Tiko durchdringt alle madagassischen Wirtschaftszweige: außer Molkereien gehören Ravalomanana Supermärkte, Zeitungen sowie ein Radio- und Fernsehsender. Das Präsidentenamt nutzt er geschickt, um seine Marktposition auszubauen und seinen Reichtum zu vergrößern. So wurde aus ihm binnen kurzer Zeit eine Art afrikanischer Berlusconi.

Ravalomanana wurde zwar Ende 2006 mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Doch vor allem in der Hauptstadt wächst der Unmut seitdem ständig. "Wir sind ein armes Land, es sollte vorwärts gehen für uns", klagt ein Taxifahrer. "Aber es geht immer nur abwärts." Wie die meisten in Antananarivo, will auch der Mann mit grauem Haar anonym bleiben. Nicht erst seit Samstag gilt Ravalomanana als autoritärer Herrscher. "Die einzigen, die Geld machen, sind doch der Präsident und seine Bagage", sagt eine Marktverkäuferin. Als vor einigen Monaten Gerüchte die Runde machten, dass die Regierung eine Fläche von 1,3 Millionen Hektar an den koreanischen Mischkonzern Daewoo verpachten wollte, war für sie wie für viele andere die Grenze erreicht. Auf der Fläche, halb so groß wie Belgien, will Daewoo Schweinefutter und Ölpalmen für Biodiesel anbauen. "Kurz danach hat sich der Präsident eine neue Privatmaschine gekauft, die haben die doch finanziert", glaubt die Händlerin. Die Kosten für die nach Ravalomananas Wünschen umgebaute Boeing 737: fast 50 Millionen Euro.

Kein Wunder, dass Vertreter der internationalen Helfergemeinde auf den Präsidenten schlecht zu sprechen sind. "Madagaskar wird auf lange Sicht eines der wenigen afrikanischen Länder sein, wo die Armut zu- statt abnimmt", glaubt der inzwischen abgelöste Repräsentant des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Belgier Pierre van den Boogaerde. Zahlreiche Geber, unter ihnen die EU, hatten ihre Hilfen schon vor den jüngsten Unruhen suspendiert. Der Unmut gegen Ravalomanana ist es, den Rajoelina für seinen Aufstieg nutzen will. Seinen Bürgermeisterwahlkampf bestritt der Mann mit schrillen T-Shirts und Rapmusik. Wegen seiner Rasanz nennt man ihn nach dem französischen Schnellzug: TGV. Er verspricht Wandel und ist Ravalomanana ähnlicher, als er selber zugeben will. Außer zwei Werbeagenturen besitzt Rajoelina auch eine Radio- und Fernsehstation; seit Wochen rührt Viva für den Boss die Werbetrommel. Als "TGV" vor etwas mehr als einem Jahr Bürgermeister wurde, ließ er kurzerhand alle Werbetafeln einer konkurrierenden Werbeagentur abnehmen. Heute gehört sie seiner Firma Injet.

Dazu kommt eine Aura von Unsicherheit: Nachdem Rajoelina am 26. Januar den Präsidentenkonvoi mit Steinen bewerfen ließ, musste Ravalomanana die Hauptstadt fluchtartig verlassen. Er hat inzwischen aufrüsten lassen - das Blutbad vom Samstag hat ein von ihm frisch ernannter Sicherheitschef zu verantworten. Die Verteidigungsministerin trat gestern zurück, mit der Begründung, sie könne nicht akzeptieren, dass das Blut ihrer Landsleute vergossen worden sei. Offenbar bröckelt der Rückhalt des Präsidenten in der Armee.

Nach der Flucht des Präsidenten hatten Rajoelinas Anhänger mehr als 24 Stunden auf ein Wort ihres Anführers warten müssen. Schließlich meldete sich Rajoelina per Radio und rief zur Ruhe auf. Viele Beobachter glauben, dass der Mann, der sich nach Madagaskars Gesetzen erst in sechs Jahren als Präsident zur Wahl stellen darf, damals die Chance vertat, in den zwei Tage lang ungeschützten Präsidentenpalast einzuziehen. Umso erstaunlicher ist die Vehemenz, mit der Rajoelina sich jetzt als starker Mann verkauft. "Auf dem Land kennen ihn viele überhaupt nicht", gibt selbst einer seiner Berater zu bedenken.

Auch Rajoelina, den viele für seinen frischen Esprit unterstützt hatten, gehen Anhänger verloren. "Es gibt seit Tagen kaum noch Salz, Öl und Zucker auf den Märkten", berichtet Nadine Ralaivao, eine Großhändlerin. "Benzin wird knapp." Steigende Preise und die Toten auf den Straßen haben viele Rajoelina-Fans umgestimmt. "Wir wollten jemand, der näher am Volk ist", sagt ein Jugendlicher, "einen Bürgerkrieg wollten wir nicht."