Donnerstag, 27. Dezember 2007

Allein gegen das Establishment


Pollyne Owoko hat anstrengende Tage hinter sich. Als ihr Wahlplakat endlich gestaltet war, die Datei auf eine CD gebrannt werden sollte, fiel der Strom aus. Am nächsten Morgen gab es wieder welchen, und sie rannte mit der Datei zum Drucker. Dann machte sie sich auf den Weg zum Besitzer der Plakatwände, fast hätte der die Flächen an ihren Gegner verkauft. Zudem wusste die 30-Jährige lange nicht, wie sie die Flächen überhaupt bezahlen sollte - aber irgendwann findet sich irgendwie eine Lösung. So ging sie an das Unmögliche heran. Ihr Projekt: Sie will heute, wenn Kenia ein neues Parlament wählt, Abgeordnete werden.

Schwierige Situationen hatte Owoko reihenweise zu bewältigen. Meist suchte sie nach Geld, um ihren Wahlkampf zu finanzieren. In der restlichen Zeit war sie in ihrem Wahlkreis Buru Buru unterwegs. Ihr Zuhause in dem Slumgebiet im Osten Nairobis sah sie nur nachts. Ihre Adoptivtochter, 21, passt auf Owokos achtjährige Tochter auf. Einen Mann, der sich um sie kümmern würde, hat sie nicht. Der Job als Versicherungsagentin ruht.

Pollyne Owoko gehört zu den 2 248 Kandidaten, die heute einen von 210 Parlamentssitzen ergattern wollen. Die meisten Kandidaten sind alt und etabliert, viele haben das Berufsleben hinter sich. "Als ich bei der Wahlbehörde meine Unterlagen abgab, rief der Leiter: Überprüft ihren Pass, ob sie wirklich schon 21 ist und kandidieren darf." Auch bei ihren Wahlkampfauftritten hätten Zuhörer immer wieder gefragt, wann denn die Kandidatin komme. "Viele sagen mir, ich soll doch erst mal als Kommunalpolitikerin anfangen, aber dazu habe ich keine Lust."

Owoko ist getrieben von dem Wunsch zu verändern: Aufgewachsen ist sie unter der mehr als zwanzigjährigen autoritären Herrschaft von Präsident Daniel arap Moi. "Ich habe mir jahrelang nichts so sehr gewünscht, wie den Abgang von Moi." Das passierte 2002, und der Führer des oppositionellen Regenbogenbündnisses, Mwai Kibaki, errang einen grandiosen Sieg. "Alle haben gefeiert, wir haben uns gefühlt wie nach einer Revolution - und nach einem halben Jahr gemerkt, dass sich kaum etwas ändert." Damals entschied sich Owoko, selbst in die Politik zu gehen. "Bei uns regiert immer noch die Generation der Staatsgründer. Kibaki hat genau wie Moi und Kenyatta noch den Vertrag über die Unabhängigkeit von Großbritannien ausgehandelt." In Kenia habe das Wort der Älteren schon immer besonderes Gewicht gehabt. Auch hätten die alteingesessenen Politiker über Jahrzehnte ein Netzwerk aus Macht und Geld geknüpft. Wenn Leute Owoko vorwerfen, mit 30 zu jung für ein Mandat zu sein, antwortet sie: "Kibaki war 27, als er seine politische Karriere begann; Moi 25."

Auch in Owokos Wahlkreis Buru Buru sind unter den 25 Kandidaten viele Vertreter der alten Garde. "Der Amtsinhaber ist Ruben Dollo, ein früherer Box-Champion", sagt Owoko und rümpft die Nase. Dollo ist einer von vielen Ex-Sportlern, die um ein Mandat kämpfen. "In meinem Wahlkreis wissen viele nicht einmal, was ein Abgeordneter tut; da wählt man den, dessen Gesicht man schon mal gesehen hat."

Paten statt Politiker habe Kenia, kritisiert Owoko, wer gewählt wird, versorgt seine Anhänger mit dem neu erworbenen Reichtum. In keinem Entwicklungsland werden Abgeordnete besser bezahlt, mit Zulagen verdienen die Parlamentarier eines der ärmsten Länder der Welt mehr als ein Bundestagsabgeordneter. Viele tun deshalb alles dafür, um ein Mandat zu bekommen.

Dollo etwa hat für diese Wahl die Parteien gewechselt, vor fünf Jahren kandidierte er noch für die Regenbogenkoalition von Präsident Kibaki. Jetzt versucht er sein Glück auf dem Ticket des oppositionellen Orange Democratic Movement (ODM), so genannt, weil die Wahlkommission der Bewegung eine Orange als Symbol verpasste. Solche Symbole sind wichtig auf dem Wahlzettel, viele Wähler können weder lesen noch schreiben.

Opportunisten wie Dollo gibt es viele, denn die Stimmung steht auf Veränderung, weil vor allem die Jungen und die Slumbewohner vom Wirtschaftsaufschwung nicht profitiert haben. "Aber keiner von denen wird irgendetwas Grundsätzliches verändern", sagt Owoko verärgert. Wer für eine dieser drei Parteien antritt, kann mit Geld für den Wahlkampf rechnen, das Pollyne Owoko fehlt. Ihre Partei, die Vereinten Demokraten, ist wie die meisten der 300 bei dieser Wahl registrierten kenianischen Parteien mittellos. Dass ihr das nötige Geld fehlt, spürt Owoko jeden Tag. "Wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin und mit Wählern rede, dann sollte ich sie theoretisch mit meinen Ideen begeistern können - aber viele wollen vor allem eins wissen: Wie viel Geld gibst du mir?" Gerade in den Slums von Buru Buru ist es normal, dass ein Kandidat seinen potenziellen Wählern nach einer Rede ein paar Scheine zusteckt.

Owoko versucht, im persönlichen Gespräch Wähler für sich zu gewinnen. Großveranstaltungen, für die sie eine Bühne oder einen Verstärker mieten müsste, macht sie nicht. "Stattdessen hole ich die Bewohner von fünf, sechs Häusern zusammen und erzähle ihnen, was ich erreichen will." Sie wirbt für einen konsultativen Führungsstil, weil sie findet, die Abgeordneten sollten sich mit ihrem Wahlkreis laufend rückkoppeln; für die Auflage eines Jugendfonds, die Förderung junger Sporttalente, bessere Gesundheitsvorsorge für Frauen. "Das mag viel Theorie sein für Leute, die morgens nicht wissen, ob sie abends etwas zu essen haben werden", gesteht Owoko ein.

Die selbstbewusste Idealistin ist im Lauf der Monate immer pragmatischer geworden. In einem Wahlkampf, der wie kaum einer zuvor durch ethnische Abgrenzung geprägt ist, setzt auch sie auf ihre Herkunft. "Ich bin Luo, wir stellen im Wahlkreis die zweitgrößte Gruppe nach den Kikuyu." Außer ihr kandidiert nur ein anderer Luo: Amtsinhaber Dollo. "Und den halten viele Luo für so korrupt, dass sie lieber einem Neuen eine Chance geben wollen." Bis heute wisse keiner, was Dollo mit den umgerechnet 1,5 Millionen Euro gemacht habe, die er wie jeder Abgeordnete für Investitionen im Wahlkreis bekam. "Viele sagen: Lassen wir eine Frau ran, die sind ehrlicher und können mit Geld umgehen."

Viele glauben, dass Präsident Kibaki abgewählt werden könnte, weil die Mehrheit die Vorherrschaft der Kikuyu brechen will. Die von den Briten in der Kolonialzeit geförderte größte Ethnie kontrolliert seit der Staatsgründung Verwaltung und Wirtschaft. Der erste Präsident, Kenyatta, war Kikuyu; der Beraterzirkel des jetzigen Präsidenten Kibaki, alle Kikuyu, hat in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen, früher kaum vorhandene ethnische Spannungen zu schüren. Die Reden von Oppositionskandidat Raila, selbst Luo, taten ein übriges.

Laut Umfragen stehen Owokos Chancen für den Einzug ins Parlament nicht schlecht. Das setzt sich aus in den Wahlkreisen gewählten Direktkandidaten zusammen. Owoko liegt in ihrem Wahlkreis auf Platz 3. Ihre Wahlbeobachter, 300 Mann, stehen heute von morgens bis abends an den Urnen, um Fälschungen zu verhindern. Mehr als 7 000 Euro braucht Owoko, um sie zu bezahlen. Noch ist das Geld nicht da, aber das ficht sie nicht an. Wenn es klappt, sagt Owoko, wird sie für zwei Wahlperioden im Parlament bleiben. "Danach will ich zu Hause sein, Gemüse anpflanzen und kochen." Und falls es nichts wird mit dem Mandat, hat sie einen Plan: "Dann beginnt im März meine Kampagne für die Wahl 2012."

(Copyright Berliner Zeitung, 27.12.07)