Dienstag, 25. August 2009

Fragen in der Nacht


Sie klopfen an alle Türen, und wer zu Hause ist, muss sie einlassen. Gestern Abend machten sich mit Einbruch der Dunkelheit in Kenias Straßen Volkszähler auf den Weg, die bis Ende des Monats herausfinden wollen, wer in dem ostafrikanischen Land lebt. "Die Zeit für uns alle ist gekommen, uns zählen zu lassen", wandte sich Kenias Präsident Mwai Kibaki in einer TV-Ansprache an die Nation.

"Wir haben Vorkehrungen getroffen, um auch Obdachlose, Straßenkinder und Reisende zu zählen", sagt Anthony Kilele, Direktor der Statistikbehörde. "Selbst Babys, die bis kurz vor Mitternacht geboren sind, werden von uns erfasst." Erste Berechnungen gehen davon aus, dass die Bevölkerung seit der letzten Zählung 1999 deutlich stärker gewachsen ist als bislang geschätzt: von 29 auf 40 Millionen - bisherige Hochrechnungen waren von 35 Millionen ausgegangen.

Was jedoch viele Kenianer gegen die Volkszählung aufbringt, sind Fragen zu ihrer Stammeszugehörigkeit. Gerade erst ein Jahr ist vergangen seit den ethnisch aufgeheizten Unruhen mit mehr als 1 000 Toten. Weite Teile Kenias leiden bis heute unter Spannungen, immer wieder gibt es Ausschreitungen mit Toten.

"Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung steht bedauerlicherweise im Mittelpunkt dieser Volkszählung", wettert Njoki Ndung'u von der kenianischen Bürgerrechtsbewegung "Mars Group". Nach Ansicht der Gruppe könnten Politiker die Angaben zur ethnischen Zusammensetzung des Landes für Manipulationen im Vorfeld der nächsten Wahlen 2012 missbrauchen. "Dabei gibt es inzwischen so viele Mischehen im Land, dass viele Kenianer keiner einzelnen Ethnie mehr angehören", so Ndung'u.

Statt sich um eine Aufklärung der Unruhen und die Aussöhnung der Nation zu kümmern, setzten viele Politiker weiterhin auf die ethnische Karte, um ihre Macht zu erhalten. "Die Kluft zwischen verschiedenen Stämmen ist immer noch so groß, dass die Regierung ethnische Zugehörigkeit als wichtigstes Einstellungskriterium nutzt", sagt Ndung'u. Vor allem in der Hauptstadt Nairobi haben Kritiker angekündigt, die umstrittenen Fragen bewusst falsch zu beantworten.

Zu der politischen Unsicherheit kommt die Angst vor der Zählung selber. Bei Volkszählungen wurden in der Vergangenheit immer wieder Haushalte überfallen, weil sich Räuber als Volkszähler ausgaben. Dass die Zählung nachts stattfindet, können viele deshalb nicht verstehen.

"Aber es geht nicht anders, wenn wir ein Bild davon bekommen wollen, wer wo wohnt", verteidigt Chef-Statistiker Kilele das Vorgehen. Auch Präsident Kibaki verspricht Sicherheit: "Viele Volkszähler sind direkt aus der Nachbarschaft rekrutiert worden. Die Gezählten kennen also meist diejenigen, die vor der Tür stehen." Doch die Unsicherheit ist groß, auch deshalb, weil Muster der Zählerausweise und Uniformen bis heute nicht veröffentlich worden sind. Manch einer wird so aus Furcht die Tür verschlossen lassen.

(Copyright Berliner Zeitung, 25.9.09)