Donnerstag, 19. April 2007

Schüsse, Schläger, Ausgangssperre


Hassan Jamiu hatte gerade die Hütte seines Großvaters in einem der vielen Slums von Lagos verlassen, als die Schüsse fielen. Ein Querschläger traf den 21-jährigen in den Rücken, an einem Marktstand brach er zusammen. Eine halbe Stunde später war er tot. “Ein Politiker aus dem Viertel hatte ein paar Schlägern Geld gegeben, und sie konnten sich nicht auf die Aufteilung einigen” erklärt Obsthändler Ibrahim den Hintergrund der Ausschreitungen, die zwei Tage dauerten. Gewalt gibt es immer in Lagos, der größten Stadt Afrikas, aber vor diesen Wahlen ist es so schlimm wie lange nicht.

Ein paar hundert Naira, umgerechnet ein paar Euro, bekommen die arbeitslosen Jugendlichen, die von Politikern jeder Couleur gruppenweise angeheuert werden. Die Schlägertrupps sollen oppositionelle Wahlkampfauftritte aufmischen und Angst und Schrecken bei Anhängern der Opposition verbreiten. Bei den Regionalwahlen am vergangenen Samstag schossen sie von Motorrädern auf Wahlbüros oder stahlen Urnen. “Angst vor Konsequenzen muss keiner von uns haben”, sagt einer der Gelegenheitsschläger. “Das ist ein Job wie jeder andere, und wir werden ordentlich ausgerüstet und bezahlt.”

Während sich die politische Elite Nigerias darüber streitet, ob Parlament und Präsident an diesem Samstag tatsächlich gewählt werden können, leidet die Bevölkerung in Nigeria unter dem Chaos. “Vor die Tür geht in diesen Tagen nur, wer wirklich muss”, sagt ein Deutscher, der in einem der besseren Viertel von Lagos lebt. Die Straßen und Märkte werden von Schlägertrupps unterscheidlicher Fraktionen kontrolliert. Wer einkaufen geht, kann unversehens in einen Schusswechsel geraten. Mehrere hundert Menschen sind seit Beginn des Wahlkampfs ums Leben gekommen.

Vor allem im mehrheitlich von Muslimen bewohnten Norden Nigerias nutzen Politiker zudem die vorhandenen religiösen Spannungen. In Kaduna, wo eine große christliche Minderheit lebt, gab es in den letzten Jahren immer wieder blutige Massaker. “Politiker benutzen religiöse Vorwände, um ihre Anhänger zu manipulieren und auf die Gegner zu hetzen”, kritisiert Pastor Bitrus Dangiwa, der in einem christlich-muslimischen Netzwerk gegen Gewalt aktiv ist.

“Die Hintergründe für die Ausschreitungen sind in der Regel nicht religiös, sondern politisch”, pflichtet ihm Imam Abdullahi Mohammed bei. Die Jugendmilizen, in Kaduna entlang religiöser Linien organisiert, seien dafür ein gute Beispiel. “Die Jugendlichen sind arbeits- und hoffnungslos, sie verkaufen sich für jeden Inhalt, sei es Politik oder Religion – Hauptsache, es lohnt sich.” Dangiwa und Mohammed hoffen, dass ihnen am Wahltag in Kaduna schwere Ausschreitungen erspart bleiben. Doch die Unruhen im gerade mal zwei Autostunden entfernten Kano machen nicht gerade Mut.

Hier, in der größten Stadt im Norden Nigerias, hatte sich Scheich Dschafar Adam am vergangenen Freitag gerade zum Mittagsgebet begeben, als maskierte Schützen ihn in der Zentralmoschee von Kano erschossen. Der genaue Hintergrund der Tat ist unklar, denn der konservative Prediger Adam war gleich mehrfach unbeliebt: Bei der Regierung des Bundesstaats, die er im Protest über die aus seiner Sicht zu lasche Umsetzung des Scharia-Gesetzes verlassen hatte. Und bei moderaten muslimischen Gruppen, an denen Adam ebenfalls kein gutes Haar ließ.

Ermittlungsergebnisse oder gar Verdächtige gibt es bis heute nicht. Aktiv wurde die Polizei erst, als eine radikale Sekte namens “Taliban” 13 ihrer Leute umbrachte, um den Tod Adams zu rächen. In einer minutiös geplanten Militäroperation wurden 26 “Taliban” erschossen. Zu einer Beruhigung der angespannten Lage hat das nicht beigetragen, im Gegenteil. Viele in Kano glauben seit Adams Tod erst Recht, dass der christliche Süden dem voraussichtlich muslimischen Präsidenten die Macht schnell wieder nehmen will, auf die man hier so lange gewartet hat.

(Copyright epd, 19.4.2007)