Montag, 23. Juli 2007

Swinging Nairobi


Die Bewohner von Kenias Hauptstadt sind bodenständige Menschen. Inmitten des Chaos steht der Nairobianer festungsgleich mit beiden Beinen auf der Erde, nichts wirft ihn aus der Bahn. Doch seit einer Woche ist das anders. "Kenia ist erschüttert", schreibt die größte Tageszeitung Daily Nation. Das ist wörtlich gemeint, denn die Stadt wird erstmals seit Jahrzehnten von fühlbaren Erdstößen heimgesucht. Zehn waren es bis jetzt, mit Stärken bis zu 6,0 auf der Richterskala - freilich nicht in Nairobi, sondern am Epizentrum nahe der Grenze zu Tansania. Aber die ist ja nur 100 Kilometer entfernt!

Obwohl Seismologen die Beben für vernachlässigbar halten und vor Panik warnen, ist die Stadt ins Wanken geraten. Nairobi swingt, es gibt nur noch ein Gesprächsthema: Im Supermarkt diskutiere ich mit der Kassiererin und anderen Kunden, wo man sich im Haus am besten schützt - unter, neben oder weit weg vom Türrahmen. Noch mehr stellt sich die Frage in den Jahrzehnte alten Hochhäusern im Zentrum. Als ich mein Auto anmelden wollte, traf ich die Angestellten der Behörde auf dem Gehsteig: In ihr Büro wollten sie vorläufig nicht zurück. Man kann ihnen das nicht übel nehmen: Nairobis Bürohäuser gelten auch ohne Erdbeben als baufällig.

Bisher klirren zwar nur Fensterscheiben, in Kneipen sollen Bierflaschen vom Tisch gefallen sein. Doch ein politisches Erdbeben hat die Tektonik im afrikanischen Grabenbruch ausgelöst: Die Opposition kritisiert die Regierung wegen fehlender Katastrophenpläne, es stellt sich heraus, dass vier der fünf Erdbebenmessstationen nicht funktionieren.

Weil deshalb verlässliche Daten fehlen, informieren sich die Nairobianer selbst. Nachts um vier weckte mich mein Nachbar, um mir mitzuteilen, jetzt stehe er bevor - der große Erdstoß, Sie wissen schon, schützen Sie sich. Dann legte er auf. Ich zog die Decke fester über den Kopf, irgendwann viel später schlief ich wieder ein. Ich fühlte mich ähnlich hilflos wie die Anhänger christlicher Sekten, von denen es in Kenia nicht wenige gibt. Deren Prediger warnen seit Tagen vor dem unmittelbar bevorstehenden Weltende.

(Copyright Berliner Zeitung, 23.7.07)