Mittwoch, 10. Dezember 2008

"Tausende Choleratote" in Simbabwe


Wer in den einst reichen Vorstädten von Harare wohnt, der hat zumindest noch den Swimming Pool. "Seit Wochen schöpfen wir unser Trinkwasser aus dem Becken", berichtet Florence Mbala (Name geändert) telefonisch aus der simbabwischen Hauptstadt. "Aus den Wasserhähnen kommt schon lange nichts mehr." In den Armenvierteln wie Mbare bedeutet das: Menschen trinken, was sie kriegen können. "Ich habe Männer gesehen, die aus Pfützen am Wegesrand Wasser geschöpft haben", so Mbala. Weil auch die Kläranlagen nicht mehr funktionieren und rohe Abwässer aus den Kanälen in die Straßen laufen, breitet sich die Cholera rasend schnell aus - trotz internationaler Hilfe. Auf mehr als 600 hat sich die offizielle Zahl der Choleraopfer am Dienstag erhöht, nahezu 14.000 Fälle hat die Weltgesundheitsorganisation bisher registriert - soweit die offiziellen Zahlen. Doch Simbabwer wie Itai Rusike glauben indes, dass die Zahl der Toten in die Tausende geht. "Es ist unmöglich zu sagen, wieviele genau sterben", sagt der Direktor der simbabwischen Hilfsorganisation 'Nachbarschaftshilfe für Gesundheit'. Das gelte vor allem auf dem Land. "Krankenhäuser dort sind zu, es gibt keine Ärzte oder Krankenschwestern, selbst die Telefone sind ausgefallen, so dass man nichts erfährt." Das alles, sagt Rusike, seien die Zeichen eines auseinanderbrechenden Staates.

Dafür, dass in Simbabwe auch die letzten Überreste des Staates auseinanderbrechen, ist die Cholera-Epidemie das bislang deutlichste und erschreckendste Symptom. Selbst Simbabwes Gesundheitsminister David Parirenyatwa muss inzwischen einräumen, dass die Regierung hilflos ist. "Unsere Krankenhäuser funktionieren nicht, wir brauchen dringend internationale Hilfe, um die Versorgung wieder in Gang zu bringen." Solche Töne aus dem Kabinett, das Präsident Robert Mugabe in seinem eisernem Griff hat, waren bislang nicht zu hören. Cholera ist nicht das einzige Problem: Ein achtjähriger Junge, der beim Spielen auf dem Schulhof hinfiel, starb nach einer Woche, weil niemand sein geschwollenes Knie behandeln konnte.

Wer helfen will, ist inzwischen schnell überfordert. Ein Pfarrer, der seit Monaten Mais aus dem Ausland nach Simbabwe schmuggelt, um den Ärmsten zu helfen, stöhnt: "Wir haben einen solchen Ansturm auf unsere Kirche erlebt, dass wir jetzt unsere Tore schließen mussten - alles andere wäre zu gefährlich, weil der Geheimdienst uns genau im Blick hat." Denn viele der Hilfesuchenden vor allem in Harare sind Anhänger der Opposition. Das Maismehl will der Pfarrer, der auch Hilfen aus Deutschland erhält, jetzt über befreundete Gemeinden verteilen. Auch das rare Rehydrierungspulver zur Behandlung der Cholera soll so verteilt werden. "Ich komme aus Uzumba im Umland von Harare, aus meinem Dorf alleine sind 300 Menschen vertrieben worden", erzählt Fiona Musaka (Name geändert), eine derjenigen, die vor dem Kirchentor um Hilfe betteln. Auf dem Rücken hat sie das jüngste ihrer vier Kinder gebunden. "Mindestens fünfzehn Bewohner wurden umgebracht, andere wurden so misshandelt, dass die jetzt behindert sind." Gerne würde sie zurück auf ihren Hof, doch ihr eigenes Haus wurde niedergebrannt, weil sie im Wahlkampf Werbung für die Opposition von Morgan Tsvangirai machte. "Ich habe kein Zuhause mehr."

Auch Givemore Nyakudyas Kind, eine Tochter, ist tot: vor drei Wochen starb sie an Cholera. "Diejenigen, die nicht an Cholera sterben, werden verhungern", prognostiziert er düster. In den Läden gibt es kaum noch etwas zu kaufen, und wenn, dann ist es für die meisten unerschwinglich. 35 Millionen Simbabwe-Dollar kostet derzeit ein Brot; morgen werden es vermutlich 70 Millionen sein, so schnell steigen die Preise. Der ohnehin wertlose Simbabwe-Dollar erreicht derzeit neue Tiefen, seit die Regierung am Freitag neue Millionengeschenke an Militär und Polizei ausgezahlt hat. Doch selbst solch kaum verbrämte Bestechung reicht offenbar nicht mehr aus, um Mugabes letzte Unterstützer bei der Stange zu halten. Zwar wurden Polizei und Militär am Dienstag angewiesen, jeden Protest schon im Keim niederzuschlagen. Doch mit Waffen ausgerüstet wurden die Einheiten nicht. "Die Armeeführung weiß nicht mehr, auf wen sie sich verlassen kann", sagt ein Insider. Spätestens seit Soldaten vor einer Woche Unruhen in Harare anführten, weil sie vor einer Bank stundenlang erfolglos auf Geld gewartet hatten, gilt der Sicherheitsapparat als Risiko für die Regierung. Ein gutes Viertel der Streitkräfte, so schätzen Bewohner in Harare, ist kurz davor, zu desertieren.

(Copyright Aargauer Zeitung, 10.12.08)