Montag, 1. Dezember 2008

Blutige Politik


Die Leichen liegen achtlos aufeinandergeworfen im Hof der Zentralmoschee von Jos. Viele von ihnen sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder verstümmelt. Mindestens vierhundert Tote seien es, berichten Augenzeugen. Wie viele Opfer die Massaker in der Hauptstadt der nigerianischen Plateau-Provinz am Wochenende wirklich gefordert haben, ist bisher nicht bekannt. Ein Sprecher der örtlichen Polizei sagt am Sonntag nur, es seien "sehr viele".

Die Unruhen in Jos sind die schlimmsten, die die Bewohner der Provinz im Zentrum des Landes seit Jahren erlebt haben. Polizisten patrouillieren mittlerweile mit der Armee durch die Armenviertel der Stadt, um eine von Gouverneur Jonah Jang verkündete Ausgangssperre durchzusetzen. Ihr Befehl lautet, jeden potenziellen Unruhestifter umgehend zu erschießen.

Begonnen hatten die Massaker am Donnerstagabend. Nach den Kommunalwahlen wurden die Stimmen zwar noch ausgezählt, doch unter Anhängern der oppositionellen All Nigeria Peoples Party (ANPP) kursierte bereits das Gerücht, dass der wichtige Wahlkreis im Norden von Jos verloren sei - an die landesweit regierende People's Democratic Party (PDP). Während die ANPP vor allem als Partei der aus dem muslimischen Norden zugewanderten Bevölkerung gilt, die zu den ethnischen Gruppen der Hausa und Fulani gehört, ist die PDP traditionell die Partei der aus dem christlichen Süden stammenden Yoruba. In Jos mischen sich wie überall in Nigerias Zentralregion die Ethnien und Religionen.

Vorurteile zwischen den Bevölkerungsgruppen werden von Politikern in dieser Region immer wieder instrumentalisiert. Die so geschürten politischen Konflikte mündeten in Jos bereits in der Vergangenheit in blutige Straßenschlachten und Massaker zwischen Christen und Muslimen, zwischen Hausa und Yoruba. Bei Kämpfen zwischen christlichen und islamischen Milizen waren vor sieben Jahren mehr als tausend Bewohner von Jos ums Leben gekommen. Drei Jahre später wurde in Plateau der Ausnahmezustand verhängt, nachdem christliche Milizen zweihundert Muslime in der Stadt Yelwa brutal ermordet hatten.

Diesem Muster folgten auch die jüngsten Massaker. Als erstes steckte der wütende Mob in der Nacht zum Freitag mehrere Kirchen und Moscheen in Brand. Dann brach Chaos aus: Menschen wurden mit Macheten zerstückelt, zu Tode geprügelt oder an eilends errichteten Straßensperren angezündet. Tausende Häuser und Geschäfte gingen in Flammen auf, hunderte geparkte Autos wurden zertrümmert.

Mindestens zehntausend Bewohner flohen, vor allem die ärmsten: Christen aus vorwiegend von Muslimen bewohnten Slums brachten sich in Sicherheit in mehrheitlich christlichen Slums; Muslime flohen entsprechend in die andere Richtung. Andere verbarrikadierten sich in Krankenhäusern und öffentlichen Gebäuden.

Inmitten der Kämpfe verkündete der Vorsitzende der Wahlkommission, Gabriel Zi, die PDP habe nicht nur den Wahlkreis im Norden von Jos, sondern auch alle anderen sechzehn Wahlkreise gewonnen. "Die Wahlen waren fair, gerecht und transparent", sagte Zi. Dieser Auftritt fachte die Kämpfe, an denen längst militante christliche und muslimische Milizengruppen beteiligt waren, weiter an.

An einen Zufall glaubt kaum jemand in Jos. "Das war eine minutiös vorbereitete Attacke", urteilt etwa der Pfarrer Yakubu Pam. "Einige wenige gierige und unzufriedene Leute haben den Frieden der vergangenen Jahre aufgegeben und die Wahlen zu einem Kampf auf Leben und Tod erklärt." Wer aus seiner Sicht die Rädelsführer sind, lässt Pam gerne durchblicken: "Unsere muslimischen Brüder und Schwestern hatten ihre Autos längst weggeparkt, als die Unruhen begannen."

Der Präsident des obersten Rates für islamische Angelegenheiten, Sultan Sa'ad Abubakar, weist die Vorwürfe zurück und ruft seinerseits die Christen zur Ruhe auf: "Eine Politik des Hasses und der Ungerechtigkeit darf keinen Keil zwischen die Bevölkerung Nigerias treiben." Auch der Generalsekretär der Vereinigung nigerianischer Christen, Samuel Salifu, macht die Politik verantwortlich: "Wir sind es leid, immer die gleichen Krisen zu sehen, wenn einige Politiker in ihrem Eigeninteresse die religiöse Karte spielen." Damit spricht er aus, was viele Nigerianer denken: Christliche und muslimische Milizen werden von Politikern je nach Interessenlage eingekauft.

Die derart Gescholtenen lassen am Wochenende keine Reue erkennen, im Gegenteil. Die Vorsitzenden der unterlegenen Oppositionsparteien fordern eine Annullierung der Wahl und werfen der Regierung vor, die Massaker in Jos selbst organisiert zu haben. "Die Strategie ist doch glasklar", wettert der Parteisprecher des oppositionellen Action Congress, Alhadschi Lai Mohammed: "Die fälschen die Wahl und sorgen dann für Chaos, damit die Ergebnisse nicht hinterfragt werden können."

Die Regierung von Plateau bestätigt mittlerweile, mindestens fünfhundert Gewalttäter seien festgenommen worden. Zeitungen sprechen von mindestens dreimal so vielen. Viele hätten Militär- oder Polizeiuniformen getragen, sagt der Justizminister von Plateau, Edward Pwajok. Bewohner von Jos berichten, Polizisten hätten willkürlich das Feuer auf unschuldige Bewohner in mehreren Slums eröffnet. Auch einige hundert schwer bewaffnete Kämpfer sollen festgenommen worden sein. Sie hatten offenbar versucht, von außerhalb in die Stadt zu gelangen.

(Copyright Berliner Zeitung, 1.12.08)