Donnerstag, 18. Januar 2007

Amas Schicksal


Wenn Manu Herbstein von Ama erzählt, dann klingt es wie die Geschichte einer lange verschollenen Verwandten. “Ama war erst 15, als sie von Sklavenhändlern aus ihrer Hütte im trockenen Norden Ghanas verschleppt wurde”, erzählt der 71-jährige. Eingepfercht in eine Sklavenkarawane, entfernt sich Ama immer weiter von ihrer Heimat und den Menschen, die sie liebt. “Sie schließt neue Freundschaften, auch mit ihren Entführern, aber ihr Schicksal ist besiegelt: Von Elmina aus wird sie nach Brasilien verschifft, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten.” Das war vor 250 Jahren.

Zehn Jahre hat Herbstein gebraucht, um die Geschichte von Ama und hunderttausenden anderen Sklaven im Ghana des 18. Jahrhunderts auszugraben. “In Ghana ist dieser Teil der Geschichte ein weißer Fleck.” Monate hat Herbstein im unwirtlichen Norden Ghanas verbracht, wo der Sahel beginnt und starker Wind den trockenen Sand durch die Luft wirbelt. Nördlich von Kumasi, der ehemaligen Hauptstadt des Ashanti-Reiches, leben nur noch wenige Nomadenstämme. Moscheen aus Lehm sind die größten Gebäude.

“Es gibt dort oben eine bis heute lebendige erzählerische Tradition”, weiß Herbstein. Kaum etwas wird aufgeschrieben, Geschichte wird von Mund zu Mund weitergegeben. So erfuhr der Autor nach und nach die Details des Sklavenhandels, der ganze Landstriche entvölkerte. “Der Aufstieg der Ashanti begann mit Gold und Elfenbein, aber Sklaven wurden schnell zur bedeutendsten Ressource des wachsenden Königreichs.” Holländer, Briten und Dänen brauchten ständig neue Arbeiter für ihre Kolonien. Die Ashanti befriedigten den Bedarf und wurden dafür mit modernen Waffen ausgerüstet.

Etablierte Königreiche wie das der Dagbon im Norden Ghanas hatten der Armee des Ashanti-Kaisers nichts adäquates entgegen zu setzen. Sie mussten sich verpflichten, hunderte ihrer Leute in die Sklaverei zu schicken – Leute wie Ama, die von ihrem eigenen Volk in den Untergang geschickt wird. Herbsteins Buch beschreibt auf 400 Seiten minutiös das Martyrium, durch das die Sklaven vor ihrer Ankunft in der neuen Welt gehen mussten: Misshandlung, Vergewaltigung und Hunger sind nur einige der Demütigungen, die Ama erleiden muss.

Unter den tausenden US-Amerikanern afrikanischer Herkunft, die jedes Jahr das Sklavenfort in Elmina an Ghanas Küste besuchen, hat Herbstein dankbare Leser gefunden. Selbst auf Senegals Île de Gorée verkauft sich “Ama – Eine Geschichte aus dem transatlantischen Sklavenhandel” gut. Für seinen Erstling hat Herbstein sogar den “Commonwealth Writers Prize” erhalten. “Und das, obwohl ich für die Veröffentlichung des Buchs genauso hart arbeiten musste wie für das Schreiben selbst”, lächelt Herbstein.

Viele Verleger lehnten das Buch ab, weil sie nicht glauben wollten, dass gerade Herbstein die Geschichte vom Sklavenhandel aufschreiben könnte. “Ich bin Südafrikaner, weißer Südafrikaner, und das haben mir die Verleger immer wieder vorgehalten.” Nur durch einen Zufall fand Herbstein seinen Verlag: An einem Stand für gebrauchte Bücher an einer von Accras vielbefahrenen Hauptstraßen fand er einen zehn Jahre alten Führer: ‘Wie veröffentliche ich mein Buch’.

“Ich habe über das Internet die aktuelle Adresse des Autors herausgefunden und ihm einen Brief geschrieben.” Das Buch gefiel dem Autor, der inzwischen Literaturagent war – er vermittelte Herbstein seinen Verleger. “Weil wir uns nie gesehen hatten, kam die Frage meiner Hautfarbe nie auf.” Manchmal, sagt Herbstein, bekommt er Leserpost, in der nach seiner Herkunft gefragt wird. “Die beantworte ich nicht, ich bin Afrikaner, punkt.”

Die Entschiedenheit hat einen Grund. Herbstein hat seinen eigenen Kampf gegen die Versklavung hinter sich. Der Sohn eines Händlers studierte in den 50er Jahren in Kapstadt Architektur und begann kurz darauf, quer durch Afrika zu reisen. Nach zwei Jahren im Ausland kehrte er nach Südafrika zurück, als in Ghana Kwame Nkrumah die Einheit aller Afrikaner beschwor. “Mir war klar, dass sich Südafrika ändern muss und ich habe mich dem Anti-Apartheids-Kampf des damals illegalen Afrikanischen Nationalkongresses angeschlossen.”

Von Indien und Sambia aus arbeitete Herbstein daran, das System der Rassentrennung in Südafrika weltweit zu diskreditieren. In den 70-er Jahren musste er aufhören – der ANC trennte sich von seinen weißen Mitgliedern,viele wurden erschossen. Herbstein, enttäuscht, zog nach Ghana – erst 1992, nach der Freilassung Nelson Mandelas, kehrte er nach Südafrika zurück. “Ich finde, dass ich mir das Recht verdient habe, Amas Geschichte aufzuschreiben”, glaubt Herbstein.

(Copyright epd, 18.1.2007)