Freitag, 11. April 2008

Warten auf die Zeit nach Mugabe


Auf ein unsichtbares Zeichen hin rennen auf einmal alle los. Die Schritte hallen laut wider im Inneren von Eastgate, Harares modernstem Shopping- und Bürokomplex. Wer den Supermarkt erreicht hat, reiht sich geübt in die Schlange ein, die sich binnen Sekunden gebildet hat. "Es soll tatsächlich Brot kommen", flüstert eine Frau und schüttelt ungläubig den Kopf. "Hoffentlich stimmt es diesmal." Zehn Minuten lang passiert nichts, keiner in der Schlange sagt ein Wort. Dann ein Raunen, als zwei Männer tatsächlich vier Plastikkisten mit Toastbrot durch das Foyer in den Laden schieben.

Noch einmal zehn Minuten vergehen, dann kommen vier Angestellte heraus. Einer fragt den Ersten in der Schlange: "Ein Brot kostet 40 Millionen, hast Du genug Geld dabei?" Der Mann nickt, der Angestellte sagt: "Nur eins, nicht mehr", dann darf der Glückliche eintreten. Fünfzig Brote später ist der Zauber vorbei, der Rest der Schlange löst sich schnell auf. Zwei Jungen laufen zwischen den frustrierten Büroangestellten herum und flüstern: "Wollen Sie ein Brot kaufen? Nur 80 Millionen." Die meisten schütteln den Kopf. 80 Millionen simbabwische Dollar, zum Schwarzmarktkurs knapp 1,50 Euro, das ist für viele ein Fünftel des Monatsgehalts.

Eastgate liegt mitten im Zentrum von Simbabwes Hauptstadt Harare, Zweite Straße Ecke Robert Mugabe Avenue. Das Gebäude galt bei der Einweihung vor mehr als zehn Jahren als architektonisches Weltwunder, wegen seiner natürlichen Klimaanlage. Ein System von Röhren und Kanälen sorgt dafür, dass der Bau mit rund 5 500 Quadratmetern Verkaufsfläche und 26 000 Quadratmetern für Büroräume quasi von selbst seine Temperatur hält. Nachempfunden ist das Prinzip einem Termitenbau. Doch die ruhmreiche Vergangenheit von Simbabwe und von Eastgate ist lange vorbei.

"Wir waren so weit vorne, wir waren die Vorzeigenation Afrikas", erinnert sich Franklin, ein Bankangestellter im Eastgate, wehmütig. "Und wo sind wir jetzt? Die Läden sind leer, nicht einmal Strom gibt es. Unser Land steht am Abgrund." Dass es einmal so viel besser war, macht den tristen Alltag in Harare für viele noch deprimierender.

Doch dass Franklin, der wie die meisten in Simbabwe seinen vollen Namen nicht gedruckt sehen will, solche Sätze offen sagt, ist alleine schon ein Zeichen des Wandels. Seit den Wahlen vor fast vierzehn Tagen, bei denen die Opposition die Mehrheit im Parlament gewonnen hat, ist die Angst vor der allgegenwärtigen Geheimpolizei, dem CIO, bei vielen abgeflaut. Zwar flüstern viele noch, wenn sie über die Regierung sprechen. Den Namen von Präsident Robert Mugabe, der sich an die Macht klammert und dessen Partei die Verkündung des Wahlergebnisses hinauszögert und eine Nachzählung der Stimmen fordert, nehmen die wenigsten in den Mund. "Aber selbst der Geheimdienst ist gespalten, deshalb rede ich mittlerweile auf offener Straße über Politik", sagt der Unternehmensberater Gibson.

Seinen Namen freilich will auch er geheim halten. Dafür teilt der ehemalige Unternehmer, dem Mugabes Partei ZANU-PF schon einmal erfolglos einen Ministerposten angeboten haben soll, freimütig sein Wissen. "Mugabe und die Polizeiführung wollten schon vor Tagen Unruhen in Harare schüren." Doch die jungen Polizeioffiziere eine Ebene tiefer seien nicht dazu bereit gewesen: "Die haben gesagt: Wenn Mugabe Leute umbringen will, dann soll er sich ein Maschinengewehr nehmen und selbst auf die Straße gehen, wir tun es nicht", sagt Gibson und lacht. Die Zeichen mehren sich, dass selbst die Unterstützung durch Polizei und Militär bröckelt, die bisher die unerschütterliche Basis für Mugabes Machterhalt waren.

Diejenigen, die in Mbare leben, der ältesten Armensiedlung der Stadt, haben schon lange keine Zweifel mehr daran, dass der seit der Unabhängigkeit regierende 84-jährige Präsident endlich abtreten muss. "Es gibt keine Baustellen und auch sonst keine Arbeit, deshalb bleiben die Leute hier", erklärt Robert, der auf seinem Lastwagen sonst Arbeiter zu Baustellen fährt. Jetzt liegt er im Schatten des Lkw, rechnet nicht damit, dass er bald aufbrechen muss.

Selbst für die Glücklichen, die eine Stelle haben, ist es schwer. "Zur Arbeit und zurück kostet mich der Bus heute 35 Millionen simbabwische Dollar", beschwert sich Gloria, die am Straßenrand auf einen der nur selten vorbeikommenden Busse wartet. "Und morgen ist es vielleicht schon wieder teurer, mindestens zwei Mal die Woche wird der Preis hochgesetzt, weil der Benzinpreis täglich steigt." Obwohl ihr Arbeitgeber Gloria einen Zuschuss zu den Fahrtkosten zahlt, muss sie oft laufen. "Für den einfachen Weg brauche ich drei Stunden", klagt sie. Ihre kleine Tochter sieht sie an solchen Tagen nur schlafend.

Mbare ist eine Hochburg der simbabwischen Opposition, weswegen Mugabe vor drei Jahren Hunderttausende von hier vertreiben ließ. In der Operation "Murambatsvina", das Shona-Wort für Müllabfuhr, rissen Bulldozer mitten im Winter tausende Hütten ab, die meisten Bewohner flohen aufs Land. Wer blieb, der hat bei dieser Wahl für die oppositionelle "Bewegung für demokratischen Wandel" (MDC) und ihren Chef, den langjährigen Regimekritiker Morgan Tsvangirai, gestimmt. An dessen Sieg glauben nicht nur hier in Mbare alle. Wenn er nicht bald verkündet wird, so warnt der schon grauhaarige George, dann wird ganz Mbare auf die Straße gehen. "Ich werde der erste sein, der gegen Mugabe demonstriert." Doch bislang warten die meisten Bewohner nur ab, nervös, aber tatenlos. Regina, Mutter eines Sohnes, flüstert: "Angeblich bereiten ein paar Leute schon etwas vor, aber Genaues weiß man nicht." Sie hat den ganzen Tag vor einem Laden gestanden und vergebens auf Brot gewartet. Für einen Aufstand scheint sie, wie die meisten, viel zu erschöpft.

Selbst ein Beamter im maßgeschneiderten Anzug, der vor einem Laden seinen schwarzen Mercedes aufschließt und mit einem Bündel 50-Millionen-Dollar-Scheine wedelt, erregt sich. "Maismehl, Zucker oder Pflanzenöl habe ich schon seit Monaten nicht mehr in den Regalen gesehen." Trotzdem hat er erneut für die Regierung gestimmt, gibt er zu. Warum, das sagt er nicht. Aber viele Beamte machen sich zu Recht Sorgen, dass sie nach einem Regierungswechsel die über Jahre angesammelten Privilegien und ihre Arbeit verlieren könnten.

Auch deshalb hat Mugabe bei dieser Wahl selbst nach Ansicht der Opposition mehr als 40 Prozent der Stimmen bekommen, trotz einer Rekordinflation von mehr als 164 000 Prozent. Auch viele Soldaten haben für Mugabe gestimmt, angeblich mussten sie ihre Dienstnummer auf den Wahlzetteln vermerken. Doch ein Luftwaffengeneral ließ im staatlichen Radio vorgestern mitteilen, man werde im Falle eines Falles unparteiisch bleiben. Es ist ein weiteres Zeichen für die Zerrissenheit der kleinen Elite des heruntergewirtschafteten Landes - denn zeitgleich sind andere Generäle aufs Land entsandt worden, um Milizen und Soldaten gegen Oppositionsanhänger aufzuhetzen. Wo früher weiße Siedler verfolgt wurden, sind jetzt auch Schwarze die Opfer, wenn sie unter dem Verdacht stehen, Oppositionsanhänger zu sein.

"Das Establishment, das sind auch Menschen, wir dürfen sie nicht überschätzen", erklärt der Methodistenpriester Johnny Dube. "Die sind verwirrt, sie können nicht vorwärts und nicht zurück und wissen nicht, was sie als nächstes tun sollen." Dube gehört zu den wenigen, die schon seit Jahren offen gegen die Regierung zu Felde ziehen. In einem Buch hat er den simbabwischen Kirchenverband und seine eigene Kirche beschuldigt, das System zu stützen. Dabei, glaubt er, könnten die Kirchen ein entscheidender Faktor zur Veränderung sein. "Wir sind überall im Land, auch da, wo die Politiker nur einmal vor der Wahl hingehen und dann nie wieder." Doch auch jetzt schweigen die Pfarrer. "Dabei stehen wir vor einem Umschwung, und wir hätten seine Speerspitze sein können."

In all der Unsicherheit hat sich dennoch eine Zuversicht ausgebreitet, die es vorher nicht gab. "Es kann einfach nicht so weiter gehen", sagt der Unternehmensberater Gibson. Früher oder später, so glaubt er, wird das System implodieren. Es gebe Anzeichen dafür, dass ein Großteil der Elite sich ins Ausland absetzen will. "Die wollen, dass die absehbare Stichwahl um das Präsidentenamt erst in drei Monaten stattfindet, damit sie Zeit genug haben, abzuziehen." Dafür spricht auch, dass die Regierung gerade noch einmal die Summe verringert hat, die täglich bei den Banken abgehoben werden darf. Eine Milliarde simbabwischer Dollar pro Tag, etwa 17 Euro, sind jetzt die Obergrenze. So viel haben die wenigsten Simbabwer, aber als Stopp für eine Kapitalflucht der Reichen und Mächtigen ist das Verbot effektiv.

Dass Mugabe die Wahl bei einer Stichwahl in drei Monaten gewinnen würde, ist für Gibson ein Ding der Unmöglichkeit. "Auf den wenigen bestellten Feldern erwarten wir eine Missernte wegen Düngermangels und Dauerregens, in drei Monaten hungert das ganze Land."

(Copyright Berliner Zeitung, 11.4.08)