Dienstag, 24. April 2007

Ende einer Chaoswahl


Maurice Iwu hat die Eigenschaften einer Teflonpfanne. Am Chef der Unabhängigen Wahlkommission Nigerias, die nach Ansicht der Opposition alles andere als unabhängig ist, perlt jede Kritik spurlos ab. Schon am Sonntag hatte er die von Chaos, Mord und Totschlag begleiteten Wahlen als «historisch» gefeiert, «eine Wahl, von dem noch unsere Kindeskinder schwärmen werden». Gestern Montag trat Iwu ungerührt vor die Presse in der Hauptstadt Abuja und verkündete, Nigeria habe einen neuen Präsidenten.

Umaru Yar’Adua, der farblose Wunschkandidat des scheidenden Präsidenten Olusegun Obasanjo, hat demzufolge 24 638 063 Stimmen erhalten. Insgesamt waren mehr als 60 der 140 Millionen Nigerianer zur Wahl aufgerufen. Der ehemalige Militärherrscher Muhammadu Buhari landete mit deutlichem Abstand und 6,6 Millionen Stimmen auf Platz zwei; Vizepräsident Atiku Abubakar, der ebenfalls für die Opposition antritt, erhielt 2,6 Millionen Stimmen.

Die massive Kritik aus dem In- und Ausland ficht Iwu ebenso wenig an wie Präsident Obasanjo. Der wandte sich gestern in einer Fernsehansprache an das Volk und rief es auf, das verkündete Ergebnis zu akzeptieren. «Unsere Wahlen waren nicht perfekt», räumte er ein und nannte logistische Probleme, Gewalt, Überfälle und Wahlbetrug als Beispiele. «Aber nichts soll unser Volk vom Glauben an die Demokratie abbringen.»

Kritik von EU-Wahlbeobachtern

Doch den haben die vielen Wahlbeobachter, die den Samstag an den Urnen verbracht haben, längst verloren. Sie verdammen die Abstimmung als Farce. «In weiten Teilen des Landes haben Wahllokale Stunden verspätet oder gar nicht geöffnet», so Innocent Chukwuma von der «Transition Monitoring Group», die 50 000 Beobachter an die Wahlstationen entsandt hatte. «Die Ergebnisse müssen annulliert, die Wahlen wiederholt werden.»

Auch die Wahlbeobachter der Europäischen Union gaben sich gestern wenig diplomatisch. «Die Wahlen waren nicht glaubwürdig und entsprachen nicht internationalen Standards», kritisierte der Chef der EU-Mission, Max van den Berg.

Am Wahltag waren zehn Polizisten erschossen worden, während sie den Transport von Wahlzetteln beaufsichtigten. Im Norden Nigerias feuerten Sicherheitskräfte in eine protestierende Menge › drei Jugendliche starben. Von überall im Land berichten Augenzeugen, dass Wahlurnen gestohlen wurden. Wahlzettel sollen massenhaft gefälscht worden sein. «Allein ich habe fünfzig Wahlzettel gefälscht», sagte ein Jugendlicher zu Reportern im ölreichen Niger-Delta. «Bezahlt dafür hat die Regierung.»

Unbekannte hatten ausserdem einen Tanklastzug mit Zündern versehen und ihn auf die Zentrale der Wahlkommission in Abuja zurollen lassen. Der Wagen fuhr gegen einen Telegrafenmast, niemand wurde verletzt. Zuvor hatten Maskierte das Büro des Regierungskandidaten für das Vizepräsidentenamt, Jonathan Goodluck, im ölreichen Niger-Delta gestürmt. Doch Goodluck war nicht da, das versuchte Attentat schlug fehl.

Lieber eine Marionette als das Militär

In Abuja waren gestern Polizeieinheiten aufmarschiert, um Unruhen zu verhindern. Oppositionskandidat Buhari hatte seine Anhänger aufgerufen, gegen einen angeblichen Sieg Yar’Aduas zu protestieren. Auch Vizepräsident Abubakar will das Ergebnis anfechten. Nigerias oberster Gerichtshof hatte in letzter Minute entschieden, dass Abubakar zu Unrecht von der Wahl ausgeschlossen worden war. 60 Millionen Wahlzettel mussten daraufhin neu gedruckt und verteilt werden, was erheblich zum Chaos am Wahltag beigetragen hatte.

Doch ob tatsächlich genug Wähler gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen auf die Strasse gehen, ist ungewiss. Viele Nigerianer wollen vor allem, dass der gewalttätige Wahlkampf jetzt endlich ein Ende hat. «Ich habe lieber eine Marionette Obasanjos als Präsident als das Militär», bringt eine Wählerin in Nigerias Wirtschaftszentrum Lagos ihre Angst zum Ausdruck. Die Wahl soll zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias 1960 einen Übergang von einer zur nächsten gewählten Regierung ermöglichen. Wenn die Ausschreitungen überhand- nehmen, so befürchten viele, könnte das Militär dies als Ausrede nehmen, nach nur acht Jahren ziviler Herrschaft wieder zu putschen.

(Copyright Aargauer Zeitung/ Mittelland Zeitung, 24.4.2007)