Samstag, 29. Dezember 2007

"Wahlleiter sind mit Wahlzetteln spurlos verschwunden"


Zwei Tage ließen sich die Menschen in Kenia hinhalten. Als das Ergebnis der Präsidentschaftswahl auch heute auf sich warten ließ, brachen Unruhen aus. Denn viele sehen nur einen Grund für die Verzögerung: Wahlbetrug. Da half es nicht, dass sich beide - Opposition und Regierung zum Sieger erklärten. Die zuständige Behörde unterbrach unterdessen die Stimmauszählung, weitere Ergebnisse würden erst morgen bekannt gegeben.

Nach zwei Tagen gespannter Ruhe brach in Kisumu, der größten Stadt im Westen Kenias, Chaos aus: Militante Oppositionsanhänger steckten Barrikaden in Brand, plünderten Geschäfte und zogen mit ihrer Beute gröhlend durch die Stadt. Die Polizei versuchte, die Plünderer mit Tränengas und Schüssen in die Luft zu verjagen - ohne Erfolg. Ähnliche Szenen spielten sich in den Slums von Nairobi und weiteren Städten im Westen Kenias ab, der Hochburg des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga.

Grund für den Aufruhr: Auch 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale lag noch kein Endergebnis vor. Ein Demonstrant macht seinem Ärger Luft: "Wir sind entsetzt darüber, wie die Auszählung verzögert wird. Es gibt viele Wahllokale, die ihre Ergebnisse für die Parlamentswahl und die Kommunalwahl veröffentlicht haben, aber nicht die der Präsidentenwahl. Warum verzögern sie die Bekanntgabe so lange?"

Nicht nur dieser Demonstrant war der Meinung, dass es auf die Frage nur eine Antwort gibt: Wahlfälschung. In den vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission liegt Odinga zwar vor Amtsinhaber Mwai Kibaki. Doch die Befürchtungen sind groß, dass die Regierung mit gezielten Manipulationen in letzter Minute das Ruder noch zu ihren Gunsten herumreißen will. Selbst der Chef von Kenias Wahlkommission, Samuel Kivuitu, gab sich ratlos: Viele seiner Kreiswahlleiter seien schlicht mit den Wahlzetteln verschwunden. Ihre Telefone seien abgestellt, niemand wisse, wo sie seien.

Der sonst so besonnene und als integer geltende Wahlleiter verlor vor laufenden Kameras schließlich die Fassung: "Wollen Sie, dass ich Ergebnisse vorlese, die wir nicht haben? Die wir nicht bekommen haben? Sie kriegen Ihre Ergebnisse, aber wohl nicht heute. Vielleicht morgen, oder übermorgen. Das kommt drauf an, wann sie kommen."

Während die Ergebnisse aus fernsten Regionen schon lange vorliegen, sind es vor allem die Wahllokale in und um Nairobi, die ihre Ergebnisse bisher noch nicht gemeldet haben. Das verschärft die Lage in der Hauptstadt, wo sich die Stimmung immer weiter aufheizt und selbst bei der Pressekonferenz der Wahlkommission Tumulte ausbrachen.

Die Wahlbeobachter, die den Verlauf am Wahltag noch gelobt hatten, waren entsetzt. Alexander Graf Lambsdorff, der Chef der EU-Wahlbeobachtungsmission, verzichtete auf die vorgesehene Abschlussbilanz und nutzte stattdessen die Chance, zur Ruhe aufzurufen.
"Die Situation in Kenia ist jetzt sehr angespannt. Die Auszählung der Präsidentenwahl verzögert sich entscheidend. Es werden immer mehr Fragen aufgeworfen und in einigen Städten sind in der Tat Unruhen ausgebrochen. Wir betrachten das mit Sorge und haben alle Beteiligten entschieden zur Ruhe aufgerufen." Doch von Ruhe war bis zum Abend wenig zu spüren.

Der Streit hat auch eine ethnische Komponente: Odinga ist Luo, Kibaki Kikuyu – die beiden größten Ethnien des Landes sind sich auch ohne Wahlstreit nicht grün. Zur weiteren Aufheizung der Lage trug die Vielzahl inoffizieller Ergebnisse bei. Die Oppositionspartei Orange Democratic Movement rief Odinga auf Grundlage eigener Zahlen zum Sieger aus.
Musalia Mudavadi, der unter Odinga Vizepräsident werden möchte, sagte: "Vor fünf Jahren haben die Kenianer mit einer überwältigenden Mehrheit Daniel arap Moi abgewählt. Auch dieses Mal haben die Kenianer eine Wahl getroffen. Ihr Wille ist jetzt bekannt. Sie haben die Regierung Kibaki abgewählt und mindestens 18 ihrer Minister nach Hause geschickt, unter ihnen den Vize-Präsidenten. Raila Odinga ist nach unseren Ergebnissen der Gewinner und der vierte Präsident Kenias."

Nur kurze Zeit später legten die Unterstützer von Amtsinhaber Kibaki nach und erklärten ebenfalls den Sieg. Ohne ein baldiges offizielles Ergebnis, so befürchten viele, wird das Chaos weiter zunehmen.

(Copyright tagesschau.de/ ARD Hörfunk, 29.12.07)