Mittwoch, 14. Februar 2007

Ende eines Handelszentrums


Zum Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation (WTO) vor einem Jahr hatte sich Hongkong in Schale geworfen. Die chinesische Millionenstadt, gemessen am Bruttosozialprodukt die neuntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, versteht sich als Zentrum der wirtschaftlichen Globalisierung. Auf Bannern wurde die Freihandelsorganisation WTO folglich mit dem Spruch “Willkommen zu Hause” begrüßt. Doch der Klimawandel könnte dem brummenden Handelszentrum am Perlflussdelta bald den Saft abdrehen. Überschwemmungen, die in der Region seit Jahren an Intensität zunehmen, sind die größte Gefahr für das hochindustrialisierte Delta, dessen Küstenlinie oft nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel liegen.

Und der steigt kontinuierlich. In weniger als 25 Jahren, so sagt die Hongkonger Klimaforscherin Alexandra Tracey voraus, wird der Meeresspiegel mindestens 30 Zentimeter höher liegen als heute. “Das bedeutet noch mehr Überschwemmungen und in der Folge die Beschädigung von Straßen, Kraftwerken, Stromleitungen oder Wasserwerken.” Auch stärkere Taifune erwartet die Klimaforscherin, so wie in anderen Teilen Asiens bereits zu sehen. Im Hinterland von Hongkong sind bei den Überschwemmungen der vergangenen drei Sommer hunderte ums Leben gekommen, zehntausende mussten aus ihren Dörfern umgesiedelt werden, hunderttausende Hektar Farmland, die Brotkammer Hongkongs, wurden verwüstet. Hongkong selbst kam noch vergleichsweise glimpflich davon.

“Aber wenn erstmal Hongkong und die Industriegebiete am Perlfluss selbst unter Wasser stehen, sind die wirtschaftlichen Folgen ungleich größer”, warnt Christine Loh. Die Geschäftsführerin der Organisation “Civic Exchange” sieht die größte Gefahr darin, dass Hongkong sich – anders als andere Weltmetropolen – nicht auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet. “Dabei lebt die Industrie hier vom Just-in-time-Prinzip – selbst kurzzeitige Stromausfälle könnten die Exportwirtschaft beschädigen, von einer wetterbedingten Schließung der Häfen oder Flughäfen ganz zu schweigen.” Die Auswirkungen, so Loh, blieben dabei nicht auf Hongkong beschränkt. So vernetzt sei die Hongkonger Wirtschaft, dass die ganze Welt die Folgen zu spüren bekäme.

Die miesen Umweltbedingungen in Hongkong verschlechtern den Ruf des Hongkongs schon jetzt. Rating-Agenturen wie Merrill Lynch haben den Standort herabgestuft, weil kaum ein Manager willens ist, in einer Stadt zu arbeiten, wo fast jeden dritten Tag Smog-Alarm herrscht. Durch den Klimawandel wird die Lebensqualität weiter sinken: So ist selbst die Trinkwasserversorgung in Hongkong bis hin zum weiter flussaufwärts gelegenen Wirtschaftszentrum Kanton gefährdet. Der steigende Meeresspiegel sorgt für die Versalzung des Flusses, aus dem das Gros des Trinkwassers gewonnen wird.

Loh glaubt, dass die Wirtschaft nicht lange fackeln wird. “Wenn die Industrie erst einmal das Gefühl hat, dass Hongkong nicht mehr wie bisher zuverlässig wie ein Uhrwerk funktioniert, werden sie ihre Produktion irgendwo außerhalb der Region ansiedeln.” Für den riesigen Dienstleistungssektor in Hongkong wäre das eine Katastrophe. Selbst Hongkongs gleichgeschaltete Regierung hat das Problem erkannt und ärgert sich über die Untätigkeit der Unternehmen, die mit ihren veralteten Anlagen selbst massiv zum Klimawandel beitragen. “Den Wirtschaftsführern mangelt es an sozialer Verantwortung”, beschwert sich ein enger Mitarbeiter von Hongkongs Regierungschef Donald Tsang. Eine Selbstverpflichtung, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren, unterzeichneten gerade einmal 100 von zehntausenden Firmen in Hongkong. Besonders peinlich: Unter den Firmenbossen, die nichts vom Klimaschutz wissen wollen, sitzen viele in Tsangs Kabinett.

(Copyright Frankfurter Rundschau 14.2.07)