Mittwoch, 5. März 2008

Zweckoptimismus in Kenia


Die Erleichterung über das gefühlte Ende von mehr als zwei Monaten Dauerkrise in Kenia ist auch mehrere Tage nach der kaum noch erhofften Einigung von Regierung und Opposition im ganzen Land spürbar. Die einen feierten am Wochenende in der Kneipe, die anderen in der Kirche. "Das Abkommen hat Angst und Unsicherheit sofort beendet", freut sich etwa Washington Ogonyo Ngede, Bischof der evangelikalen "Jesus around the World"-Kirche in Kisumu. "Jeder hier war traumatisiert, auch wenn die wenigsten es zugeben wollten." Durch die in den Unruhen weitgehend zerstörte Stadt fuhren immer wieder Autokonvois mit jubelnden Menschen. "Unsere größte Herausforderung ist es, Investoren hierher zu kriegen, die Kisumu wieder aufbauen", erklärt der neugewählte Bürgermeister Sam Okello. "Die Unterzeichnung des Machtteilungs-Abkommens ist dafür die halbe Miete." Auch Wirtschaftsvertreter wie der Chef des lokalen Unternehmerverbandes, Fidel Muasya, gaben sich am Wochenende zuversichtlich. "Kisumu hat eine lange Unternehmertradition, bald werden die Straßen wieder voll wirtschaftlicher Aktivität sein."

Mit "Frohes neues Jahr" grüßten sich viele Kenianer am Freitag, nachdem der umstrittene Präsident Mwai Kibaki und sein Widersacher Raila Odinga vor laufenden Kameras eine Einigung in der Machtfrage unterzeichnet hatten: Der Beginn einer neuen Ära nach zwei Monaten Düsternis. Der von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass Präsident Mwai Kibaki, der die Wahl auch nach Ansicht internationaler Wahlbeobachter nur durch Fälschung gewonnen hat, im Amt bleibt. Odinga, der Kibaki erstmals seit der Wahl am 27. Dezember mit "Herr Präsident" ansprach, soll den neugeschaffenen Posten des Premierministers übernehmen. Dazu kommen zwei stellvertretende Premiers, je einer aus dem Kibaki- und Odinga-Lager. Das Kabinett soll zudem nach Parteienproporz im Parlament gebildet werden - dort hat Odinga die Mehrheit. Dass eine solche Lösung zustande kommen würde, hatte zuletzt kaum noch jemand für möglich gehalten. Doch 38 Tage nach seiner Ankunft in Kenia verblüffte Annan alle Zweifler, indem er Tansanias Präsident Jakaya Kikwete, derzeit auch Chef der Afrikanischen Union, nach Nairobi holte. Dem Vernehmen nach war es Kikwete persönlich, der Kibaki die Angst vor dem Premier nahm - in Tansania wird ähnlich regiert.

Ob die überraschende Einigung Bestand haben wird, ist freilich ungewiss. Annan, der am Sonntag Kenia verließ, hat Nigerias ehemaligen Außenminister Oluyemi Adeniji damit beauftragt, gemeinsam mit Unterhändlern beider Seiten die nötigen Verfassungsänderungen auf den Weg zu bringen. Ab Donnerstag soll das Parlament über sie beraten. Im Abkommen ist nicht geregelt, welche Kompetenzen der Premierminister wirklich haben soll - einige müssten dem bereits heftig protestierenden Vize-Präsidenten entrissen werden. Auch die Frage, was im Falle eines vorzeitigen Scheiterns der großen Koalition geschieht, ist offen. Auch die Tatsache, dass Kibakis Justizministerin die Gespräche fast scheitern ließ, weil sie Annan in der Debatte um einen starken Premier angeblich Unfähigkeit vorwarf, lässt bei der juristischen Feinarbeit neue Fallstricke befürchten. Doch den Zweckoptimismus fast aller Kenianer ficht das nicht an. Seit Beginn der Krise sind mehr als 1.000 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 350.000 Kenianer wurden vertrieben. Dass das jetzt ein Ende hat, feiern seit Tagen Kenianer aller Ethnien und Einkommensgruppen. Selbst wenn die Politik sich nicht an das Abkommen halten sollte, könnte die Eigendynamik des kollektiven Glücksgefühls Kenia zu einer neuen Zukunft verhelfen.

(Copyright epd, 5.3.08)