Dienstag, 14. August 2007

«Schwere Kriegsverbrechen» in Somalia


Die Kämpfe Ende März dauerten nur vier Tage, aber es waren die schwersten, die Somalias Hauptstadt seit langem gesehen hatte. «Die regierungsfeindlichen Kräfte haben sich bewusst in dicht bevölkerten Vierteln Mogadischus verschanzt und die Bewohner als Schutzschilde missbraucht», erklärt Tom Porteous von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. «Und obwohl ihnen klar war, dass es eine hohe Zahl ziviler Opfer geben würde, hat die mit der Übergangsregierung verbündete äthiopische Armee die Viertel daraufhin mit Raketen und schwerem Geschütz Stück für Stück bombardiert.» Für beides gibt es dem Menschenrechtler zufolge nur ein Wort: Kriegsverbrechen.

In einem Bericht, dem 100 Interviews mit Augenzeugen zugrunde liegen, hat Human Rights Watch den Verlauf der Kämpfe Ende März sowie ähnlich schwerer Gefechte Ende April rekonstruiert. Das Ergebnis: Alle Seiten haben internationales humanitäres Recht gebrochen › doch niemand interessiert sich dafür. «Weder die USA noch die EU, beides wichtige Geberländer in Äthiopien und Somalia, haben die Vorfälle lautstark kritisiert.» Vom UNO-Sicherheitsrat, der gestern Abend über die Lage in Somalia diskutieren sollte, forderte Porteous die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission.

Bomben auf Spitäler

Den regierungsfeindlichen Kräften › Sympathisanten der von Übergangsregierung und äthiopischer Armee Ende des Jahres verjagter Islamisten und Milizen des grössten Clans in Mogadischu, der Hawiye › wirft Human Rights Watch vor, bei ihren Anschlägen zivile Opfer bewusst in Kauf zu nehmen. Die äthiopische Armee habe drei Hospitäler gezielt bombardiert und zwei von ihnen geplündert. «Die Spitäler stechen im Stadtbild deutlich heraus, das war kein Versehen», so Porteous. Die somalische Übergangsregierung schliesslich sei nicht ihrer Pflicht nachgekommen, die Zivilbevölkerung vor dem Beginn von Gefechten zu warnen. «Bis heute nehmen die Regierungstruppen zudem unter Generalverdacht junge Männer fest, die oftmals verschleppt und miss- handelt werden.»

Mindestens mehrere hundert, vermutlich mehr als tausend Menschen seien im März und April ums Leben gekommen, schätzt Porteous. Die Gefechte nennt er die schlimms- ten seit der Flucht des Diktators Siad Barre 1991: «Schwere Waffen wie etwa Katjuscha-Raketen, die die äthiopische Armee eingesetzt hat, sind in Somalia seit 16 Jahren nicht benutzt worden.» Zwar hätten die Kämpfe an Intensität inzwischen abgenommen, doch noch immer leide die Zivilbevölkerung unter den nicht enden wollenden Gefechten. Die UNO schätzt die Zahl der Flüchtlinge, die im Umland von Mogadischu leben, auf mehr als 300 000, ein Drittel der Bevölkerung.

Zunehmend geraten ausserdem kritische Stimmen ins Visier der kämpfenden Parteien: Am Wochenende wurden zwei Radiojournalis- ten ermordet, ein Moderator und ein Mitbesitzer des Privatsenders HornAfrik. Somalias Journalistengewerkschaft spricht von einer gezielten Kampagne gegen den unabhängigen Journalismus im Land.

«Evakuierung geht täglich weiter»

Regierungssprecher Abdi Gobdon kritisierte die Vorwürfe gestern als gegenstandslos. «Human Rights Watch erfindet wie üblich Märchen, um die Weltöffentlichkeit irre zu führen», blaffte der äthiopische Präsidentenberater Simon Bereket noch eine Tonart schärfer. Doch humanitäre Helfer in Mogadischu, die die Opfer der Kämpfe versorgen, bestätigen die Düsternis der Lage: «Die Evakuierung Mogadischus geht täglich weiter, man könnte heulen», erklärt der Direktor der Diakonie-Partnerorganisation Daryeel Bulsho Guud, Abukar Sheikh Ali. Eine schnelle Lösung, so glaubt er, ist derzeit trotz einer vom Westen finanzierten Versöhnungskonferenz nicht absehbar.

(Copyright Aargauer Zeitung, 14.7.07)