Sonntag, 29. Juni 2008

Baustelle Südafrika


Wenn am Sonntag in Wien die Euro 2008 zu Ende geht, sind es nicht einmal mehr zwei Jahre, bis am 11. Juni 2010 in Johannesburg der Anpfiff zur ersten Fußball-WM auf afrikanischem Boden gegeben wird. Mehr als 400.000 Besucher aus aller Welt werden zu dem einmonatigen Spektakel erwartet. "Die WM in Südafrika wird eine Feier afrikanischer Menschlichkeit ", verspricht Chef-Organisator Danny Jordaan. Doch ob Afrikas "Regenbogennation" dieses Versprechen halten kann, bezweifeln selbst im eigenen Land immer mehr.

Der 24-jährige Maurice aus Simbabwe etwa, der bis vor einigen Wochen am Stadtrand von Johannesburg gelebt hat, will nach den Pogromen gegen Ausländer im Mai so bald nicht wieder nach Südafrika zurück. "Sie haben mich verprügelt, sie haben mein Haus geplündert und alles zerstört, was ich besaß." Mehr als fünfzig Immigranten kamen in den Unruhen im Mai ums Leben, zehntausende wurden wie Maurice bis heute vertrieben. Dass Polizei und Politik wochenlang nicht in der Lage waren, den Ausschreitungen ein Ende zu machen, bedrückt WM-Organisator Jordaan besonders. "Unser Land ist aus vollkommen falschen Gründen in die Schlagzeilen geraten."

Tatsächlich glaubt niemand, dass WM-Besucher in Südafrika Angst vor ausländerfeindlichen Übergriffen haben müssen. Doch hinter den Ausschreitungen steckt die riesige Schere zwischen arm und reich in Afrikas wohlhabendster Nation: Gut ein Drittel der Südafrikaner sind arbeitslos. Die Masse der ungelernten Arbeiter, die für vielleicht 250 Franken im Monat arbeitet, kann die steigenden Preise für Lebensmittel und Unterkunft kaum noch bezahlen. Auf dem Land kommt dazu, dass die versprochene Umverteilung von Land an schwarze Farmer bislang nicht stattgefunden hat. Kein Wunder, dass Kriminalität in Südafrika boomt. Mehr als 50 Morde pro Tag registrierte Südafrikas Polizei im vergangenen Jahr. "Die hohe Kriminalitätsrate droht Besucher davon abhalten, zur WM zu kommen", warnte kürzlich Tourismusminister Marthinus van Schalkwyk.

Anfang Juni gingen in Pretoria zehntausend Demonstranten gegen die wachsende Kriminalität auf die Straße. "Die neunjährige Tochter eines Freundes wurde vergewaltigt und dann ermordet, da musste ich etwas unternehmen", erklärt der Organisator Desmond Dube. Auch der Vorsitzende des südafrikanischen Fußballbundes, Raymond Hack, wurde vor einem Jahr Opfer eines Raubüberfalls. Doch Südafrikas Polizei glaubt, gewappnet zu sein: "Die meisten Morde geschehen in den Townships, Touristen sind sicher", so ein Sprecher. 30.000 neu eingestellte Polizisten sollen WM-Besucher schützen.

Kriminalität ist nur eines der Probleme, die Südafrikas Regierung bis 2010 bewältigen muss. Da sind die zehn Stadien, fünf davon Neubauten. "Alle Stadien werden bis Januar 2009 fertig sein", verspricht zwar der zuständige Vize-Finanzminister Jabu Moleketi. Doch Streiks auf den Baustellen und juristische Streitereien haben zu Verzögerungen geführt. "Mit den Stadien in Port Elizabeth und Kapstadt haben wir Probleme, das Zieldatum einzuhalten", gesteht Jordaan ein. Das vorgesehene Budget von umgerechnet knapp 1,3 Milliarden Franken sei zudem schon überschritten.

Noch schwerer vorherzusagen ist der Ausbau der für die WM nötigen Infrastruktur: In Bloemfontein etwa sind erst 6.500 der geplanten 20.000 Hotelzimmer verfügbar. Der Ausbau von Straßen und Flughäfen ist zwar im Gang, doch es fehlt immer noch an Bussen und Flugzeugen, um die Fußballfans durch das riesige Land zu transportieren. Ein Schnellzug, der die staugeplagten Straßen in Johannesburg entlasten soll, wird nach Plan erst 11 Tage vor WM-Beginn fertig - das ist mehr als knapp. Südafrikas Stromversorger hat unterdessen wegen fehlender Kraftwerke für die kommenden fünf Jahre großflächige Stromausfälle vorhergesagt. Im Januar hingen Touristen in der Seilbahn zu Kapstadts Tafelberg stundenlang in der Luft, weil der Strom weg war. Goldminen mussten ihren Betrieb einstellen.

Doch wenigstens Südafrikas größtes Potential ist intakt: Mit Herz und Begeisterung sind die Südafrikaner dabei, 85 Prozent glauben einer jüngsten Umfrage zufolge fest daran, dass ihre WM zu einem Riesenerfolg wird. "Für uns geht es um mehr als nur ein Sportevent, wir wollen ein neues Nationalbewusstsein schaffen", verspricht Jordaan einen Enthusiasmus, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.

(Copyright Der Sonntag, 29.6.08)