Samstag, 11. August 2007

Ex-Kindersoldaten an den Wahlurnen


Die Brutalität des Bürgerkrieges in Sierra Leone sorgt bei vielen Einwohnern bis heute für Albträume. Mit Drogen voll gepumpte Kindersoldaten rasten auf Pick-up-Trucks von einem Dorf ins nächste und töteten, misshandelten und vergewaltigten in einer Art Blutrausch. Waffen und Munition wurden durch den Abbau der Diamantenvorkommen im Landesinneren finanziert, Unterstützung kam von Liberias Präsident Charles Taylor. Als der Krieg 2002 endete, waren 50 000 Bewohner des westafrikanischen Staats tot.

Fünf Jahre später wählt Sierra Leone einen neuen Präsidenten und ein Parlament. Es sind die damaligen Kindersoldaten, die dabei heute vermutlich den Ausschlag geben werden. "Wenn man durch das Land reist, sieht man überall Massen von Jugendlichen, die rumhängen - etwas anderes haben sie nicht zu tun", sagt Benedict Sannoh, der für die UN arbeitet. Jobs gibt es nicht: 60 Prozent der Unter-35- Jährigen sind arbeitslos, zwei Drittel der Erwachsenen können weder lesen noch schreiben. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass sich Zehntausende im Wahlkampf von Parteien als Schläger anwerben ließen - zur Einschüchterung der politischen Gegner.

Die Stimmung bei den Jungwählern, die mehr als die Hälfte der 2,6 Millionen Wähler stellen, ist düster. In der Hauptstadt Freetown lebt die Mehrheit in zerfallenden Slums. Die Inflation galoppiert und könnte Ende 2007 zweistellig werden, befürchtet die Weltbank. Ausländische Investitionen gibt es praktisch nicht. Dafür blüht die Korruption, erst im April empfahl Großbritanniens Entwicklungshilfeagentur, Zuschüsse an Sierra Leones Anti- Korruptionsbüro einzufrieren. Der Grund: Während kleine Sünder verfolgt würden, sahne die Regierung des scheidenden Präsidenten Tejan Kabbah ungehindert ab.

Gewinner der desolaten Stimmung könnte ausgerechnet die Rebellenbewegung sein, die im Krieg am meisten gefürchtet wurde: Die Vereinigte Revolutionäre Front (RUF). In einem politischen Coup ohnegleichen hat sich Ernest Koroma, der die Volkskongresspartei (APC) anführt, die Unterstützung der Erzfeinde von der RUF aus Bürgerkriegszeiten gesichert. Koromas APC, die bei Regionalwahlen vor drei Jahren gut abschnitt, gilt als härtester Gegner von Solomon Berewa von der regierenden Sierra Leonischen Volkspartei (SLPP), dem Wunschnachfolger des Präsidenten. "Viele wollen vor allem gegen die Regierungspartei stimmen, selbst wenn sie die Opposition nicht viel besser finden", sagt ein deutscher Wahlbeobachter.

Wie unsicher der junge Frieden in Sierra Leone immer noch ist, zeigte zuletzt die Entscheidung, den Prozess des von den UN unterstützten Sondertribunals gegen Liberias Ex-Präsident Charles Taylor aus Sicherheitsgründen nach Den Haag zu verlegen. Doch Victor Angelo, Repräsentant des UN-Generalsekretärs in Sierra Leones Hauptstadt, bleibt optimistisch. "Wir sehen die Wahl als ein Signal an ganz Westafrika: Man kann eine nationale Krise haben, sie überwinden und demokratisch in die Zukunft gehen."

(Copyright Zürichsee-Zeitung, 11.8.07)