Dienstag, 3. Juni 2008

Ubare, Kamau und der Maispreis


Aska Karubo Ubare steht zwischen den vollgestopften Regalen, die um sie herum aufragen. Aus den Lautsprechern tönt blechern Musik, die ab und zu von knisternden Durchsagen unterbrochen wird. Ubares Blick wandert unsicher von rechts nach links und wieder zurück, schließlich greift sie ein Paket Maismehl und packt es in den leeren Einkaufswagen. Sie zögert und greift erneut zu, bis sie vier Pakete hat. "Ich war noch nie in einem Supermarkt", erklärt die 42-jährige Kenianerin ihre Überwältigung. "Hier gibt es so viel, und alles in riesigen Mengen."

Dass Ubare heute bei Nakumatt Mega, einem der größten Shoppingzentren Kenias, einkaufen kann, hat sie der Hilfsorganisation Care zu verdanken. Nach den Unruhen Anfang dieses Jahres, bei denen mehr als tausend Kenianer ums Leben kamen, hat Care sechstausend Einkaufsgutscheine zu je 1.000 Schilling - etwa 10 Euro - für die bedürftigsten Bewohner von Kibera, dem größten Slum in der Hauptstadt Nairobi, gestiftet. Zu ihnen gehört Ubare zweifellos: Außer um ihre drei eigenen Kinder kümmert sich die HIV-positive Frau auch um zwei Waisen von Verwandten, die an Aids gestorben sind. Ihr Mann hat sich schon seit Jahren nicht mehr blicken lassen. Ubares Schneiderei wurde im Januar von Unbekannten angezündet und brannte aus, jetzt hält sich die ehemalige Kleinunternehmerin mit Gelegenheitsjobs über Wasser. An diesem Tag kauft sie außer Maismehl noch 3 Liter Sonnenblumenöl, 2 Kilo Zucker, ein Stück Seife und 25 Teebeutel. Dann ist der Scheck verbraucht, bis auf 40 Schillinge, die braucht sie für den Bus zurück in den Slum.

Aska Karubo Ubare gibt jenem Phänomen ein Gesicht, das derzeit als "Neue Hungerkrise" Schlagzeilen macht. Zwar gibt es genug Lebensmittel, doch vor allem in den Städten, wo mittlerweile jeder zweite Afrikaner lebt, können sich immer weniger Leute sie noch leisten.

"Maismehl und Öl nehmen mir die größten Sorgen für die kommenden Wochen", seufzt sie, nachdem sie die Einkäufe in ihrem Haus verstaut hat. Lange hat das nicht gedauert, denn der Bretterverschlag, über dem ein Dach aus Wellblech den schlimmsten Regen abhält, ist nur 12 Quadratmeter groß. 1.200 Schillinge Miete zahlt sie jeden Monat, das ist zu viel, um sich auch noch ausgewogenes Essen zu leisten. Zweimal am Tag bereitet sie deshalb für die Kinder aus Wasser und Maismehl einen dünnen Brei zu, am Abend kocht sie dazu ein wenig bitteren Blattspinat, den die Kenianer Sukuma nennen. Fleisch hat es schon lange nicht mehr gegeben. "Die Lebensmittel werden immer teurer, ich bin froh, wenn ich das Nötigste bezahlen kann." Ihr Maismehl, das Hauptnahrungsmittel für alle Kenianer, kauft sie sonst immer auf dem örtlichen Markt. Für die 15 oder 20 Schillinge, die sie dann hat, bekommt sie nicht mehr als 200 Gramm. Bei Nakumatt würde sie zwar für 2 Kilo nur 76 Schillinge (umgerechnet 80 Eurocent) bezahlen, aber 76 Schillinge hat Ubare fast nie. Das wissen die lokalen Händler, sie fahren mit dem portionsweisen Verkauf an die Ärmsten ordentlich Gewinn ein.

"Vor einem Jahr habe ich für die gleiche Menge Maismehl noch die Hälfte bezahlt, die Preise gehen ständig rauf", klagt Ubare. In ihrer Nachbarschaft sind kürzlich zwei Familien zusammengezogen, um Geld zu sparen, jetzt teilen sie sich ihre zwölf Quadratmeter zu zehnt. "Vielleicht müssen wir das auch irgendwann machen, damit wir weiterhin essen können."

Wenn es zutrifft, dass des einen Leid des anderen Freude ist, müsste Charles Nganga Kamau von morgens bis abends feiern. Sein Mais streckt sich zweieinhalb Monate nach der Saat schon stolz in die Höhe. "Diese Regenzeit ist gut, es ist nicht so trocken wie im vergangenen Jahr", strahlt der 60-Jährige, der bis 1994 im Postministerium gearbeitet hat. Danach hat er sich auf das Land seine Vorväter zurückgezogen und mit der Landwirtschaft begonnen. Zehn Sack Mais, jeweils zu 90 Kilo, erhofft sich Kamau von der Ernte, vorausgesetzt, der Regen fällt weiter. Einen halben Hektar misst sein Hof, auf der Hälfte baut er Mais an. Zehn Sack, das wäre für Kamau eine Rekordernte. Doch von plötzlichem Reichtum angesichts der steigenden Maismehlpreise in der Stadt kann er nicht berichten. "Auf dem Markt von Wangige, wo ich meinen Mais verkaufe, bekomme ich für zwei Kilo 50 Schillinge, genauso viel wie vor einem Jahr." Wer große Mengen verkauft, bekommt für zwei Kilo kaum mehr als 40 Schillinge - das ist der Abnahmepreis, den die staatliche Regulierungsbehörde empfiehlt. Auf dem Land, weit entfernt von den Märkten, ist sie oft der einzige Aufkäufer.

Auch die Zwischenhändler, die in nicht ganz so entlegenen Gebieten von Hof zu Hof fahren und die Ernte aufkaufen, zahlen schlecht. Aber sie nehmen große Mengen ab, die sie nach Nairobi fahren, wo sie sie weiterverkaufen - zum Beispiel an Nakumatt. Die hohen Benzinpreise legen sie auf den Verkaufspreis um. Samt saftiger Gewinnspanne, die sie sich als Quasimonopolisten leisten können, sorgen manche Zwischenhändler dafür, dass ein Sack Kartoffeln, der in der Provinz 800 Schillinge kostet, in Nairobi für 2.000 verkauft wird. "Die Zwischenhändler", sagt Kamau, "profitieren mehr von der Knappheit als wir Bauern."

Viele Landwirte horten derzeit ihre letzte Ernte, weil sie auf einen höheren Preis spekulieren. Das ist riskant, in den einfachen Lagerstätten zerstören immer wieder Pilzbefall oder Ratten die Ernte. "Spätestens nach der nächsten Ernte im Herbst werden wir bessere Preise verlangen können", hofft auch Kamau - als unweigerliche Anpassung an das höhere Preisniveau. Weil der Dieselpreis im vergangenen Jahr so stark gestiegen ist, zahlt Kamau fürs Mahlen seiner Ernte mehr als das Doppelte. Und die Preise der wenigen Verbrauchsgüter, die er nicht selbst anbaut, steigen fast jede Woche. "Zucker, Sonnenblumenöl und Gas machen mich fast zu einem armen Mann", sagt er.

Dabei hat Kamau es noch gut. Seine Kosten sind viel geringer als die der meisten. Vor zehn Jahren hat er auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Als Dünger nutzt er ausschließlich Kompost vom eigenen Hof, auch Insektenmittel gewinnt er aus einheimischen Pflanzen selber. Wenn er in vier Monaten erntet, werden seine Hauptkosten die 500 Schillinge gewesen sein, die er für das vom Staat zertifizierte Saatgut gezahlt hat. "Bekannte von mir, die konventionelle Landwirtschaft betreiben, jammern über die hohen Kunstdüngerpreise", weiß Kamau. "Der Sack kostet die Hälfte mehr als noch vor einem Jahr." Kunstdünger und auch Pestizide müssen in Kenia importiert werden.

Die steigenden Weltmarktpreise schlagen direkt in die kenianische Provinz durch. "Viele Freunde sagen mir, dass sie heute mit ihrer Ernte weniger verdienen als noch vor einem Jahr." Die meisten Farmer in Kenia sind wie Kamau Kleinbauern: Auf zweieinhalb Millionen schätzt Kenias Landwirtschaftsministerium die Zahl derer, die Mais anbauen. Das Getreide ist mehr als das nationale Grundnahrungsmittel - es ist eine nationale Passion.

Wann also werden die Landwirte endlich von den gestiegenen Lebensmittelpreisen profitieren? Bald, glaubt Romano Kiome, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. "Eine Krise ist immer auch eine Chance", sagt er, "wenn die Farmer jetzt ihre Produktivität erhöhen, können sie bei der nächsten Ernte mehr Geld machen als je zuvor." Kiome und seine Beamten schlagen sich mit dem Problem herum, dass während der Gewaltausbrüche nach der Wahl mehr als dreieinhalb Millionen Sack Mais vernichtet und so viele Felder verwüstet wurden, dass der Ernteertrag selbst bei idealen Bedingungen um mindestens ein Sechstel fallen wird. "Der Rest muss entweder importiert werden - was bei den hohen Weltmarktpreisen heftig zu Buche schlägt -, oder aber wir schaffen es, den Output zu erhöhen."

Ein von Geberländern finanziertes Kleinkreditprogramm über 30 Millionen Euro soll Farmern helfen, Saatgut und Dünger zu bezahlen und so zu den Gewinnern der Versorgungskrise zu gehören, die Kenia voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte treffen wird. So hoch prognostiziert Kiome die Marktpreise bis dahin, dass die Rückzahlung des Kredits plus 10 Prozent Zinsen kaum ein Problem darstellen wird.

Doch in Kibera, Heim von einer Million Slumbewohnern, treiben Kiomes Prognosen einigen neue Schweißperlen auf die Stirn. Samuel Oninga arbeitet für eine Selbsthilfegruppe namens "Haki", Suaheli für "Gerechtigkeit". "Ich gehe von Haus zu Haus, und überall höre ich die gleichen Geschichten: Kaum einer kann sich noch sein Essen leisten." Wenn im Herbst der Maispreis steigt, wird die Situation in Kibera noch schlimmer werden, glaubt er.

Mittelfristig hofft Kiome die steigenden Ladenpreise mit marktwirtschaftlichen Mitteln bewältigen zu können. Mit Kleinkrediten und Kurzlehrgängen versucht die Haki-Gruppe, die Zahl der Zwischenhändler zu erhöhen. "Die wachsende Konkurrenz soll die Verkaufspreise senken, und die Gewinne sollen in mehr Taschen landen als heute." Doch kurzfristig wird das nicht helfen. Viele hoffen, dass die Regierung im Herbst den Verkaufspreis für Maismehl künstlich niedrig hält, sei es über Subventionen oder die Beeinflussung des Marktes durch die staatliche Maisreserve. Deren Erhöhung hat die Regierung gerade verkündet. Sonst, so befürchtet Oninga, wird sich in Kibera bald niemand mehr sein tägliches Maismehl leisten können. Doch Subventionen selbst für die Ärmsten lehnt Kenias Regierung bislang entschieden ab.

(Copyright die tageszeitung, 3.6.08)