Samstag, 6. Dezember 2008

Schon wirkt das süße Gift


Auf dem Markt von Ashaiman erreichen die Händler ihre Höchstform: Bevor die schwüle Mittagshitze in der Arbeitervorstadt am Rand von Ghanas Hauptstadt Accra jeden Schritt zur Qual macht, werfen sie sich förmlich auf die in buntes Tuch gewickelten Hausfrauen und die Männer in Anzügen, die sich durch die engen Gänge drängen. Füllige Verkäuferinnen wedeln mit mächtigen Yamswurzeln und rasseln mit Bottichen voll Reis, aber nur wenige Kunden greifen zu. "Ich verdiene 55 Cedi im Monat", rechnet der Lehrer Felix Akwafo vor. Das entspricht etwa 45 Euro. "Zwanzig gehen für die Miete drauf, bleibt etwa ein Cedi, den ich pro Tag für alles andere ausgeben kann." Knapp ein Euro. Die Preise für die Grundnahrungsmittel Yams, Reis oder Bohnen steigen seit Monaten. "Ich versuche, mit Nachhilfestunden zuzuverdienen, aber auch die Eltern sind knapp bei Kasse."

Am Sonntag geht Akwafo wählen, das Parlament und einen Nachfolger für Präsident John Kufuor, der nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten darf. Einen westafrikanischen Musterstaat nach westlichem Gusto hat Kufuor aus der ehemaligen Militärdiktatur gemacht. In Europa und den USA wird er dafür gerühmt. In Ghana sehen ihn viele vor allem als den Präsidenten, unter dem das Leben immer teurer geworden ist. Seine potenziellen Nachfolger verkünden deshalb seit Monaten, was sie besser machen wollen für die Menschen in Orten wie Ashaiman. Freie Schulbildung, sozialer Wohnungsbau, kostenlose Gesundheitsversorgung sind nur einige der Versprechen für die verarmte Mehrheit. Zwar entstand unter Kufuor eine solide Mittelschicht, die sich Auto, Haus und Urlaub leisten kann, doch fühlt sich die Masse der Geringverdiener, solche wie Felix Akwafo, abgehängt.

"Ashaiman verändert sich", findet auch Josephine Dzimedi. Sie leitet die Schule, an der Felix Akwafo eine sechste Klasse unterrichtet. "Aus Accra ziehen immer mehr Leute her, die sich ein Einfamilienhaus bauen." Neuerdings gibt es Straßenlaternen, nach und nach ziehen die zahlungskräftigen neuen Nachbarn ein. "Nur mit der Wasserversorgung haben wir noch ein Problem, aber das wir wohl auch bald gelöst", sagt die Schulleiterin. Einerseits freut sie sich über die Aufwertung der Vorstadt, die kurz nach der Unabhängigkeit Ghanas 1957 als Auffanglager für diejenigen begann, die beim Bau des Hafens Tema verdrängt wurden. Sie errichteten Häuser, erst aus Holz, dann aus Stein. Heute zählt Ashaiman Hunderttausende von Menschen, der ehemalige Slum ist eine der größten Siedlungen des Landes. Doch für die Armen, klagt Dzimedi, tut der Staat nichts.

"Es gibt eine einzige staatliche Schule, in jeder Klasse sitzen 70, 80 Kinder. Da lernen sie nichts." Deshalb kaufte Dzimedi selbst ein Stück Land und gründete in besseren Holzschuppen ihre eigene Schule. Mit Mikrokrediten der Hilfsorganisation Opportunity International hat sie die Schule Stück für Stück erweitert, mehr als 300 Schüler werden heute unterrichtet. Die Hälfte der Klassenräume hat bereits steinerne Mauern; den Kredit von umgerechnet 20 000 Euro zahlt Dzimedi in Monatsraten pünktlich ab. "Politiker kamen und gingen, ich habe keine Veränderung erlebt", sagt sie. "Ich kämpfe immer noch selbst für meine Schule, wie immer." Doch nicht alle sind so geduldig wie die massige, selbstbewusste Frau.

Auf dem Marktplatz von Ashaiman stehen vor allem Jugendliche in Grüppchen zusammen. Erregt diskutieren sie. "Die Stimmung vor den Wahlen ist angespannt", hat Dzimedi beobachtet. Gerüchte machen die Runde, über Seilschaften, über die Günstlinge des neuen Reichtums. Denn ab 2010, so heißt es, wird in Ghana Öl fließen: Direkt vor der Küste wurde 2007 eines der reichsten Vorkommen Afrikas entdeckt.

"Der Streit darum, wer vom Öl profitiert, vergiftet schon jetzt die politische Atmosphäre", urteilt Kwesi Aning, der 30 Autominuten von Ashaiman entfernt die Forschungsabteilung am Internationalen Trainingszentrum für Friedenstruppen leitet. "Die Erwartungen sind immens und kaum einzulösen." Das gilt vor allem für die meist arbeitslosen Jugendlichen, von denen viele weder Schulabschluss noch Ausbildung haben. "Das sind ungelernte Hilfskräfte, die im Ölgeschäft keine Jobs kriegen", so Aning.

Doch in Erwartung des Ölreichtums steigen die Preise für Land, Mieten und Lebenshaltung in und um Accra. Die Wut der jungen Leute wurde durch Politiker angestachelt, die auf ihren Kundgebungen Geldscheine austeilten, um die Jugend auf ihre Seite zu ziehen. Die Folge: So gewalttätig wie dieser Wahlkampf war noch keiner.Vor allem im besonders armen Norden kam es zu Ausschreitungen. Bei Schusswechseln zwischen Anhängern von Opposition und Regierung gab es mehrere Tote.

"Alles wird größer, protziger, besser, davon will ich auch was abhaben", ärgert sich auch Baba, ein Mann mit Schnurrbärtchen, Anfang 20, der neben einer der vielen Baustellen im Zentrum Accras Bleistifte verkauft. In Erwartung des Öls erlebt Accra einen beispiellosen Aufschwung. Hotels, Bürohochhäuser und Einkaufszentren entstehen. Indische und chinesische Bautrupps haben gerade den neuen Präsidentenpalast fertiggestellt: die monströse Version eines asiatischen Tempels mit Anleihen aus Ghanas Folklore für 50 Millionen Dollar. Der Staat ist pleite, soeben hat Ghana 750 Millionen Dollar Staatsanleihen aufgenommen. Auch internationale Kreditgeber rechnen damit, dass Petrodollars alle Schulden begleichen werden.

Doch Öl ist nicht die einzige Finanzquelle für Ghanas neue Kulisse. Viele der Baustellen, da ist Kwesi Aning sicher, sind vor allem Waschmaschinen für Schwarzgeld aus dem internationalen Drogenhandel. Ghana ist in den vergangenen Jahren zum wichtigen Drehkreuz aufgestiegen. "Drogengeld durchdringt längst alle staatlichen Institutionen und gefährdet den Zusammenhang unserer Gesellschaft", sagt Aning. "Zoll, Polizei, Justiz und Politik: Alle sind in das Geschäft mit Kokain und Heroin für Europa verstrickt."

Ganze Dörfer machen mit: In dem Fischerort Prampan entdeckten Fahnder vor zwei Jahren 1 900 Kilo Kokain in einem Schuppen. Und als ein Abgeordneter der Regierungspartei, Eric Amoateng, in New York verhaftet wurde, als er Heroin im Wert von sechs Millionen Dollar ins Land schmuggeln wollte, protestierte sein Wahlkreis fast geschlossen gegen die Festnahme. Viele, so glaubt Aning, waren in Amoatengs Geschäfte verstrickt. Selbst der Wahlkampf, der teuerste, den Ghana je sah, sei durch Drogengelder mitfinanziert. "Es wärenaiv zu glauben, es sei anders."

Kolumbianische Kartelle haben Westafrika mit seinen schwachen Staatsstrukturen als Durchgangsstrecke auf dem Weg nach Europa entdeckt. Sie heuern Ghanaer an, um auf See oder an der Küste beim Transport der großen Mengen Kokain zu helfen. Bezahlt werden die Helfer in Naturalien. Diese Drogen werden dann in einem zweiten, "kleinen" Kreislauf nach Norden geschickt: "Dazu braucht man viele Helfer, denn Kokain wird meist mit Boten geschmuggelt, die die Drogen verschlucken oder anders verstecken", sagt ein Zöllner, der auf Accras Flughafen Kotoka arbeitet. Seinen Namen darf er nicht nennen. Einige seiner direkten Vorgesetzten, da ist er sicher, seien in das Geschäft mit den Drogen verwickelt. "Wer quatscht, muss dran glauben." Auch der Binnenmarkt wächst, willige Dealer gibt es an Plätzen wie Ashaiman genug. "Gelingt es der neuen Regierung nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren, den Drogensumpf trockenzulegen", prophezeit Aning, "werden die Drogenbosse das Land ganz kontrollieren."

(Copyright Berliner Zeitung, 6.12.08)