Dienstag, 31. Juli 2007

Die Angst ist geblieben


Der Geländewagen rumpelt hin und her, während der Fahrer sich den Weg durch die krummen Straßen von Goma bahnt. Ausnahmsweise sind es nicht die im Kongo verbreiteten Schlaglöcher, die die Fahrt so beschwerlich machen, sondern erstarrte Lava, die sich beim großen Vulkanausbruch vor fünf Jahren über den Asphalt geschoben hat. Dort liegt sie bis heute. "Damals haben die Leute gesagt: Wie gut, dass der Vulkan ausbricht, dann haben wir wenigstens ein paar Tage lang Ruhe vom Krieg", sagt Gavin Braschi, der für die Hilfsorganisation Don Bosco in Goma arbeitet.

Der Bürgerkrieg, der Mitte der neunziger Jahre begann, hat aus dem einst reichen Handelszentrum im Osten des Kongos ein großes Flüchtlingslager gemacht. Die Einwohnerzahl hat sich auf eine halbe Million verdoppelt, schätzt Braschi. Bis heute kämpfen Rebellen im Umland gegen Truppen der kongolesischen Armee. "In der Stadt haben wir nur deshalb keine offenen Gefechte, weil hier UN-Truppen stationiert sind", sagt Braschi. Doch ob das reicht, damit der brüchige Frieden zwischen den Lavabergen wirklich hält, ist ungewiss.

Ein Jahr, nachdem die 60 Millionen Bewohner im ehemaligen Zaïre zum ersten Mal seit 40 Jahren an einer demokratischen Wahl teilnehmen durften, ist von der erhofften Aufbruchsstimmung in Goma nichts zu spüren. Fast einstimmig ist er hier gewählt worden, der alte und neue Präsident Joseph Kabila. "Frieden und Stabilität im Osten sind meine höchste Priorität", versprach der ehemalige Rebellenführer bei seiner Amtseinführung im Dezember. Doch auf Frieden und Stabilität warten die Bewohner von Goma bisher vergeblich.

Dafür wabern durch die mit bunten Ständen gefüllten Ruinen der alten Markthalle von Goma Gerüchte von einem neuen Angriff. Rebellenführer Laurent Nkunda, der seit Jahren Angst und Schrecken in der Region um den Kivu-See verbreitet, soll einen Angriff auf Goma planen. "Es gibt einen Aufbau bewaffneter Kräfte auf beiden Seiten", bestätigt der Chef der UN-Friedensoperationen, Jean-Marie Guehenno. Die Armee von Laurent Nkunda sei "die derzeit größte Gefahr für die Stabilität im Kongo".

Der Kohlenhändler Philippe ist vor vier Jahren nach Goma geflohen, als Nkunda gerade die Stadt Bukavu gut 200 Kilometer weiter südlich, am anderen Ende des Kivu-Sees, eingenommen hatte. "Nkundas Leute sind durch die Stadt gezogen, haben Frauen vergewaltigt, Läden geplündert und Häuser angesteckt", erinnert er sich an den brutalen Überfall. Die kongolesische Armee habe die Stadt in Panik verlassen, da sei auch er geflohen. "Es gab auch UN-Blauhelme in Bukavu, aber die haben nichts unternommen." Dass Nkunda diesmal vor den Toren Gomas stehen soll, macht Philippe Angst. "Aber ich kann doch nicht schon wieder alles aufgeben, was ich mir mühsam aufgebaut habe", sagt er.

In den Dörfern nördlich von Goma toben die Kämpfe derzeit so heftig wie lange nicht mehr. 165 000 Kongolesen, so schätzen die Vereinten Nationen, sind seit Jahresanfang auf der Flucht. Insgesamt soll es allein in den Kivu-Provinzen 700 000 Flüchtlinge geben. Bisher kehrten die Vertriebenen - die meisten von ihnen sind Bauern - schnell wieder in ihre Heimatdörfer zurück. Doch diesmal machen Mitarbeiter von Hilfswerken erstmals eine bedrohliche Tendenz aus: Die Flüchtlinge richten sich in den Lagern ein - an einen baldigen Frieden glauben sie nicht mehr.

Lucille etwa hat ihren Mann und ihren Sohn bei einem Angriff der Rebellen im Mai verloren. "Ich habe mindestens hundert Leichen gezählt, und viele andere haben sie einfach in die Brunnen geworfen", sagt sie. Wie sie selbst es geschafft hat, bis ins Lager nahe der ugandischen Grenze zu kommen, weiß sie nicht mehr genau. Aber zurück, das weiß sie, will sie nicht.

Was genau der Rebellenführer Laurent Nkunda mit seinen Angriffen im Osten Kongos erreichen will, ist ungewiss. Nkunda gehört zu den Generälen, die für die einst mächtige "Sammlungsbewegung für einen demokratischen Kongo" gekämpft haben. Zwischen 1998 und 2003 kontrollierte diese ethnische Tutsi-Armee im Auftrag Ruandas die reichen Minen im Ostkongo. Doch der einstige Erzfeind Ruanda bemüht sich spätestens seit der Wahl um eine Annäherung an Kabila und seine Regierung. Der politische Arm der Sammlungsbewegung, bis zu den Wahlen noch in der Übergangsregierung vertreten, hat bei den Wahlen zudem eine schwere Schlappe hinnehmen müssen und versank mit nicht einmal sechs Prozent der Stimmen in der politischen Bedeutungslosigkeit. Um Nkunda sammeln sich jetzt diejenigen, die nicht in die kongolesische Armee integriert werden wollen - oder wegen ihrer Kriegsverbrechen Angst vor Prozessen haben.

Doch es ist nicht nur Nkunda, der die Bewohner rund um den Kivu-See zittern lässt. Ein anderer Flüchtling berichtet von einem blutigen Angriff auf sein Heimatdorf in Nord-Kivu. Die Täter waren Soldaten der kongolesischen Armee. "Rebellen hatten einem Armee-Konvoi aufgelauert, daraufhin hat der Offizier einen Vergeltungsschlag durchgeführt", berichtet der Mann, der seinen Namen nicht nennen will. "Sie sind von Haus zu Haus gegangen und haben getötet, egal, wen." Die "International Crisis Group" verurteilt die Armee als den Menschenrechtsverletzer Nummer eins im Kongo: Schuld daran sei vor allem die galoppierende Korruption. Die führt dazu, dass selbst der niedrige Sold von weniger als einem Euro am Tag oft nicht ausgezahlt wird. Die Soldaten, viele von ihnen gerade erst in die Armee integrierte Ex-Rebellen, verlegen sich deshalb auf das, was sie im Krieg gelernt haben. Sie nehmen sich mit Waffengewalt, was sie brauchen. "Wenn Kabilas Regierung nicht ihr Versprechen wahr macht, den Kongo von Grund auf zu verändern, verliert sie ihr letztes bisschen Autorität", warnt Crisis-Group-Experte François Grignon.

Dabei steht Kabila unter Zeitdruck. Der Sicherheitsrat wird Ende des Jahres über eine Reduzierung der UN-Truppen beraten, und die Geberländer haben auch nicht mehr viel Geduld. Noch sind 17 000 Soldaten der UN-Mission Monuc im Ostkongo stationiert, es ist der größte Einsatz seiner Art weltweit. Trotz des Debakels von Bukavu gilt die Truppe im Osten als Garant für wenigstens ein bisschen Frieden, zumal die Tatenlosigkeit bei Nkundas letztem Überfall nicht folgenlos geblieben ist. "Die Monuc ist inzwischen mit Nato- oder EU-Einsätzen vergleichbar", bilanzierte der nach Bukavu entsandte Kommandant Patrick Cammaert bei seinem Abschied im April. In Bukavu hätten die Monuc-Truppen den Rebellen gedroht, ihre Drohungen aber nicht wahrgemacht. "Das hat sich geändert." Seit Monaten sind Monuc und kongolesische Armee in gemeinsamen Einheiten im Einsatz, um die Rebellen zu besiegen. In der letzten Woche vertrieben sie Anhänger Nkundas von einem seiner Stützpunkte in Moramvia, die Soldaten flohen in den dichten Busch. Dort jedoch fühlen sie sich sicher, ebenso wie die auf 70 000 geschätzten Rebellen diverser anderer Gruppen, die sich dort verschanzen.

Der Anreiz, im Kampf gegen Monuc und Regierungsarmee sein Leben zu riskieren, ist hoch. Gold, Diamanten, Kupfer oder Coltan liegen im Ostkongo buchstäblich zum Greifen nah unter der Erde. Nach Jahrzehnten der Anarchie im Osten kontrollieren Banden in vielen Orten auch jetzt noch den lukrativen Schmuggel, der oft von Kindern im Tagebau gewonnenen Rohstoffe. "Von den 60 offiziell betriebenen Minen sind zudem nur sechs in Betrieb", bemängelt Kongos Vize-Minister für Mineralabbau, Victor Kasongo. Seine Behörde hat damit begonnen, die Schürflizenzen zu überprüfen. Doch der Prozess geht so schleppend voran, dass der für August geplante Abschluss gerade wieder um zwei Monate verschoben wurde. Die Kontrolle des Holzeinschlags im Kongobecken, an dem maßgeblich auch eine Tochter der deutschen Danzer- Gruppe beteiligt ist, steht noch ganz am Anfang. Steuereinnahmen, die der von jahrzehntelanger Korruption geschwächte Staatsapparat zum Bau von Straßen und anderer Infrastruktur dringend bräuchte, gibt es kaum.

Die Hoffnung aufgeben will in Goma dennoch niemand. Inmitten der Lava, die sich auch mal einen halben Meter hoch türmt, ziehen Vertriebene in eine Art Mustersiedlung aus skandinavisch anmutenden Holzhäusern ein. Eine von ihnen ist Mama Rafiki, eine lebensfrohe 18-Jährige, die ihren Sohn auf dem Arm trägt. "Ich lebe in schwierigen Zeiten, aber deshalb muss ich ja nicht meinen Sinn für Schönheit verlieren", sagt die junge Mutter und präsentiert stolz ihr neues Zuhause. Rund um den Garten hat sie eine Mauer aus Lavastein gezogen, an den Hauswänden rankt ordentlich gestutzter Efeu. Wäre es nicht Goma, Mama Rafikis Reich könnte aus einem Ferienhauskatalog stammen. "Die Frauen zahlen einen Teil der Baukosten ab, danach gehört ihnen das Haus", erklärt Gavin Braschi vom Don-Bosco-Orden .

Damit die Flüchtlingssiedlung nicht zum Ghetto wird, werden die Bewohnerinnen - meist sind es Frauen - dazu ermuntert, ihre Grundstücke nach eigenem Geschmack zu gestalten. "Die Besitzer müssen sich auch um ihre Einrichtung kümmern, wir machen hier kein Disneyland", sagt Braschi.

Mama Rafikis Mann verdient als Gelegenheitsarbeiter ein paar kongolesische Francs am Tag, sie selbst schließt gerade ihre Mechanikerausbildung ab. Mit viel Geduld arbeiten die Rafikis an ihrem kleinen Glück. An einen Überfall, an die Flucht vor Rebellen, daran mag Mama Rafiki nicht denken.

Dort, wo die Villen stehen, über der spiegelnden Wasserfläche des Kivu-Sees, ist man nicht ganz so naiv. Vor den protzigen Neubauten stehen bewaffnete Wachen, die schweren Tore sind mit Metallspitzen gesichert. "Es sind vor allem Politiker, die sich hier an der kongolesischen Riviera ihre Ferienhäuser bauen", berichtet Braschi im Vorbeifahren. Am Wochenende fliegen viele von ihnen hierher, um der hektischen, schwülen Hauptstadt für ein paar Stunden zu entfliehen. Die Bauwut der neureichen Politiker macht Braschi auch ein bisschen Hoffnung. Wer in Goma baue, so glaubt er, habe schließlich auch ein ganz persönliches Interesse an mehr Stabilität in der Region.

(Copyright Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31.7.07)