Donnerstag, 13. März 2008

Gendarmen der Wüste


Die Lehmhütte von Urban Britzius liegt so weit ab vom Schuss, dass er manches gar nicht mitbekommt. Etwa als das Dorf Iriba im Nordosten Tschads, wo er seit fast drei Jahren lebt, von Rebellen eingenommen wurde. "Das habe ich erst im Radio erfahren", berichtet der ergraute deutsche Wasserbauingenieur, der eine Pfeife im Mundwinkel und ein weites tschadisches Gewand trägt: In Iriba steigen die Mittagstemperaturen derzeit über 50 Grad.

Früher war der Marktflecken mit etwa 2 000 Einwohnern Anlaufpunkt für den Handel mit dem Sudan, die Grenze zu Darfur liegt nur knapp 60 Kilometer entfernt. Doch seit Ausbruch der Darfur-Krise vor fünf Jahren ist Iriba vor allem Basis für Flüchtlingshelfer. Britzius versorgt im Auftrag der Hilfsorganisation Help 16 000 Menschen mit Wasser, viele von ihnen in den drei nahen Lagern. Insgesamt leben mehr als 250 000 Darfur-Flüchtlinge im unwirtlichen Osten Tschads, dazu kommen mindestens 180 000 intern vertriebene Tschader.

Durch das grenznahe Dorf jagen seit ein paar Monaten außer Darfur-Rebellen und verfeindeten Milizen auch tschadische Rebellen, die gegen die Regierung von Präsident Idriss Déby kämpfen. "Da braust irgendein Konvoi durch, und hinterher erzählt mir einer: Das war die oder jene Gruppe. Aber wirkliche Bedeutung für uns hier hat das nicht", sagt Britzius. Dass das Leben in Iriba derzeit dennoch gefährlicher ist denn je, erklärt er so: "Als Vertreter des Staates haben wir hier gerade mal einen Polizisten mit fünf Handlangern." Als die Rebellen nach Iriba kamen, flohen die sechs in den Busch, so war die Stadt plötzlich "in Rebellenhand". Als die Rebellen zum Sturm auf N'Djamena weiterzogen, kamen die sechs Repräsentanten der fernen Regierung zurück: Die Stadt war den Radionachrichten zufolge, wie Britzius am Abend überrascht zur Kenntnis nahm, wieder unter Kontrolle der Regierung. So sei es fast überall im Osten Tschads: "Es gibt hier einfach keinen Staat."

Mehr als 40 Autos sind alleine in Iriba in den vergangenen Monaten gestohlen worden, ohne dass jemand Täter verfolgt hätte. Immer wieder überfallen Banditen Häuser in Iriba. Das Umland kann nur im Konvoi bereist werden, der von der Armee begleitet werden muss. Deren Angehörige sind wiederum dafür berüchtigt, dass sie, wie in der vergangenen Woche, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen eher verprügeln als schützen.

In dieser gesetzlosen Gegend sollen von dieser Woche an Soldaten der europäischen Eingreiftruppe Eufor für mehr Sicherheit sorgen. Einen Monat nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Déby hält Eufor-Sprecher Patrick Poulain die Lage für sicher genug, um die Militärjeeps, die gepanzerten Fahrzeuge und anderes schweres Gerät von der Hauptstadt N'Djamena im fernen Westen des Landes ins 600 Kilometer östlich gelegene Abeche zu bringen. Auf der Straße, die die Soldaten dafür benutzen müssen, waren die Rebellen binnen weniger Tage ohne Widerstand bis zur Hauptstadt marschiert. "Derzeit ist die Lage sehr ruhig, wir erwarten keine Probleme", versichert Poulain.

Das ist auch gut so, denn Sicherheit für jeden kann und darf die Eufor gar nicht garantieren. Ihr Mandat sieht ausschließlich den Schutz von Flüchtlingen und Vertriebenen vor. Selbst dafür darf die Eufor nicht die Camps betreten, das ist der tschadischen Polizei vorbehalten. Für diese soll die Mission Einheiten ausbilden. In interne Konflikte darf sich die Eufor keinesfalls einmischen. "Gegen die Rebellen, die im Februar N'Djamena gestürmt haben, hätten wir nichts unternommen", bestätigt Poulain, "außer, sie hätten Flüchtlinge oder Vertriebene angegriffen."

Doch die Unparteilichkeit nehmen viele Tschader, voran die Rebellen, der Eufor nicht ab. Zwar beteuert Poulain immer wieder, die Europäer stünden auf keiner Seite, doch niemand hier glaubt, das gelte auch für die französischen Soldaten, die Déby seit seinem Putsch 1990 schon oft stützten. Mehr als die Hälfte des Eufor-Kontingents sind Franzosen, dazu kommen gut tausend Soldaten, die als Teil der französischen "Sperber"-Mission im Tschad stationiert sind.

"Unparteilichkeit, das ist doch nur Gewäsch", ärgert sich Mohammed, ein Taxifahrer in der Hauptstadt N'Djamena. "Wären die Franzosen wirklich unparteiisch, hätten wir längst einen neuen Präsidenten." Dass Déby nach Tagen der Belagerung in seinem Palast es doch noch schaffte, die zerstrittenen Rebellen zu verjagen, verdankt er nach Mohammeds Ansicht tschadischen Kampfhubschraubern: "Und die waren nur einsatzfähig, weil die Franzosen den Flughafen verteidigt haben." Freilich glaubt Mohammed auch nicht, dass die Rebellen den nötigen Wandel in einem der ärmsten Länder der Welt herbeigeführt hätten: "Die wollen auch nur ran an die Öl-Milliarden."

Nach der zweiten misslungenen Revolte in zwei Jahren kennt Déby kein Pardon mehr. Oppositionelle oder auch nur Kritiker sind geflohen oder verhaftet worden. Unabhängige Zeitungen erscheinen nicht mehr, der private Radiosender Liberté ist geschlossen. Rund um N'Djamena wird ein Schützengraben ausgehoben, Bäume, hinter denen sich Rebellen verstecken könnten, werden abgeholzt. Landesweit gilt nächtliche Ausgangssperre, kaum jemand darf reisen.

"Déby ist paranoid", bilanziert die Mitarbeiterin einer deutschen Hilfsorganisation. Zu der Gefahr durch die Rebellen komme die wachsende Wahrscheinlichkeit einer Palastrevolution. Déby selbst gab nach den Kämpfen mit offiziell 700 Toten zu, den Großteil des Rückhalts in seiner Armee verloren zu haben. Ihm bleibt die Hilfe aus Paris, wo ein Außenamtssprecher auf die Frage, warum man Déby unterstütze, antwortete: "Kennen Sie einen Besseren? Wir nicht."

Für die Eufor-Mission ist der Boden heiß. "Wir kennzeichnen alle unsere Fahrzeuge mit Flaggen der EU und Österreichs", erklärt der österreichische Major Manfred Prantl. Man will auf keinen Fall für Franzosen gehalten werden. Das Bundesheer ist mit gut 160 Soldaten an der Mission beteiligt. Oberst Heinz Assmann, der Kommandant des österreichischen Kontingents, spricht zwar von einer generell guten Zusammenarbeit, räumt aber auch Probleme ein. "Es ist ohne Frage schwierig für uns, wir müssen langsam die Kontakte aufbauen und für uns Aufgaben finden, die wir auch erledigen können." Andere werden in aller Vertraulichkeit deutlicher: Frankreich, so heißt es, behalte sicherheitsrelevante Informationen für sich, von einem gemeinsamen Einsatz könne noch keine Rede sein.

Dass es dank der Eufor bald sicherer sein könnte im Osten Tschads, glauben auch humanitäre Helfer nicht. Und an das erklärte Ziel, Vertriebenen in den vergleichsweise sicheren und gut versorgten Camps die Rückkehr in ihre Heimatdörfer schmackhaft zu machen, glaubt Maurizio Giuliano von der UN-Koordination für humanitäre Hilfe im Tschad schon gar nicht. "Die zunehmende Gewalt in der Region macht es eher fraglich, ob die Menschen jemals zurückkehren werden."

(Copyright Berliner Zeitung, 13.3.08)